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Ausbreitung des Kolonialismus | Afrika | bpb.de

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Ausbreitung des Kolonialismus

Stefan Mair

/ 11 Minuten zu lesen

Die Ausbreitung des Kolonialismus ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Afrika - vorwiegend durch die Europäer - führte dort zu einem grundlegenden Strukturwandel politischer und wirtschaftlicher Systeme mit tief greifenden Auswirkungen. Vor allem Missionare, Forscher und Abenteurer trieben die Kolonialisierung voran.

Auszug aus:
Informationen zur politischen Bildung (Heft 264) - Ausbreitung des Kolonialismus

Einleitung

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts beschränkte sich die europäische Fremdherrschaft über afrikanische Landstriche in der Regel auf einige Handelsniederlassungen und befestigte Stützpunkte an der Küste sowie deren unmittelbares Hinterland. Ausnahmen von dieser Regel waren die Versuche der Portugiesen, sich bereits im 16. Jahrhundert entlang des Sambesi tiefer im heutigen Moçambique zu etablieren. Hinzu kamen die Vorstöße der Siedler der Kapkolonie, die Mitte des 18. Jahrhunderts in einem großen Treck die Siedlungsgrenze etwa 800 Kilometer nach Nordosten verlegten. Bereits lange vor den Europäern hatten arabische Händler ausgehend von Sansibar schon weit innerhalb Ostafrikas Handelsniederlassungen errichtet, die vor allem dem Sklaven- und Elfenbeinhandel dienten.

Wettlauf der Kolonialmächte

Die völlige Durchdringung des afrikanischen Kontinents durch die Europäer wurde weniger von Händlern und Politikern als vielmehr von Forschern, Abenteurern und Missionaren vorangetrieben. Geprägt von den Ideen der Aufklärung entwickelte sich ein Wettlauf zwischen den Entdeckern, um die letzten weißen Flecken auf der afrikanischen Landkarte zu tilgen. Es wurde als große Herausforderung empfunden, daß gerade jener fremde Kontinent am wenigsten erforscht war, der "vor der Haustür" Europas lag. Im Mittelpunkt des Forscherinteresses lag die Entdeckung der Quellgebiete der großen Flüsse Afrikas, des Niger, des Kongo und des Nil. Insbesondere der Wettlauf um die Entdeckung der Nilquellen nahm schon fast absurde Formen an – nicht zuletzt deshalb, weil damit die Hoffnung verbunden war, die sagenumwobenen Goldvorkommen der Königin von Saba zu finden.

Gefördert wurde dieser Wettlauf unter anderem von der britischen Royal Geographic Society, von Handelsunternehmen und europäischen Zeitungen. Die Ideen der Aufklärung hatten aber auch indirekt dem Missionsgedanken neuen Aufschwung gegeben. Während lange Zeit die schwarze Bevölkerung Afrikas vornehmlich als "gottlose Wilde" betrachtet wurden, die deshalb nicht in den Genuß der christlichen Heilsbotschaft kommen könnten, hatte die Aufklärung das Bild des "Wilden" verändert und zumindest seine Menschlichkeit als unzweifelhaft definiert. Damit stand für die europäischen Kirchen die Verpflichtung außer Frage, ihre Missionstätigkeit auf den afrikanischen Kontinent auszudehnen.

Im Gefolge der Missionare und Entdecker drangen auch zahlreiche Händler in bis dahin unbekannte Gebiete vor und versuchten, mit den Herrschern vor Ort Handelsabkommen zu schließen, die ihnen wirtschaftliche Monopol- oder zumindest Vorrechte garantierten. Je stärker sich der Wettbewerb zwischen den einzelnen Händlern intensivierte, desto mehr versuchten sie, ihre Heimatstaaten in Schutzabkommen einzubinden.

Motive der europäischen Mächte

Damit ist bereits ein Grund genannt, warum europäische Mächte zu Kolonialmächten in Afrika wurden: In der Frühphase des Kolonialismus konnten sie sich zum Teil der Dynamik nicht entziehen, die der Missionsgeist der Kirchen, die Handelsinteressen der Unternehmer und die Entdeckungen der Forscher entfalteten. Die Bereitschaft europäischer Regierungen, sich auf die von einflußreichen Bevölkerungsgruppen geforderte Rolle einer Schutzmacht in afrikanischen Territorien einzulassen, wurde durch mehrere Faktoren erleichtert. Erstens ist die Kooperationswilligkeit ihrer afrikanischen Vertragspartner zu nennen: Sie hatten ein Interesse an der Aufrechterhaltung von Handelsbeziehungen, versuchten externe Schutzmächte als Trümpfe in internen Auseinandersetzungen oder Konflikten mit Nachbarn oder Konkurrenten auszuspielen, oder sie betrachteten derartige Verträge allein als Stück Papier, das ihnen Unannehmlichkeiten mit den europäischen Mächten ersparte, ohne große Folgen für die internen Machtstrukturen zu haben. Zweitens haben sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die Kosten der europäischen Staaten für eine Inbesitznahme afrikanischen Landes verringert – zum einen durch militär-technologische Fortschritte, die sie in der Kriegsführung den Afrikanern weit überlegen machten, zum anderen durch medizinische Fortschritte bei der Bekämpfung tropischer Krankheiten.

Es ist jedoch keineswegs so, daß Großbritannien, Frankreich, Portugal, Deutschland, Belgien und Spanien nur deshalb Kolonialmächte in Afrika wurden, weil der Aufwand niedrig gewesen ist. Es gab durchaus volkswirtschaftliche Erwägungen wie die Aufrechterhaltung von Handelsfreiheit in Afrika oder globale strategische Überlegungen wie die Sicherheit der Seeroute von Europa nach Indien, die den Erwerb von Kolonien begünstigten. Wichtiger war jedoch die national aufgeheizte Stimmung in den meisten Ländern Europas, die es Offizieren, Kaufleuten, Industriellen, Missionaren und Forschern ermöglichte, Druck auf ihre Regierungen auszuüben. In Deutschland organisierten sich diese Personengruppen im Kolonialverein. Ihre Forderungen nach wirtschaftlicher Autarkie, Zugang zu Rohstoffen, Öffnung von Märkten, Schutz von Handelsrouten, Ausübung kultureller Hegemonie und das Empfinden, sich im Konkurrenzkampf mit anderen europäischen Mächten zu befinden, wurden von weiten Teilen der Bevölkerung in Frankreich, Großbritannien und Deutschland geteilt. Der europäische Imperialismus war somit weniger die Folge geopolitischer Überlegungen oder von Problemen der Kapitalverwertung in den frühen Industriestaaten, sondern basierte vor allem auf innenpolitischen Faktoren. Hinzu kamen spezifische Konstellationen vor Ort, die koloniale Expansion begünstigten oder bevorzugten.

Schritte zur Eroberung

Der französische Vorstoß in Westafrika vom Senegal aus wurde von einem patriotischen Gouverneur initiiert, der Frankreichs Heil im Erwerb von Kolonien sah. Dadurch sahen wiederum die Briten etablierte Handelsinteressen am Unterlauf des Niger bedroht. Sie verstärkten deshalb dort ihr Engagement. Durch das weitere Vordringen der Franzosen Richtung Zentralafrika sah sich der belgische König Leopold II. in seinen Bemühungen gefährdet, die Kontrolle über das Kongobecken auszuweiten, von dem er sich eine reiche Ausbeute versprach.

Die Briten erkannten Portugals jahrhundertealte Besitzungen in West- und im südlichen Afrika an, wofür sie dort im Gegenzug uneingeschränkte Handelsrechte erhielten. Der De-facto-Ausschluß der Händler anderer Nationen rief wiederum diese Staaten auf den Plan, allen voran Deutschland, das nun begann, sich in Westafrika, Südwestafrika und Ostafrika Kolonien zu sichern. Diese Entwicklungen in den einzelnen Regionen Afrikas waren eng miteinander verknüpft und bedingten sich zum Teil gegenseitig, so daß daraus letztendlich der Wettlauf der Kolonialmächte um afrikanische Besitzungen Ende des 19. Jahrhunderts entstand.

Um diesen Wettlauf in geordnete Bahnen zu lenken und Deutschlands Rolle als europäische Ordnungsmacht zu unterstreichen, organisierte Bismarck Ende 1884 die Berliner Konferenz, bei der die europäischen Mächte Afrika unter sich aufteilten. Sie endete 1885 mit folgenden Beschlüssen: Die Anerkennung der Besitzansprüche Leopolds II. im Kongobecken und Frankreichs in Zentralafrika, verbunden mit der Garantie der Handelsfreiheit in diesen Regionen.

Zudem wurden Großbritanniens Vorherrschaft im Mündungsgebiet des Niger und jene Frankreichs am Oberlauf des Flusses anerkannt. Die Anerkennung aller weiteren Besitzansprüche sollte in Zukunft von der Stärke des Engagements der Kolonialmächte in den jeweiligen Gebieten abhängen. Dies führte dazu, daß sie dort, wo sie bisher nur durch vereinzelte Handelsniederlassungen und isolierte Stützpunkte vertreten waren, ihre Herrschaft geographisch und funktional ausdehnten.

Nur in wenigen Fällen kam es in dieser Phase zu Konflikten zwischen den Kolonialmächten. Hervorzuheben sind hierbei der Konflikt zwischen Deutschland und Großbritannien um die Kontrolle in Ostafrika, der damit endete, daß Deutschland das Festland des heutigen Tansania mit Ruanda und Burundi zugesprochen bekam, Großbritannien das heutige Kenia. Die Konkurrenz zwischen Frankreich und Großbritannien um die Kontrolle über den Südsudan hätte beinahe zum Krieg zwischen beiden Mächten geführt.

Letztendlich mußte jedoch Frankreich, nachdem es bereits bis zum weißen Nil vorgestoßen war, klein beigeben. Der einzige wirkliche Krieg um koloniale Besitzungen in Afrika südlich der Sahara wurde zwischen Großbritannien und der südafrikanischen Burenrepublik ausgetragen. Der britische Sieg über die Buren mußte mit einem drei Jahre dauernden Krieg und dem Verlust von mehr als 20000 Menschenleben erkauft werden.

Der erste Weltkrieg beendete Deutschlands kurze Zeit als Kolonialmacht. Es verlor seine Kolonien Südwestafrika (Namibia), Tanganyika (der Festlandteil des heutigen Tansanias), Kamerun und Togo an Großbritannien, Frankreich und Südafrika, nicht ohne allerdings auch den Krieg um den Erhalt der Kolonien in Südwest- und Ostafrika ausgetragen zu haben.

Strukturwandel

Die Kolonisierung Afrikas führte zu einem grundlegenden Wandel afrikanischer politischer und wirtschaftlicher Systeme sowie der bestehenden Sozialstrukturen. An die Stelle der regionalen Vielfalt, die noch Mitte des 19. Jahrhunderts in Afrika südlich der Sahara herrschte, trat die Übertragung relativ uniformer politischer Modelle und einheitlicher Wirtschaftsstrukturen. Eine der ersten entscheidenden Änderungen war die Festlegung von Grenzen in Afrika. Traditionelle afrikanische politische Einheiten kannten keine festen Grenzen (vgl. S. 11ff.).

Stark vereinfacht formuliert handelte es sich bei ihnen entweder um zentralistische Staatswesen, für die zwar ein Kerngebiet identifizierbar, das aber von Einflußzonen und Vasallenstaaten umgeben war. Die Grenzen zwischen Kerngebiet und Einflußzone sowie zwischen Einflußzone und nicht politisch kontrollierten Gebieten waren jeweils fließend. Daneben gab es Regionen, die keiner zentralen Kontrolle unterlagen, sondern von relativ autonomen, einander verbundenen oder sich befehdenden Dorfgemeinschaften beherrscht wurden.

Formen der Kolonialverwaltung

Die Kolonialmächte errichteten innerhalb der von ihnen definierten Grenzen unterschiedliche Formen der Kolonialverwaltung, die idealtypisch in die Kategorien direkte und indirekte Herrschaft unterteilt werden können. Erstere wurde im wesentlichen von Frankreich, Belgien und Portugal bevorzugt, letztere von Großbritannien. Direkte Herrschaft in ihrer reinen Form bedeutete, daß alle entscheidenden Stellen im Verwaltungsapparat einer Kolonie mit europäischen Beamten besetzt wurden, selbst jene in den entlegensten Winkeln der Kolonialreiche. Vorkoloniale politische und administrative Strukturen wurden zerschlagen, traditionelle Herrscherfunktionen nur auf unterster lokaler Ebene zur Machtausübung benutzt.

Demgegenüber hatten die Briten erstmals in Nordnigeria ein Herrschaftssystem getestet, bei dem sie sich bestehender politischer und administrativer Strukturen bedienten, also ihre Herrschaft indirekt ausübten. Das bedeutete jedoch nicht, daß sie alle traditionellen Herrscher in ihren Funktionen belassen hätten. Dieses Privileg genossen nur die kooperationsbereiten Vertreter, Widerstand Leistende wurden ausgetauscht. Gegenüber dem Modell der direkten Herrschaft besaß das der indirekten den Vorteil, daß es bei weitem mit geringeren Kosten verbunden war. Andererseits barg es das Risiko, daß traditionelle Herrscher ihre relative Autonomie zur Mobilisierung von Widerstand gegen die Kolonialherrschaft einsetzen konnten.

Unabhängig von der Frage direkter oder indirekter Herrschaftsausübung war es in jedem Fall die wichtigste Aufgabe der Kolonialbeamten, Finanzmittel für die Aufrechterhaltung der Kolonialverwaltung zu beschaffen. Dies geschah in der Regel durch Steuern und Zwangsarbeit, in den wenigen Gebieten Afrikas, in denen der Handel relativ intensiv war, auch durch Zölle. Daneben hatten die Kolonialbeamten vornehmlich für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung zu sorgen. Dazu diente der Einsatz militärischer Gewalt und eine äußerst repressive Form der Rechtsprechung, die traditionelle afrikanische Systeme der Rechtsfindung zerschlug.

Wirtschaftliche und gesellschaftliche Änderungen

Besteuerung und Zwangsarbeit sollten jedoch nicht nur die Kosten der Kolonialverwaltung finanzieren. Sie hatten auch den Zweck, die afrikanische Bevölkerung zum Aufbau elementarer Infrastruktureinrichtungen heranzuziehen sowie ihre Integration in das koloniale Wirtschaftssystem zu erzwingen.

Die zentrale Infrastrukturinvestition war der Bau von Eisenbahnen. Er wurde ursprünglich vor allem aus strategischen Erwägungen begonnen, da nur die Eisenbahn den schnellen Transport von Truppen in entlegene Gebiete ermöglichte. Mit Hilfe des Schienenverkehrs gelang die Überwindung des afrikanischen Transportproblems, das bis dahin das entscheidende Hemmnis einer beschleunigten wirtschaftlichen Entwicklung gewesen war. Die Eisenbahn senkte wesentlich die Transportkosten. Für die zukünftige Entwicklung Afrikas war jedoch von Nachteil, daß die Eisenbahnschienen nicht traditionellen Handelsrouten folgten oder die wirtschaftliche Erschließung des gesamten Kolonialgebietes zum Ziel hatten. Vielmehr dienten sie neben dem strategischen Zweck nun vor allem dazu, den Gütertransport aus landwirtschaftlich oder mineralisch begünstigten Regionen zu den Häfen oder politischen Zentren eines Kolonialgebietes sicherzustellen.

Die Ausbeutung der mineralischen Ressourcen und die Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion wären aber nicht möglich gewesen, wenn Steuerpflicht und Zwangsarbeit Afrikaner nicht dazu gezwungen hätten, sich in Minen und Plantagen zu verdingen. Da diese Arbeitstätigkeit in der Regel nicht für den Lebensunterhalt des Arbeiters und seiner Familie ausreichte, mußten er oder andere Familienmitglieder weiter das ihnen zur Verfügung stehende Land bestellen. Dies forcierte die Ausbildung einer spezifischen Form von Arbeitsstrukturen in vielen Kolonien, der Wanderarbeit. Die erwachsenen männlichen Mitglieder eines afrikanischen Haushalts arbeiteten zeitweilig außerhalb der Dorfgemeinschaft, die Frauen verblieben in ihr und arbeiteten in der Landwirtschaft. Dieses Schicksal blieb nur jenen Bauern erspart, die bereits vor der kolonialen Eroberung landwirtschaftliche Rohstoffe produziert und gehandelt hatten oder in Gebieten um die europäischen Siedlungszentren lebten und diese mit Nahrungsmitteln versorgten.

Auswirkungen

Die wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen der Kolonialherrschaft auf afrikanische Gesellschaften waren tiefgreifend. Traditionelle politische und administrative Systeme wurden entweder im Rahmen der direkten Herrschaft zerschlagen, oder deren Führer durch Einbindung in die indirekte Herrschaft teilweise diskreditiert. Gleichzeitig führte die indirekte Herrschaft häufig zur Verschärfung von Konflikten zwischen Volksgruppen. So bedienten sich die Briten in Uganda der Aristokratie und der administrativen Strukturen des Königreichs Buganda, um auch den Rest des Landes zu regieren. Außerdem verpflichteten sie vor allem Soldaten der als kriegerisch geltenden Volksgruppen aus dem Norden Ugandas, um das Territorium militärisch unter Kontrolle zu halten. Dieser Fall ist exemplarisch für eine Politik des Prinzips "Teile und Herrsche", die wesentlich zur Vertiefung innenpolitischer Konflikte beitrug und Nährboden für spätere gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Volksgruppen war.

Eine weitere Auswirkung der Kolonialherrschaft war das Heranwachsen einer neuen afrikanischen Elite, die sich vor allem aus Verwaltungsbeamten, aus erfolgreichen Unternehmern und Missionsschülern rekrutierte. Sie ging zum Teil aus der traditionellen Elite hervor, versuchte sich aber auch von ihr abzugrenzen und sah sich in Konkurrenz zu ihr. Ein weiterer, negativer politischer Effekt der Kolonialherrschaft bestand darin, daß in ihr der Staat und seine Vertreter vor allem als Unterdrücker, Kontrolleure und Ausbeuter auftraten. Dies sollte die Einstellung der meisten afrikanischen Gesellschaften gegenüber dem Zentralstaat für Generationen beeinflussen.

Die Ausrichtung der Infrastrukturnetze auf den an den Interessen der Kolonialmächte ausgerichteten Zweck, landwirtschaftliche sowie mineralische Kerngebiete mit Häfen und Verwaltungszentren zu verbinden, behinderte in der nachkolonialen Phase die Integration der jeweiligen Volkswirtschaften. Sie begünstigt bis heute internationale Wirtschaftsstrukturen, bei der die ehemaligen Kolonialgebiete überwiegend die Rolle des Lieferanten mineralischer und landwirtschaftlicher Rohstoffe spielen.

Wanderarbeit und Geldwirtschaft führte zu grundlegenden Veränderungen in der Sozialstruktur. Sie schwächten die Familienbande und die Stellung der Frau, die vom Gelderwerb weitgehend ausgeschlossen war. Sie untergruben auch die traditionell starke Position der älteren Generation in afrikanischen Gesellschaften, da sie geringen Wert als Arbeitskräfte hatten. Frauen und die ältere Generation profitierten auch kaum von der Ausbreitung des Bildungswesens in einer späteren Phase der Kolonialherrschaft und gerieten somit gegenüber dem männlichen Teil jüngerer Generationen mehr und mehr ins Hintertreffen.

Ebenfalls in einer späteren Phase trat ein, was gegenwärtig für eine der entscheidenden Auswirkungen der Kolonialherrschaft gehalten wird: die Verbesserung des Gesundheitswesens und damit die einschneidende Senkung der Sterblichkeitsraten. In Verbindung mit gleichbleibend hohen Geburtenraten verursachte sie ein anhaltend hohes Bevölkerungswachstum in Afrika südlich der Sahara. Trotz der mit diesem Wachstum verbundenen Probleme, sind sowohl die Verbesserung des Gesundheitswesens als auch die Expansion des Bildungswesens zwei positive Ausprägungen des Kolonialismus in Afrika. Auch der Aufbau einer Basisinfrastruktur wären ohne koloniale Inbesitznahme in so relativ kurzer Zeit kaum möglich gewesen. Außerdem hat sie den sozialen und kulturellen Wandel in der Region beschleunigt.

Zum Teil werden die Auswirkungen des Kolonialismus aber auch überschätzt. Die Kolonialherrschaft hat wenig am personalistischen Politikverständnis der meisten afrikanischen Gesellschaften geändert. Sie konnte den Vorrang lokaler sozialer Identitäten – wie den der Familie, der Dorfgemeinschaft, des Clans, der Altersgruppe und der Volksgruppe – vor abstrakteren, allgemeineren Identitäten wie die der Nation nicht beenden. Ebensowenig führte sie in den meisten Fällen zu einer grundlegenden Veränderung der vor allem auf den Eigenbedarf ausgerichteten Wirtschaftsweise afrikanischer Kleinbauern.

Der Streit darüber, ob der Kolonialismus Afrika grundlegend verändert hat oder ob traditionelle Strukturen noch immer das Leben in Afrika so sehr bestimmen, daß die Phase kolonialer Unterwerfung eine Episode war, ist müßig. Kapitalismus, Christentum und Islam, das Konzept des Nationalstaats und westliche Werte erfuhren durch ihren Kontakt mit afrikanischen Kulturen einschneidende Umformungen, wie sie auch diese Kulturen grundlegend modifizierten. Dieser Prozeß wird von dem Historiker John Iliffe so beschrieben: "Das Neue ersetzte nicht einfach nur das Alte, sondern vermischte sich vielmehr mit diesem, belebte es manchmal neu und führte zu neuartigen, spezifisch afrikanischen Formen der Synthese."

Fussnoten

Dr. Stefan Mair ist Mitglied des Afrikaberatungskreises des Auswärtigen Amtes. Aktuelle Schwerpunkte betreffen vor allem innerafrikanische zwischenstaatliche Beziehungen, Demokratisierungshilfe und internationale Wahlbeobachtung sowie deutsche Interessen in Afrika, Staatszerfall und Konfliktlösung. Mair veröffentlichte zu diesen Themen mehrere Bücher und Aufsätze, unter anderem "Afrika südlich der Sahara" (1999) und "German-African Relations" (1998).