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Die Zeit des Nationalsozialismus

Michael Kißener

/ 6 Minuten zu lesen

Notverordnungen, Abschaffung elementarer Grundrechte, Zerschlagung des Föderalismus: Hitler verwandelte Deutschland in eine menschenverachtende Diktatur. Fassungslos meldete der französische Botschafter im April 1933 nach Paris: "Die deutsche Demokratie hat nichts retten können, nicht einmal ihr Gesicht."

Nach der "Machtergreifung" marschieren am 30. Januar 1933 stundenlang SA-Einheiten durch Berlin. (© AP)

Am 1. September 1948 versammelten sich in Bonn Abgeordnete zum Parlamentarischen Rat, denen die Schrecken der gerade erst überwundenen nationalsozialistischen Diktatur noch deutlich vor Augen standen. Mit Hilfe der neuen Verfassung wollten sie Vorsorge dafür treffen, dass nicht noch einmal wie 1933 ein Rechts- und Verfassungsstaat durch verbrecherische Politiker scheinbar legal in eine Diktatur umgewandelt werden konnte.

Am 30. Januar 1933 war der "Führer" der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP), Adolf Hitler, von dem greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden. Das war nicht zwingend gewesen, sondern das Werk einer intriganten konservativ-nationalistisch gesinnten Clique, die das Staatsoberhaupt von der Notwendigkeit überzeugen konnte, mit einer autoritären Regierung unter Adolf Hitler eine Lösung der Krise der Weimarer Republik zu versuchen. Sie glaubten, den Führer der NSDAP "einrahmen", ja ihren Zielen dienstbar machen zu können, mussten jedoch bald einsehen, dass sie dem skrupellosen Instinktpolitiker mit gleichsam charismatischer Ausstrahlung nicht gewachsen waren. Denn schon während der Kabinettsbildung forderte Hitler die Auflösung des Reichstages und Neuwahlen. Die deutschnationalen Koalitionspartner akzeptierten widerwillig, um nicht alles in letzter Minute zu gefährden. Hitler hoffte, so eine parlamentarische Mehrheit zu erlangen, die ihm die immer schon angestrebte Zerschlagung der Demokratie erlaubte. Zugleich wusste er, dass ihm die Parlamentsauflösung die Möglichkeit eröffnete, sieben Wochen lang mit Notverordnungen zu regieren.

Die Reichstagswahlen vom März 1933

Die Wahlkampfzeit bis zum 5. März 1933 nutzten seine als Innenminister im Reich und in Preußen amtierenden Gefolgsmänner Wilhelm Frick und Hermann Göring sowie der Propagandaspezialist Joseph Goebbels denn auch, um mit staatlich sanktioniertem Straßenterror die politischen Gegner einzuschüchtern und die Wähler mit der Verheißung einer besseren Zukunft zu verführen. Flankierend dazu wurde bereits am 4. Februar eine "Verordnung zum Schutz des deutschen Volkes" erlassen. Bereits diese ermöglichte der Regierung unter dem Vorwand, Gefahr abzuwehren, Zeitungen und Versammlungen zu verbieten sowie öffentliche Kritik zu unterdrücken. In der weit verbreiteten Furcht vor einem kommunistischen Umsturzversuch und angesichts so vieler früherer Notverordnungen, fanden viele das nicht einmal anstößig - ja der schockierende Brand des Reichstages am 27. Februar schien die Berechtigung für ein solches Vorgehen geradezu zu belegen. Bis heute ist umstritten, wer der Brandstifter war. Eines ist in jedem Fall sicher: die neuen Machthaber wussten die Lage instinktsicher auszunutzen und versetzten bereits am Folgetag mit der Notverordnung "zum Schutz von Volk und Staat", die gleichsam das "Grundgesetz" des so genannten Dritten Reiches werden sollte, Deutschland in den permanenten Ausnahmezustand. Elementare Grundrechte wurden durch sie bis auf weiteres suspendiert, die Selbstständigkeit der Länder drastisch eingeschränkt.

Vor diesem Hintergrund war es fast erstaunlich, dass die Wahlen vom 5. März 1933 nicht die erwartete Mehrheit für die NSDAP brachten: nur 43,9 Prozent der Deutschen stimmten bei einer Wahlbeteiligung von 88,7 Prozent für die Partei Hitlers. Zusammen mit den konservativen Bündnispartnern reichte das aber für die Fortsetzung der Regierung.

Das "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" - Ermächtigungsgesetz

Anfang März verfügte Hitler daher über eine ausgedehnte Exekutivmacht. Zur Errichtung der Diktatur bedurfte es aber vor allem noch des Zugriffsrechts auf die Gesetzgebung. Am 21. März wurde der neu gewählte Reichstag feierlich in der Potsdamer Garnisonskirche eröffnet: Hitler nutzte diese Gelegenheit, um sich in Begleitung des Reichspräsidenten propagandaträchtig als aufrichtiger Staatsmann zu zeigen und in die preußische Tradition zu stellen. Kaum war die Rührkomödie vorbei, forderte er vom Reichstag angesichts der angeblichen Notlage nichts weniger als die Selbstaufgabe. Für vier Jahre wollte er das Recht haben, ohne Hinzuziehung des Parlaments selbst Gesetze erlassen zu können, sogar verfassungswidrige. Allein die Sozialdemokraten lehnten diese Zumutung ab, die bei der Abstimmung wichtige Zentrumspartei zerrieb sich gleichsam in einer Diskussion um den rechten Weg: Sollte man zustimmen oder das Risiko eines andernfalls angekündigten Bürgerkrieges eingehen? Frei waren die Abgeordneten bei dieser Entscheidung ohnehin nicht mehr. Schon auf dem Weg zur Krolloper, dem Ersatz-Plenarsaal, machten drohende SA- und SS-Leute jedem klar, dass sie Gewalt anwenden würden, wenn das Abstimmungsergebnis nicht in ihrem Sinn ausfallen würde. Schließlich stimmte das Zentrum am 23. März 1933 dem "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich", dem so genannten Ermächtigungsgesetz, zu - und manch ein Reichstagsabgeordneter der Oppositionsparteien war froh, dass er lebend den Tagungssaal verlassen konnte.

Ende des Föderalismus und Gleichschaltung

Immerhin hatten die Nationalsozialisten in den meisten Ländern noch keine parlamentarischen Mehrheiten. Doch auch der eher schwache Föderalismus der Weimarer Jahre bot in dieser Situation kaum Schutz für die Freiheit. Kurzerhand wurde nach den Wahlen vom 5. März behauptet, dass in den Ländern die öffentliche Sicherheit nicht mehr gewährleistet sei. Deshalb sandte die Reichsregierung Reichskommissare, die zusammen mit der SA die Landesregierungen zu verdrängen suchten. Rechtsverwahrung und Klage beim Staatsgerichtshof in Leipzig, wie sie etwa die badische Landesregierung gegen dieses gewaltsame, verfassungswidrige Vorgehen noch am 9. März 1933 beschloss, blieben praktisch ohne Wirkung, zumal das Gericht ohnehin nur mit schwachen Kompetenzen ausgestattet war.

Auch die Gleichschaltung der Massen war ein wichtiges Instrument der Nationalsozialisten, um ihre Macht zu erhalten. Foto: AP

Denn bereits am 31. März, eine Woche nach dem "Ermächtigungsgesetz", verlangte schon ein "Vorläufiges Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich" die Neubildung der Länder- und Kommunalparlamente entsprechend dem Ergebnis der Wahlen vom 5. März. Weitere gesetzliche Regelungen in den folgenden Monaten erledigten die Länderparlamente und stuften die Länder zu reinen Mittelbehörden des Reiches herab. Mit der offiziellen Auflösung des Reichsrates am 14. Februar 1934 wurde schließlich der zentralistisch organisierte Führerstaat etabliert.

So wenig wie die Verfassungsinstitutionen es vermochten, sich der rücksichtslosen Aktionen der Hitlerregierung zu erwehren, so wenig stellten traditionell starke gesellschaftliche Institutionen wie Gewerkschaften, Unternehmer, Parteien, Militär oder Kirchen jetzt noch einen Damm gegen den Ansturm der braunen Machthaber dar. Die Gewerkschaften etwa wurden am 2. Mai 1933, kurz nach der gemeinsamen Feier des "Tages der Arbeit", durch Überfallkommandos ausgeschaltet und ihre leitenden Funktionäre eingesperrt. Eine Mischung aus Verlockung, Furcht, Gefügigkeit, Resignation und Selbstgleichschaltung, gepaart mit der skrupellos-gewaltsamen Überrumplung durch die Regierung brach in den nächsten Wochen jede potentielle Widerstandskraft. So existierte Ende Juli 1933 nur noch die NSDAP als einzig erlaubte Partei, die Reichswehr hatte sich ebenso wie die Unternehmer von den politischen Angeboten Hitlers einfangen lassen, die evangelische Kirche war gespalten in Hitleranhänger und Glaubenstreue, die katholische Kirche versuchte durch ein Reichskonkordat zumindest ihre Rechte im neuen Staat zu sichern.

Was schließlich blieb, war die schwächste der drei Staatsgewalten, die Justiz. Sie wurde gleichsam nebenbei entmachtet, als der Führer der NSDAP daran ging, interne Konkurrenten um die Macht auszuschalten. Rücksichtslos ließ er Ende Juni 1934 seinen Duzfreund Ernst Röhm, den Führer der SA, der eine zweite, soziale Revolution forderte und für seine SA eine angemessene Stellung im neuen Staat verlangte, mitsamt seiner Führungsclique ermorden. In einer langen Reichstagsrede rechtfertigte er seinen Mordauftrag als "Staatsnotwehr", die er sich als "oberster Gerichtsherr" auch in Zukunft vorbehielt.

"Die deutsche Demokratie hat nichts retten können."

Am 2. August 1934 starb Reichspräsident v. Hindenburg. Hitler übernahm auch dessen Funktionen und war nun der unumschränkte Herrscher im "Dritten Reich". Sein gefügiger Reichswehrministers von Blomberg ließ die Truppe sogleich "auf den Führer des Deutschen Reichs und Volkes" persönlich vereidigen. Damit war die Grundlage geschaffen für die Umsetzung der politischen Kernziele des Nationalsozialismus: den Aufbau einer totalitär gleichgeschalteten Volksgemeinschaft, die fähig war, einen modernen, totalen Vernichtungskrieg zu führen, an dessen Ende die völlige Auslöschung der europäischen Juden stehen sollte.

Fassungslos hatten ausländische Beobachter diese rasante "Machtübernahme" der Nationalsozialisten beobachtet. Der französische Botschafter in Berlin, André François-Poncet, etwa meldete am 5. April 1933 nach Paris: " Die Begründung der Diktatur wird weder Helden noch Märtyrer hervorgebracht haben. Deutschland wird sich in die Knechtschaft gestürzt haben, ohne eine Klage zu erheben und ohne einen Protest laut werden zu lassen. Die deutsche Demokratie hat nichts retten können, nicht einmal ihr Gesicht".

Fussnoten

Michael Kißener, Jahrgang 1960, ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität in Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind europäische Rechtsgeschichte, Nationalsozialismus und Widerstand, regionale Zeitgeschichte.