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Historische Entwicklung der Migration | Senegal | bpb.de

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Historische Entwicklung der Migration

Felix Gerdes

/ 4 Minuten zu lesen

Afrika gilt als Kontinent mit historisch überaus mobilen Bevölkerungen. Diese Tendenz wurde aufgrund kolonialer Eroberungen und der kolonialen Umstrukturierung der Wirtschaft ab Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt. Afrikanische Migration ist somit alles andere als ein junges Phänomen.

Innerafrikanische Migration

Zuwanderer im Senegal nach Herkunftsland im Jahr 1997 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de

Der 1960 unabhängig gewordene Senegal war zunächst hauptsächlich Zielland afrikanischer Migranten. Die größte Gruppe an Zuwanderern stammte aus dem benachbarten Guinea, von wo sie vor der Repression durch Präsident Sékou Touré (1958-1984) geflohen waren. Guinea-Bissau gilt ebenfalls als wichtige Quelle von Zuwanderern im Senegal; in Folge des bissauischen Unabhängigkeitskrieges (1963-74) sind Anfang der 1970er Jahre 75.000 Personen aus diesem Land nach Senegal gekommen. Bereits in der Kolonialzeit waren etwa 100.000 Personen aus Mauretanien in den Senegal eingewandert. Im Zuge der Entwicklung des Handels mit Importwaren erlangten Mauretanier eine herausragende Position im Kleinhandel, insbesondere im Hinterland, und ihre Anzahl wuchs auf bis zu 250.000 an. Insbesondere aufgrund der in der Kolonialzeit gebauten Bahnlinie zwischen den Hauptstädten Malis und des Senegal entstand zwischen beiden Ländern früh ein schwunghafter Handel, in dessen Kontext sich Migranten aus Mali im Senegal ansiedelten. Auch eine verhältnismäßig große Zahl an Gambiern lebt im Senegal. Der geografisch fast vollständig vom Senegal umschlossene Kleinstaat Gambia unterhält enge wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen mit dem Nachbarn.

Die innerafrikanische senegalesische Emigration richtete sich bis in die 1960er Jahre insbesondere auf die Länder Mauretanien, Mali, Guinea und Guinea-Bissau aus. Ab Ende der 1960er Jahre wurden die Elfenbeinküste und Gabun aufgrund der hohen Nachfrage nach Arbeitskräften zu bedeutenden Zielländern. Anfang der 1970er Jahre weiteten sich die Migrationsströme im Rahmen des Diamanten- bzw. Edelsteinhandels bis nach Zentralafrika aus, insbesondere in den Kongo (Brazzaville), nach Zaire und Kamerun. Ein allgemeiner wirtschaftlicher Niedergang dieser Länder ab den späten 1970er Jahren und die Kriege im Kongo und in Zaire in den 1990er Jahren ließen diese Wanderungsbewegungen weitgehend versiegen. Die senegalesische Population in Mauretanien wurde 1989 vertrieben (siehe Flucht und Asyl), und anschließend wurden Fischereirechte für Senegalesen in Mauretanien stark eingeschränkt. Seit Ende der 1990er haben zunehmende xenophobe Tendenzen in der Elfenbeinküste und Gabun die Attraktivität dieser Länder für Migranten gemindert. Im Kontext des 2002 begonnenen Krieges in der Elfenbeinküste richtete sich die Gewalt auch gegen Senegalesen. Infolge der Übergriffe und des allgemeinen Niedergangs des Landes ist ein Großteil der senegalesischen Migranten aus der Elfenbeinküste zurückgekehrt. Spätestens seit den 1990er Jahren hat sich also ein massiver Umbruch in der innerafrikanischen Migration vollzogen. Gleichzeitig scheinen Industrieländer und – aufgrund der boomenden Ölwirtschaft – auch Libyen und Mauretanien verstärkt zu Migrationszielen von Senegalesen geworden zu sein.

Interkontinentale Migration

Seit der frühen Kolonialzeit war der Senegal Ziel der Zuwanderung von Libanesen und Franzosen. Franzosen waren in der Regel Angestellte der Kolonialverwaltung oder der Handelshäuser und verließen das Land überwiegend nach der Unabhängigkeit, wenngleich eine signifikante Anzahl geblieben bzw. dorthin ausgewandert ist. Die ersten Libanesen kamen Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Auswanderungswellen aus dem Libanon. Sie konnten sich, vielfach als Zwischenhändler für Erdnüsse, erfolgreich in die koloniale Ökonomie integrieren, und ließen später Migranten ihrer Herkunftsregionen nachziehen. Aufgrund der Lobbyarbeit senegalesischer Händler wurde 1970 ein Niederlassungsverbot für Libanesen verhängt, dennoch stieg die Anzahl der Libanesen weiter leicht an. Libanesen erlangten herausragende Positionen im Handel und kontrollieren noch heute einen bedeutenden Teil der Geschäfte.

Die ersten Senegalesen gelangten infolge ihrer Einbeziehung in die französische Kolonialarmee nach Europa. Viele Soldaten verdingten sich nach ihrem Ausscheiden aus der Armee im Hafen von Marseille, das zu einem Zentrum der Senegalesen in Europa wurde. Frankreich blieb aufgrund der engen Beziehungen Senegals zur einstigen Kolonialmacht lange das bei Weitem bedeutendste europäische Zielland senegalesischer Migranten, welche insbesondere im europäisch-afrikanischen Handel aktiv waren. Frankreich führte 1985 die Visumspflicht für den Senegal ein, womit andere Länder als Migrationsziele an Bedeutung gewannen. Italien wurde als Folge der Legalisierungen des Aufenthaltes irregulärer Migranten im Zuge der Gesetzesakte Martellis (1990) und Dinis (1994) in den 1990er Jahren zum wichtigsten europäischen Zielland senegalesischer Migranten. Arbeit fanden die Zuwanderer sowohl im Tourismus als auch in der Industrie Norditaliens. Seit Ende der 1990er Jahre haben der Bausektor und die Landwirtschaft Spaniens zunehmend senegalesische Migranten angezogen.

Auch die Vereinigten Staaten wurden in der letzten Dekade als Zielland insbesondere für die jüngeren Angehörigen der Mittelschicht immer beliebter. Die Migration in die USA entwickelte sich durch Geschäftsreisen von Händlern, die elektronische Geräte in den Senegal einführten und afrikanische Waren in die USA exportierten. Insbesondere in New York hat sich eine starke senegalesische Gemeinschaft herausgebildet. Die jüngere Generation von Migranten ist überwiegend im niedrig entlohnten Dienstleistungssektor tätig.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Anzahl der Guineer im Senegal ist nach dem Tod Tourés von 300.000 Personen in den 1970er Jahren auf etwa 45.000 gesunken.

  2. Ende der 1990er Jahre dann lediglich 7.100.

  3. In Folge der Ereignisse von 1989 (siehe Flucht und Asyl) verließ ein Großteil der Mauretanier das Land. Daten aus Fall (2003).

  4. Siehe Marfaing (2005). In den letzten Jahren vernachlässigte Mauretanien den Fischereisektor zugunsten der jüngst begonnenen Erdölförderung, womit sich die Möglichkeiten zum Fischfang weiter verschlechtert haben.

  5. Dem Krieg ging ein Machtkampf zwischen Eliten des Nordens und des Südens voraus. Der Norden ist mehrheitlich muslimisch, und seit der späten Kolonialzeit haben sich dort viele Arbeitsmigranten, überwiegend aus Burkina Faso, niedergelassen. Im Zuge der Zuspitzung der politischen Krise bildete sich im Süden eine stark gegen Muslime und Zuwanderer allgemein gerichtete Stimmung heraus.

  6. Siehe hierzu Grégoire (2004) und Mattes (2006).

  7. Dem geschäftlichen Erfolg der Libanesen wird vielfach mit Ablehnung begegnet. Gründe hierfür sind die direkte Konkurrenz mit Einheimischen im Groß- und Einzelhandel und die relativ starke Abschottung der endogamen libanesischen Gemeinschaft von der senegalesischen Gesellschaft. Anders als Mauretanier standen Libanesen des Weiteren nicht unter dem Schutz der offiziellen panafrikanistischen Ideologie, und im Gegensatz zu Franzosen wurden sie nicht durch enge politische Beziehungen des Senegal zum Herkunftsland protegiert. Das genannte Niederlassungsverbot scheint auf mündliche Anweisung des Präsidenten zurückgegangen und nicht in Gesetzesform fixiert worden zu sein. Siehe Behrendt (2004).

  8. Siehe République du Sénégal (2004) und Tall (2002).

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