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Voraussetzungen für Einwanderung und Integration in der Türkei | bpb.de

Voraussetzungen für Einwanderung und Integration in der Türkei

Vera Hanewinkel

/ 4 Minuten zu lesen

Rechtlich ermöglicht wird die Einwanderung hochqualifizierter Türkeistämmiger vor allem durch die Option, als ehemalige türkische Staatsbürger oder deren Nachfahren eine sogenannte Mavi Kart (blaue Karte) beantragen zu können.

Straßenszene in Istanbul: Manche deutschsprachige (Re)MigrantInnen arbeiten in der Türkei in deutschen Kultur- und Bildungsinstitutionen oder haben eine Anstellung in der türkischen Niederlassung eines deutschen Unternehmens. (© picture alliance/dpa-Zentralbild )

Diese räumt ihnen weitreichende Rechte ein, wie beispielsweise das Recht auf Aufenthalt, Berufsausübung oder das Recht auf den Erwerb von Immobilien, ohne die für Ausländer geltenden Beschränkungen. Inhaber der Mavi Kart sind also weitestgehend türkischen Staatsbürgern gleichgestellt. Einschränkungen bestehen lediglich hinsichtlich des Wahlrechts und des Rechts, öffentliche Ämter zu bekleiden. Diese Rechte sind ausschließlich türkischen Staatsangehörigen vorbehalten. Mavi Kart und deutsche Staatsangehörigkeit erleichtern eine transnationale Lebensführung, da sie das Pendeln zwischen Deutschland und der Türkei uneingeschränkt ermöglichen.

Die Mavi Kart-Regelungen erleichtern eine (strukturelle ) Integration in der Türkei, garantieren sie aber nicht. So wird beispielsweise die Anerkennung bestimmter im Ausland erworbener Qualifikationen nicht gewährleistet. Deren Anerkennung liegt in der Verantwortung des Türkischen Hochschulrates (YÖK = Yüksek Öğretim Kurulu), der die Anerkennung von Bildungstiteln, die nicht an einer türkischen Hochschule erworben wurden, an Auflagen binden und beispielsweise eine Nachqualifikation in Form eines Ausgleichsstudiums an einer türkischen Hochschule oder das Ablegen einer Angleichungsprüfung fordern kann. Hochqualifizierte Türkeistämmige mit einem an einer deutschen Universität erworbenen Diplom sind also grundsätzlich derselben Gefahr einer Nicht-Anerkennung ihrer Bildungsabschlüsse ausgesetzt wie Zuwanderer ohne türkische Herkunft. Ergebnisse aus der Migrationsforschung weisen darauf hin, dass die Nicht-Anerkennung von im Heimatland erworbenen Qualifikationen dazu führt, dass Hochqualifizierte im Zuwanderungsland häufig in niedrig qualifizierten Beschäftigungsverhältnissen stehen.

Die Anerkennung des erworbenen institutionellen Kulturkapitals (Bourdieu) stellt also einen kritischen Moment in der Migration dar, von dem spätere Integrationsverläufe abhängen, da sie die Möglichkeiten der Platzierung auf dem Arbeitsmarkt im Zielland prägt. Hochqualifizierte Türkeistämmige entwickeln Strategien, um eine Entwertung ihrer in Deutschland erworbenen Bildungsabschlüsse zu vermeiden und sich erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt in der Türkei zu platzieren. Die Mehrzahl der von Hanewinkel befragten zwölf hochqualifizierten weiblichen (Re-)Migrantinnen übt Berufe aus, in denen sie vor allem ihre Kenntnisse der deutschen Sprache zur Geltung bringen können. Sie arbeiten in Istanbul in deutschen Kultur- und Bildungsinstitutionen wie dem Goethe-Institut und der Deutschen Schule, haben eine Anstellung in der türkischen Niederlassung eines deutschen Unternehmens oder arbeiten in engem Kontakt mit diesen. Ihre deutschen Hochschulabschlüsse, ihre Kenntnisse der deutschen und der türkischen Sprache sowie ihre Sozialisation in zwei "Kulturen" können sie hier erfolgreich einbringen. Gleichzeitig geben sie an, in den deutschen Unternehmen auch die "deutsche Arbeitseinstellung" zu finden.

Demgegenüber fällt vor allem der Einstieg in ein türkisches Unternehmen oft nicht leicht. Die Anpassung an Arbeitsabläufe und Arbeitsprozesse fordert Zeit und Energie. Beklagt werden sowohl ausgeprägte Hierarchien als auch das Konkurrenzdenken unter Kolleginnen und Kollegen. Die Befragten von Aydın/Pusch (2011) und Hanewinkel (2010) vermissen darüber hinaus (stereotype) "deutsche Tugenden" wie Pünktlichkeit, Ordnung und klare Strukturen. Einige Befragte fühlen sich in der Türkei als Fremde. Sie machen häufig die Erfahrung, dass sie nicht, wie in zahlreichen Medienberichten signalisiert , mit offenen Armen empfangen werden. Auch Gehälter, Tätigkeitsfelder oder Arbeitszeiten entsprechen oft nicht den Erwartungen. Idealisierte Türkeibilder aus Kindheit und Jugend halten der Realität nicht stand. Die türkeistämmigen Migranten aus Deutschland werden in der Türkei als almancılar (Deutschländer) bezeichnet, ein Begriff, der eher negativ konnotiert ist und auf Vorurteile verweist.

All diese Faktoren können dazu führen, dass der Aufenthalt in der Türkei nur vorübergehend ist und eine Rückkehr nach Deutschland oder die Migration in ein anderes Land erfolgt. Angedeutet wird hier bereits, dass es sich bei der Abwanderung hochqualifizierter Türkeistämmiger aus Deutschland nicht zwangsläufig um einen Brain Drain handelt – wie die Medienberichterstattung immer wieder nahelegt. Stattdessen weist eine allgemeine Rückkehrbereitschaft bzw. eine bereits tatsächlich erfolgte Rückkehr nach Deutschland auf das Phänomen der Brain Circulation hin. Auch die Tatsache, dass viele der Abwanderer in der Türkei in deutschen Unternehmen oder Organisationen arbeiten, deutet darauf hin, dass sie der deutschen Wirtschaft weiterhin zur Verfügung stehen. Allgemein fällt auf, dass die Abwanderer weiterhin aktiv Kontakt zu Deutschland pflegen – durch Freundschaftsnetzwerke, regelmäßige Familienbesuche, über ihre Arbeitsstelle oder auch über deutsch-türkische Austauschplattformen wie den "Rückkehrerstammtisch" in Istanbul. Dieser bringt einmal im Monat (hochqualifizierte) türkeistämmige Abwanderer aus Deutschland zusammen, die alle die Erfahrung teilen, einen großen Teil ihres Lebens in Deutschland verbracht zu haben.

Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: "Die Abwanderung hochqualifizierter türkeistämmiger deutscher Staatsangehöriger in die Türkei".

Fussnoten

Fußnoten

  1. Deutsche Botschaft Ankara: http://www.ankara.diplo.de (Zugriff: 1.2.2012).

  2. Strukturelle Integration wird hier als eine Platzierung auf dem Arbeitsmarkt verstanden.

  3. Vgl. Nohl et al. (2006).

  4. Vgl. z.B. Gottschlich (2010), Jacobsen (2009), Steinvorth (2010).

  5. Aydın/Pusch (2011, S. 34).

  6. Ausdruck finden Erfahrungen von Fremdheit und fehlender Zugehörigkeit in dem Sprichwort: Almanya'da yabancı, Türkiye'de almancı./In Deutschland Ausländer, in der Türkei Deutschländer.

  7. Vgl. z.B. Goeßmann (2008), Wierth (2009).

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Vera Hanewinkel für bpb.de

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Vera Hanewinkel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück und Redakteurin bei focus Migration.
E-Mail Link: vera.hanewinkel@uni-osnabrueck.de