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Ulmer Donaugeschichten

Uwe Rada

/ 13 Minuten zu lesen

Vor dreihundert Jahren zogen die Schwaben auf ihren Ulmer Schachteln die Donau hinunter. Heute sind die Nachfahren der Donauschwaben überzeugte Europäer. Dennoch tun sich Ulm und Neu-Ulm noch ein wenig schwer mit ihrem Fluss.

Ulm, Das Münster und die Donau von der Neu-Ulmer Seite betrachtet. (© Uwe Rada)

Das Donaufest

Ein historischer Ort in einem historischen Jahr: Das Donaufest in Ulm und Neu-Ulm 2012 war ein Fest der Superlative. Schon zum siebten Mal standen die Donauwiesen unterhalb der Ulmer Altstadt und das Neu-Ulmer Ufer im Zeichen des Flusses, der sie verbindet. "In diesem Jahr aber gab es etwas Besonderes zu feiern", betont Sabine Meigel, die Leiterin des Ulmer und Neu-Ulmer Donaubüros. "Vor dreihundert Jahren zogen die ersten Schwaben die Donau hinunter, um dort ein besseres Leben zu beginnen." Dreihundert Jahre später kommen nun Jugendliche aus den zehn Donau-Ländern nach Ulm und Neu-Ulm zu einem internationalen Jugendcamp zusammen. "Sie bringen etwas von dem Geist Europas zurück, für den die Donau wieder steht." In Ulm und Neu-Ulm, ist Meigel überzeugt, ist Europa nichts Abstraktes und auch kein bürokratisches Monstrum. "Europa ist hier zum Greifen nahe, und das liegt an der Donau."

Wie alles begann mit Ulm, seinem Fluss und den Schwabenzügen Richtung Wien, Budapest und weiter Interner Link: ins Banat und die Batschka, schildert eine Ulmer Chronik vom Mai 1712: "In diesem Monath sind viel 1000 Personen Haußhäbige, Ledige und Kinder aus dem Oberland und sonstigen Orten auf der Iller und Donau in das Ungerland gefahren (…) Da liessen sich die einfältigen Leute bereden und verkaufften Hauß, Hof und Gütter, die Knechte und Mägde gingen auß ihren Diensten und kamen allhier in dem so genannten Schwaal zusammen und machten Hochzeit. Das war Tag und Nacht die Freud mit Pfeiffen, Geigen, Danzen und Springen."

Auch am Beginn der Auswanderung der Donauschwaben stand also ein Fest am Ulmer Donauufer. Freilich war Ulm, die einst so mächtige Reichsstadt, die ihren Stolz mit dem Bau des Münsters allen verkündete, nicht das Ziel der Feiergemeinde. Ulm war lediglich Transitort. Es waren die Armen und Unternehmungslustigen, die aus Oberschwaben oder dem Filstal, später dann aus ganz Süddeutschland zusammenkamen, um ihr Glück als Kolonisten in der Fremde zu suchen.

Zunächst einmal galt es aber, die erste Hürde zu überwinden – und die hieß Ulm. Wer es sich leisten konnte, logierte mit seinem Hab und Gut in einem der Gasthöfe, im Stern, in der Alten Traube oder in den Drei Kannen. Die weniger Betuchten, und die waren die Mehrheit, zogen gleich auf die Donauinsel, in die Nähe des Schwaal, von wo aus die Einschiffung begann. Doch erst einmal mussten die Papiere überprüft werden. Auswandern durfte nur, wer die Erlaubnis seines Landesherrn und eine Kolonistenstelle im Habsburgerreich vorweisen konnte. Für die Fahrt nach Wien mussten die Auswanderer selbst aufkommen. Erst dort gab es einen Zuschuss von der Hofburg. Denn Österreich ließ es sich etwas kosten, dass die Schwaben die während der Türkenkriege und Pestepidemien wüst gefallenen Ländereien wieder bestellten. Die Wanderung, die im Mai 1712 in Ulm begann und die Donau hinunter führte, war ein groß angelegtes Konjunkturprogramm des Habsburgerreichs, das bis weit hinein ins 19. Jahrhundert reichen sollte. Etwa 150.000 Menschen haben sich damals auf den Weg gemacht, die meisten von ihnen aus Ulm.

Dreihundert Jahre später konnten die Besucher des Donaufestes mit eigenen Augen sehen, wie es wohl zugegangen war bei diesem Abschiedsfest 1712. Auf dem Nachbau einer Donauzille – der etwas spöttische Namen Ulmer Schachtel stammt aus dem 19. Jahrhundert – drängelten sich die Schaulustigen und staunten, dass ihre Vorfahren mitunter zu 200 auf dem Boot mit seinem hölzernen Aufbau Platz fanden. Mehr als eine Woche dauerte die Reise damals nach Wien – und noch einmal so lange, bis endlich die Orte in der Batschka erreicht waren, die alsbald mit einem deutschen Namen versehen waren: Neuwerbaß, Kischker oder Torschau. Heute heißt die Batschka Vojvodina und ist, als autonome serbische Provinz, immer noch ein Schmelztiegel der Völker. Beim Donaufest 2012 war etwas zu ahnen vom Aufbruch, aber auch von der Gegenwart in dieser Weltenregion namens Donau. "Die Ulmer lieben ihr Donaufest inzwischen", freut sich Sabine Meigel. "Normalerweise sind Ulm und Neu-Ulm etwas provinziell. Aber beim Fest wird alles bunt. Da baut so mancher auch sein Vorurteil gegenüber dem Balkan ab."

Der Fluss, eine Grenze

Blick auf Neu-Ulm. Auf den Donauradweg sind alle Städte aufgezeichnet, die am Fluss liegen. (© Uwe Rada)

Es ist nicht einfach, in Ulm zur Donau zu finden. Wer am Bahnhof aussteigt, muss sich erst einmal durch die Hinterlassenschaft einer Stadtplanung kämpfen, die dem Auto dem Vorrang vor dem Bürger gab. Ulm, die Industriestadt, die im Krieg weitgehend zerstört wurde, ist das Produkt eines Wiederaufbaus. "Bis in die achtziger Jahre", sagt Volker Jescheck, der in der Grenzstadt Baden-Württembergs zu Bayern das Stadtplanungsamt leitet, "parkten auf dem Münsterplatz Autos." Die größte Schneise durch die Altstadt zog die Neue Straße. Die vierspurige Schnellstraße trennte den Münsterplatz vom Marktplatz und damit das Zentrum von der Donau. "Heute sind die Wunden geheilt", freut sich Jescheck. Die Neue Straße ist zurückgebaut und umkurvt nun zwei avantgardistische Bauten, die ihr als Mittelinsel dienen. "Ulms Neue Mitte", sagt Jescheck, "hat auch in der Architektenszene für Aufmerksamkeit gesorgt." Nicht nur das Donaufest bringt farbige Tupfer in die Stadt. Auch die Architekten dürfen in Ulm zeigen, was sie können und was ihnen am Neckar in den heil gebliebenen Städten wie Tübingen oder Heidelberg oder donauabwärts in Regensburg meist verwehrt bleibt.

Angefangen hat die Wiedereroberung der Ulmer Altstadt für die Bürger an der Donau. Anfang der achtziger Jahre wurde das einstige Fischer- und Gerberviertel mit seinen pittoresken Fachwerkhäusern zum Sanierungsgebiet erklärt. Behutsam wurden diese letzten Reste des Mittelalters saniert – und Ulm, seit 1963 Universitätsstadt, bekam sein erstes Ausgehviertel. Wer den Einstieg vom Stadtzentrum findet, kann entlang der Kanäle der Blau und den Stegen, die ihnen folgen, wunderbar den Weg hinab zur Donau finden. Am Fischerplätzle, dem vielleicht schönsten Platz Ulms, führt er durch ein Tor durch die alte Stadtmauer direkt zur Mündung der Blau in den großen Strom, die blaue Donau.

Ein ganz anderes Schauspiel hat dagegen die bayerische Seite parat. Hat man die Hardbrücke und die Donauinsel, den ehemaligen Schwal überwunden, steht man vor einem Gebäude, wie es auch in Belgrad oder Costanta stehen könnte. Zwanzig Stockwerke hoch ist das Donaucenter, ein Riegel, der den Zugang zur Neu-Ulmer Innenstadt eher versperrt als öffnet.

Doch das ist nicht das einzige Hindernis. Mitten auf der Donauinsel plant die Stadtverwaltung von Neu-Ulm einen Neubau für die Sparkasse. Der Weg auf die Straße "Insel", die zur Inselspitze führt und zum Schwal, wo einst die Auswanderer auf ihre Ulmer Schachteln stiegen, wäre damit versperrt, meint Volker Jeschek. Doch aus Neu-Ulmer Angelegenheiten hält er sich raus. Schließlich arbeitet er in Baden-Württemberg und sein Gegenüber in Bayern. Die Donau ist gewissermaßen die Kretzschmann-Seehofer-Grenze, an der Grün und Schwarz noch nicht zusammengefunden haben. "In der Tourismus-Werbung und bei der Wirtschaftsförderung arbeiten beide Städte zusammen" erklärt Jescheck. "Bei der Stadtplanung lassen wir uns in Ruhe." Doch der Ärger über den Umgang mit der Donau ist Ulms obersten Stadtplaner anzumerken.

Der Blick von drüben

Auf die von der anderen Seite zu schimpfen, würde Gerhard Hölzel nicht einfallen. Der zweite Bürgermeister von Neu-Ulm ist ein bedächtiger Mann, und er ist ein langjähriger Freund der Donau. „Ich bin in Tübingen aufgewachsen und weiß, was ein Fluss für die Stadt bedeutet. Als ich nach Neu-Ulm kam, habe ich mich deshalb schnell mit der Donau angefreundet“, sagt Hölzel, der im Neu-Ulmer Rathaus unter anderem für die Kultur zuständig ist. Auch deshalb hat er sich schnell der „Gesellschaft der Donaufreunde“ angeschlossen, die jedes Jahr eine Fahrt mit der „Ulmer Schachtel“ donauabwärts organisiert. „Ich bin mit so einer Schachtel schon bis zum Donaudelta gefahren“, erzählt Hölzel stolz. „Das ist zwar eng, aber es geht.“

Für Hölzel ist die Donau deshalb kein Thema, das Neu-Ulm oder Ulm jeweils für sich reklamieren sollten. Gleichwohl räumt er ein, dass die Donau auf der bayerischen Seite erst nach und nach ins Blickfeld gerutscht ist. „Angefangen hat es, als wir uns als Neu-Ulm am Donaubüro und am Donaufest beteiligt haben“, sagt Hölzel. „Seit dieser Zeit ist das Interesse an der Donau stark gestiegen.“ So ist die Donau in Ulm quasi ein „spätes Thema“, so wie auch Neu-Ulm eine „späte Stadt“ ist. Erst als die westlich der Donau gelegenen Teile der Stadt 1810 zum Königreich Württemberg kamen, wurden die östlichen Stadtteile bayerisch. So ist das geblieben, bis heute.

Neben dem politischen Interesse gibt es auch ein neues Interesse am Neu-Ulmer Donauufer. Im Zuge der Landesgartenschau 2008 wurde das Ufer gleich hinter der Hardtbrücke terassenartig abgetreppt. „Nun kann man an der Donau sitzen und den Blick auf das gegenüberliegende Ulm genießen“, sagt Hölzel. Allerdings fiel mit dem Gelände an der ehemaligen Flussmeisterei eine Partyzone weg. Hier entstanden hochwertige Wohnungen.

Auch deshalb ist der Schwal in Neu-Ulm mit seinen 55.000 Einwohnern ein sensibles Terrain. Die Flussinsel, auf der einst die Fahrt der Donauschwaben startete, gehört zu Neu-Ulm. Das mit dem Bau des Sparkassengebäudes, das sie in Neu-Ulm etwas euphemistisch „Brückenhaus“ nennen, nicht alles optimal lief, räumt auch der zweite Bürgermeister ein. Nachdem sich die Sparkasse geweigert hatte, einen Architekturwettbewerb durchzuführen, habe man informell aber das Gebäude etwas transparenter und luftiger gestalten können. „Wie ein Riegel wirkt das jetzt nicht.“

Ohnehin genießt der Schwal in der Neu-Ulmer Stadtentwicklungspolitik eine hohe Priorität. „Das ist das Herz von Neu-Ulm, das muss auch erlebbar werden.“ Bei der Umgestaltung der Insel soll deshalb mittelfristig auch ein Fußgänger- und Radweg an der Donau bis zur Inselspitze führen. Auch soll es dort mehr Veranstaltungen als bisher geben. „Das ist ein idealer Ort dafür“, schwärmt Hölzel. „Wir wissen, dass das wegen der Anwohner nicht einfach ist, aber im Sommer kann man da schon mehr machen als bisher.“

Nur eines bleibt dem Donaufan verwehrt. „Das Donaucenter kriegen wir nicht weg“, sagt Hölzel. „Das war eine Bausünde der siebziger Jahre. Aber wir können die zahlreichen Besitzer der Eigentumswohnungen nicht enteignen.“ Ein bisschen Ironie hält der hässliche Klotz immerhin bereit. „Von dort hat man einen tollen Blick auf Ulm.“ Soll wohl heißen: Die Ulmer haben dagegen nur einen Blick aufs Donaucenter.

Stadt und Fluss

Auf dem Schwal, der Donauinsel, begann die Auswanderung der Donauschwaben. (© Uwe Rada)

Annette Weinreich ist in Ulm geboren. Ihre Kindheit hat sie am Fluss verbracht, im Donaubad oder als Jugendliche dann am Donauufer unterhalb der Stadtmauer. Dennoch sagt sie: "Man spürt den Fluss in der Stadt nicht."

Für Weinreich ist das eine verpasste Chance. Auch die Grünen-Politikerin, die 2013 in den Bundestag möchte, weiß um die Faszination dieses Stromes, der wie kein anderer für das Scheitern und das Gelingen Europas steht. 2010 war sie, gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Ulmer Stadtrats, auf einer Donaufahrt dabei. "Wir sind mit dem Flieger nach Belgrad und dann auf einem Donau-Schiff hinunter nach Vidin." In der bulgarischen Stadt entsteht eine zweite Brücke hinüber nach Rumänien. Zuvor verband nur die ehemalige Interner Link: Brücke der Freundschaft zwischen dem bulgarischen Ruse und dem rumänischen Giurgiu die mehr als 400 Kilometer lange Flussgrenze der beiden EU-Mitgliedsländer. "Auf dieser Reise", sagt Weinreich, "habe ich gespürt, wie wichtig die Aktivitäten an der Donau sind. Die Leute in Rumänien und Bulgarien, aber auch in Serbien, haben sich gefreut, dass wir sie nicht vergessen."

Ein bisschen möchte sie vom Aufbruch an der Donau auch in Ulm spüren. "Das Donaufest ist eine tolle Sache, aber das reicht nicht", sagt Weinreich, die findet, dass das Stadtplanungsamt ruhig ein bisschen aktiver werden könnte. "Wir Grüne fordern seit Jahren einen Donaustrand unterhalb der Altstadt", sagt sie. "Und warum soll nicht die Promenade bis zum Park in der Friedrichsau verlängert werden? Warum stellt man da keine Beleuchtung hin, damit man auch noch am Abend joggen kann?" Es sind rhetorische Fragen, die Annette Weinreich stellt. Als Politikerin und Ratsmitglied kennt sie natürlich die Antworten von Volker Jescheck, dem Leiter des Stadtplanungsamtes. Viel zu teuer, sagt der, sei ein Donaustrand, lieber wolle man mit kleinen punktuellen Eingriffen das Donauufer aufwerten. Jescheck sagt, der Freizeitfluss in Ulm sei die Iller, der Gebirgsfluss mit seinen Kiesstränden, der oberhalb der Altstadt in die Donau mündet. Die Donau sei dagegen zum Spazieren gehen da, zum "Füße hinein tauchen".

Eines aber haben Weinreich und Jescheck gemeinsam: den Ärger über die da drüben am anderen Ufer des Flusses. "Auch die Donauinsel", findet Weinreich "hätte ein besseres Dasein verdient." Und dann sagt sie auch, warum die Sparkasse ihrer Meinung nach ausgerechnet an diesem Ort baut: "Das geht auf die Anlieger auf der Spitze zurück. Gute Wohnlagen. Die wollen ihre Ruhe haben." Dreihundert Jahre nach dem Aufbruch von 1712 ist der Schwal kein Hafen mehr, sondern eine so genannte 1-A-Lage.

Die europäische Donaustadt

Nachbau einer "Ulmer Schachtel" vor dem Donauschwäbischen Zentralmuseum. (© Uwe Rada)

Wenn Peter Langer Bilanz zieht, denkt er nicht an den Schwal, sondern ans große Ganze – und das ist die Donau, die von der Quelle bei Donaueschingen fast 3000 Kilometer zurücklegt, bis sie ihr Delta bildet und dann ins Schwarze Meer mündet. Langer, der vor Sabine Meigel das Donaubüro geleitet hat, nun als Donau-Beauftragter der Städte Ulm und Neu-Ulm arbeitet und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretzschmann in Europafragen berät, ist einer der Architekten der internationalen Beziehungen von Ulm. Noch gut erinnert er sich an die erste "Schachtelfahrt" des Stadtrats 1995. Die, sagt er, "gab den Impuls für die neuen Donauaktivitäten in den nächsten Jahren: "Die offenen Grenzen, die Begegnungen mit den Menschen und den politischen Partnern, das Interesse an einer gemeinsamen europäischen Zukunft, neue Freundschaften und Kontakte – all das führte in Ulm dazu, aus der Donau etwas für die Stadt zu machen."

Man kann es auch so sagen: Ulm hat den Fall der Mauer in Berlin und den des Eisernen Vorhangs in Europa nicht verschlafen, sondern als neue Herausforderung begriffen. Ulms Start in die europäische Zeit begann 1998 mit dem ersten Donaufest, das unter dem Motto "Neue Ufer" stand. Eröffnet hat das Festival der ungarische Schriftsteller György Konrád mit seiner in Ulm noch heute gerne erinnerten "Donau-Anhörung": "Seht mich an, sagt die Donau, groß bin ich, schön und weise, niemanden in Europa gibt es, der mir das Wasser reichen könnte. Lasst euch nieder zu beiden Seiten meines Ufers. Ich will eure Hauptstraße sein."

Gleichzeitig lud das Ulmer Rathaus 1998 zum ersten Treffen der Bürgermeister der Donaustädte – eine Tradition, die bis heute fortgesetzt wird. Ulm hat keine Partnerstädte, sondern baut ein Netzwerk entlang der Donau. Das gleiche gilt für die Schulen der 130.000 Einwohner zählenden Stadt. Jede von ihnen hat eine Kooperation mit einer Partnerschule im Donauraum. Der Schulaustausch an den Ulmer Schulen ist ein Donauaustausch.

Jedes Jahr findet seitdem in Ulm und Neu-Ulm das Donaufest statt. 2000 stand es unter dem Konrádschen Motto "Hauptstraße", zwei Jahre später "Traumfluss nach Europa". 2004, als mit der Slowakei und Ungarn auch zwei Donauländer der Europäischen Union beitraten, feierte man im "Café Europa", danach 2006 ganz persönlich "Meine Donau". Und so ging es weiter. 2008 hieß es Interner Link: "Heimat Europa", 2010 "Mama Duna" und 2012, zum 300-jährigen Jubiläum "Aufbruch und Begegnung".

Doch nicht nur gefeiert wird die Donau in Ulm. Nach der Gründung des Donaubüros 2001 engagierte sich Ulm aktiv in Brüssel – und gab die entscheidenden Anstöße für die Donaustrategie, die die EU als zweite Strategie neben der Ostseestrategie 2010 auf den Weg brachte. "Der Ulm-Prozess", bilanziert Peter Langer, "hat ganz wesentlich dazu beigetragen, die EU-Strategie für den Donauraum auf den Weg zu bringen."

Von Europa-Skepsis will Langer darum nichts hören. Er verweist auf den großen Horizont: "Noch vor wenigen Jahren war die Donau vor allem ein Grenz- und Kriegsfluss. Heute ist die Donau ein Friedensfluss." Den nächsten Schritt hat der große Donau-Architekt bereits im Visier: "Jetzt kann sie auch ein europäischer Bürger-Fluss werden."

Kleiner Fluss, großes Programm

Gedenken an die vertriebenen Donauschwaben am Donauufer in Ulm. (© Uwe Rada)

Kleiner Fluss, großes Programm: Vielleicht ist das die Botschaft, die von Ulm ausgeht. Denn anders als in Regensburg oder Passau prägt die Donau in Ulm nicht das Bild der Stadt. "Dennoch gehört die Donau zur Identität der Stadt", glaubt Sabine Meigel, die Leiterin des Ulmer und Neu-Ulmer Donaubüros.

Das hat vor allem mit den Donauschwaben zu tun. Bis Ende des 19. Jahrhunderts zogen die Süddeutschen von Ulm in die Fremde. Es ist tatsächlich eine Geschichte von "Aufbruch und Begegnung", die in Ulm ihren Lauf nahm. Und es ist eine europäische Geschichte von Ankunft und Integration. Bis heute ist Interner Link: die Vojvodina, die ehemalige Batschka, in Serbien ein Ort des Zusammenlebens verschiedener Kulturen.

Die Deutschen aber gehören nicht mehr dazu. Dort, wo die Blau in die Donau mündet wird an dieses jähe Ende des Aufbruchs erinnert. Auf kupfernen Tafeln sind die Siedlungen genannt, die von den Donauschwaben gegründet worden – und doch sind es im Grunde Grabtafeln. Nicht nur die Geburt der Siedlung ist auf ihnen verzeichnet, sondern auch das Ende. In den meisten Fällen war es 1944 oder 1945. Für Titos Partisanen waren die Donauschwaben Deutsche und damit Verräter. Im Banat in Rumänien durften sie zwar noch bleiben, viele aber zogen es in den fünfziger und sechziger Jahren vor, dorthin zurückzukehren, von wo ihre Vorfahren einst aufgebrochen waren.

Diese Geschichte der Rückkehr war oft tabu. "Doch nun", sagt Sabine Meigel, "wird sie wieder entdeckt. Es sind die Nachfahren der vertriebenen und geflüchteten Donauschwaben, die das enge Band zwischen Ulm, dem Fluss und seiner Geschichte knüpfen. Nirgendwo ist diese Geschichte mit so vielen Familiengeschichten verbunden wie in Ulm." Um das ganze auch im Stadtbild sichtbar zu machen, sind auf dem Asphalt des Donauradwegs in Ulm und Neu-Ulm die Namen der Städte am fast 3.000 Kilometer langen Lauf der Donau aufgemalt und auch die Entfernung, die zwischen ihnen und Ulm liegt.

Dreihundert Jahre nach dem Aufbruch ist diese Geschichte, die auch die Geschichte der Donau ist, zurückgekehrt nach Ulm. Und mit ihr sind neue Impulse gekommen, neue Ideen und auch neue Menschen. Vor dem Fall der Mauer, weiß sie, habe man in Ulm vor allem Donau aufwärts geschaut, zur Quelle. "Jetzt schaut man auch die Donau hinunter bis zum Delta." Vor allem die Jugendlichen würden diesen neuen Blick proben. "Vielleicht", sagt Sabine Meigel, "war das Jugendcamp das wichtigste beim Donaufest 2012. Niemand baut so schnell Vorurteile ab wie die Jugendlichen, wenn sie sich erst einmal kennengelernt haben und das Eis gebrochen ist."

Eines, findet sie aber, müssten die Ulmer noch lernen. "Die Jugendlichen aus Serbien, Rumänien oder Bulgarien haben eines südländische Esskultur. Die verstehen es beim besten Willen nicht, dass der Schwabe schon um 17 Uhr vespert und die ganze Mahlzeit aus nichts anderem besteht als Brot und Wurst."

Fussnoten

Weitere Inhalte

Uwe Rada, geboren 1963, koordiniert das Projekt "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Er ist im Schwäbischen geboren, seine Vorfahren stammen aber nicht aus dem Donauraum, sondern von der oberen Elbe. 2013 erschien bei Siedler sein Buch Die Elbe. Europas Geschichte im Fluss.