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Flucht und Asyl: Grundlagen Abschiebung in der Geschichte Deutschlands Wie ist das Asylrecht entstanden? Das Asylverfahren in Deutschland Schutzanspruch im deutschen Asylverfahren? Sichere Herkunftsländer Das Konzept "sichere Herkunftsstaaten" Definition für Duldung und verbundene Rechte Flüchtlingsaufnahme und ihre Folgen Fluchtziel Deutschland Freiwillige Rückkehr Unbegleitete minderjährige Geflüchtete Abschiebung – Ausweisung – Dublin-Überstellung Begriff und Figur des Flüchtlings in historischer Perspektive

Sichere Herkunftsländer

Dr. Claudia Engelmann

/ 6 Minuten zu lesen

Abgelehnte Asylbewerber im Terminal des Kassel-Airports. Die sogenannte freiwillige Ausreise führt sie zurück nach Pristina (Kosovo) oder Tirana (Albanien). (© picture-alliance/dpa)

Mit der 1993 in Kraft getretenen Reform des Asylrechts ("Interner Link: Asylkompromiss") ist das Konzept der "sicheren Herkunftsländer" im Grundgesetz der Bundesrepublik aufgenommen worden. Seither haben Menschen aus den betreffenden Ländern nur noch geringe Chancen, in Deutschland Asyl zu erhalten.

Was sind sichere Herkunftsländer?

Als sogenannte "sichere Herkunftsländer" werden Länder bezeichnet, von denen der Gesetzgeber annimmt, dass die Menschenrechtssituation so sicher ist, dass Personen aus diesen Ländern keinen Schutz in Deutschland benötigen. Nach Art. 16 Abs. 3 des deutschen Grundgesetzes betrifft dies Länder, in denen es weder politische Verfolgung noch Folter gibt. Ergänzend definiert die EU-Asylverfahrensrichtlinie ein Herkunftsland als sicher, wenn Personen nicht nach Leben oder Freiheit getrachtet wird, weil sie einer bestimmten Rasse, Religion, Nationalität, sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung angehören (Art. 36 und 37, Anhang I).

In Deutschland waren Anfang 2016 die folgenden Länder als sogenannte sichere Herkunftsländer eingestuft: Interner Link: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien (§29a und Anlage II Asylverfahrensgesetz). Darüber hinaus wird diskutiert, ob auch Algerien, Marokko und Tunesien sichere Herkunftsländer sind. Bundestag und Bundesrat entscheiden, welche Länder auf die Liste der sicheren Herkunftsländer gesetzt werden. Der Bundestag hat am 13. Mai 2016 der Einstufung der drei Staaten als sichere Herkunftsländer bereits zugestimmt. Am 10. März 2017 sprach sich allerdings der Bundesrat dagegen aus, womit Algerien, Tunesien und Marokko nicht auf die Liste der sicheren Herkunftsländer gesetzt werden.

Was bedeutet die Einstufung als sicheres Herkunftsland für Personen aus diesen Ländern?

Die Einstufung von Herkunftsländern als sicher geht für Menschen aus diesen Ländern, die in Deutschland Asyl beantragen, mit der Einschränkung ihrer Rechte einher.

Der Asylantrag von Personen, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen, wird in einem beschleunigten Verfahren geprüft. Der Asylantrag wird üblicherweise als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Das bedeutet, dass man davon ausgeht, dass der oder die Asylsuchende keinen Anspruch auf Schutz hat. Es ist die Aufgabe des einzelnen Antragstellers nachzuweisen, dass – abweichend von der als sicher angenommenen Situation – für ihn oder sie im Herkunftsland Verfolgung droht.

Die Einstufung des Herkunftslandes als sicher geht auch mit weiteren, eingeschränkten Rechtsgarantien einher: Zum Beispiel hat der/die betreffende Antragsteller_in lediglich eine Woche Zeit für eine Klage gegen den Ablehnungsbescheid. Außerdem hat diese Klage keine aufschiebende Wirkung: Die Person kann abgeschoben werden, während die Klage noch läuft.

Zusätzlich zur Einschränkung des Interner Link: Asylverfahrens hat die Einstufung eines Herkunftslandes als sicher für den Asylsuchenden noch weitere Konsequenzen: So sind die betroffenen Personen gezwungen, für die Dauer des Asylverfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu wohnen. Sie dürfen außerdem keine Beschäftigung aufnehmen.

Warum werden Herkunftsländer als sicher eingestuft?

Herkunftsländer werden aus zwei Gründen als sicher eingestuft: Erstens, weil der Gesetzgeber hofft, dass die Einstufung Asylsuchende aus diesen Ländern abschreckt und sie somit gar nicht erst nach Deutschland kommen und Asyl beantragen; und zweitens, weil der Gesetzgeber hofft, die Asylverfahren der Personen, die sich bereits in Interner Link: Deutschland aufhalten, erheblich beschleunigen zu können.

Die Einstufung von Herkunftsländern als sicher war immer dann populär, wenn aus einem Land viele Asylsuchende kamen, allerdings sehr wenigen tatsächlich ein Interner Link: Schutzstatus zugesprochen wurde. Das heißt, die Zahl der Antragsteller_innen war verhältnismäßig hoch, die Zahl der positiven Bescheide aber sehr niedrig. So stammten zum Beispiel im Jahr 2014 13 Prozent aller Menschen, die in Deutschland einen Asylantrag stellten, aus Serbien. Allerdings erhielten nur 0,2 Prozent aller serbischen Antragsteller_innen einen positiven Bescheid und durften damit in Deutschland bleiben.

Damals argumentierte der Gesetzgeber, dass die aus Serbien und den anderen Westbalkanstaaten kommenden Asylsuchenden zwar einen sehr großen Anteil der Antragsteller_innen in Deutschland ausmachen würden (insgesamt fast 30 Prozent), allerdings fast ausschließlich "Armutsflüchtlinge" seien, d.h. auf der Suche nach einem besseren Leben, aber nicht auf der Flucht vor Folter, Verfolgung oder Tod. Diese Personen würden erhebliche Kosten für Bund, Länder und Kommunen verursachen: Die Asylverfahren und die Unterbringung während der Verfahren koste sehr viel Geld; letztlich würde aber fast jeder Asylantrag abgelehnt. Darüber hinaus wurde argumentiert, dass diese Belastungen zulasten der "tatsächlich schutzbedürftigen Asylsuchenden" gehen würden, d.h. zulasten von Menschen aus Syrien, Irak oder Eritrea.

Wie ist eine solche Einstufung als sicheres Herkunftsland zu bewerten?

Die Einstufung von Herkunftsländern als sicher kann aus verschiedenen Gründen kritisiert werden: Weder ist sie menschenrechtlich vertretbar noch macht sie politisch Sinn.

Aus menschenrechtlicher Sicht ist es sehr zweifelhaft, ob Personen, die aus vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten kommen, noch einen fairen und diskriminierungsfreien Zugang zum Asylverfahren haben. Ob jemand einen Anspruch auf Schutz hat oder nicht, muss unvoreingenommen in Bezug auf die individuelle Person geprüft werden. Für Personen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern kann eine solche vorurteilsfreie Prüfung bezweifelt werden.

Darüber hinaus ist es nicht möglich, die Sicherheit für ein ganzes Land und seine Bürger pauschal festzustellen. So kritisieren zahlreiche Flüchtlingsorganisationen und die Vereinten Nationen, dass die Situation in den Herkunftsländern längst nicht so stabil sei, wie der deutsche Gesetzgeber suggeriert: Im Kosovo werden bestimmte Minderheiten (zum Beispiel Interner Link: Roma) nach wie vor systematisch diskriminiert. In Marokko – welches als sicher eingestuft werden soll – kommt es regelmäßig zu unter Folter erzwungenen Geständnissen, die Pressefreiheit ist enorm eingeschränkt und Homosexualität ist nach wie vor strafbar. Unter diesen Umständen von einer grundsätzlichen Sicherheit für Menschen aus diesen Ländern zu sprechen, ist schlichtweg falsch.

Des Weiteren kritisieren Flüchtlingsorganisationen und Wissenschaftler_innen, dass die Einstufung von Ländern als sicher reine Symbolpolitik ist. Der gewünschte Effekt – eine Verkürzung der Verfahren – ist nicht eingetreten. So lag die Asylverfahrensdauer für Antragsteller_innen aus Serbien (als sicher eingestuft seit 5. November 2014) im vierten Quartal 2014 bei 4,4 Monaten. Ein Jahr später dauerten die Verfahren im Schnitt noch genauso lange (4,3 Monate). Schaut man auf die Asylantragszahlen von Personen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern, so sind diese teilweise stark zurückgegangen. Aber diesen Rückgang vornehmlich auf die Einstufung der Länder als sicher zurückzuführen, ist zu einfach. Für den Rückgang der Zahlen kann es viele Gründe geben. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass es keinen starken Zusammenhang zwischen Politikmaßnahmen (z.B. der Einstufung eines Herkunftslandes als sicher) und dem Rückgang der Antragszahlen gibt. Zum Beispiel gibt es Hinweise darauf, dass die Zahl der Asylsuchenden zwar teilweise zurückgeht – aber nicht unbedingt, weil weniger Menschen aus diesen Ländern kommen, sondern unter anderem deshalb, weil sie keine Asylanträge mehr stellen (und stattdessen untertauchen). Vor diesem Hintergrund ist es auch problematisch, dass die Bundesregierung seit Anfang 2016 erwägt, drei weitere Herkunftsstaaten als sicher einzustufen: Algerien, Marokko und Tunesien. Aus diesen Ländern kommen kaum Asylsuchende; es stellt sich also die Frage, ob es hier eher um Symbolpolitik geht, die auch als Reaktion auf die (sexuellen) Externer Link: Übergriffe in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln, die unter anderem von Algeriern und Marokkanern begangen wurden, verstanden werden kann.

Zudem kann die Bildung von Kategorien von Herkunftsländern auch einen rassistischen Diskurs in Deutschland befeuern: Sie suggeriert der Öffentlichkeit, dass es "gute" und "schlechte" (bzw. "echte" und "unechte") Flüchtlinge gibt. Dabei sollte vor dem Gesetz erst einmal jeder Mensch, der in Deutschland Asyl beantragt, gleich sein.

Zum Thema

Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: "Flucht und Asyl: Grundlagen".

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Menschenrechte. Von 2009 bis 2015 forschte sie an der Universität Maastricht zur Politik der sicheren Herkunftsländer.