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Frauen auf der Flucht

Anna Krämer, M.A. Prof. Dr. Karin Scherschel

/ 6 Minuten zu lesen

Etwa die Hälfte der Menschen, die sich weltweit auf der Flucht befinden, sind Frauen. Nicht immer finden sie im Zufluchtsland die erhoffte Sicherheit.

Zivile Seenotrettung der Organisation LIFEBOAT von Bootsflüchtlingen im Mittelmeer vor Libyen: Gerettete Frauen und Kinder an Bord der Minden. (© picture-alliance, JOKER)

Ende 2017 waren 68,5 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, davon etwa die Hälfte Frauen. Je nach Weltregion variiert der Anteil der Frauen: Während in Afrika und im Nahen Osten rund 50 Prozent der Flüchtenden weiblich sind, ist der Anteil in Europa mit 39 Prozent weitaus geringer.

Anmerkung zu den Zahlen

Die Zahl der Flüchtenden hat sich in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR (United Nations High Comissioner for Refugees) liefert in seinem jährlich erscheinenden Bericht "Global Trends" umfangreiche Statistiken zu Flucht und Asyl. Es liegen für 147 Länder Daten zur Verteilung von Geflüchteten nach Geschlecht vor. Bei der Interpretation der Daten muss berücksichtigt werden, dass diese nicht alle Fliehenden weltweit abbilden, sondern nur diejenigen, die statistisch erfasst werden. Folgt man diesen Daten, dann sind fast 50 Prozent der weltweit sich auf der Flucht befindenden Menschen Frauen.* Diese Prozentzahlen beziehen sich auf die sogenannte refugee population. Laut UNHCR umfasst diese folgende Personen: "Zur 'refugee population' (Flüchtlingsbevölkerung) zählen seit 2007 auch Personen, die sich in einer flüchtlingsähnlichen Situation befinden [...]. Diese Unterkategorie ist beschreibender Natur und umfasst Personen, die sich außerhalb ihres Herkunftslandes oder Herkunftsgebiets befinden und für die ein ähnliches Schutzrisiko besteht wie für Flüchtlinge, wobei für sie jedoch der Flüchtlingsstatus aus praktischen oder anderen Gründen nicht festgestellt worden ist."**

* UNHCR (2018), S. 58.

** UNHCR (2013); Übersetzung der Definition ins Deutsche durch die Autorinnen.

Da Frauen oft die finanziellen Mittel fehlen und weite Fluchtwege viele Gefahren bergen, fliehen sie häufig innerhalb der jeweiligen Landesgrenzen. Wenngleich die Mehrheit der Asylanträge in Deutschland weiterhin von Männern gestellt wird (2017 waren es 60 Prozent der Erstanträge auf Asyl), ist aktuell ein leichter Anstieg des Anteils weiblicher Asylsuchender zu beobachten. Waren 2017 40 Prozent der Asylantragstellenden weiblich, wurden in den ersten neun Monaten des Jahres 2018 circa 43 Prozent der Erstanträge auf Asyl von Frauen gestellt. Der Großteil der Asylsuchenden in Deutschland ist jung: Mehr als drei Fünftel haben das 25. Lebensjahr noch nicht erreicht, 84 Prozent sind jünger als 35 Jahre. Fast drei Viertel der 16- bis unter 25-Jährigen sind dabei männlich.

Was die Begleitung auf der Flucht betrifft, zeichnen sich für die nach Deutschland geflüchteten Frauen regionale Unterschiede ab. Der Study on Female Refugees (2017) zufolge fliehen Frauen aus afrikanischen Ländern beispielsweise häufiger alleine nach Deutschland als Frauen aus Syrien oder Afghanistan. Über 60 Prozent der im Rahmen der oben genannten Studie interviewten Syrerinnen und Afghaninnen wurden demnach auf der Flucht nach Deutschland von ihren Kindern begleitet. Während nur 48 Prozent der syrischen Frauen von ihrem Ehemann begleitet wurden, lag der Anteil bei afghanischen Frauen bei 67 Prozent. Asylsuchende Frauen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak kamen zumeist in Begleitung mehrerer Verwandter in die Bundesrepublik.

Weltweit kommen aktuell zwei Drittel der Geflüchteten aus lediglich fünf Ländern: Interner Link: Syrien, Interner Link: Afghanistan, Interner Link: Somalia, Interner Link: Myanmar und Interner Link: Südsudan. Nur knapp neun Prozent der von den Vereinten Nationen registrierten Flüchtlinge und Asylbewerber*innen werden von den sechs stärksten Volkswirtschaften USA, China, Japan, Deutschland, Frankreich und Großbritannien aufgenommen. 85 Prozent der Flüchtenden leben hingegen in Externer Link: sogenannten Entwicklungsländern. Die restriktive Interner Link: Migrationspolitik der Europäischen Union, die auf die Abwehr von Migrationsbewegungen setzt, führt zu einem Interner Link: Mangel an legalen Zugangswegen nach Europa. Der sogenannte Interner Link: Türkei-Deal oder die Einrichtung von Interner Link: Hot Spots verringern die Chance auf ein Interner Link: reguläres Asylverfahrens und damit die Prüfung eines individuellen Schutzbegehrens. Migrationspolitische Maßnahmen, wie beispielsweise die Aussetzung des Interner Link: Familiennachzugs, treffen dabei insbesondere Frauen und Kinder, da diese Möglichkeit der Migration zumeist von ihnen genutzt wird.

Flucht und Gewalterfahrungen

Frauen fliehen aus zahlreichen Gründen: Sie fliehen vor politischer Verfolgung, Bürgerkriegen, Umweltkatastrophen, Armut und verschiedenen Formen von Gewalt, z.B. häuslicher Gewalt oder sexualisierter Gewalt wie "Ehrenmord", Zwangsabtreibung, Zwangsheirat, Zwangssterilisierung und (Genital-)Verstümmelungen, Witwenverbrennungen oder Vergewaltigungen. Interner Link: Sexualisierte Gewalt ist ein Mittel des Krieges. Erfahrungen mit (sexualisierter) Gewalt enden auch dann nicht, wenn die Frauen ihre Heimat verlassen haben. Sie sind auch während und nach der Flucht Gefahren ausgeliefert. Fluchtwege sind riskant und im Aufnahmeland angekommen, können sie beispielsweise Opfer rassistischer Gewalt werden oder sind in Interner Link: Flüchtlingslagern weiteren Bedrohungen ausgesetzt. Auf bestehende Gefahren in Asylunterkünften in Deutschland haben u.a. Studien des Deutschen Institutes für Menschenrechte und der aufmerksam gemacht.

Geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe spielen im Fluchtgeschehen eine große Rolle. Für Afghanistan dokumentiert der UNAMA (United Nations Assistance Mission in Afghanistan) Report (2018) eine Vielzahl an Verbrechen gegen Frauen und Mädchen. Beispielsweise wird von 280 Ermordungen und "Ehrenmorden" an Frauen im Zeitraum zwischen 2015 und 2017 berichtet. Zentralamerikanische Frauen fliehen vor massiver Gewalt und Vergewaltigungen dortiger Banden. Die Reihe der Beispiele für geschlechtsspezifische Gewalt ließe sich fortsetzen. Geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe liegen auch dann vor, wenn Frauen grundlegende Rechte vorenthalten werden, wie das Recht auf Bildung, Arbeit oder Religionsausübung.

Zugang zum Flüchtlingsschutz

Fluchtgründe, die insbesondere Frauen betreffen, wurden lange nicht als solche anerkannt. Erst 2005 nahm Interner Link: Deutschland im Zuwanderungsgesetz genderspezifische und nichtstaatliche Verfolgung als Grund für eine Schutzgewährung auf. Allerdings stößt die Interner Link: praktische Umsetzung der Anerkennung auf zahlreiche Hürden. Zum einen ist ihr Nachweis schwer. Diese Form der Verfolgung berührt sehr intime Bereiche des Lebens von Menschen. Sexualisierte Gewalt spielt sich häufig innerhalb der Familie und im häuslichen Bereich ab. Zum anderen wissen Frauen häufig nicht, dass Interner Link: geschlechtsspezifische Gewalt als Fluchtgrund anerkannt werden kann.

Die Interner Link: Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), das zentrale völkerrechtliche Instrument zum Schutz von Flüchtlingen, definiert einen Flüchtling als Person die, "aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will". Geschlecht ist hier also nicht explizit aufgeführt. Die Rechtswissenschaftlerin Nora Markard verweist jedoch darauf, dass Geschlecht inzwischen im Sinne der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe "durchweg anerkannt" sei.

Seit den 1990er Jahren existieren spezifische internationale Schutzregelungen für geflüchtete Frauen. Der UNHCR veröffentlichte 1990 die "Policy on Refugee Women". Weitere Leitlinien, Handbücher und Strategiepapiere folgten. Bedeutend in der Programmatik des UNHCR sind zudem die "Sexual and Gender-Based Violence against Refugees, Returnees and IDPs: Guidelines for Prevention and Response", die spezifische Instrumente zum Umgang mit geschlechterbasierter Gewalt bereitstellen. Das "Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt" (Interner Link: Istanbul-Konvention) trat in Deutschland im Februar 2018 als rechtlich bindendes Menschenrechtsinstrument in Kraft. Laut dem Deutschen Institut für Menschenrechte liegt damit erstmals für den europäischen Raum ein völkerrechtlich bindendes Instrument zur umfassenden Bekämpfung jeglicher Form von Gewalt an Frauen vor. Dieses Übereinkommen dient dem Schutz aller von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffenen Personen, die sich in Deutschland aufhalten. Es ist nicht an Nationalität, Herkunft oder Aufenthaltsstatus geknüpft. Die tatsächlichen Auswirkungen dieses Übereinkommens werden sich erst in der Zukunft zeigen.

Ausblick

Die Hälfte der weltweit fliehenden Menschen sind Frauen, deshalb ist eine gendersensible Perspektive dringend geboten. Um den Schutz von geflüchteten Frauen weltweit zu gewährleisten, müssten bestehende Instrumente und Richtlinien weiterentwickelt und konsequent umgesetzt werden. Dabei sollten geschlechtsspezifische Fluchtursachen ebenso in den Blick genommen werden, wie die spezifischen Gefahren auf und nach der Flucht. Die gegenwärtige europäische Asylpolitik konzentriert sich auf die Abwehr von Migrationsbewegungen und trägt in ihrer aktuellen Form dazu bei, die Situation von Frauen zu verschlechtern. Das geschieht beispielsweise durch Abschiebungen von Frauen in Länder wie Afghanistan oder die Interner Link: starke Begrenzung des Familiennachzugs. Zu nennen ist weiterhin der Mangel an legalen Zugangswegen, welcher Frauen dazu zwingt, riskante Fluchtrouten zu wählen. Hinzu kommt die zunächst verpflichtende Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften, die über keine die Vulnerabilität von Frauen berücksichtigenden Maßnahmen verfügen (wie z.B. abschließbare, nach Geschlechtern getrennte Sanitäranlagen). Auch bei der Bekämpfung von Interner Link: Fluchtursachen müssen geschlechtsspezifische Fluchtgründe in den Blick genommen werden.

Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: Frauen in der Migration.

Weitere Inhalte

ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden. In ihrem Promotionsvorhaben beschäftigt sie sich mit dem Arbeitsmarktzugang von geflüchteten Frauen und Fragen der Geschlechtergerechtigkeit im Kontext wohlfahrtstaatlicher Unterstützungssysteme. Sie studierte Sozialwissenschaften und Soziologie in Marburg und Frankfurt a.M.

ist Professorin an der Hochschule RheinMain Wiesbaden. Sie ist Soziologin mit Forschungs- und Publikationsschwerpunkten in den Bereichen Asyl, Migration, Rassismus, Gender, Prekarisierung, Aktivierung, Erwerbsarbeit, Soziale Arbeit, Soziale Ungleichheit und Teilhabe. Sie ist Mitglied im Rat für Migration, im Netzwerk "kritische Grenzregimeforschung" und im Netzwerk Flüchtlingsforschung.