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Homosexualität als Verbrechen? | "Call Me Kuchu" | bpb.de

"Call Me Kuchu" Homosexualität als Verbrechen? Trailer von "Call Me Kuchu" Interview mit Katherine Fairfax Wright und Malika Zouhali-Worrall Homosexualität im Film Homosexualität und Menschenrechte Links Redaktion

Homosexualität als Verbrechen? Der Dokumentarfilm "Call Me Kuchu" zeichnet ein bedrückendes Bild von der Diskriminierung sexueller Minderheiten in Uganda

Nana Adusei Poku

/ 5 Minuten zu lesen

In aufwühlenden Bildern vermittelt der Dokumentarfilm "Call Me Kuchu" von Katherine Fairfax Wright und Malika Zouhali-Worrall eine bedrückende Bestandsaufnahme vom Ringen der ugandischen LGBTI-Gemeinde um Gleichberechtigung und öffentliche Akzeptanz. Im Mittelpunkt steht das Wirken des homosexuellen Aktivisten David Kato, der während der Dreharbeiten ermordet wird.

    "Wir alle haben einen Anteil an diesem Problem." - Hans Ytterberg
    "Sie werden sagen, dass wir nicht hier sind. Aber wir sind hier." - David Kato

Filmplakat zu "Call Me Kuchu" (© Arsenal - Institut für Film und Videokunst)

In einer Nahaufnahme bewegen sich zwei geflügelte Insekten in einer Art Balztanz auf der Jeanshose eines Mannes. Eine Stimme verleiht in einem Off-Kommentar der Vermutung Ausdruck, dass es sich wohl um zwei Männchen handeln müsse – schließlich folgten bekanntermaßen nicht nur Frauen den Männern. In Uganda ist allerdings selbst Tieren eine solche Form des gleichgeschlechtlichen Begehrens untersagt – so zumindest will es der ugandische Ethik-Minister James Nsabo Butoro. In dessen Augen, so erläutert die Voice-over, handle es sich bei den beiden Insekten offensichtlich um "Kuchus" – ein Begriff, mit dem die Ugander Homosexuelle bezeichnen. In der ostafrikanischen Präsidialrepublik sehnen sich die rund 500.000 LGBTI-Personen (LGBTI: Lesbian, Gay, Bi-, Trans- and Intersexual; dt.: Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle) vergeblich nach gesellschaftlicher Akzeptanz. Die scheinbar unbeschwerte Äußerung über Insekten verweist folglich auf einen existentiellen Konflikt, der im Zentrum von Katherine Fairfax Wrights und Malika Zouhali-Worralls Dokumentarfilm "Call Me Kuchu" steht.

Die Stimme, die während der vorstehend geschilderten Szene direkt zu Beginn des Films ertönt, gehört Ugandas prominentestem LGBTI-Aktivisten David Kato, dem Protagonisten von "Call Me Kuchu". Seine einleitenden Worte sind eingebettet in eine private Zeremonie für ein schwules Paar, das seinen neunten Jahrestag im Kreise einiger enger Freunde feiert. Es wird gebetet und das beständige Glück des Paares mit einer Torte gefeiert. Die Atmosphäre wirkt entspannt und ausgelassen, doch die hohen, mit Glasscherben übersäten Mauern lassen erahnen, dass die Idylle trügt. Tatsächlich, so wird durch die Ausführungen eines weiteren Gastes namens Long Jones rasch klar, findet die Feier ganz bewusst im Schutz des Verborgenen statt, um jedwede Aufmerksamkeit zu vermeiden. Die Gründe lassen sich bereits in den ersten fünf Film-Minuten erschließen: Gezeigt werden Aufnahmen von christlichen Eiferern, die in aufgebrachtem Ton ihre Überzeugung verkünden, wonach sich die ugandische Gesellschaft entschlossen und mit Nachdruck gegen homosexuelle "Umtriebe" zur Wehr setzen solle. Mit distanziertem Blick dokumentiert der Film die Verquickung von Homophobie, Religion und staatlicher Gewalt und rückt dabei vor allem die Rolle anglikanischer Prediger in den Fokus. Deren unentwegte Hasstiraden an die Adresse der Kuchus wecken in der Bevölkerung des ostafrikanischen Staates große Ängste und befördern somit leider häufig Misstrauen, Unverständnis, Hass und Gewalt.

Die Idee zu "Call Me Kuchu" entstand aus einem aktuellen politischen Anlass, der auch in den internationalen Medien breites Echo fand. Im Jahr 2009 wurde ein durch den anglikanischen Abgeordneten David Bahati maßgeblich mitinitiiertes Gesetzesvorhaben zur Bekämpfung der Homosexualität ("Anti-Homosexuality Bill") ins ugandische Parlament eingebracht, das für die Betroffenen drastische Strafmaßnahmen bis hin zum Todesurteil vorsah. Aus diesem Grund reisten die beiden Filmemacherinnen Fairfax Wright und Zouhali-Worrall Anfang 2010 nach Uganda, um sich ein Bild von den dortigen Geschehnissen zu machen und ihre Eindrücke mit der Kamera festzuhalten. Die Kriminalisierung von Homosexuellen ist indes in Uganda kein neues Phänomen, sondern wurzelt schon in der britischen Kolonialzeit. Erst in Zusammenhang mit den jüngsten Entwicklungen ist allerdings in der Bevölkerung umgangssprachlich vom "Tötet-die-Homosexuellen-Gesetz" die Rede: Bahati und seine Mitstreiter plädieren dafür, dass Menschen, die HIV-positiv sind oder im Verdacht "schwerer Homosexualität" oder sexuellen Kindesmissbrauchs stehen, zu lebenslanger Haft oder sogar zum Tode verurteilt werden können. Zudem sollen Mitwissende zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt werden können, falls sie die Betroffenen nicht innerhalb von 24 Stunden bei der Polizei melden.

Fraglos konnten die beiden Filmemacherinnen nicht ahnen, dass der während des Drehs zum Protagonisten ihrer Dokumentation avancierte David Kato aufgrund seiner Homosexualität noch im selben Jahr durch Lynchjustiz brutal ermordet werden sollte – ein Umstand, der zu weltweiter Aufmerksamkeit, politischen Reaktionen sowie internationalen Sanktionen gegen das Land führte. Trotz dieser tragischen Wendung steht Kato, ein vom Schuldienst suspendierter ehemaliger Lehrer aus Kampala und nach eigenen Worten der erste geoutete Schwule Ugandas, im dramaturgischen Zentrum des Films. Es ist sein Kampfgeist, der zu einem erfolgreichen Gerichtsprozess gegen das populistische Magazin "Rolling Stone" führt, das schwule Männer und lesbische Frauen öffentlich gegen deren Willen outete und unverblümt zur Gewalt gegen sie aufrief. Es ist ebenfalls Katos Einsatz zu verdanken, dass sich die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) der Anliegen der ugandischen LGBTI-Gemeinschaft angenommen hat. Nach dem Mord an Kato dokumentiert "Call Me Kuchu" die Verzweiflung seiner Freunde und Weggefährten sowie die Schmerzlichkeit des Verlusts.

Indem er seinen Fokus auf die Diskriminierung sexueller Minderheiten in Afrika richtet, tritt der Film die Nachfolge von thematisch ähnlichen Produktionen wie Micheal Lebors "House of Rainbow" oder Zanele Muholis und Peter Goldsmids "Difficult Love" an, die beide im Jahr 2010 entstanden. Die dichte Erzählweise und die intimen Portraits der LGBTI-Aktivisten/innen erzeugen ein verstörendes Bild von der Situation der Kuchus, das durch die Inszenierung kaum emotionale Fluchtwege zulässt. Die Kamera fokussiert die interviewten Personen oft in Close-Ups und lässt das Publikum dadurch an ihrer emotionalen Betroffenheit Anteil nehmen. Musikuntermalung und Schnittfolge sind geprägt durch einen langsamen, unauffälligen Rhythmus und treten zugunsten der Protagonistinnen und Protagonisten in den Hintergrund. Dies ist nur konsequent: Das zentrale Anliegen des Films ist die Darstellung mutiger Menschen, die bereit sind, für ihre Rechte einzustehen – auch wenn sie dafür mit ihrem Leben bezahlen müssen. Zwischendurch dürfen die Zuschauenden mit ihnen lachen und feiern, doch die Realität holt sowohl die gezeigten Personen als auch das Publikum schnell wieder ein. Den Regisseurinnen ist es gelungen, keine Opferportraits zu zeichnen, sondern Menschen vorzustellen, die versuchen, ihren Platz in einem Land zu behaupten, das ihnen ihre Rechte, ja sogar ihre Existenzberechtigung abspricht. Durch ihren beharrlichen öffentlichen Kampf haben die Kuchus auf sich und die eklatanten Menschrechtsverstöße in Uganda aufmerksam gemacht und die dort herrschenden Zustände in den Fokus der internationalen Staatengemeinde gerückt.

"Call Me Kuchu" dokumentiert die Situation im ostafrikanischen Uganda und westliche Zuschauende, egal welcher sexuellen Orientierung, neigen möglicherweise dazu, das Problem als das der Menschen in Uganda oder gar des Afrikanischen Kontinents zu betrachten. Doch die Worte von Hans Ytterberg, dem Vorsitzenden des Europarat-Ausschusses gegen Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität, relativieren diese Haltung: "Niemand von uns kann sagen", so lautet seine Maxime, "dass er aus einem Land kommt, in dem diese Probleme der Menschenrechtsverletzung nicht mehr oder weniger häufig auftreten. Also haben wir alle einen Anteil daran." In gemilderter Form – das heißt unter Streichung der optionalen Todesstrafe – hat David Bahati im Februar 2012 das Anti-Homosexualitätsgesetz erneut im ugandischen Parlament zur Diskussion gestellt. Es bleibt ein langer Weg – und das nicht nur in Uganda.

Credits

"Call Me Kuchu"
USA, Uganda 2012

Kinostart: 20. September 2012
Verleih: Externer Link: arsenal distribution
Regie: Katherine Fairfax Wright, Malika Zouhali-Worrall
Drehbuch: Katherine Fairfax Wright, Malika Zouhali-Worrall
Mitwirkende: David Kato u. a.
Kamera: Katherine Fairfax Wright
Produktion: Malika Zouhali-Wright
Laufzeit: 90 min.
Format: 35mm, Farbe
FSK: ab 12 Jahre
Altersempfehlung: ab 16 Jahren

Fussnoten

Nana Adusei Poku, M.A., geboren 1981, ist Doktorandin am Graduiertenkolleg "Geschlecht als Wissenskategorie" der Humboldt-Universität zu Berlin und Dozentin im Bereich Mediale Künste an der ZHdK in Zürich/Schweiz.