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Wirtschaft und Gesellschaft unterm Hakenkreuz | Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg | bpb.de

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Wirtschaft und Gesellschaft unterm Hakenkreuz

Hans-Ulrich Thamer

/ 29 Minuten zu lesen

Massive Rüstungswirtschaft und vorgeschriebene Arbeitsdienste senkten die Zahl der Erwerbslosen von sechs auf knapp eine Million 1937. Die "totale" Durchdringung von Wirtschaft und Gesellschaft durch Wirtschaftslenkung und Zwangsorganisation der Arbeiter und Angestellten diente noch einem anderen Zweck: Sie schuf die Voraussetzungen für den geplanten Krieg.

Hitlerjugendliche bei einer Kundgebung im Jahr 1935. (© AP)

Einleitung

Auch die Wirtschafts- und Sozialpolitik diente der Mobilisierung und Kontrolle der Gesellschaft. Es galt, die gesellschaftlichen Interessen und Organisationen nach ihrer Gleichschaltung neu zu formieren. Zugleich waren die Konsum- und Lebensansprüche der Bevölkerung zu befriedigen, von deren Erfüllung die Wirkung der nationalsozialistischen Propaganda abhing. Neben der Stabilitätssicherung der Diktatur sollte die Wirtschafts- und Sozialpolitik zusammen mit der Rüstungspolitik der Aufstellung und Ausrüstung einer kriegsfähigen Wehrmacht bzw. der Kriegsvorbereitung dienen. Butter und Kanonen sollten darum gleichzeitig produziert werden. Aus dieser Doppelaufgabe entwickelte sich mehr und mehr ein Zielkonflikt. Denn die nationalsozialistische Führung trieb die Aufrüstung weit über das Leistungsvermögen von Wirtschaft und Gesellschaft hinaus. Das führte immer wieder zu Engpässen und Widersprüchen, auf die das Regime nicht etwa mit einer Drosselung des Rüstungstempos, sondern mit dem Ausbau des staatlichen Lenkungssystemes reagierte. Mit der Verlagerung der wirtschaftlichen Prioritäten auf die Rüstungsproduktion wurden die industriewirtschaftlichen Strukturen wie die Lohn- und Beschäftigungssituation verzerrt und die Marktmechanismen zunehmend außer Kraft gesetzt.

Das macht Aussagen über Produktion und Gewinne sowie über Arbeit und Lohn in besonderer Weise branchenabhängig und verbietet Verallgemeinerungen. Zugleich tat sich eine Kluft zwischen den Verheißungen der Propaganda und der sozial-ökonomischen Wirklichkeit auf. Die nationalsozialistischen Ideologen hatten zum Kampf gegen die Herrschaft der Großindustrie und der Großbanken, der Warenhäuser und der großen Gewerkschaften aufgerufen; für die Sicherheit der Kleinhändler, Kleingewerbetreibenden und Bauern wollten der NS-Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand und der Agrarpolitische Apparat der NSDAP eintreten. Doch bis zum Kriegsbeginn stieg der Anteil der Industrie am Sozialprodukt kontinuierlich, die Zahl der selbständigen Handwerker ging hingegen zurück und auch die Frauenerwerbstätigkeit nahm zu. Ebenso ging der Anteil der Landbevölkerung zurück; die Städte wurden nicht kleiner, sondern größer. Es gab kaum eine Großstadt, die nicht Erweiterungs- und Urbanisierungsprogramme entwickelte. Die säkularen Entwicklungslinien von Wirtschaft und Gesellschaft waren nicht gestoppt, sondern hatten sich beschleunigt.

Krisenüberwindung und Aufrüstung

Hitler hatte seinen Wählerinnen und Wählern Arbeit und Brot versprochen und sehr wohl gewußt, wie wichtig ein Erfolg der Arbeitsmarktpolitik für die Etablierung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sein würde. Tatsächlich gelang es innerhalb von vier Jahren, die Arbeitslosigkeit fast vollständig zu beseitigen. Betrug die Zahl der Arbeitslosen im Januar – auch saisonbedingt – die Rekordziffer von sechs Millionen, so zeigte die Statistik im Jahresdurchschnitt 1933 noch 4,8 Millionen Erwerbslose, 1934 nur noch 2,7 Millionen, 1936 dann nur noch 1,6 Millionen, und 1937 schließlich lag ihre Zahl unter einer Million. In einigen Erwerbsbereichen gab es 1935 bereits einen Mangel an Facharbeitern.

Der Gewinn an Zustimmung und Legitimation, den Hitler aus dieser Entwicklung von der Massenarbeitslosigkeit zur Vollbeschäftigung ziehen konnte, sollte nicht unterschätzt werden. Er verdeckte in der zeitgenössischen öffentlichen Wahrnehmung auch eine Reihe von Unzuträglichkeiten wie eine sehr ungleichmäßige Lohnentwicklung und häufige Engpässe bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln. Die Tatsache, daß Wirtschaft und Arbeitsmärkte der übrigen Industrienationen sich längst nicht so schnell von der schweren Depression (vgl. auch Informationen zur politischen Bildung Nr. 261, "Weimarer Republik", S. 48 ff.) erholten, wurde vom Regime zusätzlich als Erfolg nationalsozialistischer Sozialpolitik reklamiert.

Tatsächlich hat ein ganzes Bündel von Maßnahmen das nationalsozialistische "Wirtschaftswunder" herbeigeführt. Daran hatten die eigentlichen sozial- und arbeitsmarktpolitischen Vorkehrungen den geringeren, die rüstungswirtschaftlichen den größeren Anteil. Die Nationalsozialisten hatten bei ihrem Machtantritt ein Erbe vorgefunden, das neben den katastrophalen Rekordziffern von Arbeitslosen auch positive Ansätze erkennen ließ: Die Konjunktur hatte die Talsohle bereits durchschritten und Aufwärtstendenzen waren erkennbar. Die Krise hatte durchaus reinigende und einem Aufschwung förderliche Tendenzen mit sich gebracht, von denen nun die Nationalsozialisten profitieren konnten: Die Produktionskosten hatten sich beispielsweise erheblich verringert, weil vor allem die Löhne in der großen Krise dramatisch gesunken waren. Staatsinterventionistische Maßnahmen im Bereich der Preis- und Beschäftigungspolitik waren schon sehr weit vorgeprägt, genauso wie einige konjunkturpolitische Programme und Instrumente, die in Abkehr von der klassischen liberalen Wirtschaftstheorie auch um den Preis einer zunehmenden Staatsverschuldung auf eine erhöhte Staatsintervention zur Belebung der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen setzten.

Diese antizyklische Politik, die von John Maynard Keynes (1883–1946) wirtschaftswissenschaftlich begründet wurde, hatte als Forderung nach einem staatlichen Arbeitsbeschaffungsprogramm schon 1932 in das "Sofortprogramm der NSDAP" Eingang gefunden und wurde nun nach der Machtübernahme im September 1933 weitergeführt. Weil die wirtschaftlichen Auftriebstendenzen sich schon ankündigten, gab es unter Fachleuten starke Zweifel, ob noch zusätzliche staatliche Programme notwendig wären. Das Regime setzte jedoch andere politische Prioritäten. Die Beschäftigungspolitik sollte nicht länger primär wirtschaftspolitischen Zwecken dienen, sondern, so Hitler bereits am 8. Februar 1933 im Kabinett, unter dem "Gesichtspunkt der Wiederwehrhaftmachung des deutschen Volkes" behandelt werden. Wollte man diese Funktionsverlagerung rasch verwirklichen, dann mußte jedoch sehr bald die kleine 100.000 Mann starke Reichswehr ausgeweitet werden. Noch gab es jedoch Begrenzungen durch die internationale Vertrags- und Machtsituation, die im Interesse der Absicherung der Machtergreifung im Innern vorerst nicht in Frage gestellt werden konnten. Daher wirkte das Bündel an konjunkturfördernden Maßnahmen zunächst in fast allen Wirtschaftssektoren, und die ersten Anzeichen eines Wirtschaftsaufschwungs 1933/34 hatten äußerlich einen zivilen Charakter. Zu nennen sind folgende Maßnahmen, die den Aufschwung begünstigten:

  • staatliche Investitionen bei Reichsbahn, Reichspost und beim Autobahnbau,

  • Steuererleichterungen für Landwirtschaft, Wohnungsbau und Automobilindustrie,

  • staatliche Förderung von Beschäftigungsmöglichkeiten im zunächst noch freiwilligen Arbeitsdienst und bei kommunalen Notstandsarbeiten,

  • Ehestandsdarlehen für Arbeitnehmerinnen, die heiraten und ihren Arbeitsplatz aufgeben wollten.

Infrastrukturmaßnahmen

Das Schwergewicht der staatlich finanzierten Ausgaben lag bei den Verkehrsunternehmungen (1,684 Milliarden) sowie im Wohnungsbau (1,28 Milliarden) und in öffentlichen Bauten (1 Milliarde). Der Autobahnbau, in der Weimarer Republik bereits planerisch vorbereitet, war nicht nur der spektakulärste, sondern auch ein besonders charakteristischer Teil der öffentlichen Infrastrukturmaßnahmen. Es waren vorrangig die technikgläubigen, modernistischen Bestrebungen im Nationalsozialismus, die hinter den propagandistisch ins Gigantische gesteigerten Autobahnplänen standen. Aber auch rüstungspolitische Gesichtspunkte vor allem im Bezug auf die Streckenführung und die Vorbereitung auf den Mobilmachungsfall, wollte Hitler nicht ausschließen, obwohl eine Mitsprache von militärischer Seite bei der Planung nicht vorgesehen war. Zunächst hatte der Autobahnbau jedoch eine eindeutige arbeitsmarktpolitische Bedeutung. Der geringe Einsatz von Baumaschinen hatte die nicht unerwünschte Nebenwirkung, daß bei den stattdessen bevorzugten Gerätschaften von Hacke und Schaufel noch mehr Arbeitskräfte zu beschäftigen waren. Seit 1936 gab es allerdings angesichts der knapper werdenden Rohstoffe und Arbeitskräfte zunehmend Konflikte zwischen Rüstungswirtschaft und Autobahnbau. Nicht minder wichtig für den Rückgang der Arbeitslosigkeit waren Maßnahmen, bei denen die politisch-ideologische Absicht schon unverhüllter hervortrat: Im Juni 1935 wurde die sechsmonatige Arbeitsdienstpflicht eingeführt und mit der Verkündung der allgemeinen Wehrpflicht die Wehrmacht aufgebaut.

Das Volumen der verschiedenen Arbeitsbeschaffungsprogramme seit 1933 belief sich auf etwa sechs Milliarden Reichsmark. Vergleicht man diese Summe mit den Rüstungsausgaben des NS-Regimes, die von 720 Millionen Reichsmark im Jahre 1933 auf 10,8 Milliarden Reichsmark bereits im Jahre 1937 angestiegen waren, so wird das Übergewicht der Rüstungsförderung deutlich, die entscheidend zu dem raschen Abbau der Arbeitslosigkeit beitrug.

Finanzierung

Finanziert wurden die gewaltigen Ausgaben längst nicht mehr aus dem Steueraufkommen und auch bald nicht mehr aus Mitteln der Arbeitsbeschaffungsprogramme. Die Vorfinanzierung auf Wechselbasis bot sich vielmehr als Verfahren an, um privates Kapital zu mobilisieren. Zunächst arbeitete die Regierung noch mit dem 1932 unter den Regierungen Franz von Papen und Kurt von Schleicher (1882–1934) entwickelten Arbeitsbeschaffungswechseln, die über Vorfinanzierungsinstitute und die Rediskontierung der Wechsel durch die Reichsbank ähnlich funktionierten wie dann später die sogenannten "Mefo-Wechsel". Damit entwickelte der renommierte Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht (1877–1970) ein System der Finanzwechsel, das eine "geräuschlose" und "verdeckte" Form der Finanzierung im Vorgriff erlaubte. Wenn die Wirtschaftskonjunktur wieder auflebte, so Schachts Überlegungen, dann könnten mit den entsprechend sprudelnden Steuereinnahmen die Wechselschulden zurückgezahlt werden.

Auf Veranlassung der Reichsbank und des Reichswehrministeriums gründeten im Mai 1933 vier bedeutende deutsche Unternehmen (Krupp, Siemens, Gutehoffnungshütte und Rheinmetall) eine "Metallurgische Forschungsgemeinschaft" (Mefo), die mit dem Grundkapital von einer Million Reichsmark ausgestattet wurde. Diejenigen Unternehmen, die vom Staat Rüstungsaufträge erhielten, zogen zur Bezahlung der Aufträge auf diese Firma die sogenannten Mefo-Wechsel, für die das Reich die Bürgschaft übernahm, ohne formell als Wechselschuldner zu erscheinen. Die Reichsbank rediskontierte diese Wechsel und gab ihnen damit den Charakter von Zahlungsmitteln. Die Lieferanten konnten ihre auf fünf Jahre laufenden Wechsel sofort bei den Banken einlösen. Zwischen 1934 und 1936 ließen sich auf diese Weise etwa 50 Prozent der Wehrmachtsaufträge decken.

Politisch war dieses Verfahren dem Regime sehr willkommen, ließ sich doch auf diese Weise der wahre Umfang der Aufrüstung verschleiern. Denn die Wechsel galten als Handelswechsel und tauchten darum nicht unter den staatlichen Rüstungsausgaben auf. Die finanzpolitisch bedenkliche Seite war Schacht sehr bewußt, und er hatte darum die Wechsel auf das Jahr 1938 terminiert. Denn mit dem Verfahren der Mefo-Wechsel war die Gefahr einer großen Inflation unausweichlich. Auch schien ein Konflikt mit Hitler für den Fall vorprogrammiert, daß er von seinen rüstungspolitischen Prioritäten nicht ablassen und eine termingerechte Einlösung der Wechsel mit Haushaltsmitteln verweigerte. Genau das trat 1938 ein. Das Regime tat trotz Drängen Schachts nichts, um den Bestand der Wechsel zu begrenzen, sondern ersetzte das Instrument der Wechsel schließlich durch andere Methoden einer noch geräuschloseren Finanzierung: durch Lieferschatzanweisungen, Steuergutscheine, erzwungene Reichsanleihen bei Sparkassen und durch die Abschöpfung von Spar- und Versicherungsgeldern. Dadurch wurden auch die nichtsahnenden Sparer zu mittelbaren Gläubigern des Reiches.

Das Reichsbankgesetz vom Februar 1937 bzw. vom Juni 1939 beseitigte schließlich alle Möglichkeiten der Reichsbank, weiteren Einfluß auf die Geldversorgung des Staates zu nehmen, der seinen Kreditbedarf nun hemmungslos zum alleinigen Maßstab für die Notenausgabe und die Kreditschöpfung machte. Produziert wurden dafür vor allem Rüstungsgüter (zwischen 1933 und 1939 verschlang das die Riesensumme von etwa 90 Milliarden Reichsmark), was vom "Standpunkt der volkswirtschaftlichen Reproduktion her gesehen einen reinen Verlust bedeutete" (Willi A. Boelcke).

Wirtschaftslenkung

Es spricht vieles dafür, daß 1935 ein sich selbst tragender wirtschaftlicher Aufschwung in Gang gekommen war, der eine weitere staatliche Ausgabenpolitik und Verschuldung zum Zwecke der Krisenbekämpfung überflüssig gemacht hätte. Mitte 1935 hatte die Industrieproduktion wieder den Vorkrisenstand von 1928 erreicht und auch der Beschäftigungsstand näherte sich dem Niveau von 1928. Dennoch wurde die staatliche Ausgabenpolitik nun aus eindeutig rüstungspolitischen Motiven weitergeführt und auch die Selbstabkapselung vom Weltmarkt wurde – ebenfalls aus rüstungswirtschaftlichen Gründen – weiter betrieben. Der Devisen- und Rohstoffmangel verhinderte, daß die positive wirtschaftliche Konjunktur sich auch zu einer Stärkung des Massenkonsums entwickelte. Was in dieser Situation wirtschafts- und währungspolitisch notwendig gewesen wäre, stand den militärpolitischen Zielen Hitlers entgegen. Damit war in der Wirtschaftspolitik eine Wegmarke erreicht, an der sich entscheiden mußte, ob die bisherigen Ansätze zu einer staatlichen Reglementierung der Wirtschaft weiter zu einer Autarkiepolitik ausgebaut oder ob wieder eine Rückkehr zu einer liberalen Binnen- und Außenwirtschaft angestrebt werden sollte. Einschneidender Ausdruck dieser Richtungsentscheidung war die Verkündung des Vierjahresplanes im September 1936, der als Folge einer erneuten und verschärften Devisenknappheit den endgültigen Übergang zur Kommandowirtschaft und zur Autarkiepolitik brachte.

Nach einer Phase des Experimentierens und Kampfes widerstreitender Interessen, die noch eine Mehrgleisigkeit verschiedener Wirtschaftsformen erlaubt hatte, wurden nun die Grundzüge der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik erkennbar. Nicht die Formel vom Ständestaat oder dem ständischen Aufbau der Wirtschaft, die die nationalsozialistische Propaganda eifrig verbreitet hatte, wurde zum Maßstab, sondern die staatliche Lenkung nach wie vor privatwirtschaftlicher Unternehmen. Die kapitalistische Wirtschaftsstruktur wurde nicht abgeschafft, sondern auf ein vorrangiges Ziel ausgerichtet, um vor allem eine kurzfristige Leistungssteigerung zu erreichen.

Begonnen hatte der staatliche Interventionismus im landwirtschaftlichen Bereich. Fortgesetzt wurde er mit Maßnahmen zum Aufbau einer Ersatzstoffproduktion seit 1934, um durch die Entwicklung der Benzin- und Kautschuksynthese unabhängig von Importen zu werden. Hermann Görings Vierjahresplanbürokratie realisierte dann in viel stärkerem Umfang die Lenkung von Teilbereichen der Wirtschaft wie etwa der Mineralöl- und Treibstoffproduktion, der Bunaherstellung (synthetischer Kautschuk), der Eisen- und Stahlerzeugung, der landwirtschaftlichen Produktion sowie der Preise, des Arbeitskräfteeinsatzes und der Devisenbewirtschaftung.

QuellentextVierjahresplan

[...] Deutschland wird wie immer als Brennpunkt der abendländischen Welt gegenüber den bolschewistischen Angriffen anzusehen sein. Ich fasse dies nicht als eine erfreuliche Mission auf, sondern als eine leider durch unsere unglückliche Lage in Europa bedingte Erschwerung und Belastung unseres völkischen Lebens. Wir können uns aber diesem Schicksal nicht entziehen. [...]

Denn ein Sieg des Bolschewismus über Deutschland würde nicht zu einem Versailler Vertrag führen, sondern zu einer endgültigen Vernichtung, ja Ausrottung des deutschen Volkes.

Das Ausmaß einer solchen Katastrophe kann nicht abgesehen werden. [...] Gegenüber der Notwendigkeit der Abwehr dieser Gefahr haben alle anderen Erwägungen als gänzlich belanglos in den Hintergrund zu treten!

[...] Die militärische Auswertung soll durch die neue Armee erfolgen. Das Ausmaß und das Tempo der militärischen Auswertung unserer Kräfte können nicht groß und nicht schnell genug gewählt werden! [...] Wenn es uns nicht gelingt, in kürzester Frist die deutsche Wehrmacht in der Ausbildung, in der Aufstellung der Formationen, in der Ausrüstung und vor allem auch in der geistigen Erziehung zur ersten Armee der Welt zu entwickeln, wird Deutschland verloren sein! [...]

Es haben sich daher dieser Aufgabe alle anderen Wünsche bedingungslos unterzuordnen.

[...] Wir sind übervölkert und können uns auf der eigenen Grundlage nicht ernähren.

[...] Die endgültige Lösung liegt in einer Erweiterung des Lebensraumes bzw. der Rohstoff- und Ernährungsbasis unseres Volkes. Es ist die Aufgabe der politischen Führung, diese Frage dereinst zu lösen.

[...] Die Erfüllung dieser Aufgaben in der Form eines Mehr-Jahres-Plans der Unabhängigmachung unserer nationalen Wirtschaft vom Ausland wird es aber auch erst ermöglichen, vom deutschen Volk auf wirtschaftlichem Gebiet und dem Gebiete der Ernährung Opfer zu verlangen [...].

Es sind jetzt fast vier kostbare Jahre vergangen. Es gibt keinen Zweifel, daß wir schon heute auf dem Gebiet der Brennstoff-, der Gummi- und zum Teil auch in der Eisenerzversorgung vom Ausland restlos unabhängig sein könnten. [...]

Ich stelle damit folgende Aufgabe: I. Die deutsche Armee muß in vier Jahren einsatzfähig sein. II. Die deutsche Wirtschaft muß in vier Jahren kriegsfähig sein.

Hitlers geheime Denkschrift über den Vierjahresplan, August 1936, in: Wolfgang Michalka (Hg.), Das Dritte Reich, Bd. 1, München 1985, S. 188 f.

Staat, Partei und Wirtschaft

Damit hatten sich – und das ist ebenso charakteristisch für die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik – auch die Gewichte zwischen Privatwirtschaft, Wirtschaftsministerium und NS-Regime verschoben. Die Wirtschaftseliten und die staatliche Ministerialbürokratie im Wirtschaftsministerium hatten deutlich an Gestaltungskraft verloren, während Göring als Exponent des NS-Komplexes die Rolle eines Wirtschaftsdiktators einnahm. Dies führte schließlich zum Ausscheiden von Schacht als Wirtschaftsminister 1937 und als Reichsbankpräsident 1939. Görings Lenkungspolitik bediente sich einer neuen Bürokratie, in der militärisches und industrielles Führungspersonal mit Exponenten der NS-Bewegung in Gestalt von Gau- und Reichsleitern zusammenwirkten. So wurde etwa das Vorstandsmitglied der IG Farben Carl Krauch zum Generalbevollmächtigten Chemie, hohe Offiziere aus dem Reichsluftfahrtministerium wurden zuständig für die Mineralöl- und Energiewirtschaft und die Gauleiter Walter Köhler und Adolf Wagner standen den Geschäftsgruppen Rohstoffverteilung und Preisbildung vor.

Mit der Ernennung von Carl Krauch erreichte die Verflechtung von NS-Politik und Wirtschaft eine neue Qualität. Durch seinen Einzug in die staatliche Wirtschaftslenkung erhielten nun ältere Konzepte der Chemieindustrie ein bestimmendes Gewicht, die unter Umgehung des Weltmarktes und ohne Rücksicht auf die Kosten synthetische Ersatzstoffe produzieren oder heimische Rohstoffe nutzen wollten. Zugleich war Krauch vom privatwirtschaftlichen Berater des Luftfahrtministeriums zum Vorsitzenden eines Quasi-Monopols mit staatlicher Lenkungs- und Kontrollkompetenz geworden. Dank seiner Tatkraft hatte er es auch geschafft, die Wirtschaftspolitik des Regimes von einer privatwirtschaftlichen Bürokratie organisieren zu lassen und damit ein Stück weit zu privatisieren, ohne daß er damit über die allgemeine Zielsetzung der Rüstungs- und Wirtschaftspolitik bestimmen konnte.

Durch diese personelle Verflechtung wurde die Privatwirtschaft stärker an den NS-Staat gebunden und erlebte in ihren rüstungswirtschaftlich relevanten Sektoren eine starke Zunahme der Unternehmensgewinne. Für andere Unternehmen – vor allem im Konsumsektor – brachte die staatliche Wirtschaftslenkung eine deutliche Beschränkung ihrer Produktion. Denn das Regime besaß sowohl durch die Preis- und Lohnkontrolle sowie durch die Bewirtschaftung der Arbeitskräfte und die Verteilung bzw. Kontingentierung von Rohstoffen und anderen Produktionsmitteln ein dirigistisches Instrumentarium.

Scheitern der Autarkiepolitik

Anspruch und Wirklichkeit des Vierjahresplanes klafften mitunter weit auseinander. Das galt sowohl für die Lenkungsvollmachten, von denen in bestimmten Sektoren nur zögernd Gebrauch gemacht wurde, als auch für die Autarkieziele, die bei Kriegsbeginn auch deshalb nur annähernd erreicht wurden, weil durch die forcierte Aufrüstung der Bedarf sprunghaft anstieg. So sank bei der Mineralölproduktion die Auslandsabhängigkeit zwischen 1936 und 1938 nur geringfügig von 66 auf 60 Prozent, auch die Buna-Produktion deckte trotz großer Anstrengungen bei Kriegsbeginn nur 50 Prozent des Bedarfs an Kautschuk.

Propagandistisch besonders spektakulär und wirtschaftspolitisch umstritten waren die Bemühungen um eine Steigerung der heimischen Eisenerzproduktion. Durch den Abbau und die Verhüttung heimischer minderwertiger Eisenerze sollte die Abhängigkeit von Exporten reduziert werden. Da dieses Verfahren äußerst kostspielig und wenig rentabel erschien, wollte die Schwerindustrie sich daran nicht beteiligen. Der daraus erwachsende Konflikt führte schließlich zur Gründung der "Reichswerke Hermann Göring für Erzbergbau und Eisenhütten", die den Abbau und die Verhüttung übernahmen und die Privatwirtschaft zur Übernahme von Aktien zwangen. Trotz dieser Anstrengungen und trotz der Einverleibung der österreichischen Erzproduktion (sie erreichte allein 23 Prozent des Eisenbedarfs) ergab sich bei Kriegsbeginn ein Selbstversorgungsgrad von nur knapp über 50 Prozent. Noch größer war und blieb die Auslandsabhängigkeit bei hochwertigen Stahlveredlern wie Mangan, Chrom und Wolfram. Auch die Selbstversorgung bei den wichtigsten Nahrungsmitteln, die bereits 1933/34 insgesamt bei etwa 80 Prozent lag, konnte nicht wesentlich gesteigert werden. Besonders bei der Fettversorgung klaffte eine Lücke von 40 bis 50 Prozent, während Grundnahrungsmittel wie Getreide, Kartoffeln, Gemüse und Fleisch mit 90 bis 100 Prozent hinreichend vorhanden waren.

Die ökonomischen und sozialen Folgekosten der Autarkiepolitik waren beträchtlich. Die Verzerrung der ökonomischen Strukturen verschärfte sich, die Handlungsspielräume der Wirtschaft wurden immer enger. Es entstanden vielfach unrentable Produktionsstandorte, die an anderen Orten dringend benötigte Arbeitskräfte banden. "Die Decke wurde knapper und der Staat gezwungen, in wachsendem Maße zu entscheiden, wer die knapper werdenden Ressourcen bekommen würde" (Ludolf Herbst). Das verstärkte nicht nur die Tendenz zu Lenkung und Kontrolle, sondern auch zu Manipulation und Propaganda.

So versuchte das Regime mit einigem Erfolg, die Nachfrage der Bevölkerung nach Konsumartikeln auf solche Güter umzulenken, die reichlich vorhanden waren und im Inland produziert wurden. Das bedeutete meist, daß man hochwertige Produkte durch solche von minderer Qualität ersetzen mußte. Nicht Butter und Kanonen, sondern Kanonen und Vierfruchtmarmelade konnte das Regime bieten, keine feinen englischen Tuche, sondern Anzüge mit Zellstoffzusätzen. So kam es, daß die deutschen Ernährungs- und Konsumgewohnheiten trotz des erstaunlichen ökonomischen Aufschwunges eher bescheiden blieben und daß der Fleischverbrauch 1938 noch unter dem Niveau von 1929 lag, während sich der Absatz von Marmelade verdreifachte. Diesen Zustand nahm die Bevölkerung zwar nicht ohne Murren, aber doch ohne größeren Protest nicht zuletzt deswegen hin, weil sie sich noch allzu gut an die entbehrungsreichen Jahre der großen Krise erinnerte und die Propaganda solche Enthaltsamkeit und Sparsamkeit zu "deutschen Tugenden" erklärte. So konnte das Regime seinen riskanten Balanceakt zwischen der Befriedigung des privaten Konsums und der Steigerung der Rüstungsausgaben im großen und ganzen erfolgreich durchstehen.

Arbeiter- und Volksgemeinschaft

Im Jahre 1933 hatten die Nationalsozialisten nur unbestimmte Vorstellungen davon, wie die neue Gesellschaftsordnung unter dem Hakenkreuz beschaffen sein sollte. Eine Volksgemeinschaft wollten sie schaffen. Eine Alternative zur pluralistisch-demokratischen Gesellschaft und zur konfliktreichen sozialen Wirklichkeit der Weimarer Republik sollte entstehen: Nicht der offene und institutionalisierte Konflikt sozialer Interessen, nicht Koalitionsrecht und Tarifvertrag, sondern die Versöhnung von Individuum und Masse, von Kapital und Arbeit in einer klassenübergreifenden Gemeinschaft, die soziale Sicherheit und Integration versprach.

Das waren soziale Verklärungen und Erwartungen, die ihre Wurzeln in den verschiedendsten Gemeinschaftsideologien hatten, die im frühen 20. Jahrhundert in der Lebensreformbewegung und in der Jugendbewegung verkündet wurden, die aber auch in der Agitation von völkisch-nationalistischen Massenverbänden gegen das liberale und demokratische Gesellschaftskonzept der Weimarer Republik ihren Platz hatten. Aber auch im katholischen und sozialistischen Sprachhaushalt fanden sich solche Bilder von Gemeinschaft und sozialer Harmonie, die als Kontrast zu Klassenkampf und sozialer Spaltung eingesetzt wurden. Die Burgfriedensformel von 1914, mit der das kaiserliche Deutschland zur politischen Geschlossenheit jenseits aller Parteigrenzen aufrief, sowie das publizistisch verklärte Erlebnis der "Frontgemeinschaft" des Ersten Weltkrieges hatten den Gemeinschaftsparolen zusätzlichen Auftrieb gegeben. Auch die nationalsozialistische Ideologie von der Gesellschaft als einer Gesinnungs- und Willensgemeinschaft leitete sich aus dem Mythos der Schützengraben-Gemeinschaft ab. Daß diese Utopie durch das Zusammenbrechen der propagandistisch überhöhten "Inneren Front" in der Revolution vom November 1918 zerstört wurde, stellte den traumatischen Schock und das ideologische Gegenbild dar, die die nationalsozialistische Führungsriege umtrieben. Sie glaubte deshalb, sich an denjenigen rächen zu müssen, die sie für die Zerstörung dieser Illusion verantwortlich machte: an den "Novemberverbrechern", "Juden" und "Marxisten". Gleichzeitig galt es, für den Fall eines zukünftigen Krieges alles zu vermeiden, was eine erneute innere soziale Krise heraufbeschwören und die Massenloyalität gefährden könnte. Volksgemeinschaft in diesem Sinne mußte darum das Versprechen auf Integration und die Ausgrenzung von "Gemeinschaftsfremden" zugleich bedeuten.

Der Arbeiter- und Sozialpolitik kam in diesem Denkschema eine besondere Bedeutung zu: Sie sollte die soziale Kontrolle sichern und durch soziale Verlockungen die Massenzustimmung gewinnen. Die Arbeiterschaft, immerhin die größte Gruppe in der Gesellschaft, wurde deshalb von den Nationalsozialisten gleichermaßen gefürchtet und umworben. Sie wurde ihrer gewerkschaftlichen Interessenvertretung beraubt und dadurch politisch entmündigt. Das Regime verlangte ihr in den "Arbeitsschlachten" der Kriegswirtschaft immer höhere Produktionsleistungen ab, versuchte sie aber umgekehrt durch Volksgemeinschaftsparolen propagandistisch zu ködern und durch sozialpolitische Fürsorge und Vergünstigungen zu gewinnen. Es charakterisierte einmal mehr das NS-Regime, daß es bei der Vernichtung des politisch-ideologischen Gegners ungleich größere Energien entfaltete als bei der Konzeption einer in sich schlüssigen Gesellschafts-, Wirtschafts- und Arbeiterpolitik. Diese blieb von ständigen Improvisationen und Widersprüchen begleitet, die durch Phrasen vom "Sozialismus der Tat" und anderen verklärenden Parolen nicht ohne Erfolg verdeckt wurden. Damit wurden die sozialen Spannungen in die Kompetenzkonflikte der vielen nationalsozialistischen Massen- und Sonderorganisationen umgelenkt. Andererseits wurden die für alle Industriegesellschaften typischen sozial-kulturellen Nivellierungstendenzen durch sozialegalitäre und propagandistische Versprechungen sowie durch soziale und materielle Verbesserungen für Arbeiter beschleunigt.

QuellentextZwangsorganisation der Arbeiterschaft

Der Zweck aller nationalsozialistischen Massenorganisationen ist der gleiche. Ob man an die Arbeitsfront denkt oder an Kraft durch Freude, an die Hitlerjugend oder an den Arbeitsdank, überall dienen die Organisationen dem gleichen Zweck: die "Volksgenossen" zu "erfassen" oder zu "betreuen", sie nicht sich selbst zu überlassen und sie möglichst überhaupt nicht zur Besinnung kommen zu lassen. Wie jemand sich durch leere Geschäftigkeit um jede Möglichkeit bringt, ernsthaft zu arbeiten, so entfalten die Nationalsozialisten überall eine übereifrige Betriebsamkeit mit der eingestandenen Absicht, keine wirklichen Gemeinsamkeiten, keinerlei freiwillige Zusammenschlüsse aufkommen zu lassen. Ley hat es erst kürzlich in aller Offenheit gestanden: der "Volksgenosse" soll kein Privatleben haben und erst recht soll er seinen privaten Kegelklub aufgeben. Dieses Organisationsmonopol geht darauf aus, den Mann im Volke völlig unselbständig zu machen, jede wie immer geartete Initiative zu den primitivsten freiwilligen Zusammenschlüssen in ihm zu ertöten, ihn von allen Gleichgesinnten oder auch nur Gleichgestimmten fernzuhalten, ihn zu isolieren und zugleich an die staatliche Organisation zu binden. Die Wirkung bleibt nicht aus. Gelegentlich kann man von Arbeitern oder Arbeiterinnen über Kraft durch Freude ein Wort der Anerkennung hören mit dem Zusatz: früher hat sich niemand um uns gekümmert! [...]

Das Wesen faschistischer Massenbeherrschung ist Zwangsorganisierung auf der einen, Atomisierung auf der anderen Seite.

Die Nationalsozialisten wissen sehr gut, daß das Solidaritätsgefühl die Kraftquelle der Arbeiterschaft ist, und infolgedessen gehen alle ihre Maßnahmen für oder gegen die Arbeiter darauf aus, das Gefühl für die Notwendigkeit solidarischen Handelns zu ertöten. Alle Verschlechterungen, die sie den Arbeitern bei den Löhnen, den Steuern, in der Sozialversicherung aufzwingen, werden so eingerichtet, daß sie niemals große Gruppen gleichmäßig treffen. Sonst könnten vielleicht allgemeine Verschlechterungen allgemeine Abwehrbewegungen hervorrufen. Diese Politik der Nationalsozialisten hat bedenkliche Erfolge gezeitigt, nicht zuletzt deshalb, weil die Zerstörung des Solidaritätsgefühls schon in der Wirtschaftskrise begonnen hat. [...]

Deutschlandberichte der Sopade (vom Exilvorstand der SPD organisierte Widerstandsgruppen) über die Gewinnung der Arbeiter durch Zwangsorganisation und soziale Bestechung, November 1935, in: Wolfgang Michalka (Hg.), Das Dritte Reich, Bd. 1, München 1985, S. 95 f.

Deutsche Arbeitsfront

Die Nationalsozialisten hatten überraschend schnell die politischen und sozialen Organisationen der Arbeiterbewegung am 1. und 2. Mai 1933 in der für die nationalsozialistische Gleichschaltungstechnik charakteristischen Doppelstrategie eines betäubenden Massenfestes und einer anschließenden Gewaltaktion (vgl. Informationen zur politischen Bildung Nr. 251, "Nationalsozialismus I", S. 47 f.) zerschlagen. Die Gründung einer nationalsozialistischen Massenorganisation, die an die Stelle der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterschaft treten und diese kontrollieren sollte, zeigte dementsprechend alle Merkmale der Improvisation und eines internen Machtkompromisses. Der Auftrag der neuen Organisation war rasch bestimmt: Sie sollte die Arbeiter durch eine Politik von Zuckerbrot und Peitsche gewinnen und kontrollieren. Die Deutsche Arbeitsfront (DAF), die am 10. Mai 1933 unter der Schirmherrschaft von Adolf Hitler gegründet und durch den bisherigen Reichsorganisationsleiter der NSDAP Robert Ley geführt wurde, erwuchs zwar bald zu einer gigantischen bürokratischen Konstruktion und wurde innerhalb des Regimes zu einem beträchtlichen Machtfaktor. Die Definition der sozial- und tarifpolitischen Kompetenzen der Massenorganisation blieb jedoch lange ebenso ungeklärt wie die Ausbildung arbeits- und sozialpolitischer Konzepte. Als Ziel seiner Massenorganisation verkündete Ley sehr vage die "Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft, die dem Klassenkampfgedanken abgeschworen hat". Ein "absolutes Chaos von Gedanken", so gestand Ley später, sei ihm bei der Gründung der DAF begegnet. Er umschrieb damit einerseits die Verworrenheit der ständischen Gesellschaftsmodelle, die in den Jahren 1933/34 von Parteiaktivisten aus dem Arsenal der Propagandaformeln hervorgeholt wurden, andererseits aber auch die heftigen Auseinandersetzungen zwischen NSDAP, Reichsministerium und wirtschaftlichen Interessenvertretern über die Aufgaben der Arbeitsfront. Zunächst schien es, als könnten sich die versprengten Reste der NS-Linken, die sich in der nationalsozialistischen Gewerkschaftsbewegung, der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO), zusammengefunden hatten, mit ihrem Traum einer nationalsozialistisch geführten Einheitsgewerkschaft durchsetzen.

Die DAF wurde mit ihren zwei "Säulen", Arbeitern und Angestellten, als ständische Einrichtung aufgebaut. Später sollten als dritte und vierte Säule noch industrielle Unternehmer sowie der gewerbliche und handwerkliche Mittelstand hinzukommen. Die NSBO-Männer, die nach dem 2. Mai 1933 die provisorische Leitung der ehemaligen Gewerkschaftseinrichtungen übernommen hatten, versuchten über ihre formale Zuständigkeit hinaus Informationen über Löhne, Arbeitsplatzkapazitäten und Beschäftigtenzahlen zu bekommen, um arbeits- und tarifpolitische Ansprüche zu formulieren.

Daraufhin kam es bald zu Klagen der Unternehmer über den antikapitalistischen Radikalismus einzelner NSBO- und DAF-Obmänner. Ihnen wurde vorgeworfen, sie beharrten auf der Fortführung kollektiver Tarifverträge und hätten auch mit Gewaltmaßnahmen gedroht. Seit dem Sommer 1933 bemühte sich das Regime daraufhin schrittweise um eine "Entgewerkschaftlichung" der DAF: Im Juni 1933 wurden sogenannte "Treuhänder der Arbeit" eingesetzt, die der Dienstaufsicht des Reichsarbeitsministeriums unterstanden. Sie sollten sowohl über die Tarifordnungen und über Betriebsordnungen entscheiden als auch in Streitfällen schlichten. Die Treuhänder kamen in der Regel aus der privatwirtschaftlichen und staatlichen Arbeits- und Wirtschaftsverwaltung bzw. aus den Industrie- und Handelskammern. Die nationalsozialistische Propaganda feierte diese Einrichtung als "Überwindung des Klassenkampfes". Jedoch gaben allein schon die Herkunft, aber auch die dienstliche Stellung der Treuhänder die Garantie dafür, daß sie meistens den Interessen der Unternehmer bzw. der staatlichen Arbeitsverwaltung näherstanden als denen der Arbeiterschaft.

Im November 1933 mußte Ley sich endgültig der Zähmung der DAF fügen und in einen wohltönenden "Aufruf an alle schaffenden Deutschen" einwilligen, der außerdem von Reichsarbeitsminister Seldte, Reichswirtschaftsminister Kurt Schmitt (1886–1950) sowie dem Parteibeauftragten für Wirtschaftsfragen Wilhelm Keppler (1882–1960) unterzeichnet wurde. Damit wurden endgültig alle Hoffnungen auf eine berufsständische oder gewerkschaftliche Interessenvertretung bzw. Kompetenzen in der Arbeits- und Sozialpolitik durch die DAF begraben. Statt dessen wurde sie auf die Erziehungs- und Betreuungsfunktion verwiesen, und es war kein Zufall, daß die NS-Freizeitorganisation "Kraft durch Freude" (KdF) als Unterorganisation der DAF beinahe zur selben Zeit, nämlich am 27. November 1933 gegründet wurde. Damit sollte von dem gesellschaftspolitischen Kompetenzverlust abgelenkt und mit einer umfassenden Betreuung der Arbeiter im Alltag bis in die Freizeit hinein ein neues attraktives und populäres Betätigungsfeld eröffnet werden. Die verschiedenen Ämter der KdF-Organisation boten ein vielfältiges Programm, das Theateraufführungen ebenso umfaßte wie Weiterbildungskurse, Sportveranstaltungen und vor allem die sehr beliebten Wanderfahrten und Fernreisen. Damit knüpften die Freizeitorganisatoren der KdF nicht nur an die Tradition der Arbeiterbildungsvereine an, sondern nutzten und verstärkten auch die kulturellen Bedürfnisse einer modernen Massenzivilisation.

Nachdem der DAF mit dem Abkommen vom November 1933 die letzten gewerkschaftlichen und klassenkämpferischen Ansprüche genommen worden waren, gab auch der "Führer" des "Reichsstandes der deutschen Industrie" Gustav Krupp von Bohlen und Halbach am folgenden Tag seine Zustimmung zum Beitritt der Unternehmer zur DAF. Deren neue Organisationsstruktur vom Frühjahr 1934 und das "Gesetz zur Ordnung der Nationalen Arbeit" besiegelten die neuen Machtverhältnisse und Kompetenzregelungen. Die DAF wurde innerhalb der vier Säulen nach Branchen und Produktionssparten organisiert. In ihrer Struktur war sie parallel zu den Gliederungen der Politischen Organisation der NSDAP in einem vertikalen und zentralistischen Aufbau auf ein Zentralbüro ausgerichtet. Unter ihm entwickelte sich eine Hierarchie von 40.000 haupt- und 1,3 Millionen ehrenamtlichen Funktionären bis hin zu den Betriebszellen-, Straßen- und Blockwarten. Zuständig war die Großorganisation, die zuletzt etwa 25 Millionen Mitglieder zählte, für die soziale und kulturelle Betreuung der Arbeitnehmer, ihre fachliche Berufsausbildung und -förderung einschließlich der jährlichen "Reichsberufswettkämpfe" sowie für die politische Schulung. Auch wenn formal kein Beitrittszwang bestand, war es schwierig, sich dem Verband zu entziehen, zumal der DAF-Beitrag (1,5 Prozent) direkt vom Lohn abgezogen wurde.

Führerprinzip im Betrieb

Die tarifliche Festlegung der Arbeitsbedingungen und -löhne war in die alleinige Zuständigkeit der Treuhänder gefallen. Parallel dazu besiegelte die neue Arbeitsordnung das Ende der betrieblichen Mitbestimmung, die Unternehmer waren (vorerst) wieder Herren im Haus. In einer für das Regime charakteristischen pathetischen Sprache übertrug das "Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" das Führerprinzip auf die Betriebe. An der Spitze der "Betriebsgemeinschaft" stand der "Betriebsführer", dem die "Gefolgschaft" Treue und Gehorsam zu leisten hatte. Um das "gegenseitige Vertrauen innerhalb der Betriebsgemeinschaft" zu vertiefen, wurden die Mitbestimmung durch die "Beratung", die Betriebsräte durch "Vertrauensräte" ersetzt. Als sich 1935 in den Wahlen zu den Vertrauensräten eine starke Opposition in Gegenstimmen abzeichnete, ging die Berufung der "Vertrauensmänner" auf die "Treuhänder" über. "Soziale Ehrengerichte", denen formal auch die "Betriebsführer" unterstanden, sollten unter Vorsitz eines "Treuhänders" im Streitfall die Harmonie der "Betriebsgemeinschaft" wiederherstellen. Die Rücknahme sozialer Rechte, wie sie der soziale Rechtsstaat der Weimarer Republik gewährt hatte, ging noch einige Schritte weiter. 1935 wurde das "Arbeitsbuch" eingeführt, das die freie Wahl des Arbeitsplatzes einschränkte und den Weg zur staatlichen Kontrolle des "Arbeitseinsatzes" öffnete. Durch weitere Verordnungen war zu Kriegsbeginn die staatliche Lenkung der Arbeitskräfte in allen kriegswichtigen Wirtschaftszweigen eingeführt.

Dieser Verlust an politischen und sozialen Rechten wurde in der mehrheitlichen Wahrnehmung der Arbeiterschaft von dem raschen, wenn auch ungleichmäßigen Abbau der Arbeitslosigkeit und der Sicherung einer auskömmlichen materiellen Existenz aufgewogen. Das allein erklärt aber noch nicht die erstaunlich schnelle und weitgehend widerstandslose Unterordnung der Arbeiter unter den Nationalsozialismus. Hinzu kam nämlich die Auflösung alter Solidaritätsmuster durch die Wirtschaftskrise und die Erfahrung langer Arbeitslosigkeit, die viele Arbeiter von betrieblicher Solidarität und Disziplin ebenso entfremdete wie sie ihnen die Ohnmacht von Arbeiterorganisationen demonstrierte. Dieser Eindruck war in der autoritären Endphase der Weimarer Republik durch die massiven Kampagnen der politischen Rechtsparteien noch verstärkt worden. Durch diese Faktoren wurde die traditionelle Einbindung der Einzelnen in das proletarische Sozialmilieu, das aus Vereinen, Nachbarschaften und Selbsthilfeorganisationen bestand, zwar nicht völlig aufgelöst. Es verlor aber seine Orientierungskraft und identitätsstiftende Wirkung, als die Organisationen der Arbeiterbewegung in der Gleichschaltungspolitik von 1933 zerschlagen wurden. Die Folge davon war wiederum eine weitgehende Entpolitisierung der Arbeiterschaft. Ihre zunächst nur widerwillige Hinnahme der gewaltsam veränderten Situation verwandelte sich dann zunehmend in Zustimmung und Loyalität, als seit 1935 die Erfahrung eines nunmehr sicheren Arbeitsplatzes und sozialpolitischer Verlockungen auch die materielle und soziale Situation vieler Arbeiter veränderte.

Lebensstandard

Anfänglich hatte sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt branchenspezifisch und regional sehr unterschiedlich verbessert: Die Arbeitslosenzahlen sanken in den Produktionszentren von Schwerindustrie und metallverarbeitender Industrie schneller als in der Textilindustrie und im übrigen Konsumgüterbereich; überdies ging die Arbeitslosigkeit bei Facharbeitern rascher zurück als bei Hilfsarbeitern; ältere und ganz junge Arbeitskräfte hatten es schwerer als die Generation der Familienväter.

Als die Rüstungskonjunktur zum Tragen kam, erhöhten sich auch die Einkommen der Arbeiterschaft und erreichten zwischen 1936 und 1939 wieder das Niveau der Jahre 1928/29. Das geschah aber nicht durch eine Anhebung des Stundenlohnes. Vielmehr ging der Lohnzuwachs meist auf die Überstunden zurück, die den Arbeitern bei anziehender Konjunktur aufgezwungen wurden.

Ein Teil von dem Lohnzuwachs wurde gleich wieder von scheinbar "freiwilligen" Abzügen vom Bruttolohn für DAF, Winterhilfswerk und ähnliche Spenden- und Sparaktionen aufgebraucht, so daß die Nettowochenverdienste erst in den Kriegsjahren 1941/42 das Vorkrisenniveau erreichten. Doch solche Berechnungen interessieren mehr die Statistik als die Wahrnehmung der Zeitgenossen, denen noch vor allem die Erfahrung von Massenarbeitslosigkeit und damit die Vergleichsdaten der Krisenjahre in Erinnerung waren. Auch die Engpässe in der Versorgung und auf dem Wohnungsmarkt konnten den Eindruck greifbarer Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt und die davon genährten Erwartungen weiterer, langfristiger Aufwärtsbewegungen nicht trüben. Hinzu kamen Leistungsanreize in Form von ausgeklügelten Staffelungen von Lohngruppen, die ebenso den Leistungswillen anspornten wie die "Reichsberufswettkämpfe".

Landwirtschaft

Zu den Verlierern nationalsozialistischer Politik gehörten die beiden Gruppen, aus denen die NSDAP vor der Machtergreifung die größte Unterstützung bekommen hatte: die Bauern und in noch stärkerem Maße der gewerbliche Mittelstand. Weder konnte der Mittelstand seine protektionistischen Wünsche wirklich realisieren, noch fand eine Reagrarisierung der deutschen Gesellschaft statt. Die industrielle Produktion mit den politisch gesetzten Prioritäten erlangte den absoluten Vorrang vor allen anderen Sektoren der Wirtschaft. Während der "Ackermann" neben dem "Krieger" zu den herausgehobenen Symbolfiguren in der Propaganda des Dritten Reiches wurde und die Landwirtschaft als "Nährstand" zur tragenden Säule neben dem Wehrstand erklärt wurde, litten die Bauern unter den Zwängen der nationalsozialistischen Wirtschaftslenkung und Agrargesetzgebung. Doch sie blieben die Lieblingskinder der NS-Propaganda.

Lautstärkster Propagandist der "Blut- und Bodenideologie" war der Diplomkolonialwirt Walter Darré, der in seinen Büchern pathetisch ein neues "Adelsbauerntum" als "biologischen Kern" der künftigen Geschichte definiert hatte. Das Bauerntum als "Hauptquell des deutschen Volkes" sollte durch seine Verwurzelung im heimatlichen Grund und Boden ein gemeinschaftliches Bollwerk gegen die "Wurzellosigkeit" des großstädtischen Proletariats bilden. Damit wurde der alte Gegensatz zwischen Stadt und Land ideologisch überhöht und in der NS-Propaganda mit scharfen antimodernistischen Ressentiments radikalisiert. Dieses ideologisch-propagandistische Gebräu zusammen mit Verheißungen eines wirkungsvollen Bauernschutzes hatte ausgereicht, um in der Aufstiegsphase der NSDAP eine große Anhängerschaft unter den Bauern zu sichern.

Aufbau des Reichsnährstandes

Das NS-Regime knüpfte an traditionelle protektionistische Maßnahmen zugunsten der Großlandwirtschaft an und versuchte überdies durch eine ausufernde Propaganda, der Landwirtschaft das Gefühl zu vermitteln, daß ihre Nöte gesehen und ernst genommen würden. Diese auf die Großlandwirtschaft ausgerichtete Agrarpolitik von Ernährungsminister Alfred Hugenberg (1865–1951) bot Darré die Chance, die landwirtschaftlichen Organisationen unter seine Kontrolle zu bringen: die berufsständischen agrarischen Interessenorganisationen, das Genossenschaftswesen und die Landwirtschaftskammern. Nachdem bis Anfang Juni 1933 diese Gleichschaltung der landwirtschaftlichen Verbände abgeschlossen war und Darré zum Reichsbauernführer ernannt worden war, stand nach Hugenbergs Rücktritt Ende Juni 1933 und Darrés Ernennung zum Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft der Gleichschaltung der staatlichen Landwirtschaftspolitik nichts mehr im Wege. Dadurch konnte Darré eine im Vergleich zu anderen NS-Führern scheinbar ungewöhnliche Machtfülle auf sich vereinigen.

Mit der Gleichschaltung der landwirtschaftlichen Organisation war die Möglichkeit zur Steuerung der landwirtschaftlichen Erzeugung gegeben, die nicht nur alle Betriebe, sondern auch alle dort tätigen Personen umfaßte. Sie wurden unter dem Zwangsverband des Reichsnährstandes zusammengefaßt. Dieser zählte Mitte der dreißiger Jahre etwa 17 Millionen Mitglieder und versuchte mit einer strengen hierarchischen Gliederung einen umfassenden Kontrollanspruch durchzusetzen. Die Organisation umfaßte drei Hauptabteilungen, die einen allumfassenden Regulierungsanspruch anmeldeten. Gelenkt werden sollten erstens der Mensch, zweitens der Hof und drittens der Markt. Der Reichsnährstand gab sich nach außen weiterhin als eine Selbstverwaltungskörperschaft des öffentlichen Rechts und eine berufsständische Einheitsorganisation, tatsächlich war er jedoch als Ausführungsorgan der staatlichen Wirtschaftslenkung ein Instrument zur Sicherung der Ernährung und zur Steigerung der Erzeugung.

Hauptbetätigung des Reichsnährstandes und des Reichsbauernführers waren die ideologische, sozialpolitische und kulturelle Betreuung seiner Mitglieder. Auch wurde versucht, das Marktgefüge und die Preisgestaltung für landwirtschaftliche Erzeugnisse durch ein dichtes Geflecht von Vorschriften und Verboten zu regeln. Es entstand ein Mammutsyndikat von Genossenschaften, Wirtschaftsvereinigungen und Fachämtern, die alle ernährungswirtschaftlichen Betriebe erfaßten.

Kaschiert wurde die Überbürokratisierung durch eine völkische Rhetorik, die ihren besonderen Ausdruck im jährlichen Ritual der Reichs-Erntedankfeste auf dem Bückeberg fand. Mit solchen Ereignissen sollte von der ständigen Ausdehnung des Festpreissystems auf Brotherstellung, Getreidewirtschaft, Milchprodukte, Viehhaltung und Viehprodukte abgelenkt werden.

Als Krönung der agrarromantischen Ideologie galt das Reichserbhofgesetz vom September 1933. Es sollte den landwirtschaftlichen Besitz vor dem Ausverkauf an nichtbäuerliche Kapitalbesitzer schützen und umgekehrt den Bauern an seine Scholle binden. Es blieb auf mittelbäuerlichen Landbesitz bis zur Größe von 125 Hektar begrenzt und nahm auch den Großgrundbesitz aus. Der erhielt dadurch zwar weniger Schutz, aber um so mehr ökonomische Freiheiten. Bauer konnte nur sein, wer "deutschen oder stammesgleichen Blutes" war (§ 13). Dies war durch den großen Abstammungsnachweis zu belegen. Der Erbhof durfte nur ungeteilt auf einen Nachkommen vererbt werden. Miterben hatten nur ein Recht auf Berufsausbildung und Aussteuer.

Die Bilanz der Agrarpolitik war widersprüchlich. Der säkulare Trend einer Entagrarisierung wurde auch in der NS-Zeit nicht aufgehalten und hielt unvermindert an: Die dramatische Landflucht, der Rückgang der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer zwischen 1933 und 1939 um 440.000 und der auch durch den Wehrdienst bedingte Ausfall an Arbeitskräften ließen sich weder durch HJ-Landdienst noch durch Arbeitsdienst, Erntehilfe oder Pflichtjahr für Mädchen wettmachen. Erst der kriegsbedingte Einsatz von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen schaffte eine nennenswerte Abhilfe. Auch konnten die sozialen Spannungen innerhalb des Dorfes und der Bauernschaft nicht überwunden werden. Für das Regime war jedoch das ideologische Moment letztlich weniger entscheidend als das machtpolitische Ziel der Eigenversorgung und Nahrungssicherheit. Darum wurden alle Experimente einer Bodenreform vermieden. Der mittel- und großbäuerliche Hof und der Gutsbesitz blieben das prägende Strukturelement.

Die Bilanz der agrarpolitischen Anstrengungen war teilweise positiv, auch wenn die hochgesteckten Erwartungen nicht erreicht wurden. Der Anteil der Selbstversorgung konnte von 68 Prozent auf 83 Prozent erhöht werden. Steigerungen wurden bei der Produktion von Brot, Getreide, Hülsenfrüchten, Eiern und Kartoffeln erzielt. Die Ernährungsbilanz bei Fetten, Futtermitteln und pflanzlichen Ölen blieb defizitär. Die Abschottung vom Weltmarkt mußten die Verbraucher mit erheblich überhöhten Preisen bezahlen.

Mittelstand

Noch größer waren die Enttäuschungen des alten Mittelstandes. Alle ständestaatlichen Träume waren spätestens 1934 ausgeträumt und auch alle Hoffnungen, sich der verhaßten Konkurrenz der Warenhäuser zu entledigen. Diese wurden zwar höher besteuert, blieben aber unentbehrlich. Statt dessen kam es zur Aufgabe vieler kleingewerblicher Unternehmen, da ihnen die Arbeitskräfte fehlten oder sie vom zunehmenden Wirtschaftsdirigismus wegrationalisiert wurden. Die schon seit Jahrzehnten herrschende relative Konzentrationstendenz blieb ungebrochen. Nur die größeren Geschäfte konnten von der ökonomischen Aufstiegsentwicklung der späten dreißiger Jahre profitieren. Eine Entschädigung für manche Enttäuschung, die der alte Mittelstand in Handwerk und Einzelhandel erleben mußte, sollte die Ausschaltung der jüdischen Konkurrenz seit 1938 bringen. So manches ehemals jüdische Einzelhandelsgeschäft und Warenhaus wechselte auf dem widerrechtlichen Weg von Erpressung, Ausplünderung und einem scheinlegalen Erwerb den Besitzer.

Die Kriegswirtschaft brachte neue Gefährdungen für den Mittelstand und hier insbesondere für die leistungsschwachen Kleinbetriebe, waren doch nun vermehrt Schließungen von Geschäften und Betrieben an der Tagesordnung. Das Regime verstärkte damit, was es zu bekämpfen versprochen hatte: den gesellschaftlichen Wandel von einer kleingewerblich mittelständischen Ordnung zu einer großwirtschaftlichen Struktur.

QuellentextFrauen im Nationalsozialismus

Bereits wenige Monate nach der Machtübernahme waren fast alle Frauen aus der Schulbürokratie entlassen und die Zahl der Lehrerinnen im Reich um 15 Prozent reduziert. Professorinnen, Schulleiterinnen (selbst an Mädchenschulen) und Schulrätinnen wurden ihres Amtes enthoben. Keine Frau konnte mehr vor ihrem 35. Lebensjahr einen Lehrstuhl oder eine Dozentur erhalten, was damit begründet wurde, daß sie, solange sie jünger war, Kinder bekommen konnte und dann zuerst ihrer Familie verpflichtet wäre. Ab 1934 kehrten nach und nach wieder "zuverlässige" Frauen in die akademische Lehrtätigkeit zurück. Das Archivmaterial gibt keinen Aufschluß über die Gründe; zwei Überlegungen dürften wohl eine Rolle gespielt haben: Zum einen bedeutete das Prinzip der "getrennten Sphären", daß Tausende gut ausgebildeter Frauen für den rasch wachsenden bürokratischen Apparat und die sozialen Einrichtungen im Frauenbereich gebraucht wurden; zum anderen hatten sich inzwischen so viele Organisationen der "alten" Frauenbewegung zur Kooperation mit den Nazis bereit erklärt, daß qualifizierte Frauen jetzt nicht mehr so bedrohlich waren. Obwohl die Zahl der Frauen an den Universitäten zwischen 1933 und 1935 um 40 Prozent zurückging, pendelte sich der Anteil der Studentinnen dann gegen Ende der dreißiger Jahre bei immerhin zehn Prozent ein. Die ehrgeizigen jungen Frauen, die eine Karriere innerhalb des staatlichen Frauenbereichs anstrebten, zogen vermutlich, ebenso wie die jungen Männer, eine Partei-Schule der Universität vor. Insgesamt fiel die Zahl der Studentinnen an den Universitäten von knapp 20000 im Jahr 1933 auf 5500 im Jahr 1939. Die Pädagoginnen fragten sich, wie sie den jungen Mädchen "arischen" Stolz einimpfen sollten, wenn sie ihnen gleichzeitig zu vermitteln hatten, daß die Frauen in allen Bereichen außer dem Haushalt grund-sätzlich untergeordnet waren. Der Körper der Frau gehörte dem Volk, aber wer sollte diesen Grundsatz im Bewußtsein verankern? Was sollten die Mädchen lernen? Sollten sie von Männern oder von Frauen unterrichtet werden? [...]

Die Rechte der Frauen, so meinte Erziehungsminister Hans Schemm, bestünden vor allem im "ersten und letzten Anrecht auf das Kind [...], [das sie] von Gott empfangen und dorthin wieder zurückgibt". Nachdem er klargestellt hatte, daß Frauen als untergeordnete Wesen geschaffen worden seien, schloß er die rhetorische Frage an: "Was sind alle modernen Rechte der Frau vom Stimmrecht bis zum Männerberuf gegen das eine, heiligste Recht der Mutter auf Sorge, Arbeit, Opfer und Liebe für das Kind? Das allein ist der Himmel, der auch dem und der Ärmsten auf Erden bereitet ist."

Claudia Koonz, Mütter im Vaterland, Reinbek 1994, S. 250ff.

Rolle der Frauen

Auch in der nationalsozialistischen Frauenpolitik gab es den tiefen Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die NS-Führer und Ideologen waren frauenpolitisch extreme Traditionalisten und überdies voller sozialdarwinistischer Vorurteile. Sie förderten die traditionellen Verhaltensmuster, nach denen Frauen sich auf Familie, Kinder und Haushalt zu konzentrieren hätten. Dazu gehörte auch ein energisches Einschreiten gegen die weibliche Erwerbsarbeit. Hinzu kamen spezifische Elemente der nationalsozialistischen Ideologie: Die ideologiebewußte Frau habe sich dem selbstlosen Dienst für Volk und Regime unterzuordnen. "Du gehörst dem Führer", lautete die Parole. Gewollte Kinderlosigkeit galt als eine Art "Fahnenflucht", schrieb man doch der Frau dann die Verantwortung für den angeblich "drohenden Volkstod" zu. Doch bald wurden die Spannungen zwischen der Ideologie und den Anforderungen der Wirtschaft, die im Zeichen der Rüstungskonjunktur zunehmend Arbeitsplätze benötigte, immer größer. Das von den Wirtschaftsbürokratien geforderte Instrument einer allgemeinen Frauendienstpflicht wurde jedoch auch im Krieg nicht überall umgesetzt. Dagegen standen die genannten ideologischen Voreingenommenheiten und die Sorge um eine allzu große Belastung der Familien durch den Krieg, die durch eine allgemeine Frauenarbeit nicht noch erhöht werden sollten.

Trotz verschiedener familien- und arbeitsmarktpolitischer Gesetzgebungsmaßnahmen gelang es den Nationalsozialisten jedoch nicht, den säkularen Trend zur Ein- oder Zweikinder-Familie und zu einer zunehmenden Frauenerwerbstätigkeit zu stoppen oder umzudrehen. Die Steigerung der Geburtenrate von 14,7 pro 1.000 Einwohner im Jahre 1932 auf 18,6 im Jahre 1936 hatte keine familienpolitischen oder ideologischen Gründe, sondern vor allem wirtschaftliche. Es bestand ein gewisser Nachholbedarf im Bereich der Familienplanung seit der schweren ökonomischen Depression, der nun im Zeichen des Wirtschaftsaufschwunges zur Geltung kam. Auch kam es entgegen allen Versprechungen nicht zu einer Verringerung der Frauenerwerbstätigkeit, sondern im Zeichen der Hochkonjunktur zu einer Steigerung um 1,3 Millionen zwischen 1933 und 1939. Die Zahl der weiblichen Beschäftigten stieg von etwa 4,6 Millionen 1932 auf 4,75 Millionen im Jahre 1933 und betrug 1934 5,5 Millionen. Das war trotz der Ehestandsdarlehen, die den Ausstieg aus dem Erwerbsleben fördern sollten, eine Steigerung von knapp zehn Prozent. Tatsächlich war dieser Anstieg auf den vermehrten Einsatz von unqualifizierten weiblichen Arbeitskräften zurückzuführen, die als Billiglohnarbeiterinnen besonders begehrt waren. Dagegen war in qualifizierten Berufsgruppen der Trend gegenläufig. Das zeigt auch die Statistik: Während bei weiblichen Selbständigen und Beamtinnen in den genannten Jahren ein Rückgang um 14 Prozent bzw. 5,5 Prozent zu verzeichnen war, vergrößerte sich der Anteil der Industriearbeiterinnen in derselben Zeit um über 20 Prozent, der Haushaltshilfen um 7,4 Prozent, der weiblichen Angestellten um 18,9 Prozent. Ein deutlicher Rückgang von Frauenbeschäftigung trat vor allem in den akademischen Berufen ein, nachdem Akademikerinnen per Gesetz aus ihren Berufen verdrängt bzw. am Studium gehindert wurden. Frauen durften überdies erst nach dem 35. Lebensjahr verbeamtet werden. Sie durften weder Richterinnen noch Anwältinnen werden.

Mit dem kriegsbedingten wachsenden Arbeitskräftebedarf wurde das Beschäftigungsverbot für Ehefrauen aufgehoben und das weibliche Pflichtjahr in Haus- und Landwirtschaft im Jahre 1938 eingeführt. Die "totale Mobilmachung" für Frauen blieb aus. Nur ledige Frauen wurden im Krieg dienstverpflichtet. Es gab jedoch weiterhin über 5,4 Millionen nicht erwerbstätige, aber erwerbsfähige verheiratete Frauen ohne Kinder. Die Zahl der erwerbstätigen Frauen nahm nach Kriegsbeginn zunächst sogar ab und erreichte erst 1942 wieder den Vorkriegsstand. Das war in der hohen Unterstützungsleistung für die Angehörigen der Soldaten begründet. Der wachsende Bedarf an Arbeitskräften wurde überdies durch millionenfach zwangsverpflichtete ausländische Arbeitskräfte, sogenannte Fremdarbeiter gedeckt. Auch die sozialen Trennlinien wurden bei der Frauenarbeit trotz des schließlich verstärkten Kriegseinsatzes eingehalten: Die Dienstverpflichtung traf vor allem Frauen aus dem Arbeiter- und Angestelltenmilieu, was zu einer wachsenden öffentlichen Kritik an der Privilegierung der bürgerlichen Frauen führte. Nach der Wende des Krieges 1943 wurden nur etwa 900.000 Frauen zusätzlich zur Arbeit verpflichtet. Aufgrund des Männermangels ließ man in den Hochschulen Frauen wieder verstärkt zum Studium zu, ebenso wie sie auch im Schulbereich nun als Lückenbüßerinnen dienen durften.

Frauen aus höheren sozialen Schichten wurden nicht selten von der allgemeinen Dienstverpflichtung freigestellt. Die Ressentiments gegen diesen Personenkreis, der sich durch Scheinarbeitsverhältnisse, Atteste und gute Beziehungen Vergünstigungen verschaffte, nahmen bei den weniger Priviliegierten zu. Auch die verstärkten Kampagnen der nationalsozialistischen Frauenorganisationen gegen diese Zwei-Klassen-Behandlung führten allenfalls zu der resignierten Feststellung, daß die nationalsozialistische Frauenpolitik wenig Einfluß in NS-Partei und -Staat hatte.

Trotz ihrer 3,3 Millionen Mitglieder im Jahre 1939 blieben die NS-Frauenorganisationen unter der "Reichsführerin" Gertrud Scholtz-Klink, die an der Spitze der "Nationalsozialistischen Frauenschaft" sowie des "Deutschen Frauenwerkes" stand, ein kleines Häuflein von Ideologinnen, deren Kompetenz auf soziale Betreuung und Propaganda beschränkt blieb. Das lag in dem grundsätzlichen Widerspruch zwischen dem traditionellen Frauenbild begründet, das vom Nationalsozialismus vertreten wurde, und den auch für eine Frauenorganisation geltenden Mobilisierungs- und Organisationsgesetzen, wollte sie sich politisch-organisatorisch behaupten. Denn es war kaum miteinander vereinbar, daß nach der NS-Ideologie einerseits die eigentliche Berufung von Frauen in der Erziehung von Kindern und im Haushalt lag, daß andererseits aber die eigene Frauenorganisation öffentlich und politisch wirksam werden sollte. Hinzu kamen die schweren Belastungen für die Frauen bei der Bewältigung der alltäglichen häuslichen und familiären Probleme und Sorgen während des Krieges, die kaum Raum für politische und soziale Aktivitäten ließen. Schließlich erwuchs noch ein weiterer Widerspruch aus einer bürgerlichen Sexualmoral als Grundmuster der Familienpolitik und des sozialen Verhaltens einerseits und dem vor allem in der SS propagierten rassistischen NS-Züchtungsdenken andererseits, das zwischen ehelicher und nicht-ehelicher Mutterschaft keinen Unterschied mehr machte.

Die nationalsozialistische Frauenpolitik zeigt noch einmal die ganze Widersprüchlichkeit der nationalsozialistischen Gesellschaftspolitik: den Widerspruch zwischen der Propaganda von der Volksgemeinschaft und dem Fortbestand sozialer Barrieren und Ungleichheit; den Widerspruch zwischen bürgerlich-traditionellen Leitbildern und rassistischen Ideologien; schließlich den Widerspruch zwischen den frauenpolitischen Vorurteilen bzw. Vorgaben und der sich verändernden sozialen Wirklichkeit. Denn nicht nur die Tatsache der politisch-organisatorischen Aktivitäten von Repräsentantinnen der NS-Frauenorganisation war allen ideologischen Aussagen zum Trotz ein kleines Stück sozialer und öffentlicher Existenzerweiterung und Mobilität. Auch die Kriegswirtschaft und der Zusammenbruch brachten entgegen den ideologischen Prämissen des Regimes vor allem im Bereich von Dienstleistungsberufen, in denen Frauen immer unentbehrlicher wurden, ein weiteres Stück von sozialer Mobilität. Das gilt trotz der Tatsache, daß viele der Frauen Arbeit und Anerkennung nur als Lückenbüßerinnen fanden und daß sie zunächst nur auf Zeit diese sozialen Rollen übernehmen konnten.

Das heißt aber nicht, daß die eindeutig rückwärtsgewandten frauen- und familienpolitischen Maßnahmen des Regimes, die einen Rückschritt für die Frauen bedeuteten, übersehen werden können. Das novellierte Ehe- und Scheidungsrecht, das 1938 eine eindeutige Verschlechterung des Rechtsstatus der Frau bedeutete, ist nur ein Beispiel unter vielen für die rechtliche Entmündigung und tatsächliche Schlechterstellung der Frauen. Hier kamen traditionelle Verhaltensmuster und Vorurteile, die die Rolle des Mannes stärken sollten, zusammen mit bevölkerungspolitischen Ideologien des Regimes, die zutiefst menschenverachtend und von einem rassistischen Materialismus geprägt waren.

Auszug aus: Informationen zur politischen Bildung (Heft 266) - Wirtschaft und Gesellschaft unterm Hakenkreuz

Fussnoten

Weitere Inhalte

geb. 1943, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Münster. Seine Forschungsschwerpunkte sind der Nationalsozialismus und der europäische Faschismus.

Veröffentlichungen u.a.: Verführung und Gewalt. Deutschland 1933-1945, (Die Deutschen und ihre Nation, Bd. 5), Berlin 1986; Der Nationalsozialismus, Stuttgart 2002.