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Christa Wolf | Frauenbewegung | bpb.de

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Christa Wolf

Mechthilde Vahsen

/ 6 Minuten zu lesen

Christa Wolf (1929) ist eine der bedeutendsten deutschen Schriftstellerinnen. Auch wenn sie selbst sich nicht als Feministin bezeichnet, haben ihre Werke die Frauenbewegungen in Ost- und West-Deutschland beeinflusst.

Christa Wolf (© Bundesarchiv, Bild 183-1989-1027-300, Foto: Rehfeld, Katja)

Christa Wolf zählt zu den wichtigsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre Bücher zu historischen Frauen wie Karoline von Günderrode oder zu mythischen Figuren wie Kassandra und Medea stießen in der Frauenbewegung Ost wie West in den 1980er und 1990er Jahren auf große Resonanz. Denn Christa Wolf thematisiert darin auch geschlechtsspezifische Unterdrückung und weibliche Identität – beides Themen, die im feministischen Diskurs eine wichtige Rolle spiel(t)en. Die Autorin arbeitet zwar fiktiv, vollführt aber auch sprachliche Suchbewegungen für eine geschlechtsspezifische Perspektive der jeweiligen Figur. Diese Suche, das "Ergründenwollen" von gesellschaftlichen Gegebenheiten mit dem weiblichen Blick machte die Bücher für Feministinnen so interessant. Die Autorin selbst hat sich nie als Feministin verstanden und sich auch nicht in einer feministischen Organisation engagiert.

"Aber ich habe immer, wenn ein Buch erschienen war, erlebt, wie das Publikum sich spaltete und wie mit der Zeit die Zahl der Leser größer wurde, die bereit war, sich auf meine Fragen einzulassen. Man braucht Erfahrungen und Geduld – auf allen Seiten.

Wenn man mich also heute kritisch fragt: Für wen schreiben Sie eigentlich? Dann sage ich: für Leser. Das heißt für Menschen, die Literatur als Instrument zur Erweiterung ihrer Erfahrung, ihrer Erkenntnisse brauchen. (...) Ich habe noch nirgends sonst ein so zahlreiches, anspruchsvolles, forderndes und auch dankbares Publikum angetroffen wie in der DDR." (Zitiert nach Böthig, Christa Wolf – Eine Biographie in Bildern und Texten, 2004, S. 132.)

Christa Wolf, geborene Ihlenfeld, wurde am 18. März 1929 in Landsberg an der Warthe geboren. Sie erlebte den Faschismus und den Zweiten Weltkrieg in dem kleinen Städtchen. Die Eltern, Otto und Hertha Ihlenfeld, betrieben ein Lebensmittelgeschäft. Die Familie flüchtete 1945 nach Mecklenburg und weiter nach Bad Frankenhausen. Hier machte die junge Frau Abitur und trat 1949 in die SED ein. Ihr Berufswunsch war Lehrerin, sie studierte zwischen 1949 und 1953 Germanistik in Jena und Leipzig. 1951 heiratete sie Gerhard Wolf, 1952 wurde die Tochter Annette geboren, Katrin folgte 1956.

1953 siedelte die Familie nach Berlin über. Hier wurde Christa Wolf wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Schriftstellerverband und lernte sehr viele antifaschistische, aus der Emigration zurückkehrende Autorinnen und Autoren kennen. Diese Begegnungen prägten sie entscheidend. Von 1955 bis 1977 war sie im Vorstand des Schriftstellerverbandes tätig. Es folgten rasch weitere berufliche Aufgaben: Als Cheflektorin des Verlags "Neues Leben" hatte sie eine verantwortungs- und anspruchsvolle Tätigkeit, für zwei Jahre war sie außerdem Redakteurin der renommierten Zeitschrift "Neue Deutsche Literatur". Später übernahm sie für den Mitteldeutschen Verlag in Halle das Lektorat.

Es kristallisierte sich aber immer stärker heraus, dass Christa Wolf nicht nur fremde Texte redigieren, sondern eigene literarische Texte schreiben wollte. 1961 debütierte sie mit der "Moskauer Novelle" – die Autorin Christa Wolf war geboren.

"Diese Sehnsucht, sich zu verdoppeln, sich ausgedrückt zu sehen, mehrere Leben in dieses eine schachteln, auf mehreren Plätzen der Welt gleichzeitig sein zu können – das ist, glaube ich, einer der mächtigsten und am wenigsten beachteten Antriebe zum Schreiben. " So äußerte sich die Autorin 1965 in dem Essay "Einiges über meine Arbeit als Schriftsteller". (Böthig, Christa Wolf – Eine Biographie in Bildern und Texten, 2004, S. 61)

In den umtriebigen 1960er Jahren – die Familie lebte mittlerweile in Kleinmachnow bei Potsdam – folgten weitere Bücher, die allesamt zu Bestsellern wurden ("Der geteilte Himmel" (1963), "Juninachmittag" (1967), "Nachdenken über Christa T." (1969). Christa Wolf verstand sich nicht als "Staatsdichterin", sondern verfolgte die Entwicklung der DDR kritisch, was ihre Bücher manchmal zum Politikum machte. Diese erschienen ebenfalls in der Bundesrepublik Deutschland und wurden in beiden Staaten unterschiedlich besprochen.

Die Autorin tauchte tief in die Literaturszene nicht nur der DDR ein, nahm an Schriftstellerkongressen und Reisen teil (Sowjetunion, Tschechoslowakei, Bundesrepublik Deutschland, Ungarn) und engagierte sich als Rednerin bei Plenumstreffen des Zentralkomitees der SED. Zusammen mit ihrem Mann setzte sie mehrere Filmprojekte um und erhielt erste Preise (z. B. 1963 den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR). Die zahlreichen Aktivitäten, das politische Engagement, das eigene Schreiben, die künstlerische Arbeit – bei all dem stellte sich Christa Wolf den politischen Entwicklungen, wie ihr Beitrag auf dem 11. Plenum zeigte. Ihre Überzeugung war, "daß Kunst nicht möglich ist ohne Wagnis, das heißt, daß die Kunst auch Fragen aufwirft und aufwerfen muß, die neu sind, die der Künstler zu sehen glaubt, auch solche, für die er noch nicht die Lösung sieht (...) daß die Kunst sowieso von Sonderfällen ausgeht und daß Kunst nach wie vor nicht darauf verzichten kann, subjektiv zu sein. " (Böthig, Christa Wolf – Eine Biographie in Bildern und Texten, 2004, S. 66)

Die zunehmende ideologische Einengung der Kunst in der DDR machte der überzeugten Sozialistin immer mehr zu schaffen. Die Zeit bis zum entscheidenden Jahr 1976 war daher geprägt von vielfältigen Aktivitäten. So reiste sie viel, ging auf Lesereisen nach Schweden und in die BRD, nahm als P.E.N.-Mitglied an Tagungen teil und war 1974 "Writer in Residence" in Ohio, USA. Es erschienen der Essayband "Lesen und Schreiben", die Erzählungen "Unter den Linden" und der Roman "Kindheitsmuster". Christa Wolfs künstlerisches Konzept der subjektiven Authentizität traf hier auf die politischen Suchbewegungen der 1970er Jahre in beiden deutschen Staaten. 1973 äußert sie sich in einem Gespräch mit Hans Kaufmann über ihr Schreiben:

Zitat

Nützlicher scheint es mir, das Schreiben nicht von seinen Endprodukten her zu sehen, sondern als einen Vorgang, der das Leben unaufhörlich begleitet, es mitbestimmt, zu deuten sucht; als Möglichkeit, intensiver in der Welt zu sein, als Steigerung und Konzentration von Denken, Sprechen, Handeln.

Böthig, Christa Wolf – Eine Biographie in Bildern und Texten, 2004, S. 94

Mit der so genannten Biermann-Affäre änderte sich das Leben der Familie Wolf. Wolf Biermann wurde während einer Reise in die BRD 1976 aus der DDR ausgebürgert. Christa und Gerhard Wolf und viele andere Künstlerinnen und Künstler der DDR protestierten gegen diese Ausbürgerung. Gerhard Wolf wurde aus der SED ausgeschlossen, Christa Wolf wurde gerügt, die seit 1965 stattfindende Überwachung der Familie drastisch verstärkt. Ein Jahr später verließ die resignierte Autorin den Vorstand des Schriftstellerverbandes der DDR.

Dieser Bruch wirkte lange nach und führte Christa Wolf in ihrem Schreiben zurück in die Geschichte, zuerst zum "Projektionsraum Romantik", dann weiter in die antiken Mythen und zu zentralen Frauengestalten der Antike wie Kassandra und Medea. In dem Essayband "Ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht. Projektionsraum Romantik" aus dem Jahr 1985 erklärt sie die Gründe für diese Suche:

Zitat

Wo hat sie eigentlich angefangen, diese entsetzliche Gespaltenheit der Menschen und der Gesellschaft? (...) Gleichzeitig wird damit auch das weibliche Element aus der Gesellschaft herausgedrängt; das ist ein Prozeß, der aber schon viel früher angefangen hat. (...) Dieses ins Extrem getriebene Zum-Außenseiter-gemacht-Werden, das, was ich an mir existentiell erfuhr: das wollte ich befragen, natürlich auch, um mich davon distanzieren zu können.

Böthig, Christa Wolf – Eine Biographie in Bildern und Texten, 2004, S. 112

Diese intensive Arbeit an gesellschaftlichen Fragestellungen mündete in mehrere Romane und Essaybände, die Christa Wolf endgültig als bedeutende Autorin etablierten. "Kein Ort. Nirgends" (1979), "Karoline von Günderrode. Der Schatten eines Traumes" (1979), "Kassandra" (1983), "Die Dimension des Autors" (1986) und als Nachklang "Medea" (1996) lösten Diskussionen aus und erfuhren eine breite internationale Rezeption. Zahlreiche Lesereisen, die wichtigsten Literaturpreise, Mitgliedschaften in den Akademien folgten, es blieb kaum Zeit für private Dinge.

1989 kam der nächste radikale Einschnitt: Mit dem Ende der DDR und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten änderte sich erneut alles. Christa Wolf reagierte wieder mit einem Buch und veröffentlichte "Was bleibt", bereits 1979 geschrieben. Darin geht es um eine Schriftstellerin, die der Überwachung durch die Staatssicherheit ausgesetzt ist. In den westdeutschen Medien wurde sie daraufhin zum Exempel gemacht für eine DDR-Literatur, mit der nun – nach dem Scheitern des Sozialismus – abgerechnet wurde. Dies überschnitt sich mit der Information, dass Christa Wolf von 1959 bis 1962 als "IM Margarete" bei der Staatssicherheit vermerkt war. Die Autorin reagierte, indem sie ihre Akte als Buch herausgab, was jedoch kaum zur Kenntnis genommen wurde. Die Angriffe gegen sie in diesem so genannten "Literaturstreit" erwiesen sich als haltlos und gerieten zur Polemik gegen das Staatssystem DDR und alles, was diesen Staat ausgemacht hatte: seine Geschichte und Geschichtsdeutung, Kunst und Literatur.

Christa Wolf ließ sich dadurch nicht entmutigen. Sie schrieb weiter, mischte sich politisch ein und natürlich veröffentlichte sie auch weiterhin, u. a. die Briefwechsel mit Anna Seghers, Brigitte Reimann und Franz Fühmann. Ein wichtiges Buch wurde "Ein Tag im Jahr. 1960-2000" (2003), außerdem Essays und Reden der 1990er Jahre, sowie die Erzählung "Leibhaftig" (2002). Christa Wolf starb am 1. Dezember 2011 in Berlin.

"Wenn ich spüre, daß das Schreiben blockiert ist, weiß ich aus Erfahrung, daß ich nicht genügend an mich herangegangen bin. Daß ich nicht genügend offen zu mir selber bin. Daß ich diese Widerstände zu sehr respektiere und zu wenig dagegen angehe. " (Koelbl, Im Schreiben zu Haus, 1998, S. 241)

Quellen / Literatur

Herlinde Koelbl: Im Schreiben zu Haus. Wie Schriftsteller zu Werke gehen. Fotografien und Gespräche. München, Knesebeck 1998.

Peter Böthig (Hg.): Christa Wolf – Eine Biographie in Bildern und Texten. München, Luchterhand 2004.

Jörg Magenau: Christa Wolf – Eine Biographie. Berlin, Kindler 2002.

Sonja Hilzinger: Christa Wolf. Leben, Werk, Wirkung. Frankfurt/Main, Suhrkamp 2007.

Fussnoten

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