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"Ich wollte eine humanistische Perspektive entwickeln" | "Bad o meh - Wind und Nebel" | bpb.de

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"Ich wollte eine humanistische Perspektive entwickeln" Ein Gespräch mit Mohammad Ali Talebi, dem Regisseur des Films "Bad o meh - Wind und Nebel".

Ula Brunner

/ 6 Minuten zu lesen

In einem Gespräch für die bpb spricht der Regisseur von "Bad o meh - Wind und Nebel" über die Gründe, in seinem Film die sozialen Aspekte des Krieges aufzuzeigen, und er verrät, warum er dafür die Form des Kinderfilms gewählt hat. Auch die Frage der Filmzensur bleibt nicht unangesprochen.

"Herr Talebi, seit Beginn Ihrer Filmkarriere haben Sie vor allem Kinder- und Jugendfilme gedreht. Was interessiert Sie an diesem Genre?

Mohammad Ali Talebi (© Arsenal - Institut für Film und Videokunst e. V.)

Mohammad Ali Talebi: Ich habe schon während meines Filmstudiums in Teheran für Kanun, ein Institut, das die intellektuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen fördert, Kurzfilme gedreht. Damit wurde eigentlich der Grundstein gelegt, mich dann als professioneller Filmemacher mit Heranwachsenden zu beschäftigen. Ein weiterer Grund war sicher, dass ich selbst als Kind zu Hause und in der Schule viele Probleme hatte und Gewalt erfahren habe. Ich habe lange nach einem Mittel gesucht, meine Emotionen auszudrücken, zuerst mit Gedichten, später mit Filmen.


Ihr aktueller Film spielt während des Iran-Irak-Kriegs, den Sie in Teheran miterlebten. Spiegeln sich in "Bad o meh - Wind und Nebel" autobiografische Erlebnisse wider?

Mohammad Ali Talebi: Teheran wurde während des Kriegs ständig bombardiert, Häuser wurden zerstört, Menschen getötet. Nach Kriegsende waren Tausende obdachlos, verzweifelt, ohne Hoffnung und ihrer Existenz beraubt. Viele mussten sich einen neuen Lebensort im Iran suchen. Häufig wurden Kinder in andere Teile des Landes verschickt. Solche grundlegenden Erfahrungen habe ich in "Bad o meh - Wind und Nebel" aufgegriffen.

Der Iran-Irak-Krieg ist ein wichtiger Topos in iranischen Filmen. Auf welche Weise eröffnet "Bad o meh - Wind und Nebel" einen neuen thematischen oder cineastischen Zugang?

Mohammad Ali Talebi: Es gibt zwar viele Filme über das Thema, aber sie sind häufig propagandistisch und beschäftigen sich kaum mit den sozialen Aspekten des Krieges. Mein Film verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie "Iwanowo detstwo" [Iwans Kindheit, Anm. d.Red.] von Andrei Tarkowski. Aus der Sicht seines Protagonisten, des 12-jährigen Jungen Iwan, setzt sich Tarkowski mit dem Zweiten Weltkrieg in Russland auseinander. Aber er tut dies vorwiegend auf eine symbolische und poetische Weise, und das unterscheidet ihn von thematisch vergleichbaren Filmen. Ähnlich ist es auch mit "Bad o meh - Wind und Nebel". Mir war es wichtig, den Krieg nicht unter einem politischen oder gar propagandistischen Blickwinkel zu betrachten. Ich wollte eine humanistische Perspektive entwickeln.

Was hat Sie speziell an der Geschichte eines traumatisierten Jungen interessiert?

Mohammad Ali Talebi: Es hat mich immer schon geärgert, dass kaum Filme über die wahren Opfer des Krieges, nämlich die Kinder und Frauen, gedreht wurden. Man klammert völlig aus, was mit der nächsten Generation geschieht, welche Folgen der Krieg für sie hat. Bei den aktuellen Ereignissen in Libyen erhalten wir unzählige Informationen über die politische Lage. Doch darüber, was den Kindern und den Frauen widerfährt, jenen Teilen der Gesellschaft, die wenig Einfluss und keine Macht haben, erfahren wir nichts.

Richtet sich "Bad o meh - Wind und Nebel" primär an Heranwachsende oder an Erwachsene?

Mohammad Ali Talebi: Diese Diskussion führt man im Iran über alle meine Filme [lacht]. Mein Ziel ist es, dass sich Erwachsene und Kinder gemeinsam mit "Bad o meh - Wind und Nebel" auseinandersetzen. Das ist im Übrigen auch während der Berlinale geschehen, wo er in der Sektion "Generation" gezeigt wurde. Ich habe nichts gegen lustige und fantasievolle Kinderfilme. Doch Filme sollten auch einen gewissen pädagogischen Anspruch besitzen, indem sie Kinder emotional auf das Leben vorbereiten.

Ihr Film erzählt eine Geschichte, die einerseits tief in der iranischen Geschichte und Kultur verwurzelt ist, zugleich aber als universelle Parabel antagonistische Themen wie Einsamkeit, Trauer, Tod, aber auch Freundschaft, Heilung und den Willen zu Leben reflektiert.

Mohammad Ali Talebi: Ich fand es gerade interessant, solche Paradoxien und Ambivalenzen anzusprechen. Dies findet sich auch im Filmtitel wieder: "Bad o Meh" heißt übersetzt "Wind und Nebel" – und das sind Naturzustände, die nicht gleichzeitig existieren können. Wo es Wind gibt, kann es keinen Nebel geben und umgekehrt. Aber aus solchen Paradoxien besteht unser Leben: Trauer, Fröhlichkeit und Tod sind immer gegenwärtig.

Ihre Filme aus den Neunzigerjahren, beispielsweise "Chakmeh" von 1992, beeindrucken durch einen nüchternen, neorealistischen Stil. "Bad o meh - Wind und Nebel" hingegen ist geprägt von einer poetischen und symbolhaften Filmsprache. Ist die Hinwendung zu einer bildhaften Erzählweise auch ein Mittel, die Zensur zu unterwandern?

Mohammad Ali Talebi: Iranische Künstler werden zurzeit vom System stark unter Druck gesetzt. Ich habe in der Tat befürchtet, dass "Bad o meh - Wind und Nebel" zensiert wird und deswegen auf Symbole – wie die verwundete Gans – zurückgegriffen, um beispielsweise das Thema "Krieg" kritisch zu hinterfragen. Die Gans verkörpert Frieden und Mütterlichkeit. Mütterlichkeit wiederum ist eng verbunden mit dem eigenen Heimatland. Diese Heimat trägt eine tiefe Wunde, die nicht heilt. Ähnlich fügt jeder Krieg einem Land dauerhaft Schaden zu. Ebenfalls symbolisch aufgeladen ist die Arbeit des Vaters in der Ölraffinerie. Der Iran-Irak-Krieg wurde ja meiner Meinung nach nur wegen des Öls geführt. Auch die heutige politische Situation im Mittleren Osten basiert auf dem Kampf um das Öl.

Wegen seiner regimekritischen Haltung und Äußerungen erhielt Ihr Regiekollege Jafar Panahi unter anderem ein Berufsverbot von 20 Jahren, darf keine Interviews geben oder ins Ausland reisen. Wie ist die Stimmung unter den Künstlerinnen und Künstlern im Iran?

Mohammad Ali Talebi: Ich habe Panahi kürzlich getroffen, seine Situation ist sehr schwierig, es ist völlig unsicher, was jetzt mit ihm geschieht. Wir sind alle betroffen, es beschäftigt uns ständig. Für uns ist es unvorstellbar und natürlich bedrohlich, dass er keine Filme machen darf, dass man ihm seine Arbeit und seine gesamte Existenz weggenommen hat.

Die Berlinale 2011 stand im Zeichen der Solidarität mit Jafar Panahi. Obwohl sein Stuhl in der Wettbewerbsjury wegen seines Ausreiseverbots leer bleiben musste, wurden seine Werke in allen Sektionen gezeigt. Auch durch den Goldenen Bären für Ashgar Farhadis " Jodaeiye Nader az Simin", aber auch den Cinema-fairbindet-Preis für "Bad o meh - Wind und Nebel" rückte der iranische Film verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Wie waren die Reaktionen in Ihrer Heimat?

Mohammad Ali Talebi: Als ich nach Teheran zurückkehrte, wurde ich ablehnend und kalt empfangen. Gerade weil die Berlinale Panahi unterstützt hatte, gab es nun ein grundsätzliches Problem mit allen iranischen Filmen, die dort liefen. Natürlich finde ich es toll, dass die Berlinale hinter Panahi stand. Aber es ist traurig, dass Filmemachern wie mir die Arbeit erschwert wird. Ashgar Farhadi hatte es relativ leicht, weil er den Goldenen Bären gewann. Mein Produzent jedoch will nie mehr mit mir einen Film machen. Ich habe Angst, dass ich in den nächsten Jahren keine Filme drehen darf. Aber ich versuche, weiterzuarbeiten und vielleicht auch im Ausland zu drehen, um diese Zeitspanne zu überbrücken. In den 30 Jahren, in denen ich im Iran arbeite, gab es immer wieder Phasen, in denen ich ohne Arbeit war. 2001, nach meinem Film "Du bist frei" über Kinder in einer staatlichen Erziehungsanstalt, durfte ich fünf Jahre lang nicht arbeiten. Es gab kein offizielles Arbeitsverbot, aber alles, was ich anbot, wurde einfach abgelehnt.

Wie ist die aktuelle Situation des Kinder- und Jugendfilms im Iran?

Mohammad Ali Talebi: In den Neunzigerjahren gab es eine Goldene Ära des iranischen Kinder- und Jugendfilms, mit vielen Auszeichnungen auf internationalen Festivals. In dieser Zeit arbeiteten Filmemacher, Künstler und staatliche Institutionen eng zusammen. Doch das ist seit mehr als acht Jahren vorbei. Außer mir sind vielleicht zwei oder drei Filmemacher dem Genre treu geblieben. Die Produktionsbedingungen sind schwierig, und noch schwieriger ist es, für die Filme dann auch eine Kinoauswertung zu erhalten. Der Markt ist überfüllt mit kommerziellen Produkten, und es gibt keine Nische für ein alternatives Kino. Nicht nur "Bad o meh - Wind und Nebel", auch Filme von Panahi wurden im Iran nicht gezeigt. Ashgar Farhadi hatte Glück mit "Jodaeiye Nader az Simin" [dt. Verleihtitel: "Nader und Simin – eine Trennung", Anm. d. Red], weil er den Goldenen Bären gewann und weil seine Schauspieler im Iran Superstars sind.

Was ist Ihr nächstes Filmprojekt?

Mohammad Ali Talebi: Vor 10 Jahren besuchte ich in Deutschland die Friedensdorf-Initiative in der Nähe von Oberhausen. Dort werden Kinder, die im Krieg verwundet oder traumatisiert wurden, therapiert. Ich hatte schon damals den Wunsch, darüber einen Film zu machen. Jetzt möchte ich dieses Projekt umsetzen und ein Porträt über ein irakisch-türkisches Mädchen drehen, das in diesem Dorf lebt. Ich bin schon mit einem deutschen Produzenten in Kontakt und hoffe sehr, dass es klappt. Dann habe ich größere inhaltliche Freiheiten und kann auch auf internationaler Ebene Kritik äußern.


Interview: Ula Brunner, 22.09.2011

Fussnoten

Ula Brunner ist Filmwissenschaftlerin und Publizistin (M.A.), leitet die externe Redaktion von kinofenster.de und arbeitet unter anderem auch als Portalredakteurin beim rbb/Rundfunk Berlin Brandenburg. Sie ist außerdem Autorin von Online-, Print-, Fernseh- und Hörfunkbeiträgen mit den Schwerpunkten Film, Kultur und Soziales.