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Auslandsdeutsche

Thorsten Nieberg

/ 4 Minuten zu lesen

Wanduhren zeigen Uhrzeiten aus verschiedenen Städten weltweit. (© picture alliance / dpa )

Ein Hauptproblem bei der Erfassung der deutschen Bevölkerung im Ausland (wie auch derjenigen jedes anderen Staates) ist die Frage nach deren Konzeptionalisierung, d.h. wer eigentlich genau als Teil dieser Bevölkerung gezählt werden soll. Sollen beispielsweise nur Personen gezählt werden, die tatsächlich die Erfahrung der Abwanderung aus Deutschland selbst gemacht haben oder sollte versucht werden, auch Personen der nachfolgenden Generationen deutscher Abwanderer mit einzubeziehen, also solche die über keine eigene Migrationserfahrung verfügen? Und wie verhält es sich mit Deutschen, die zusätzlich noch die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes angenommen haben (sogenannte Doppelstaater), oder mit solchen, die ihre deutsche Staatsangehörigkeit zugunsten derjenigen eines anderen Staates aufgegeben haben? Dies sind wichtige Fragen, die in jeder Diskussion um die Erfassung der im Ausland lebenden Bevölkerung eines Staates aufkommen.

Wer ist ein Expatriate? Versuch einer Definition


…im engeren Sinne

Der Begriff Expatriate (oder Expat) bezeichnet im Allgemeinen eine Gruppe besonders qualifizierter Arbeitskräfte, "deren Auslandsaufenthalt meist beruflich motiviert sowie in der Regel auf ein bis fünf Jahre befristet ist und im Rahmen einer Organisation oder eines hoch institutionalisierten Kontextes stattfindet". In diesem Sinne beschränkt sich die Definition eines Expatriates auf Fach- und Führungskräfte, die für eine bestimmte Zeit von einem deutschen Unternehmen oder einer Organisation ins Ausland entsandt werden, um dort die Aktivitäten des Unternehmens zu steuern, "Wissen zu vermitteln und den Informationsaustausch zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft sicherzustellen". Weltweit sind derzeit allein rund 60.000 dieser mobilen und auf Zeit entsandten Arbeitnehmer in den ausländischen Niederlassungen der einhundert größten deutschen Unternehmen tätig.

…im weiteren Sinne

Die ursprüngliche lateinische Bedeutung des Begriffs ist dagegen sehr viel breiter. Sie bezieht sich nicht auf die Dauer und die Gründe für einen Auslandsaufenthalt, sondern versteht unter einem Expatriate eine Person, die außerhalb des Territoriums ihres Herkunftslandes lebt. Diesem Verständnis folgend, findet der Begriff neuerdings zunehmend Verwendung als "ein Sammelbegriff für eine heterogene Gruppe", deren Mitglieder aus unterschiedlichen Gründen und für je unterschiedliche Dauer außerhalb des Landes leben, deren Staatsangehörigkeit sie besitzen.

Solch ein Verständnis von Expatriates bietet eine nützliche Perspektive, da es die komplexen und vielfältigen Realitäten der im Ausland lebenden Bevölkerung eines Staates widerspiegelt. Es erlaubt zum Beispiel, dass die nachfolgenden Generationen von ins Ausland verzogenen deutschen Staatsangehörigen zur Bevölkerung Deutschlands gezählt werden, wenn sie weiterhin die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Wohingegen sie nicht unter die Definition eines Migranten fallen, da sie strenggenommen selbst nie migriert sind.

Wie groß ist die deutsche Bevölkerung im Ausland? Einige Schätzungen

Versuche, die im Ausland lebende Bevölkerung eines Staates zu erfassen, werden erschwert durch die Existenz unterschiedlicher Konzeptionalisierungen und darauf bezogener Erfassungsmethoden, die von Land zu Land variieren. Nationale Statistiken über Wanderungsbewegungen taugen also nur bedingt zur Generierung eines Überblicks über tatsächliche Wanderungsbewegungen. Dies liegt vor allem daran, dass einzelne Staaten unterschiedliche Zeitschwellen anlegen, um zu definieren, ab wann jemand als Zuwanderer gilt. Aus diesen Gründen gibt es nur wenige Zahlen, die Rückschlüsse auf die Größenordnung der deutschen Expat-Bevölkerung zulassen. Sie schwanken zwischen einer Million und 10-15 Millionen, je nach Quelle und Konzept, das der jeweiligen Statistik zugrunde liegt.

Zum Beispiel analysierte der Wissenschaftler Bleek Daten aus den späten 1980er Jahren und kam zu dem Schluss, dass etwa 10-15 Millionen Personen außerhalb Deutschlands leben, die der deutschen Sprache mächtig sind und/oder ihre Zugehörigkeit zum deutschen "Volkstum" deklarieren. Legt man die oben entwickelte Definition des Expatriates an, so erscheint diese Zahl zu hoch, da sie nicht nur Personen umfasst, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, sondern im Grunde alle Personen, die irgendeine Identifikation mit ihrer deutschen Herkunft pflegen.

Die sogenannte Global People Origin Datenbank des Development Research Centre on Migration, Globalisation and Poverty der Universität Sussex, Großbritannien, gibt an, dass um das Jahr 2000 etwa eine Million deutsche Staatsangehörige in den insgesamt 226 Ländern lebten, die in die Datensammlung einbezogen wurden. Diese Zahl wiederum scheint zu niedrig, da die Datenbank aus einer Reihe von Ländern keine Daten erfasst, die aber wichtige Ziele für deutsche Staatsangehörige sind, wie beispielsweise die USA, und weil auch nicht alle sich im Ausland aufhaltenden Deutschen als offizielle Einwohner des jeweiligen Landes definiert werden. In der Datenbank wird deshalb darauf verwiesen, dass die Gesamtzahl der in Deutschland geborenen und im Ausland lebenden Personen viel höher liege – nämlich bei rund 3,4 Millionen.

Unter Berücksichtigung dieser divergierenden Zahlen kann man annehmen, dass weltweit mindestens eine Million deutsche Expats leben, ihre Zahl aber vermutlich noch viel höher ist. Möglicherweise entspricht sie den 3,3 bis 3,4 Millionen, die von der Migrationsdatenbank des Development Research Centers bzw. in einer Datenbank der OECD erfasst werden. Dies würde etwa 4 Prozent der in Deutschland lebenden Bevölkerung entsprechen, die aktuell rund 81,8 Millionen Personen umfasst. Die eigene Forschung des Autors deutet darauf hin, dass von diesen Expats ca. 2.500 in Hongkong und etwa 11.000 in Thailand leben.

Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: "Deutsche im Ausland - Expatriates in Hongkong und Thailand".

Fussnoten

Fußnoten

  1. Männliche Ausdrucksformen wurden im Text lediglich aus Gründen der Lesbarkeit verwandt; sie sollen sich aber explizit auf beide Geschlechter beziehen.

  2. Kreutzer/Roth (2006), S. 12.

  3. Ganter (2009), S. 3.

  4. Ganter (2009).

  5. Soanes/Stevenson (2006), S. 501.

  6. Fechter (2007), S. 56 (Übersetzung des Autors aus dem Englischen).

  7. McMillen (2007), S. 7.

  8. Lemaître (2005), S. 3-5.

  9. Bleek (2003).

  10. Migration DRC (2007).

  11. Dumont/Lemaître (2005).

  12. Statistisches Bundesamt Deutschland (2012), S. 26.

  13. Nieberg (2012), S. 128-130.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Thorsten Nieberg für bpb.de

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Dr. Thorsten Nieberg studierte Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung und Recht an der Philipps-Universität Marburg. Er promovierte im Bereich Internationale Beziehungen an der University of Southern Queensland, Australien. E-Mail: E-Mail Link: Thorsten.Nieberg@web.de