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Spanien | bpb.de

Spanien Zuwanderung in Zeiten des Wirtschaftsbooms

Beatriz Gónzalez-Martín

/ 8 Minuten zu lesen

Zwischen 1996 und 2007 erlebte Spanien eine der längsten Phasen wirtschaftlichen Wachstums in seiner jüngeren Geschichte. Das Merkmal, das diese Phase der Prosperität dominierte, war der hohe Anstieg der Zahl neuer Arbeitsplätze. Im dritten Quartal des Jahres 2007 erreichte Spanien mit 20,5 Millionen Beschäftigten einen historischen Höchststand (EPA 2012).

Juni 2012: Schlange vor einem Arbeitsamt in Madrid. (© picture-alliance/dpa)

Dieses große Arbeitsplatzangebot war einer der Hauptanziehungsfaktoren für Zuwanderer. Der Anteil der ausländischen Bevölkerung an Spaniens Gesamtbevölkerung, der 1998 bei nur 1,6% gelegen hatte, wuchs bis 2007 auf mehr als 10% an. 2007 war mit 920.534 Zuzügen das Jahr mit der höchsten Zuzugszahl. 40,6% dieser Zuwanderer stammten aus einem europäischen Land, der Großteil (37,5%) aus einem EU-Mitgliedstaat.

Zuwanderung aus Europa

In Bezug auf die Zuwanderung aus Europa kann zwischen verschiedenen Zuwanderergruppen unterschieden werden: Zum einen gibt es die traditionelle Einwanderung aus der EU-15, insbesondere aus Deutschland, dem Vereinigten Königreich und Frankreich, die bis 2007 kontinuierlich zunahm.

Zum anderen erfolgt die Zuwanderung auch aus den Staaten, die 2004 der EU beitraten. Aus diesen Ländern kamen allerdings nur wenige Zuwanderer nach Spanien. Nur Polen stach mit mehr als 15.000 Zuwanderern 2007 hervor. Damit lag die Zuwanderung aus Polen deutlich unter der polnischen Zuwanderung in anderen Ländern Europas (vgl. die Beiträge von Breford).

Darüber hinaus spielen seit dem Beginn der oben beschriebenen Wirtschaftswachstumsphase (1996-2007) Bulgarien und Rumänien eine zunehmend wichtige Rolle für die Zuwanderung nach Spanien. Beide Länder profitierten von bilateralen Zuwanderungsabkommen in den Jahren 2004 (mit Bulgarien) und 2002 (mit Rumänien) sowie ihrem EU-Beitritt 2007. Seit 2004 stellen Rumänen die größte Zuwanderergruppe in Spanien. Die rumänische Zuwanderung erreichte 2007 mit 174.000 Neuzuwanderern ihren Höhepunkt.

Schließlich sind auch noch die Zuwanderer aus den europäischen Ländern zu nennen, die nicht zur EU gehören (vor allem aus der Ukraine und aus Russland). Die Zuwanderung aus diesen Ländern hält sich jedoch auf einem niedrigen Niveau.

Außereuropäische Zuwanderung

Entwicklung der Zuwanderung nach wichtigen Herkunftsgebieten (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Außerhalb Europas sind vor allem die lateinamerikanischen Staaten Ecuador, Kolumbien, Argentinien und Bolivien wichtige Herkunftsländer von Zuwanderern. Ihr Anteil an der Zuwanderung nach Spanien nimmt aber seit 2004 zugunsten der europäischen Zuwanderung ab. Das Hauptherkunftsland von Zuwanderern aus Afrika ist Marokko. Von dort kamen allein 2007 mehr als 70.000 Personen nach Spanien. In Bezug auf Asien und Ozeanien hebt sich nur die Zuwanderung aus China und Pakistan hervor, die von der aktuellen Krise unbeeinflusst blieb.

Der große Zustrom der zumeist jungen und im Allgemeinen gering qualifizierten oder mit wenig Erfahrung auf dem spanischen Arbeitsmarkt ausgestatteten Zuwanderer ermöglichte die Beschäftigungsexpansion in Sektoren wie der Landwirtschaft, dem Hotelgewerbe, Haushaltsdienstleistungen und vor allem dem Baugewerbe, wo sich ein Mangel an einheimischen Arbeitskräften bemerkbar machte und wo ein Großteil der Migranten, die nach Spanien kamen, eine Beschäftigung fand.

Die Wirtschaftskrise und ihre Folgen

Seit 2006 kam es zu starken Einbrüchen im Immobiliensektor, der einer der Hauptmotoren des spanischen Wirtschaftswachstums gewesen war. Auch die im Sommer 2007 mit dem Platzen der Immobilienblase in den USA einsetzende globale Wirtschaftskrise wirkte sich negativ auf Spaniens Wirtschaftsleistung aus. Im zweiten Quartal 2008 trat Spaniens Wirtschaft in eine Phase der Rezession ein. Zwar deutete sich im Jahr 2010 eine leichte Verbesserung der Situation an, im letzten Quartal 2011 fiel Spanien jedoch in eine Rezession zurück, die sich bis heute fortsetzt. Eine der schwerwiegendsten Folgen der Wirtschaftskrise ist der massenhafte Abbau von Arbeitsplätzen in den letzten Jahren. Die Arbeitslosigkeit ist eines der grundlegenden Probleme, die die Erholung der spanischen Wirtschaft beeinflussen: Die steigende Arbeitslosigkeit führt zu einer zunehmenden Belastung des sozialen Sicherungssystems, da einerseits die Zahl der Beitragszahler und die Steuereinnahmen sinken, andererseits aber die Zahl der Empfänger staatlicher Unterstützungsleistungen zunimmt.

Die Arbeitslosenzahlen nehmen historische Ausmaße an. Im dritten Quartal 2012 gab es mehr als 5.778.000 Arbeitslose, davon waren rund 1.200.000 ausländische Staatsbürger. Die Arbeitslosigkeit ist besonders in der jungen Bevölkerung gravierend. 44% der arbeitslosen Spanier sind zwischen 16 und 34 Jahre alt, unter den arbeitslosen Ausländern sind es in dieser Altersgruppe mehr als 46%.

Die Zuwanderer sind von der Krise noch weit stärker betroffen als die Einheimischen. Im dritten Quartal 2012 lag die Arbeitslosenquote in der ausländischen Bevölkerung bei 34,8% gegenüber 23,3% in der spanischen Bevölkerung. Besonders betroffen sind Drittstaatsangehörige, deren Arbeitslosenquote (34,6%) über derjenigen von EU-Bürgern liegt (28,9%).

Sinkende Zuwanderung

Die Beschäftigungssituation in Spanien wirkt sich auf die Migrationssituation aus. Sie bewirkt, dass die Zuwanderung sinkt und sich Migranten, die bereits in Spanien leben, dazu entschließen, in ein anderes Land weiterzuwandern oder in ihre Heimatländer zurückzukehren. Zwischen 2007 und 2011 verließen mehr als 1,5 Millionen Personen das Land, darunter 1,3 Millionen Ausländer (EVR, INE, 2012). Die um die Hälfte zurückgegangene Zahl der Zuzüge und der kontinuierliche Anstieg der Fortzüge (Anstieg um 63% zwischen 2007 und 2011), haben dazu geführt, dass sich der Wanderungssaldo aktuell im negativen Bereich befindet. 2011 verließen 50.000 Personen mehr das Land als im selben Zeitraum aus dem Ausland zuwanderten. Jüngste Zahlen, die bis September 2012 veröffentlicht wurden, zeigen, dass sich diese Zahl auf 138.000 mehr als verdoppelt hat. Nichtsdestotrotz hält die Zuwanderung nach Spanien weiter an, wenn auch auf einem niedrigeren Niveau. Kamen 2008 noch 690.000 Zuwanderer nach Spanien, so hat sich diese Zahl bis heute auf einen Jahresdurchschnitt von 400.000 verringert. Dies deutet darauf hin, dass sich die Migrationsströme an die neue Situation in Spanien anpassen.

Migrationspolitische Veränderungen

Die Auswirkungen der Krise beeinflussen auch die Migrationspolitik. Die sozialistische Regierung erließ im Jahr 2008 eine Verordnung mit dem Titel "Plan für eine freiwillige Rückkehr" (Plan para el retorno voluntario), die Einwanderer dazu animieren sollte, in ihre Heimatländer zurückzukehren. Sie erlaubt ihnen, weiterhin eine Arbeitslosenunterstützung zu erhalten, wenn sie in ihr Heimatland zurückkehren und sich verpflichten, in den drei darauffolgenden Jahren nicht erneut nach Spanien einzureisen.

Nach dem Machtwechsel 2012 veranlasste die spanische Volkspartei (Partido Popular - PP) zwei Änderungen des Ausländerrechts (Ley de Extranjería). Mit der ersten Änderung erschwerten sich für Einwanderer die Voraussetzungen für eine Anmeldung im Einwohnermelderegister. Die Eintragung im Melderegister ist jedoch eine unerlässliche Voraussetzung für die Zuweisung einer Krankenkassenkarte. Getarnt als Sparmaßnahme, limitierte die PP somit den Zugang von irregulären Zuwanderern zum öffentlichen Gesundheitswesen.

Mit einer zweiten Gesetzesänderung wurde irregulären Migranten die Möglichkeit entzogen, sich auf ihre soziale Verwurzelung (arraigo social) berufen zu können, um einen legalen Aufenthaltsstatus zu erhalten.

Studien zeigen, dass eine der Auswirkungen der Wirtschaftsrezession Veränderungen im Verhalten der Spanier gegenüber der Zuwandererbevölkerung sind und dass dieser wachsende Feinseligkeit entgegenschlägt, vor allem in der Arbeitswelt. Zwar haben die sozialen Konflikte, die durch die wirtschaftliche Situation hervorgerufen werden, weder zu einem offenen Diskurs über Einwanderung noch zu einer auffälligen Zunahme ausländerfeindlicher Bewegungen geführt. Trotzdem scheinen die bereits beschriebenen restriktiven Maßnahmen entwickelt worden zu sein, um vor allem die einheimische Bevölkerung zu beruhigen und ihr gegenüber zu verdeutlichen, dass Maßnahmen getroffen werden, um eine mögliche wirtschaftliche Beeinträchtigung durch erwerbslose Zuwanderer abzuwenden.

Abwanderung spanischer Staatsangehöriger

Entwicklung der Auswanderungszahlen spanischer Staatsangehöriger (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Die Medien heben vor allem die Veränderungen hinsichtlich des Zuwanderungssaldos hervor und betonen dabei insbesondere die erneute Tendenz zur Abwanderung von Spaniern. Demgegenüber gibt es nur wenige Berichte über Einwanderer und Einwanderung. Die Abwanderung spanischer Arbeitskräfte, die zwischen 2007 und 2011 um 88% wuchs, wird öffentlich heiß diskutiert, obwohl die Zahl der Abwandernden bislang nicht alarmierend ist. Seit 2008 liegt der Wanderungssaldo spanischer Staatsangehöriger allerdings im negativen Bereich, d.h. es verlassen jährlich mehr Spanier das Land als im selben Zeitraum aus dem Ausland zurückkehren. Im Jahr 2011 wanderten 52.000 Spanier aus (INE, 2012), 38.400 Spanier kehrten im selben Zeitraum aus dem Ausland in ihr Heimatland zurück. Daraus ergibt sich ein negativer Wanderungssaldo von mehr als 13.000 Personen (EVR, 2012). Die Wanderungsverluste vergrößerten sich im Zeitraum Januar bis September 2012 auf einen negativen Saldo von mehr als 25.500 Personen.

Viele junge, gut ausgebildete Spanier mit Fremdsprachenkenntnissen und Auslandserfahrungen beginnen, die Abwanderung als einzige Möglichkeit zu sehen, um eine Arbeit zu finden. Gleichzeitig betrachten sie Spanien als ein Land, in dem es an Arbeitsmöglichkeiten fehlt und sie sind sich sicher, dass sie im Ausland einen Arbeitsplatz finden werden, der ihren Qualifikationen entspricht.

Die Mehrheit der 2011 ausgewanderten Spanier entschied sich dazu, ihren Lebensmittelpunkt in ein anderes EU-Land (22.282) zu verlagern, davon zogen 7.000 ins Vereinigte Königreich und rund 4.000 nach Deutschland. Die USA bildeten insgesamt das zweitwichtigste Zielland von spanischen Abwanderern, dorthin zog es 2011 4.410 Personen. Dass die aktuelle spanische Abwanderung ein Phänomen ist, das von der Jugend geprägt wird, zeigt sich auch in den Statistiken. Die Mehrzahl der Abwanderer ist zwischen 25 und 44 Jahre alt. 59% der Spanier, die nach Deutschland migrierten gehören dieser Altersgruppe an. In den USA sind es 57% und in Großbritannien mehr als 64%.

Die Diskussion um die Folgen der wachsenden Abwanderung kreist vornehmlich um die Tatsache, dass mehrheitlich gut qualifizierte Arbeitskräfte das Land verlassen. Sollte die Wirtschaftskrise anhalten, so die Sorge, könnte der Brain Drain die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Spaniens nachhaltig schwächen.

Übersetzung ins Deutsche: Vera Hanewinkel

Literatur

Cea D’Ancona, M.A./Valles, M. (2010): Living Together: Ciudadanía Europea contra el Racismo y la Xenofobia. Madrid: Ministerio de Trabajo e Inmigración. Secretaría de Estado de Inmigración y Emigración. Dirección General de Integración de los Inmigrantes.

Instituto Nacional de Estadística (2012): Externer Link: www.ine.es (Zugriff: November 2012)

Izquierdo, A./López de Lera, D./ Martínez, R. (2003): The Favorites of the Twenty-First Century: Latin American Immigration in Spain, Studi Emigrazione, Jahrgang XXXX, März, Nr. 149, S. 98-124.

Pérez, M./Desrues, T. (2007): Opinión de los españoles en materia de Racismo y Xenofobia. Madrid: Ministerio de Trabajo y Asuntos Sociales. Secretaría de Estado de Inmigración y Emigración. Dirección General de Integración de los Inmigrantes.

Rinken, S./Escobar, M.S./Velasco, S. (2011): Opiniones y actitudes de la población andaluza ante la inmigración (III): Más allá del discurso funcionalista. Sevilla: Junta de Andalucía. Consejería de Empleo. Dirección General de Coordinación de Políticas Migratorias.

Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: "Bewegt die Krise? EU-Binnenmigration und wirtschaftliche Disparitäten in Europa".

Fussnoten

Fußnoten

  1. Encuesta de Población Activa (EPA) [Studie zur erwerbstätigen Bevölkerung], veröffentlicht durch das Instituto Nacional de Estadística (INE) [Nationales Statistikinstitut]

  2. Bislang konnten irreguläre Migranten ihren Status legalisieren, wenn sie nachweisen konnten, dass sie länger als drei Jahre in Spanien gelebt hatten, in ihrem Herkunftsland nicht straffällig geworden waren, sie Familienangehörige in Spanien haben und sie entweder über einen Arbeitsvertrag oder das Angebot über eine mindestens einjährige Beschäftigung verfügten. Obwohl das Gesetz diese Möglichkeit der Regularisierung nur in Ausnahmefällen vorsah, machten in der Tat jedoch zahlreiche Zuwanderer davon Gebrauch.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Beatriz Gónzalez-Martín für bpb.de

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Beatriz Gónzalez-Martín promoviert derzeit innerhalb eines Programms zu Migrationsforschung, Entwicklung und Sozialarbeit an der Universität von Almería (Spanien) und ist Mitglied der interdisziplinären Forschungsgruppe CEIS.
E-mail: E-Mail Link: bgm620@ual.es