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Frankreich: Zukünftige migrationspolitische Herausforderungen und Ausblick

Dr. Marcus Engler

/ 6 Minuten zu lesen

Die Themen Einwanderung, Integration und Umgang mit dem Islam werden auch in den kommenden Jahren die politische Agenda Frankreichs prägen. Über den zukünftigen Kurs der französischen Migrationspolitik entscheiden wesentlich die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017.

Migrations- und Integrationspolitik entscheidet wesentlich, wer die Stufen zum Élysée-Palast nimmt, um seinen neuen Wohnsitz als Staatspräsident zu beziehen. (© picture-alliance/dpa, Peter Kneffel)

Eine zentrale Herausforderung für die französische Politik und Gesellschaft stellt die Überwindung der sozialen und ökonomischen Marginalisierung vieler Migranten und ihrer Nachkommen dar. Die regelmäßig aufflammenden Vorstadtunruhen bilden davon nur die sichtbarste Ausprägung. Diese Marginalisierung ist u.a. das Ergebnis einer sehr hohen Jugendarbeitslosigkeit und eines schlecht funktionierenden Interner Link: Bildungssystems , das sozialen Aufstieg verhindert. Antworten der Politik sollten sich in Zukunft verstärkt auf die Ursachen der Marginalisierung von Migranten konzentrieren.

Migrationspolitische Positionen im Präsidentschaftswahlkampf 2017

Über den Kurs der französischen Migrations- und Integrationspolitik der nächsten Jahre entscheiden wesentlich die Interner Link: Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Frühjahr und Sommer 2017. Die aussichtsreichsten Kandidaten auf das Präsidentenamt haben sehr unterschiedliche migrations- und gesellschaftspolitische Vorstellungen, worin sich auch die Spaltung der französischen Gesellschaft im Hinblick auf das Thema Migration spiegelt.

Als einer der aussichtsreichsten Kandidaten erscheint kurz vor den Präsidentschaftswahlen im April der sozialliberale Kandidat und politische Newcomer Emmanuel Macron. In seinem Wahlprogramm setzt er sich für ein weltoffenes Frankreich und ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union ein. Er betont den Kampf gegen Diskriminierung und steht auch für einen selbstkritischeren Umgang mit der französischen Kolonialgeschichte. Im Falle eines Wahlsiegs will sich Macron dafür einsetzen, dass Frankreich weiterhin ein Aufnahmestaat von Schutzsuchenden bleibt. Zugleich will er die europäische Grenzsicherung verstärken und die Kooperation mit Transit- und Herkunftsstaaten von Migranten intensivieren. Er plädiert für eine deutliche Beschleunigung der Asylverfahren in Frankreich und fordert bessere Integrationsmaßnahmen für Flüchtlinge und andere Migranten, insbesondere einen Ausbau der Sprachförderung, sodass alle Migranten das Sprachniveau B1 erreichen. Abgelehnte Asylbewerber sollen konsequenter in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. Die Einwanderung von Unternehmensgründern, Investoren, Forschern und Kreativen will Macron u.a. durch die schnellere und vereinfachte Erteilung von Visa erleichtern. Auch die Beschäftigung von ausländischen Absolventen französischer Hochschulen, die einen Masterabschluss erreicht haben, soll erleichtert werden. Zur Förderung der Beschäftigung in den Vorstädten stellt Macron Unternehmen, die einen Bewohner aus einem "quartier prioritaire" einstellen, eine Prämie von 15.000 Euro in Aussicht.

Die Kandidatin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, legt den Fokus stark auf die Themen Sicherheit, konsequente Bestrafung und einen Kampf gegen Einwanderung. Interner Link: Le Pen steht für einen polarisierenden und konflikthaften Umgang mit dem Thema Zuwanderung. Nach ihren Vorstellungen sollte die Legalisierung von Sans-Papiers grundsätzlich ausgeschlossen, die Nettozuwanderung auf 10.000 Personen pro Jahr reduziert und insbesondere der Familiennachzug stark beschränkt werden. Sie plädiert zudem für höhere Hürden bei der Einbürgerung und die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Verschärfungen fordert sie auch im Asylrecht. So sollen Asylanträge nur noch in französischen Auslandsvertretungen in den Krisenregionen gestellt werden können. Zudem setzt sich Le Pen für die Einführung einer Steuer für die Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern ein und fordert den Austritt Frankreichs aus dem Schengen-Raum sowie ein Referendum über einen EU-Austritt des Landes ("Frexit").

Der konservative Kandidat François Fillon steht ebenso für einen eher restriktiven Kurs in der Migrationspolitik. Interner Link: Fillon zufolge geht es darum, die »Kontrolle wiederzugewinnen«. Frankreich soll Mitglied in der EU und der Schengen-Zone bleiben, aber die Außengrenzen sollen stärker kontrolliert werden und auch an den europäischen Binnengrenzen sollen leichter wieder Kontrollen eingeführt werden dürfen. Staaten, die ihre Grenzen nicht ausreichend kontrollieren, sollen aus dem Schengenraum ausgeschlossen werden. Fillon zufolge hat Frankreich derzeit weder den Bedarf noch die Kapazitäten für die Aufnahme weiterer Migranten. Er plädiert daher für die Einführung jährlicher Einwanderungsquoten, die vom Parlament festgelegt werden und an die Aufnahmefähigkeit des Landes geknüpft sein sollen. Insbesondere fordert Fillon mehr Restriktionen beim Familiennachzug, der zukünftig nur noch im Falle einer »erfolgreichen Integrationsperspektive« ermöglicht werden soll. Höhere Hürden fordert Fillon auch für die Einbürgerung, insbesondere bei Ehegatten von Franzosen soll diese nur bei erfolgter »Assimilierung« erfolgen. In Frankreich geborene Kinder von Ausländern sollen sich bei Volljährigkeit für eine Staatsangehörigkeit entscheiden müssen. Generell soll der Bezug von Sozialleistungen erst nach zwei Jahren legalen Aufenthalts möglich sein. Die staatlich finanzierte Gesundheitsversorgung (AME) will Fillon auf dringende und notwendige Versorgung beschränken. Darüber hinaus plädiert er für eine Beschleunigung der Asylverfahren und eine Unterbringung der Asylbewerber in speziellen Asylzentren. Die Abschiebung von Migranten ohne Aufenthaltsrecht soll konsequenter erfolgen.

Der Kandidat der sozialistischen Partei Benoît Hamon steht für einen pro-europäischen und humanitären Kurs in der Migrationspolitik. Umfragen zufolge hat er nur sehr geringe Chancen auf einen Wahlsieg. Interner Link: Hamon setzt im Umgang mit Extremismus auf Dialog, statt auf Konfrontation und betont die humanitäre Tradition Frankreichs bei der Aufnahme von Schutzbedürftigen. Im Wahlkampf kritisierte er die Politik von Präsident Hollande und dessen ebenfalls sozialistischer Regierung für ihr aus seiner Sicht zu geringes Engagement bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Hamon plädiert für die Ausstellung sogenannter humanitärer Visa, mit denen Schutzsuchende legal und sicherer einreisen könnten. Er will die Integrationsmöglichkeiten von Asylbewerbern verbessern, indem er u.a. für eine Arbeitserlaubnis ab drei Monaten und eine verstärkte Sprachförderung eintritt. Das Interner Link: Dublin-System will er zugunsten eines europäischen Verteilungsschlüssels für Asylbewerber abschaffen. Große Auswirkungen auf die Lage vieler Migranten hätte auch die von Hamon geplante Einführung eines monatlichen Grundeinkommens in Höhe von 750 Euro.

Einen ähnlichen Kurs vertritt Jean-Luc Mélenchon, der für das linke Wahlbündnis La France insoumise (dt. »das aufständische Frankreich«) antritt. In seinem Programm plädiert er für eine stärkere Regulierung internationaler Migrationsbewegungen auf der globalen Ebene durch die Schaffung einer neuen UN-Organisation für Migration und einer jährlichen internationalen migrationspolitischen Konferenz. Zudem spricht er sich dafür aus, Fluchtursachen zu bekämpfen, u.a. durch die Beendigung von Kriegen, der Schaffung einer fairen Handelspolitik und einer konsequenteren Verhinderung des Interner Link: Klimawandels . Darüber hinaus will er die Seenotrettungsprogramme im Mittelmeer ausbauen, die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Frankreich verbessern und die Interner Link: freiwillige Rückkehr von Migranten fördern. Interner Link: Mélenchon vertritt grundsätzlich eine pro-europäische Position, will die bestehenden Verträge der Europäische Union aber stark reformieren und ihnen eine stärkere demokratische, soziale und ökologische Ausrichtung geben.

Kurz vor der Interner Link: Wahl scheint ein Wahlsieg vom Emmanuel Macron am wahrscheinlichsten. Der künftige Kurs der französischen Migrations- und Integrationspolitik müsste dann mit der im Juni gewählten Regierung ausgehandelt und abgestimmt werden. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts in Frankreich ist hier ein Wahlsieg einer der großen Parteien – Sozialisten oder Konservative – wahrscheinlich. Auch wenn derzeit ein Wahlerfolg von Marine Le Pen und des rechtsextremen Front National eher unwahrscheinlich erscheint, kann davon ausgegangen werden, dass ihre Partei, die in den vergangenen Jahren u.a. bei Kommunalwahlen Interner Link: viele Wählerstimmen gewinnen konnte , die politische Agenda in diesem Themenfeld auch in Zukunft stark beeinflussen wird. Der Ausgang der Wahlen in Frankreich ist auch für die künftige Entwicklung der Europäischen Union insgesamt und für die Interner Link: EU-Migrations- und Asylpolitik von großer Bedeutung.

Dieser Text ist Teil des Interner Link: Migrationsprofils Frankreich.

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Marcus Engler ist Sozialwissenschaftler und Migrationsforscher. Seit langem verfolgt er die Entwicklungen in der französischen Migrations- und Integrationspolitik. Er absolvierte einen Freiwilligendienst in einer Beratungsstelle für Migranten in Marseille. Anschließend studierte er Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin und am Institut d’Etudes Politiques in Paris. Derzeit ist er als selbständiger Autor, Referent und Berater tätig und ist Mitglied im Netzwerk Flüchtlingsforschung und im Netzwerk Migration in Europa.
E-Mail: E-Mail Link: engler@migration-analysis.eu