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Vom "Deutschen Volkskongress" zur DDR

Wolfgang Benz

/ 4 Minuten zu lesen

Nicht nur in der Westzone entstand ein neuer Staat. Im von der Sowjetunion besetzten Teil Deutschlands wurden die Weichen zur Gründung der "Deutschen Demokratischen Republik" gestellt, deren Verfassung am 7. Oktober 1949 in Kraft trat.

Der "Deutsche Volkskongress"

Als Reaktion auf die Ende November 1947 bei der Londoner Außenministerkonferenz erkennbare Tendenz der Westmächte, eine westliche Teillösung des Deutschlandproblems zu suchen, wurde in der Ostzone von der SED der "Deutsche Volkskongress für Einheit und gerechten Frieden" als Sammlungsbewegung initiiert.

Konstituierende Sitzung der Provisorischen Volkskammer der DDR am 7. Oktober 1949.

(© Bundesarchiv, Bild 183-W1126-310, Foto: Kolbe, Albert)

Die SED wollte damit Druck auf die Londoner Verhandlungen ausüben, die Position des sowjetischen Außenministers in London stärken, sich selbst als treibende Kraft zugunsten der deutschen Einheit profilieren, und der westlichen Seite die Schuld an der Spaltung zuweisen. Bei den anderen Parteien der Ostzone, insbesondere bei der CDU, aber auch bei Teilen der LDP, stieß die SED-Initiative auf Ablehnung.

Die CDU-Vorsitzenden Jakob Kaiser und Ernst Lemmer betrachteten die Volkskongressbewegung als Propagandamanöver und weigerten sich, mit der Teilnahme an der Bewegung ihre politische Eigenständigkeit aufzugeben. Sie wurden deshalb im Dezember 1947 auf Druck der SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) abgesetzt und durch den gefügigeren Otto Nuschke ersetzt.

Zum Ersten Deutschen Volkskongress am 6. Dezember lud die SED Vertreter von Parteien und Massenorganisationen, Betriebsräte, Bauernverbände, Künstler und Wissenschaftler aus allen Besatzungszonen nach Berlin. Eine Legitimierung der Delegierten durch Wahl fand nirgendwo statt. Die meisten der 2000 Delegierten kamen aus der SBZ und Berlin, die SED stellte allein 605 Teilnehmer. Die größte Teilnehmergruppe der Westzonen bildeten 244 Vertreter der KPD. Einige wenige andere waren trotz des Verbots durch die Westalliierten nach Berlin gereist.

Dem Kongress war die Rolle eines gesamtdeutschen Vorparlaments zugedacht, er forderte von der Londoner Außenministerkonferenz die Vorbereitung eines Friedensvertrags und die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung "aus Vertretern aller demokratischen Parteien". Die Außenminister sollten eine Delegation, nämlich die SED-Vorsitzenden Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl sowie den Vorsitzenden der Liberal-Demokratischen Partei, Wilhelm Külz, empfangen und von ihnen entsprechende Vorschläge entgegennehmen.

Der Zweite Deutsche Volkskongress, der am 17. und 18. März 1948 tagte, und dessen Eröffnung im Zeichen des 100. Jahrestags der Märzrevolution von 1848 stand, protestierte gegen die Diskussion einer Staatsgründung in den Westzonen und beschloss, im Mai/Juni 1948 ein Volksbegehren für die deutsche Einheit in allen vier Zonen durchzuführen, das in den Westzonen aber nicht erlaubt wurde.

Weiterhin bestellte der Volkskongress einen 400 Mitglieder starken "Deutschen Volksrat". Er vertrat den Anspruch, ganz Deutschland zu repräsentieren (300 Delegierte kamen aus der SBZ, 100 Delegierte aus den Westzonen). Sein wichtigster Ausschuss unter der Leitung Otto Grotewohls arbeitete in den folgenden Monaten einen Verfassungsentwurf aus. Ein Ende 1946 von der SED vorgelegtes Modell einer (gesamtdeutschen) "Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik" diente als Ausgangspunkt.

Der Verfassungstext von 1946 gewährleistete außer den Grundrechten das Privateigentum, sah jedoch die Enteignung von Großgrundbesitz vor, ferner die Sozialisierung von Bodenschätzen und bestimmten Betrieben. Der Wortlaut huldigte dem Prinzip des Parlamentarismus, und zwar soweit, dass der Parlamentspräsident zugleich Staatsoberhaupt sein sollte. Der neue Verfassungsentwurf orientierte sich formal stärker am Modell der Weimarer Reichsverfassung, trug aber den von der SED propagierten gesellschaftspolitischen Zielen Rechnung. Der Verfassungsentwurf des Volksrats wurde Ende Oktober 1948 öffentlich zur Diskussion gestellt.

Einheitslistenwahl

Im März 1949, als der Deutsche Volksrat wegen der bevorstehenden Verabschiedung des Bonner Grundgesetzes den "nationalen Notstand" verkündete, sollte ein dritter Volkskongress einberufen werden, um die Verfassung zu bestätigen. Dieser Dritte Deutsche Volkskongress sollte durch Wahlen legalisiert sein. Dazu wurden am 15. und 16. Mai 1949 in der SBZ und in Ost-Berlin Wahlen angesetzt, allerdings nach dem Prinzip der Einheitsliste des "Demokratischen Blocks", in dem Parteien und Massenorganisationen zusammengeschlossen waren.

25 Prozent der Listenplätze bekam die SED, jeweils 15 Prozent erhielten CDU und LDP und entsprechend weniger die anderen Parteien und Massenorganisationen.Die Wahl war mit einer Volksabstimmung über die deutsche Einheit verbunden. Wenn die Auszählung der Stimmen korrekt war (woran viele zweifelten), dann stimmten 66,1 Prozent der 13,5 Millionen Wahlberechtigten für die Einheitsliste.

Der auf dem Dritten Volkskongress (29. und 30. Mai 1949) neu gewählte Zweite Deutsche Volksrat konstituierte sich am 7. Oktober 1949 als Provisorische Volkskammer der DDR und setzte die Verfassung in Kraft.

Regierungsbildung

Die 330 Abgeordneten der Provisorischen Volkskammer waren nach politischem Proporz zusammengerufen worden, nicht aus freier Wahl hervorgegangen. Die SED hatte 96 Sitze, Liberaldemokraten und CDU verfügten je über 46, Nationaldemokraten und Demokratischer Bauernbund über 17 bzw. 15, die restlichen Mandate hatten der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund und Massenorganisationen wie die Freie Deutsche Jugend (FDJ) inne.

Einstimmig, wie für Abstimmungsergebnisse im System des "demokratischen Zentralismus" üblich, wurde ein "Gesetz über die Provisorische Regierung der DDR" beschlossen und eine Länderkammer (34 Abgeordnete der 5 Landtage) gebildet. Otto Grotewohl, einer der beiden Vorsitzenden der SED, wurde als Ministerpräsident mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Drei Tage später übergab in Berlin-Karlshorst der Chef der Sowjetischen Militäradministration, General Tschuikow, die von der Militärregierung ausgeübten Funktionen an die Regierung der DDR.

Die SMAD wurde aufgelöst und (parallel zur Entwicklung im Westen, wo im Sommer 1949 die Militärgouverneure durch Hohe Kommissare ersetzt worden waren) durch eine Sowjetische Kontrollkommission (SKK) abgelöst. Am 11. Oktober wählten Volks- und Länderkammer gemeinsam (und wiederum einstimmig) Wilhelm Pieck, den anderen Vorsitzenden der SED, zum Präsidenten der DDR.

Am folgenden Tag bestätigte die Volkskammer die Regierung und nahm Grotewohls Regierungserklärung entgegen, in der die Freundschaft zur Sowjetunion als Grundlage der Außenpolitik, die Tradition des Antifaschismus als innere Verpflichtung und die Ankündigung von Anstrengungen, in Industrie und Landwirtschaft das Vorkriegsniveau zu erreichen, als Ziel der Wirtschaftsplanung die wichtigsten Punkte bildeten. Zur Sinnstiftung und Rückbindung mit den Werktätigen besuchten am folgenden Tag die Mitglieder der neuen Regierung volkseigene Großbetriebe, um den Arbeitern die Staatsziele zu erläutern und sie zur Gefolgschaft zu verpflichten.

Es war der 13. Oktober 1949, der zum ersten Mal als "Tag der Aktivisten" begangen wurde, als Jahrestag der Rekordleistung des Bergmanns Adolf Hennecke, der nach dem Vorbild des sowjetischen Arbeiters Stachanow von 1935 in einer wohl vorbereiteten Hochleistungsschicht mit einer Normüberbietung von 387 Prozent im Kohlebergbau ein sozialpolitisches Signal für den Arbeiter- und Bauernstaat gesetzt hatte.

Quelle: Auszug aus "Informationen zur politischen Bildung", Heft 259: Deutschland 1945-1949.

Fussnoten

Wolfgang Benz, geboren 1941, ist Geschichtsprofessor an der TU Berlin und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung. Der Verfasser zahlreicher Bücher zur deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts erhielt 1992 den Geschwister-Scholl-Preis.