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Reaktionen des Staates Einschränkung von Verteidigungsrechten und Haftbedingungen

Uwe Wesel

/ 6 Minuten zu lesen

Im Zusammenhang mit den Strafverfahren gegen Mitglieder der RAF wurden innerhalb von vier Jahren sechs neue Gesetze erlassen. Einige der Gesetze sind noch heute in Kraft.

Justitia mit Richtschwert und Waage (© AP)

Das hatte es in der deutschen Rechtsgeschichte noch nicht gegeben. Im Zusammenhang mit den Strafverfahren gegen Mitglieder der RAF wurden innerhalb von vier Jahren sechs Gesetze mit insgesamt 27 Einschränkungen von Rechten der Verteidigung und mehreren Erleichterungen für die Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft und Bundesanwaltschaft erlassen.

Die RAF-Verteidiger Otto Schily (rechts) und Rupert von Plottnitz - einen Tag vor Beginn des so genannten Stammheim-Prozesses. (© AP)

Es begann 1974 mit zwei Gesetzen zur Vorbereitung des großen Stammheimer Prozesses, der 1975 anfing. Wichtigste Änderungen waren das Verbot der Mehrfachverteidigung, die Möglichkeit der Durchführung eines Strafprozesses ohne Anwesenheit der Angeklagten und des Ausschlusses von Verteidigern, später die Erleichterung dieses Ausschlusses schon bei leichtem Verdacht, die Überwachung des Schriftwechsels zwischen den Gefangenen und ihren Verteidigern sowie die Trennscheibe und das Kontaktsperregesetz. Außerdem, ohne Sondergesetz, eine unbeschreiblich unwürdige Behandlung der Anwälte beim Zugang zum Gefängnis oder ins Gericht.

Am gefährlichsten für die Verteidigung war, was zunächst vielleicht als das Harmloseste erschien: das Verbot der Mehrfachverteidigung. Vorher hatte die Strafprozessordnung die Verteidigung mehrerer Angeklagter durch einen einzigen Anwalt oder gemeinsam durch mehrere Anwälte erlaubt. Das ist dann sinnvoll und notwendig, wenn es unter den Angeklagten keine Interessengegensätze gibt. Die Verteidigung kann dann besser koordiniert werden, zumal in solchen größeren Verfahren auch häufig mehrere Staatsanwälte auf der Seite der Anklage stehen und damit die vom ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz des fairen Verfahrens geforderte Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung erhalten bleibt.

Auch bei Verfahren gegen die RAF und besonders im großen Stammheimer Prozess hätte es so sein müssen, wurde aber durch eine Änderung der Strafprozessordnung ganz allgemein abgeschafft, was heute noch in unpolitischen Großverfahren die Verteidigung behindert. Die Angeklagten werden dadurch als Einzelne isoliert, was gerade dann die Verteidigung schwächt, wenn der Prozess wie in Stammheim gegen eine verschworene Gemeinschaft geführt wird. Auch wenn es irrsinnig war, wie die RAF das politische System der Bundesrepublik angegriffen hat und beseitigen wollte, sie hatte ein Recht darauf, sich als Kollektiv zu verstehen und zu verteidigen. Sie durfte den Prozess in Stammheim – und anderswo später – auch als Angriff auf ihre gemeinsame politische Identität verstehen. Genau dies aber sollte durch die Neufassung des § 146 der Strafprozessordnung verhindert werden und führte auch, ob vom Gesetzgeber gewollt oder nicht, zur schwersten Behinderung ihrer Verteidiger.

Diese konnten nämlich ihre Mandanten konkret nur verteidigen, wenn sie die Möglichkeit zur Koordinierung hatten. In solchen Prozessen – die auch politisch sind, obwohl dies häufig bestritten wird – haben Verteidiger die Pflicht, den Angeklagten Gelegenheit zu geben, sich auch politisch zu verteidigen. Das ergibt sich aus der vom Grundgesetz garantierten Würde des Menschen und der Meinungsfreiheit. Ohne Zweifel dürfen hier Grenzen nicht überschritten werden, aber eine Koordinierung auch der politischen Verteidigung ist notwendig. Das geht nicht nur durch gemeinsame Abreden der Verteidiger allein – diese waren außerhalb des Gerichts leicht möglich. Doch auch die Angeklagten müssen gemeinsam gehört werden. Das war nun nicht mehr möglich. Deshalb führten Anwälte und Angeklagte ein schriftliches Umlaufverfahren weiter, das schon vor dem Prozess zur technischen und politischen Koordinierung der Verteidigung eingerichtet worden war, das "info"-System. Ein schwacher Ausgleich für die Verletzung der Waffengleichheit von Anklage und Verteidigung, denn die Bundesanwälte konnten mühelos miteinander kommunizieren.

Auch die Justiz hielt das grundsätzlich für zulässig, aber nur technisch, nicht politisch. Denn tatsächlich verstanden sich die angeklagten Mitglieder der RAF auch im Gefängnis und im Prozess weiter als Kämpfer gegen das, was sie als "Schweinesystem" bezeichneten. Damit hatten sie ja auch großen Erfolg. Die Empörung junger Linker über Haftbedingungen und unmäßige Härte der Justiz führte dazu, dass die Zahl aktiver Mitglieder der RAF sich nach der Verhaftung der ersten Generation der RAF 1972 fast verzehnfachte und die Zahl der Sympathisanten in die Tausende stieg. Insofern bedeutete dieses "info"-System für die beteiligten Anwälte einen Tanz auf dem Vulkan. Denn alles, was nach Meinung der Justiz in diesen Papieren über die rein technische Koordinierung hinausging, was also politisch war, galt als strafbare Unterstützung der kriminellen, dann terroristischen Vereinigung, führte nicht nur zum Ausschluss von der Verteidigung, sondern zu Strafverfahren und – wie es damals noch hieß – Ehrengerichtsverfahren. Das wird noch zu beschreiben sein.

Ähnlich verhängnisvoll in seiner Anwendung nicht nur durch das Stammheimer Gericht war der neue § 231 a StPO im zweiten Gesetz von 1974. Danach kann ein Strafverfahren auch in Abwesenheit eines Angeklagten durchgeführt werden, der sich "schuldhaft in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand" versetzt hat. Mitglieder der RAF galten für Justiz und Vollzugsanstalten automatisch als gefährlich. Wegen dieser Gefährlichkeit kamen sie sofort in Isolationshaft. Die totale Isolation bedeutete monatelange Einsamkeit ohne jede Verbindung innerhalb der Haftanstalt und nach außen in einem kleinen Raum, der von allem anderen optisch und akustisch abgeschirmt war und auch nicht gut belüftet. Diese "sensorische Deprivation", wie sie dann bald mit einem sozialwissenschaftlichen Terminus benannt wurde, hat schwere gesundheitliche und psychische Schäden zur Folge, auch ohne den dann als Protest oft folgenden Hungerstreik, der das alles noch verschlimmerte und mitunter auch zum Tod führte. Astrid Proll zum Beispiel war, ohne Hungerstreik, dadurch lebensgefährlich krank geworden und musste deshalb während ihres ersten Prozesses entlassen werden.

Die für eine Isolationshaft notwendige Gefährlichkeit der RAF-Gefangenen galt nach der Rechtsprechung der Gerichte als "schuldhaft" im Sinne des § 231 a StPO. Ein wegen Zugehörigkeit zur RAF ausgestellter Haftbefehl hatte wegen dieser Gefährlichkeit der Isolationshaft zur Folge. Dadurch wurden Gefangene "schuldhaft" verhandlungsunfähig, und deshalb konnte der Prozess – die Hauptverhandlung – in ihrer Abwesenheit durchgeführt werden, womit die Verteidigung weiter erheblich erschwert wurde. Mit anderen Worten: Wer wegen Mitgliedschaft bei der RAF vor Gericht stand, wurde automatisch verhandlungsunfähig, und der Prozess konnte ohne ihn stattfinden. Ein Circulus vitiosus und ein weiterer Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.

Seit 1976 wurde der Schriftverkehr zwischen Anwalt und Mandant im Gefängnis bei Haftbefehl wegen Tätigkeit für die RAF nach einem neuen Gesetz von einem Richter kontrolliert. Wie soll man aber vertraulich korrespondieren, wenn man noch nicht einmal richtig miteinander reden kann mit der Trennscheibe dazwischen? Diese gab es – ebenfalls ein neues Gesetz – für die RAF-Gefangenen seit 1978, nachdem 1977 bei den Toten im 7. Stock des Gefängnisses in Stammheim eingeschmuggelte Waffen und Geräte gefunden worden waren. Trennscheibe bedeutet, dass Anwalt und Mandant sich in einem Raum des Gefängnisses treffen, der durch eine dicke Plastikscheibe getrennt ist. Sie verständigen sich über Mikrofon und können Papiere nur durch einen schmalen Schlitz in der Scheibe austauschen. Ein normales Gespräch ist nicht möglich. Es ist wie am Eingang eines schwer bewachten Gebäudes, wenn jemand an der Pforte über Mikrofon um Einlass bittet, die Antwort kaum versteht und seinen Ausweis durch die bewegliche Schublade reicht, nur dass die etwas breiter ist als der Schlitz in der Scheibe.

Schließlich die entwürdigende Behandlung der "Terroristenanwälte" beim Gang ins Gefängnis oder Gericht. Die kontrollierenden Beamten durchsuchten nicht nur Aktentaschen und Akten, die Anwälte mussten nicht nur Mantel, Jacke und Schuhe ausziehen, wurden nicht nur mit Metallsonden abgetastet – damals noch neu – und mussten ihre Hosen öffnen, wenn der Reißverschluss einen Piepton verursachte. Es ging so weit, dass in einigen Fällen die Verteidiger – Frauen wie Männer – sich nackt ausziehen mussten und ein Arzt hinzugezogen wurde, der die Körperöffnungen inspizierte. Und wer – die Würde des Menschen ist unantastbar – die Durchsuchung verweigerte, wurde als Verteidiger vom Prozess ausgeschlossen und erhielt von der Justizkasse eine Rechnung über viele tausend Mark für diejenigen Polizisten, die vergeblich eingesetzt wurden, um ihn zu durchsuchen. Das war das Ende der Verteidigung. Viele Anwälte hielten nur durch, weil sie ihre Mandanten nicht völlig allein lassen wollten, vertreten lediglich durch ihnen vom Gericht diktierte Verteidiger, die sie "Zwangsanwälte" nannten.

Bei diesem Artikel handelt es sich um eine gekürzte Fassung des Aufsatzes "Strafverfahren, Menschenwürde und Rechtsstaatsprinzip - Versuch einer Bilanz der RAF-Prozesse" von Uwe Wesel. Erschienen in: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): Die RAF und der linke Terrorismus, Hamburger Edition HIS Verlag, Hamburg 2007.

Fussnoten

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Uwe Wesel, Jahrgang 1933, war von 1968 bis zu seiner Emeritierung im März 2001 Professor für Rechtsgeschichte und Zivilrecht an der Freien Universität Berlin. Er veröffentlicht regelmäßig Artikel in der Süddeutschen Zeitung und der Zeit.