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Berlin - auf dem Weg zur geteilten Stadt | Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg | bpb.de

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Berlin - auf dem Weg zur geteilten Stadt

Prof. Dr. Wolfgang Benz

/ 6 Minuten zu lesen

Die anhaltenden Differenzen zwischen den Westmächten und der UdSSR entluden sich 1948 in der sowjetischen Blockade der Land- und Wasserwege nach Berlin. Lediglich drei Luftkorridore sicherten die Versorgung des Westteils der Millionenstadt. Als die Blockade 1949 aufgehoben wurde, war das Schicksal Berlins als geteilte Stadt besiegelt.

Berliner Kinder warten am Zaun des Flughafens Tempelhof auf "Rosinenbomber" der "Luftbrücke". (© AP)

Einleitung

Berlin, die Hauptstadt des Deutschen Reiches, war eine der größten Industriestädte Europas gewesen und zählte 1939 4,3 Millionen Einwohner. In den Trümmern, die der Zweite Weltkrieg hinterlassen hatte, lebten 1948 noch 3,2 Millionen. Nach den alliierten Absprachen von 1944 wurde Berlin von den Siegermächten gemeinsam regiert, das heißt, die Stadt war in vier Sektoren geteilt, in denen jeweils ein Stadtkommandant namens der Sowjetunion, Großbritanniens, der USA und Frankreichs die Machtbefugnisse ausübte. Unter deren Hoheit arbeiteten deutsche Bezirksbürgermeister, der gesamtberliner Magistrat und der Bürgermeister mit seinen Stellvertretern.

Nachdem die Rote Armee Ende April 1945 Berlin erobert hatte, waren Anfang Juli vereinbarungsgemäß amerikanische und britische Truppen eingerückt und hatten von ihren Sektoren Besitz ergriffen. Die Franzosen folgten am 12. August. Die Garnisonen der drei Westmächte bestanden insgesamt aus etwa 6.500 Soldaten. Im sowjetischen Sektor waren 18.000 Rotarmisten stationiert. An Konflikt und Konfrontation unter den Siegern dachte man nicht, als der Alliierte Kontrollrat, die Regierungsinstanz für ganz Deutschland, in Berlin etabliert wurde, als die alliierte Kommandantur, das Gremium der vier Stadtkommandanten, zusammentrat und als die obersten Instanzen der vier Militärregierungen für Deutschland in Berlin ihre Arbeit aufnahmen. Auch über die Regelung der Zugangsrechte und Zugangswege für die westlichen Alliierten nach Berlin, das ringsum von sowjetischem Besatzungsgebiet umschlossen war, hatte nach der Kapitulation Deutschlands niemand nachgedacht. Die Präsenz der Westmächte war jafest vereinbart, und Absprachen und Beschlüsse wollten die Sieger des Zweiten Weltkriegs über Deutschland ebenso gemeinsam treffen wie über seine Hauptstadt. Lediglich die Luftverbindungen nach Berlin durch drei "Korridore" von Hamburg, Bückeburg (Hannover) und Frankfurt am Main aus waren im November 1945 durch ein Viermächteabkommen geregelt worden.

Blockade

Seit Anfang 1948 traten auf den Verbindungswegen nach Berlin zu Lande und zu Wasser "technische Störungen" auf, erstmals am 24. Januar, als der Nachtzug von Berlin nach Bielefeld in der sowjetischen Zone aufgehalten wurde. 120 deutsche Passagiere wurden nach Berlin zurückgeschickt, die übrigen, Angehörige der britischen Besatzungsmacht, durften nach elf Stunden Wartezeit weiterfahren. Im Februar wurde ein unter amerikanischer Regie fahrender Eisenbahnzug behindert, weitere Schikanen der sowjetischen Besatzungsbehörden trafen auch die Binnenschifffahrt. Meist ging es um Formalitäten. Der schwerste Zwischenfall ereignete sich im April, als ein sowjetisches Jagdflugzeug mit einer britischen Transportmaschine kollidierte, die zur Landung auf dem Flugplatz Gatow im britischen Sektor Berlins angesetzt hatte. Vierzehn Briten und der sowjetische Pilot kamen ums Leben.

Am 2. April 1948 befahl General Clay, der amerikanische Militärgouverneur, dass Transporte nach Berlin mit Flugzeugen erfolgen sollten, weil er den Behinderungen der Eisenbahn und des Straßenverkehrs entgehen wollte. Die dreitägige Aktion war, obwohl noch niemand wusste, was sich später daraus entwickeln sollte, ein Probelauf, der unter dem Namen "Kleine Luftbrücke" bekannt wurde.

Am 16. Juni verließ der sowjetische Vertreter unter einem Vorwand die Kommandantur und lähmte damit das interalliierte Gremium als Viermächte-Kontrollorgan für ganz Berlin. Die Inszenierung des sowjetischen Auszugs aus der alliierten Stadtregierung folgte dem Muster, nach dem am 20. März 1948 der sowjetische Militärgouverneur den Alliierten Kontrollrat für Deutschland gesprengt hatte.

Der Hintergrund der Berlinkrise wurde sichtbar, als am Abend des 18. Juni in den Westzonen die für Sonntag, den 20. Juni, bevorstehende Währungsreform angekündigt wurde. Berlin sollte nach sowjetischer Auffassung von der westlichen Währungsreform ausgenommen bleiben. Dies zwang den sowjetischen Militärgouverneur Marschall Sokolowski zum Handeln, denn die Weitergeltung des alten Geldes in Berlin hätte bedeutet, dass die Sowjetzone mit der in den Westzonen wertlos gewordenen Reichsmark überschwemmt worden wäre. Er bezog Gesamtberlin in die ostzonale Währungsreform ein, die als Reaktion auf das westliche Vorgehen am 23. Juni 1948 in Kraft trat. In den drei westlichen Sektoren Berlins sollte also die D-Mark verboten sein.

Eine Sondersitzung der Berliner Stadtverordneten beschäftigte sich am 23. Juni mit dem Problem. Tumulte und Demonstrationen im und um das im Ostsektor liegende Stadthaus störten die Beratungen. Sie waren von der SED angezettelt worden, um das Stadtparlament unter Druck zu setzen. Trotzdem wurde der Beschluss gefasst, dass in den Westteilen Berlins das westliche Geld gültig sein würde. Die Reaktion der sowjetischen Seite erfolgte unmittelbar. Kurz vor Mitternacht des 23. Juni gingen in West-Berlin die Lichter aus. Die Elektrizitätsversorgung war vom Osten aus eingestellt worden. Sie funktionierte in den folgenden Monaten nur sporadisch, ganz nach der Willkür der sowjetischen Instanzen, in deren Machtbereich die Kraftwerke, die Berlin versorgten, lagen. Am folgenden Tag, um sechs Uhr morgens, kam auch der gesamte Eisenbahnverkehr nach Berlin zum Stillstand, dann wurde die Binnenschifffahrt unterbunden. Berlin war Insel geworden, dem Westen gegenüber vollständig blockiert von der sowjetischen Besatzungsmacht. Als einziger Zugang blieben die drei Luftkorridore.

Luftbrücke

Die Versorgung des Westteils der Stadt konnte ab dem 24. Juni 1948 nur noch durch die Luft erfolgen. Damit begann eine der größten Bravourleistungen in der Geschichte der Luftfahrt, die "Luftbrücke". Treibende Kraft der Aktion war General Clay. Er beschwor nicht nur in den regelmäßigen telefonischen Konferenzen mit Washington die amerikanischen Politiker zu einer festen Haltung in Berlin, er versprach auch dem Oberbürgermeister, Ernst Reuter (SPD), der 1947 gewählt, aber von den Sowjets nicht bestätigt und in der Amtsführung behindert worden war, dass die Westalliierten alles tun würden, um die Berliner mit Nahrungsmitteln und allem anderen Notwendigen zu versorgen. Das eingeschlossene Berlin wurde in den folgenden Monaten zum Symbol der Verteidigung von Freiheit und Demokratie.

Während die Westmächte Protestnoten nach Moskau schickten, die Westberliner in Demonstrationen ihren Willen zum Ausharren bekundeten, perfektionierten die britische Royal Air Force und die amerikanischen Luftstreitkräfte ihre Operationen und flogen nach einem generalstabsmäßig ausgearbeiteten Plan von neun Flugplätzen in Westdeutschland aus ununterbrochen Lebensmittel, Kohle, Maschinen, Ausrüstungen und alle anderen Güter des täglichen Bedarfs nach Berlin. Die Transportmaschinen landeten im Drei-Minuten-Abstand in Berlin, wurden in aller Eile entladen und flogen zurück, um weiteres Material zu holen. Im Propagandakrieg gegen die sowjetische Seite waren die Rekorde der Luftbrücke eindrucksvolle Waffen. Am 15. April 1949 wurden in einer "Osterparade" in 24 Stunden mit 1398 Flügen 12940 Tonnen Lebensmittel und andere Güter in die belagerte Stadt geflogen.

Trotzdem war die Lage in West-Berlin kläglich. Aus Energiemangel konnte nur wenig produziert werden, und auch die eindrucksvollsten Leistungen der Luftbrücke erbrachten gerade das Bedarfsminimum der 2,1 Millionen Westberliner.

Die Kosten der Aktion waren enorm. Die amerikanischen und britischen Steuerzahler bezahlten circa 200 Millionen Dollar dafür. Die Güter wurden größtenteils aus dem Fonds des amerikanischen Hilfsprogramms GARIOA (Government Aid and Relief in Occupied Areas) finanziert, genauso wie zum Teil auch das Berliner Haushaltsdefizit (monatlich 53 Millionen D-Mark). Die Hauptlast trug die Bizone bzw. dann die Bundesrepublik, die mit einer Sondersteuer ("Notopfer Berlin") ab November 1948 den Widerstand Berlins gegen die sowjetische Blockade unterstützte. Diese Sonderabgabe zur Unterstützung West-Berlins wurde in der Bundesrepublik bis 1958 erhoben.

Teilung

Am 12. Mai 1949 wurde die Blockade nach Verhandlungen der Alliierten und einem Viermächte-Abkommen beendet. Der Jubel der Berliner, mit dem der erste LKW und der erste Eisenbahnzug aus dem Westen empfangen wurden, konnte freilich niemanden darüber hinwegtäuschen, dass Berlin nach der Blockade eine geteilte Stadt blieb. Die administrative und politische Teilung hatte sich schrittweise vollzogen. Im Herbst 1948 hatte die Stadtverordnetenversammlung ihren Wirkungsort in den Westteil der Stadt verlegt, weil die SED ihre parlamentarische Unterlegenheit durch Straßenproteste und ständige Störungen der Sitzungen ausglich. Auch der Magistrat spaltete sich als Folge der Willkür sowjetischer Stellen, die leitende Beamte nach Gutdünken wegen "Sabotage" oder "Unfähigkeit" entließen oder verhafteten. Im Dezember 1948 erkannten die sowjetischen Behörden nur noch den verfassungsrechtlich illegalen Ostmagistrat als Stadtregierung an. Die für den 5. Dezember 1948 angesetzten Neuwahlen in Gesamtberlin konnten nur in den drei Westsektoren abgehalten werden. Im Schöneberger Rathaus wurde am 7. Dezember 1948 Ernst Reuter zum Stadtoberhaupt von West-Berlin gewählt. Wenig später nahm die Alliierte Kommandantur als Drei-Mächte-Gremium imWestteil der Stadt ihre Arbeit wieder auf. Die Blockade Berlins und die Teilung der Stadt bildeten den dramatischen Hintergrund der Gründungsakte des Weststaats.

Die brutale Abriegelung der ehemaligen Reichshauptstadt durch die sowjetische Besatzungsmacht bestärkte die Politiker der westlichen Besatzungszonen in ihrem Entschluss, das Angebot zur Gründung eines Weststaats - der Bundesrepublik Deutschland - anzunehmen, und half ihnen, die Skrupel gegenüber der damit verbundenen Teilung Deutschlands zu überwinden.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Geb. 1941, Studium der Geschichte, Politischen Wissenschaft und Kunstgeschichte. Seit 1990 Professor an der Technischen Universität Berlin und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung. Vorsitzender der Gesellschaft für Exilforschung. Mitherausgeber der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft.