Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Mehr Sounds? | Sound des Jahrhunderts | bpb.de

Sound des Jahrhunderts Einleitung Kapitel 1 / 1889 bis 1919 Soundgeschichtliche Gründerzeit Verklungenes und Unerhörtes Sound aus dem Trichter Großstadt um 1900 Kaiser-Sound "Heil Dir im Siegerkranz" Antiphon und Ohropax Lärmschutz im frühen 20. Jahrhundert Come Quick, Danger! Caruso auf Platte Sound der Moderne im Futurismus Le Sacre du Printemps Trommelfeuer aufs Trommelfell Lautpoesie Stummfilmmusik Kapitel 2 / 1919 bis 1933 Die Roaring Twenties Die Klangwelt der Moderne Sport und Vergnügungskultur Achtung, Aufnahme! Radiosignale The Jazz Singer Frauen sprechen hören Großstadtlärm in der Literatur Populäre Musik der 1920er Stimm- und Gesangswunder Sinfonie der Großstadt Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt Politische Kampflieder Mehr Sounds? Dein Sound des Jahrhunderts Hörbeispiele im Internet Soundarchive Literatur Redaktion

Mehr Sounds? Vorschau auf das 3. Kapitel

/ 18 Minuten zu lesen

Wir hören uns durch das 20. Jahrhundert. Nach und nach werden hier Kapitel für Kapitel in chronologischer Reihenfolge neue Töne und ihre Geschichten vorgestellt. Wenn Sie über weitere Inhalte informiert werden möchten, abonnieren Sie bitte Interner Link: hier unseren Neuerscheinungsnewsletter oder bleiben Sie über den Hashtag Externer Link: #Jahrhundertsound auf dem Laufenden.

Als nächstes erscheint:


Ausschnitt aus der NSDAP-Zeitung Westdeutscher Beobachter vom 23. August 1933 (© Public Domain)

(Zwangs-)Beschallung und Stille. Klanglandschaften der 1930er und 1940er Jahre


Wie die Republik von Weimar verfügte auch das "Dritte Reich" über eine eigene Klangsignatur, die sich im kollektiven Gedächtnis etwa mit Volker Schlöndorffs Verfilmung von Günter Grass’ Blechtrommel erhalten hat. Dazu zählen die dumpfen Marschtritte der SA- und SS-Formationen, die schmissigen Lieder von HJ und BDM, das Gebrüll der NS-Funktionäre, ob live in Stadien oder medial verzerrt im Radio, die martialischen Fanfarenstöße und Trommelwirbel der Wochenschauen und Sondermeldungen, im Krieg dann das unerbittliche Heulen der Sirenen, das ferne Donnern der alliierten Bomberflotten und das verzweifelte Abwehrfeuer der Flakgeschütze, das Explodieren der Bomben und das Rauschen und Prasseln der Feuersbrünste, nicht zuletzt das Geifern und Schreien des Präsidenten des Volksgerichtshofs bei den Schauprozessen gegen die Mitverschwörer des 20. Juli. Weitgehend vergessen hingegen sind das Sturmläuten der Gestapo an den Haustüren, das Klirren der zerbrechenden Ladenscheiben in der "Reichskristallnacht" und die beklemmende Stille, die das NS-Regime auch erzwang.


1. Februar 1933: Der neue Reichskanzler Adolf Hitler verliest über alle deutschen Sender einen Aufruf der Reichsregierung. (© Bundesarchiv Bild 183-1987-0703-506 / Fotograf: o.A. Externer Link: CC-BY-SA 3.0)

Lautsprecher Hitler. Über eine Form der Massenkommunikation im Nationalsozialismus


Hört man heute die Rede, die Adolf Hitler am 10. Februar 1933 im Berliner Sportpalast hielt, dann wirkt sie in ihrer Affek­tivität befremdlich und abstoßend. Dass diese Exaltiertheit und Hysterie in ihrer Zeit als gelungenes Exempel eines ­neuen, glaubwürdigen Stils der politischen Rede erfahren worden sein soll, ist kaum vorstellbar. Und doch gründete wohl kein anderer Politiker den Erfolg seiner Politik so sehr auf die "Macht der Rede" wie Hitler. Worauf genau aber beruhte diese Macht? Verdankte sie sich tatsächlich ausschließlich dem Können und den manipulativen Fähigkeiten eines "begnadeten Redners"? Oder entwickelte sie sich nicht vielmehr aus dem, was hier Dispositiv LautSprecher genannt wird: aus einem komplexen Zusammenspiel von technischen und kommunikativen Medien, von Lautsprechern und Stimmen der Redner, von Inszenierungspraktiken und Rede-Szenarien, die alle in einer neuen Form akustischer Massenkommunikation münden?


Propagandaplakat für den Volksempfänger, 1936: "Ganz Deutschland hört den Führer". (© picture-alliance/akg)

Ganz Deutschland hört den Führer. Die Beschallung der "Volksgenossen"


Das Radiogerät war in erster Linie ein Apparat im privaten Raum. In der Weimarer Republik war es vor allem in bürgerlichen Wohnzimmern präsent. Erklärtes Ziel der nationalsozialistischen Rundfunkpolitik war der Einzug des Radios in alle Haushalte. So ist es nicht verwunderlich, dass die Nationalsozialisten die Verbreitung der Rundfunkgeräte durch ein Bündel von Maßnahmen förderten; dazu gehörten die serielle Herstellung eines billigen Geräts, des "Volksempfängers", die Ermöglichung von Ratenzahlung oder eine Gebührenbefreiung für Geringverdiener, aber auch gezielte Werbekampagnen, die in propagandistische Strategien eingebettet waren. Bekannte Beispiele sind das Plakat Ganz Deutschland hört den Führer oder das berühmte Gemälde von Paul Mathias Padua Der Führer spricht, das als Massenware zu Werbezwecken reproduziert wurde. Ohne Zweifel erfüllte das Radio eine wichtige Funktion bei der Formierung und Stabilisierung des Regimes. Aber die totale Rundfunkerfassung der "Volksgemeinschaft" blieb ein Wunschtraum. Der Slogan "Rundfunk überall" entsprach nicht der historischen Realität.


Felix Nussbaum: Triumph des Todes; Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück (© picture-alliance/dpa)

... so machtvoll ist der Heimatlieder Klang. Musik im Konzentrationslager


Heute wird selten an die Musik aus den Konzentrationslagern und Ghettos erinnert. Dabei steht sie besonders eindrücklich für das unermessliche Leiden und den ungebrochenen Überlebenswillen der Häftlinge. Die überlieferten Klänge sprechen eine eigene Sprache jenseits des "Unsagbaren". Die Beschäftigung mit Musik half den Gefangenen in mehrfacher Hinsicht. Sie verarbeiteten in ihr ihre Wahrnehmungen und Gefühle. Die Musik half ihnen zudem, zeitweise die Realität des Lagers zu vergessen und in geistige Gegenwelten zu fliehen.



"Music by Muzak is good business" - Titelblatt einer Werbebroschüre der Muzak Corporation aus dem Jahr 1959 (© Mood Media – Muzak LLC; )

Muzak. Funktionelle Musik, Klangtapeten und Zwangsberieselung im öffentlichen Raum


1934 beginnt die Firma Muzak, die ersten Fabrikhallen zu verkabeln und mit Lautsprechern zu bestücken. Die Arbeit bekam einen neuen Soundtrack und auch die Tempel des Konsums waren bald erfüllt von Musik. Seitdem lebt der moderne Mensch in einer allüberall klingenden Welt, im "Tonbrei", inmitten von "Klangstaub". Die Allgegenwart von Hintergrundmusik hat quasi in einer Art Rückkopplungseffekt dazu geführt, dass auch ohne konkrete Intention immer mehr akustische Leerräume eher beiläufig gefüllt wurden – bei Sportveranstaltungen etwa, in Fernsehprogrammen, Telefonwarteschleifen, selbst in Konzertpausen wird seither zumeist reflexartig Konservenmusik gestartet. Wie handhabt die Gesellschaft die Vertreibung der Stille? Der Forschung ist es bis heute bislang nicht gelungen, die komplizierten Effekte, Sympathien und Antipathien, die Musik im Menschen auszulösen vermag, wirklich evident zu machen.


Die mexikanische Sängerin Eugenia León singt La Paloma, Mexiko-Stadt, 2006 (© picture-alliance/dpa)

La Paloma. Die Grande Dame der Popmusik


Zwei Akkorde, so schlicht wie Beethovens Fünfte, sofort wieder erkennbar, gleichzeitig anschmiegsam an unterschiedlichste Rhythmen, eine Melodie, die zwischen Schnulze und Anspruch vielseitig interpretiert werden kann, als Kunstlied, Schlager, Jazz oder Protestlied – das ist La Paloma. Es gilt als das meistgespielte Lied der Welt. Der Münchner Paloma-Experte Kalle Laar kennt alleine 2.000 Versionen, andere sprechen von 4.000 und mehr. Von Afghanistan über Russland nach Japan und China, von den Philippinen bis nach Sansibar ist La Paloma in ihrem über 150-jährigen Leben gereist. Warum bewegt die "Grande Dame der Popmusik" (so der Musikkritiker Thomas Gross) die Menschen weltweit? "Wenn wir das wüssten, würden nur noch solche Lieder komponiert werden", meint Klaus Doldinger, der Komponist der Tatort-Melodie. "La Paloma ist unter allen Gassenhauern so etwas wie eine Königin", schrieb Fritz Reck-Malleczewen 1937 in seinem Roman La Paloma, "und wenn man La Paloma richtig spielt, dann ist’s wirklich so, als wolle etwas in unirdische Höhe steigen und sich auflösen in eitel Sonnenlicht und Ätherrausch."


1936: Die Hindenburg mit Reportern und Filmcrews. (© Wikimedia, Robert Yarnall Richie/Commons)

Oh The Humanity. Herbert Morrisons Radioreportage vom Absturz der Hindenburg in Lakehurst


Unfälle ereignen sich überraschend. Sie sind nicht vorhersehbar. Nur Zufälle ermöglichen daher die Dokumentation einer Katastrophe. Ein solcher Zufall widerfuhr dem Chicagoer Radioreporter Herbert Morrison. Im Mai 1937 war er zum US-Marine-Flughafen in Lakehurst, südlich von New York, gefahren, um eine Reportage von der Landung des Zeppelin Hindenburg zu machen. Unbeabsichtigt wurde er dabei zum Zeugen des Absturzes des Luftschiffs. Seine Radiorepor­tage ist eines der erschütterndsten Tondokumente des 20. Jahrhunderts. Sie ist gleichzeitig ein Meilenstein der Rundfunkgeschichte. Morrisons Reportage wurde als "radiophone Urszene" bezeichnet, "die die Wirkungsmacht des Prinzips live begründete". Die Radioreportage sowie die Fotografien von dem Unglück machten dieses zu einem Medienereignis, das zeitgenössisch von immenser Wirkung war und Teil des kollektiven und insbesondere des auditiven Gedächtnisses des 20. Jahrhunderts wurde. Morrisons auch heute noch ergreifende Radioreportage prägte und prägt die Wahrnehmung des Desasters, das zugleich das Ende der Passagierluftfahrt mit dem Zeppelin einläutete.


Standbild aus dem Film "Bestie Mensch" von Jean Renoir (© picture-alliance, United Archives)

Schienenklänge – Lokgesänge. Soundkosmos Eisenbahn


Kaum eine andere technologische Erfindung diente und dient so sehr als Projektionsfläche von Sehnsüchten und Ängsten wie die Eisenbahn. Die Dampflokomotive, der Zug, der Bahnhof – sie sind fester Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses, und das nicht nur in Europa. Als solcher ist die Eisenbahn Gegenstand sowohl der Literatur als auch der Musik. Der Film La Bête Humaine von Jean Renoir aus dem Jahr 1938 beispielsweise zeigt den infernalischen Lärm auf dem Führerstand einer Pacific-Schnellzuglokomotive.


Rassistische und antisemitische Broschüre zur Ausstellung "Entartete Musik" im Rahmen der Reichsmusiktage in Düsseldorf 1938. (© picture-alliance, CPA Media Co. Ltd)

"Entartete Musik". Die Verfolgung moderner, jüdischer und linker Musik


Am 24. Mai 1938 wurde im Kunstpalast Düsseldorf die Ausstellung Entartete Musik eröffnet. Staatsrat Hans Severus Ziegler, treibende Kraft der Ausstellung, Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters Weimar und einer der frühen Anhänger Hitlers, hatte dazu eine Broschüre mit dem Titel Entartete Musik. Eine Abrechnung verfasst. Das Cover kombiniert, auf raffinierte Weise collagierend, mehrere Feindbilder. Da ist zum einen das mit Jazz und moderner Musik assoziierte Saxo­fon. Die dazu passende affenähnliche Figur mit noblem Frack, Zylinder und Fliege in dynamischer Gesamthaltung und Judenstern am Revers wird als Angriff auf die europäische und damit, im konservativen Verständnis, vor allem deutsche Musikkultur stilisiert – ein sozusagen gedoppelter Rassis­mus. Modell für dieses Bild ist das Cover des Klavierauszugs von Ernst Kreneks erfolgreicher und schon damals von rechts angefeindeter Zeitoper Jonny spielt auf von 1927. Anders als die Ausstellung Entartete Kunst scheint die über "entartete Musik" nur mäßig erfolgreich gewesen zu sein. Überaus erfolgreich war allerdings das ihr zugrundeliegende generelle ideologische Konzept vor 1933 / 1938 und auch nach 1945.


Plakat des Films Krieg der Welten (1953) (© picture-alliance, United Archives/WHA)

War of the Worlds. Orson Welles' fiktive Radio-Reportage


Am Abend des 30. Oktober 1938, einen Tag vor Halloween, ging der Schauspieler und Regisseur Orson Welles bei CBS in New York mit einer Hörspielfassung des 1898 erschienenen Science-Fiction-Romans War of the Worlds auf Sendung. Das Buch des britischen Autors H. G. Wells schildert eine Invasion Südenglands durch Marsmenschen. ­Welles war auf den packenden Stoff 1936 aufmerksam geworden. Gemeinsam mit den Autoren Howard Koch und John Houseman arbeitete er den Roman zu einer einstündigen Live-Reportage über die Landung von Marsmenschen an der amerikanischen Ostküste um. Das Ergebnis war beklemmend realistisch; die Übertragung wurde zu einer ­Sternstunde des Radios. Der Höhepunkt war erreicht, als der wie Präsident Franklin D. Roosevelt klingende "Innenminister" die Menschen zur Flucht aufforderte. Zwar wurde während der Sendung nach rund 40 Minuten noch einmal auf den fiktiven Charakter der Darstellung hingewiesen, als sich im Studio die telefonischen Nachfragen häuften und die New Yorker Polizei einen Streifenwagen vorbeigeschickt hatte. Außerdem wünschte Orson Welles am Schluss des Hörspiels ein fröhliches Halloween. Angesichts der inszenierten Hektik und des fragmentarischen Charakters der "Sondersendung" nahmen dies aber nicht alle Zuhörer wahr. Nach der Sendung wurden Orson Welles und CBS mit Vorwürfen überschüttet. Politik und Teile der Öffentlichkeit warfen ihnen eine verantwortungslose Manipulation der Bevölkerung vor.


Rückseite einer Rundfunkgebührenquittung aus dem Jahr 1944 (© Wikimedia, Commons)

Hier ist England. Der Ätherkrieg gegen das "Dritte Reich"


Am 27. September 1938 ertönte zum ersten Mal die Ansage: "This is London calling in the European Service of the BBC. London calling Europe." Und dann auf Deutsch: "Hier ist England! Hier ist England! Hier spricht der Deutsche Dienst der BBC." Es folgten die Wellenlänge und als musikalisches Erkennungszeichen die Anfangstakte aus Henry Purcells Trumpet Voluntary. Anschließend wurde eine Rede des britischen Premierministers Neville Chamberlain zur sogenannten Sudentenkrise vorgelesen. Die Entscheidung, diese Rede auf Deutsch über das Radio zu verbreiten, traf das britische Kabinett erst wenige Stunden vor Sendebeginn. Die BBC war darauf nicht vorbereitet und musste auf die Schnelle eine geeignete freie Frequenz und die notwendigen Sprecher und Übersetzer auftreiben. Aus der Fleetstreet, dem Zeitungszentrum des Landes, organisierte sie, sozusagen per reitenden Boten, den österreichischen Emigranten Robert Lucas. Er übertrug die Rede, so wie sie aus dem Fernschreiber kam, ins Deutsche und ein Sprecher las die gerade übersetzten Seiten vor. Wahrscheinlich hörte kaum mehr als eine Handvoll Personen in Nazideutschland diese unangekündigte und spontane erste deutschsprachige Sendung der BBC.


Luftschutzplakat - herausgegeben vom Reichsluftschutzbund Baden-Rheinpfalz. (© picture-alliance/akg)

Warnsignale des Todes. Fliegeralarm und Luftschutzsirenen


An den Krieg und seine neue Geräuschkulisse versuchten die Nationalsozialisten die Bevölkerung schon früh zu gewöhnen. In München etwa übte sich die NSDAP bereits Anfang 1933 in einem bizarren Schauspiel, um die Stadt auf die kriegerische Zukunft vorzubereiten. Während Hitler-Jungen und SA-Aktivisten Flugblätter mit Hinweisen zum richtigen Verhalten bei Luftangriffen verteilten, kreisten über der Innenstadt eigens gecharterte Flieger: Gegen 10:45 Uhr warf das erste Flugzeug mit Sand gefüllte Papierbomben ab. Gleichzeitig ertönten Sirenen, der Verkehr kam zum Erliegen und SA-Männer mit Gasmasken gingen zusammen mit der Feuerwehr daran, die "Bomben" zu entschärfen. Die Botschaft war unmissverständlich: Luftschutz, das war etwas, das bald für jeden Bürger im "Dritten Reich" überlebenswichtig werden sollte. Darauf sollte die Bevölkerung vorbereitet werden. Dahinter stand die Überzeugung, dass diese durch Erziehung und Disziplin zur Luftschutzgemeinschaft reifen könne. Die Sirenen gaben dieser völkischen Bewährungsprobe eine eigene akustische Struktur: den Auftakt des Kampfes, die Phase der Abwehrschlacht und Konzen­tration und das siegesgewisse Durchatmen nach Ende der Angriffe.


Der Krieg – Ein rücksichtsloses Geräusch. Der Lärm des Zweiten Weltkriegs


Kaum jemand hat nach der Verherrlichung des "modernen" Lärms im Futurismus (1911 Paul) und vor der Sprachzertrümmerung der Dadaisten (1916 Schock) so eindrücklich wie der Sprachkünstler, Dramatiker und Lyriker August Stramm die Klangsignatur des Krieges in Worte gefasst. Er hat mit seinem "Klappen Tappen Wühlen Kreischen / Schrille Pfeifen Fauchen Schwirren / Splittern Klatschen Knarren Knirschen / Stumpfen Stampfen" – in seinem Gedicht Granaten von 1915 – die Akustik des modernen Krieges auf den Punkt gebracht. Seine Kunst kann als Inbegriff einer vom Kriegslärm ausgelösten und inspirierten lyrischen Sprache im 20. Jahrhundert gelten – und bleibt in der Beschreibung eines anhaltend monotonen, sich allenfalls im Sturmangriff in Bewegung umsetzenden Kriegslärms doch auf den Ersten Weltkrieg konzentriert. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Geräuschkulisse umfassender und dynamischer. Was mit der Beschreibung der Kriegsgeräusche begann, setzte sich im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs in der wissenschaftlich betriebenen Decodierung des Kriegslärms und der Entwicklung spezifischer Lärmwaffen fort.


Tönende Wochenschau. Die Musik der Deutschen Wochenschau


1941: Harry Giese, Sprecher der Deutschen Wochenschau, vor Mikrofonen ( Bundesarchiv, Bild 183-2007-1026-501 / Unbekannt) Lizenz: cc by-sa/3.0/de

Soll man heute beschreiben, wie die Musik der Deutschen Wochenschau geklungen hat, fallen einem dazu meist die majestätischen Takte aus Franz Liszts Les Préludes ein, die den Bildern des Krieges einen für heutige Ohren übertrieben pathetischen und stark emotionalisierenden Anstrich verliehen haben. Diese akustische Farbgebung war es wohl auch, die der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, vor Augen (bzw. Ohren) hatte, als er angesichts uninteressanter Filmbilder am 14. Juli 1941 in seinem Tagebuch notierte: "Ich sehe mich […] dazu veranlasst, Schnitte anzulegen, den Text zu verstärken und zu verschärfen und dafür zu sorgen, dass eine Musik angelegt wird, die das, was an der Kraft der Bilder fehlt, dann auf ihre Weise hinzuzufügen versuchen muss." Diese Aussage könnte man geradezu als Quintessenz dessen ansehen, was die nationalsozialistischen Machthaber von der Wochenschaumusik erwarteten: Sie sollte Filmbilder positiv emotional einfärben und so untermalen, dass aus langweiligen und ohne einen inneren Zusammenhang aneinandergefügten Wochenschaubildern ein für den Zuschauer positives und mitreißendes emotionales Erlebnis wurde.


Reichskommissar für die besetzten Niederlande Arthur Seyss-Inquart bei einer Parade der deutschen Ordnungspolizei 1941 in Amsterdam. (© picture-alliance/akg)

Der Klang der Besatzungszeit. Amsterdam 1940 bis 1945


In den frühen Morgenstunden des 10. Mai 1940 wurden viele Amsterdamer Bürger von Explosionen, über die Stadt fliegende Flugzeugen oder verängstigten Verwandten geweckt. Erst später am Tag wurde ihnen langsam klar, dass die widerhallenden Detonationen nicht mehr von Wehrübungen zu Friedenszeiten herrührten. Das Wissen, dass man sich nun im Krieg befand, machte einen gewaltigen Unterschied: Die durchaus vertrauten Geräusche bekamen eine neue Bedeutung und wurden anders wahrgenommen. Diese tief greifende Veränderung kann von ihren akustischen Erscheinungen her mit der Erfahrung verglichen werden, in ein neues Haus einzuziehen: Am ersten Tag sind alle eigentlich bekannten Klänge und Geräusche neu und deshalb sehr viel auffälliger. Es war, als ob ganz Amsterdam über Nacht in ein neues Haus gezogen wäre.

1940er Jahre: Blick durch ein Schott eines U-Bootes während des Mittagessens. (© picture-alliance/akg)

Die akustische Erkundung der Tiefe. Vom Echolot zum Sonar


Es ist das Jahr 1941. Das deutsche U-Boot U 96 durchpflügt den Atlantik vor der französischen Küste auf der Suche nach englischen Geleitzügen. Nach außen repräsentiert U 96 die mächtige Kriegstechnologie des 20. Jahrhunderts. In seinem Innern bildet es einen technischen und rein männlichen Mikrokosmos. Hunderte Tonnen von Stahl umschließen wie geschmiert ineinandergreifende organische und maschinelle Körper, die auf engstem Raum einer strengen Befehlskette gehorchen. Die gängigen Assoziationen moderner Kriegsgewalt mit grellem Gedröhn sind außer Kraft gesetzt. Das U-Boot bewegt sich fast lautlos und in vollständiger Dunkelheit. Geradezu blind sind die Männer in seinem Bauch. In der undurchdringlichen Unterwasserwelt wird ihnen der Schall zum wichtigsten Orientierungsmittel. Das U-Boot U 96, das zwischen 1940 und 1945 für die deutsche Kriegsmarine im Einsatz war, wurde durch den Spielfilm Das Boot von 1981 bekannt. Der Film setzt die Unterwassergeräusche gezielt als Effektmittel ein, um die gespannte Atmosphäre in der Enge des U-Boots, in der die Ohren der Männer zu ihren Augen werden, einzufangen.


Wagners Walkürenritt wurde auch von der US-Armee in Afghanistan zu Motivationszwecken verwendet. (© picture-alliance/dpa)

Wagners Walkürenritt. Aus dem Orchestergraben auf das Schlachtfeld des (post-)modernen Krieges


Das Vorspiel zum 3. Akt seiner 1870 uraufgeführten Oper Die Walküre, das mit der anschließenden Szene als "Walkürenritt" bezeichnet wird, gilt heute als das bekannteste und meist zitierte Musikstück aus Richard Wagners Ring des Nibelungen und als eine seiner bekanntesten Kompositionen überhaupt. Es diente als Hintergrundmusik in deutschen Kriegswochenschauen sowie als musikalisches Stilmittel in populären Spielfilmen. Wie eine moderne Medienikone hat es sich von seinem historisch-kulturellen Entstehungszusammenhang gelöst und vagabundiert seitdem, multifunktional verwendbar, um den Erdball. Längst ist es auch zu einem Bestandteil der Populärkultur und der Werbung sowie zum akustischen Erinnerungsort des modernen Krieges geworden. Zudem ist es vermutlich das einzige Musikstück, das es aus dem Orchestergraben des 19. auf das Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts geschafft hat. Damit erfüllt es so unterschiedliche Funktionen wie die emotionale Aufladung von Filmbildern, die Mobilisierung des soldatischen Kampfwillens und die Einschüchterung des Gegners. Nach einer Studie ist der "Walkürenritt" für Autofahrer eine überaus gefährliche Musik. Ihr Rhythmus senke die Reaktionsgeschwindigkeit um 20 Prozent.


Lili Marleen. Lied über den Fronten


Lale Andersen im Kabarett der Komiker, 1938 (Wikimedia, Willy Pragher / Externer Link: Deutsche Digitale Bibliothek) Lizenz: cc by/3.0/de

Ende April 1941: Von nun an ertönt jeden Abend im Radio ein Zapfenstreich, gefolgt von der rauen Stimme Lale Andersens. Sie singt ein Lied, das eigentlich eine männliche Stimme verlangt. Es geht darin um einen Soldaten, der sich das Wiedersehen mit einer gewissen "Lili Marleen" wünscht. Gleichzeitig besingt er seinen eigenen, zu erwartenden Tod. Dieser Widerspruch mag dazu beigetragen haben, dass Lili Marleen zum berühmtesten Hit des Zweiten Weltkriegs wurde. Die Männer in den Schützengräben oder Kasernen und die Frauen an der "Heimatfront" versammelten sich zu Tausenden zur gleichen Stunde um ein Radiogerät, um dieses Lied zu hören. Und zwar nicht nur die Deutschen: Das merkwürdige Lied übte auch auf die Alliierten seinen Zauber aus. Der amerikanische Kriegskorrespondent John Steinbeck fragte sich sogar, ob es nicht "amüsant wäre, wenn nach all dem Theater und Sieg-Heil-Geschrei, nach all der Marschiererei und Indoktrination der einzige Nazi-Beitrag für die Welt Lili Marleen gewesen sein sollte". Lili Marleen ein Nazilied? Eine Friedenshymne? Oder das einzig Gute, was aus dem "Dritten Reich" entsprungen ist? Keine der drei Interpretationen trifft wirklich zu.


Sammlung der Radioansprachen von Thomas Mann, die die BBC zwischen Oktober 1940 und Mai 1945 ausstrahlte. - Erstausgabe 1942 (© Slg. H.-P.Haack, Leipzig / gemeinfrei)

Sinnlos verlorene Liebesmüh für Deutschland. Thomas Manns BBC-Reden: Deutsche Hörer!


Am 28. Juni 1941, sechs Tage nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, tauschte der Deutsche Dienst der BBC seine Erkennungsmelodie aus. Statt der festlich-beschwingten Anfangstakte aus Henry Purcells Stück Trumpet Voluntary erklang nun das dramatische, aus den ersten vier Noten bestehende Kernmotiv aus Beethovens 5. Sinfonie, der Schicksalssinfonie, gespielt auf einer Pauke und dreimal wiederholt. Die NS-Ideologen deuteten diese ("so pocht das Schicksal an die Pforte") als authentischen Ausdruck des germanischen Selbstverständnisses und als Illustration des "Existenzkampfs eines Volkes, das einen Führer sucht und endlich findet". Vielleicht wollte die BBC einen ideo­logischen Kontrapunkt setzen, der entscheidende Grund für die Wahl dieses pathetischen Themas war jedoch ein anderer: Das bekannteste Symbol der Siegeshoffnung der Alliierten war das Zeichen "V" für victory. Beim Morsen wird dieser Buchstabe durch drei kurze und ein langes Signal übermittelt, dem Rhythmus von Beethovens Einleitungsmotiv. Bis zum 8. Mai 1945 blieben die eindringlichen Paukenschläge das Erkennungszeichen des Deutschen Dienstes, sie leiteten auch die Reden von Thomas Mann ein.


Kinoplakat zu Die große Liebe mit Zarah Leander (R.: Rolf Hansen, D 1942) (© picture-alliance, ZB)

Davon geht die Welt nicht unter. Die musikalische Ertüchtigung der "Volksgenossen"


Im Gegensatz zur ernst-pathetischen Musik, mit der die Nationalsozialisten sich und ihr Regime zu inszenieren versuchten, bot die Unterhaltungsmusik auf den ersten Blick einen Freiraum, der ganz der Privatsphäre zu gehören schien. Doch dieser scheinbar unpolitische Bereich war gleichermaßen dem Einfluss der Nationalsozialisten unterworfen, die nichts dem Zufall überließen und planend und gestaltend auf die Lebensgewohnheiten der Menschen einwirkten. So allgegenwärtig nämlich die Musik war, so vielfältig war ihre Funktion im privaten wie im außerhäuslichen Bereich. Sie diente der Ablenkung und Entspannung, aber auch als Rahmen für sportliche und politische Veranstaltungen: Reden, Großveranstaltungen, Paraden, Reichsparteitage, Gedenk-, Eröffnungs- und Einweihungsfeiern waren stets von musikalischen Darbietungen begleitet. Bei all diesen Veranstaltungen gehörte die Musik zum Ablauf, genauso wie Uniformen, Fahnen, Symbole oder Grußformen.


Als "Swing Heinis" bezeichnete Jazzfans in den 1930er Jahren in Deutschland (© Jazzinstitut Darmstadt)

Sound der Freiheit. Swing und "Swingjugend" im Nationalsozialismus


"Swing-Musik gebührt das Verdienst, den ungezügelten und primitiven Jazz überwunden zu haben", hieß es 1935 in einer Plattenwerbung. In Amerika hatte sich der neue Bigband-Sound bereits durchgesetzt. Nun hielt der geschliffene Stil auch in Deutschland Einzug. Die raffinierten Arrangements lösten Begeisterung aus. Bandleader wie Duke Ellington oder Benny Goodman wurden zu Idolen. Ihre Pendants in Deutschland hießen Teddy Stauffer oder Kurt Widmann, eine neue Musikergeneration, die sich mit dem Swing identifizierte und darin sogar bestärkt wurde. 1936, während der Olympischen Spiele in Berlin, wollte sich das Regime weltoffen geben. Der Swing setzte sich durch. Die Swingbewegung war individualistisch, ja anarchistisch, aber vor allem sehr kreativ. Der Swing war der Sound der Freiheit und so etwas wie der akustische Kitt für den gesamten jugendlichen Widerstand in Nazideutschland. Als das Ende näher rückte und die Jugend immer noch aus der Reihe tanzte, wurden die Gegenmaßnahmen härter und noch absurder. Dafür sorgten nicht zuletzt Propagandaminister Goebbels und Gestapochef Himmler, die beide direkt mit der Causa Swing befasst waren.


Dmitri Schostakowitsch arbeitet in seiner Wohnung im belagerten Leningrad 1941 an der Niederschrift der 7. Sinfonie C-Dur op. 60; aus dem Film Leningrad, 1947 (© picture-alliance/akg)

Der Weltkrieg in der zeitgenössischen Musik. Schostakowitschs Leningrader Sinfonie und Schönbergs A Survivor from Warsaw


Sie gehören zu den bedeutendsten Kompositionen, die während bzw. bald nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und auf diesen Bezug nehmen: Dmitri Schostakowitschs Leningrader Sinfonie thematisiert den Expansionsdrang des "Dritten Reiches", Arnold Schönbergs A Survivor from Warsaw führt den Holocaust vor Augen. Beide Werke könnten gegensätzlicher kaum sein. Die Leningrader folgt der traditionellen Gattung der Sinfonie und verbleibt mit ihrer Form, ­ihrem harmonischen System und ihrer Sprache in einer Musiktradition, die seit dem 18. Jahrhundert verbindlich ist. Schönberg wendet sich von der Musiktradition ab und zieht die von ihm maßgeblich geprägten neuen Systeme der Atonalität und der Zwölftontechnik heran. Auch die Ausmaße könnten unterschiedlicher kaum sein: Der Survivor dauert kaum acht, die Leningrader rund 80 Minuten. Sie verlangt die größte Orchesterbesetzung in der Geschichte der ­Sinfonie, der Survivor beschränkt sich auf ein Kammerensemble, einen Sprecher und einen Männerchor. Schostakowitsch schuf sein Werk aus unmittelbarem Erleben der deutschen Invasion und der Belagerung Leningrads. Schönbergs Komposition basiert auf den Berichten anderer.


März 1933: Joseph Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, bei einer Rede im Berliner Sportpalast vor zahlreichen Mikrofonen. (© picture-alliance, Keystone)

Wollt ihr den totalen Krieg? Der Lautsprecher und die Medialisierung der Stimme des Politikers


Gut zwei Wochen nach der Kapitulation der 6. Armee im Kessel von Stalingrad hielt der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels eine Rede im Berliner Sportpalast. Das Thema war die Treue zum "Führer" auch im Angesicht schwerster Katastrophen. Geladen waren überzeugte Anhänger des Regimes. In zehn rhetorischen Fragen fasste Goebbels sein Anliegen zusammen, stets unterbrochen von frenetischen Ja-Rufen. Nach der vierten Frage, der nach der Bereitschaft zum "totalen Krieg", wurde die Rede benannt. Diese Goebbels-Rede war nur dank einer Technik möglich, deren Entwicklung erst wenige Jahre zurücklag. 1926 hatte die riesige Halle eine Lautsprecheranlage erhalten. Goebbels sprach bzw. schrie bei seiner Rede im Februar 1943 jedoch noch so, wie er es seit seinen Anfängen gewohnt war. Dies bewirkte eine "unnatürliche" Steigerung der Stimme, die zum weiteren Auftrumpfen im medialen Bereich passte: zum Fahnenmeer, zu den Nazi-Emblemen, zum Aufmarsch mit Musik. Noch nach 1945 fielen Politiker der älteren Generation bei Reden vor Mikrofon mit dieser "Unnatürlichkeit" auf, sodass der Sozialdemokrat und ehemalige KZ-Häftling Kurt Schumacher englische Studenten an die Nazis erinnerte.


Freisler als Präsident des Volksgerichtshofs am Schreibtisch, um 1944 (© picture-alliance/dpa)

Freislers Stimme. Vernichtungsrhetorik vor dem Volksgerichtshof 1944


Unter allen Stimmen des "Dritten Reiches", die sich im öffentlichen Gedächtnis erhalten und eingebrannt haben, spielt neben Hitler und Goebbels sicher Roland Freisler die Hauptrolle. Der berüchtigte Strafrichter des Volksgerichtshofs, an dem zwischen 1934 und 1945 politische Justiz geübt wurde, fällte zwischen 1942 und 1945 rund 2.500 Todesurteile, darunter allein 104 gegen die Attentäter des 20. Juli 1944. An diesem Tag hatte der Offizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg eine Bombe im Führerhauptquartier gezündet; Hitler überlebte jedoch und ließ in den Monaten danach sämtliche Verschwörer gnadenlos verfolgen und in Schauprozessen verurteilen. Freisler stieg unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme zum Gerichtspräsidenten auf. In dieser Eigenschaft besuchte er den berüchtigten sowjetischen Kollegen Wyschinski bei dessen Schauprozessen in Moskau. Hatte man dort die Angeklagten in Vorverhören zu Geständnissen gezwungen, zog Freisler, eitel und sadistisch wie er war, peinigende Dialoge für die Öffentlichkeit vor. Die Verhandlung gegen Ulrich-Wilhelm Graf von Schwerin von Schwanenfeld, eine der zentralen Figuren des versuchten Staatsstreichs, gehörte zu den grausamsten.


Standort des Reichssenders Flensburg 1945; Alte Post, Flensburg, 2012 (Wikimedia, Soenke Rahn) Lizenz: cc by-nc-sa/3.0/de

Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen. Das Ende des Zweiten Weltkriegs im Radio


Mittwoch, 9. Mai 1945, 20:03 Uhr: Nachdem das bekannte Pausenzeichen des Reichssenders Berlin verklungen war, ertönte zwischen heftigen Rausch- und Knackgeräuschen folgende Durchsage aus den Rundfunkempfängern: "'Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen. Auf Befehl des Großadmirals hat die Wehrmacht den aussichtslos gewordenen Kampf eingestellt. Damit ist das fast sechsjährige heldenhafte Ringen zu Ende. Es hat uns große Siege, aber auch schwere Niederlagen gebracht. Die deutsche Wehrmacht ist am Ende einer gewaltigen Übermacht ehrenvoll unterlegen.‘ Wir brachten den Wortlaut des letzten Wehrmachtsberichts dieses Krieges." Obwohl diese Sätze damals nur einen begrenzten Hörerkreis erreichten, zählen sie heute zu den bedeutendsten akustischen Erinnerungsorten des 20. Jahrhunderts. Diese Sätze machten nicht nur Rundfunkgeschichte, sie begründeten zugleich eine der ­folgenschwersten Legenden des 20. Jahrhunderts: die von der "sauberen Wehrmacht". Vermutlich deshalb werden sie auf rechtsradikalen Feiern heute besonders gerne zitiert.

Fussnoten