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Soziale Bewegungen in Panama | Lateinamerika | bpb.de

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Soziale Bewegungen in Panama

Holger M. Meding Holger Meding

/ 7 Minuten zu lesen

Unter dem Namen "Bürgerlicher Kreuzzug" formierte sich in den Achtzigern die wichtigste Sammelbewegung, die offen gegen die Militärdiktatur Manuel Noriegas protestierte. Ihr Leitspruch, "Demokratie, Recht und Freiheit", wurde zum Synonym für gewaltfreien Widerstand.

Obwohl Panama genug Lebensmittel hätte, hungert fast ein Viertel der Bevölkerung. (© AP)

Die Gesellschaft der Isthmusrepublik blieb in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens von größeren sozialen Erschütterungen verschont. Der Wohlstandszuwachs der Kanalbauphase (1904–1914) verteilte sich zwar sehr ungleich, aber erreichte zumindest indirekt alle Schichten der Bevölkerung des Transitraumes, sodass die Gefahr schwerer sozialer Unruhen, die noch Ende des 19. Jahrhunderts drangvoll auf der Region gelastet hatte, nicht mehr bestand. Die politischen Spannungen des Landes zeigten sich daher hauptsächlich – neben den Dauerkonflikten mit den USA - als Auseinandersetzungen zwischen Machtgruppen der Oberschicht. Erst mit der Fertigstellung des Panama-Kanals verschärfte sich erneut die soziale Situation, als die Entlassungen von Arbeiterkontingenten aus der US-beherrschten Kanalzone eine Wohnraumknappheit in Panama-Stadt und Colón verursachten.

Im Namen der Toten

Der Mieteraufstand von 1925 führte zu ausufernden Protesten, welche unkontrollierbar zu werden drohten. Schließlich bat die Regierung Panamas das US-Militär um Beistand, welches dann auch in kurzer Zeit Ruhe und Ordnung wiederherstellte. Diese Intervention wurde für die politische Linke Panamas zu einem Kristallisationspunkt: Jedes Jahr nun wurde – mithilfe von Aufmärschen - der Toten des Aufstandes gedacht. Massen konnten zu sozialem Protest mobilisiert werden. Man strich den augenfälligen Einklang zwischen den strategischen und ökonomischen Interessen der USA und den Besitzstand wahrenden Interessen der panamenischen Oligarchie heraus.

Die Klassenkonflikte Panamas wurden in zunehmendem Maße von Rassenkonflikten begleitet, die sich durch die Anwerbung von schwarzen englischsprachigen Arbeitern für die US-geführten Großbauprojekte auf dem Isthmus ergaben. Panama selber hatte lange Zeit kein Mitspracherecht bei den Anwerbungen, war aber mit sozialen Problemen konfrontiert, wenn Arbeitskräfte entlassen wurden, die dann die Kanalzone zu räumen hatten und in die Republik Panama wechselten. Die dergestalt zugewanderten Schwarzen unterboten das herrschende Lohnniveau und sorgten damit für soziale Spannungen und ein unheilvolles Klima von Bedrohungsängsten, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

Gegen Mitte der Zwanzigerjahre formierte sich eine Bewegung, die mit den oligarchischen Strukturen des Landes brechen wollte. Die zumeist jungen Mitglieder wandten sich in ihrem radikalen Nationalismus gegen den schleichenden Siegeszug englischer Sprache, die US-amerikanische Dominanz und gegen die willige Bereitschaft der eigenen Politiker, dies zuzulassen. Ihre Bürgeraktion (Acción Comunal) machte zudem Front gegen die Großgrundbesitzer und ihre Privilegien und führte eine antikapitalistische Rhetorik. Ein neues Element in der politischen Debatte war der Einsatz zugunsten des vernachlässigten Bauerntums.

Nationalgarde als Machtfaktor

Arnulfo Arias, ein Tatmensch aus den Reihen der Acción Comunal und wohl radikalster Präsident Panamas, betrieb eine volksnah-nationalistische, anti-US-amerikanische und fremdenfeindliche Politik. Als er sich daraufhin im Jahr 1941 den Forderungen Washingtons entzog und Panamas Souveränität herausstrich, wurde er unter Mithilfe des US-Geheimdienstes gestürzt. Nach dieser Zerstörung des politischen Systems fand das Land für ein halbes Jahrhundert nicht mehr in konstitutionelle Verhältnisse zurück. Es geriet in einen Strudel mehr oder weniger scheindemokratischer Militärherrschaften, und die Nationalgarde wurde zum alles entscheidenden Machtfaktor. Gegen diese sich abzeichnende Entwicklung bildete sich 1944 und 1945 der Frente Patriótico de la Juventud (Patriotische Front der Jugend). Die Bewegung entstammte eher der Mittelklasse, die sich den verkrusteten Parteienstrukturen entgegen stellte und dem Land ein jüngeres Gesicht geben wollte. Die Bürgerbewegung formierte sich bald als politische Partei, welche sogar kurzzeitig den Präsidenten des Landes stellen konnte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg betrieben die Regierungen Panamas eine technokratische Modernisierungspolitik, welche bessere Erziehung, Straßenbau, öffentliches Gesundheitswesen vorsah – insbesondere auf dem Land. Gleichzeitig sollte die Nutzbarkeit des Bodens effektiver gestaltet werden, sodass auf Gesetzesebene günstige Investitionsbedingungen geschaffen wurden. Die im Zuge dieser Maßnahmen durch Benachteiligungen, Enteignungen und Vertreibungen beeinträchtigten Landarbeiter wehrten sich in Bauernvereinigungen (Ligas Campesinas), die ihrerseits durch die Nationalgarde bekämpft wurden. In den gewalttätigen Auseinandersetzungen, die sich zunehmend radikalisierten, versuchte zum Teil die Kirche zu vermitteln.

Parallel existierten nationalistische Strömungen, die sich gegen die USA und deren Präsenz in der Kanalzone richteten. Kleine Vorfälle genügten zuweilen, um heftige Reaktionen hervorzurufen. Als sich 1964 eine US-amerikanische Schule in der Kanalzone vertragswidrig weigerte, neben dem Sternenbanner die Nationalflagge Panamas zu hissen, kam es zu spontanen Auseinandersetzungen zwischen panamenischen Studenten und den Sicherheitskräften der Kanalzone, an deren Ende mehr als 20 Tote und viele Verletzte standen und kurzfristig sogar die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern unterbrochen waren.

Der linken Militärdiktatur unter dem charismatischen Omar Torrijos gelang es in den Siebzigerjahren, den nationalen und sozialen Protestbewegungen die Spitze zu nehmen, indem man einerseits in massiver Auseinandersetzung mit den USA um die Rückgabe der Kanalzone stritt und andererseits den Vertretern der Landarbeiter Gehör verschaffte und ihre Anliegen staatlicherseits aufgriff. Auch wurden Arbeiterorganisationen wie dem Consejo Nacional de Trabajadores Organizados (Nationalrat organisierter Arbeiter) tarifliche Rechte zugestanden - bei schleichender Integration in die Regierungspartei. Ineffektivität, Klientelismus des herrschenden Systems und die Interessen des Kapitals bewirkten in den 1980er-Jahren allerdings eine Einstellung der Umarmungsstrategie, sodass die soziale Frage wieder unabhängiger von der herrschenden Politik thematisiert wurde.

Bürgerlicher Kreuzzug

Die wohl wichtigste Sammelbewegung des Widerstandes gegen die Militärdiktatur und ihren starken Mann Manuel Noriega war die Cruzada Civilista ("Bürgerlicher Kreuzzug"), die sich Ende der Achtzigerjahre formierte. Sie versuchte, den Protest auf die Straße zu tragen, prangerte die Menschenrechtsverletzungen und politischen Durchstechereien der Regierung an, rief zum versteckten und offenen Widerstand auf und wurde nicht müde, "democracia, justicia y libertad" ("Demokratie, Recht und Freiheit") zu fordern. Auf ihrem Höhepunkt sollen ihr 150 Organisationen, Vereine und Gruppierungen angehört haben. Die Mitglieder, größtenteils akademischen und mittleren Schichten entstammend, befanden sich im Visier der Staatsorgane. Die Regierung schwankte zwischen Duldung und Repression, verhängte dann aber doch Notstandsmaßnahmen. Gründungsmitglieder wie Aurelio Barría wurden inhaftiert oder, wie Alberto Conte, enteignet, misshandelt und des Landes verwiesen. Die Proteste der Cruzada Civilista waren friedfertig und vielfach symbolisch: Man trug weiße Kleidung, schwenkte weiße Tücher oder zeigte weiße Luftballons. Jeweils um zwölf Uhr mittags und sechs Uhr abends veranstaltete man Hupkonzerte. Einige Mutige verweigerten die Zahlungen von Steuern, Strom-, Telefon- und Wasser-Rechnungen. Die Staatsmacht allerdings war mit bürgerlichem Ungehorsam kaum zu beeindrucken, sodass erst eine US-amerikanische Militärintervention 1989 den Wandel brachte.

Mit der nachfolgenden Demokratisierung konnten sich zahlreiche Organisationen wieder frei artikulieren und nutzten dies auch zugunsten des Aufbaus einer Zivilgesellschaft. Diese heterogenen sozialen Bewegungen waren streckenweise durchaus erfolgreich, konnten zum Beispiel die beabsichtigte Privatisierung der Wasserversorgung verhindern, wenngleich sie in ihrem Protest gegen die Privatisierung im Telefon- und Energieversorgungsbereich scheiterten.

Auch baute sich ein starker nationalistischer Druck gegen jegliche militärische Präsenz der USA im Lande auf. US-Wünsche, nach der Rückgabe der Kanalzone an Panama im Jahre 1999 eine Drogenbekämpfungseinheit in operativer Stärke dauerhaft im Lande zu belassen, wurden abgewiesen. Gegen alle wirtschaftlichen Argumente stand der Wille, die Souveränität zu wahren. Zu leidvoll waren die Lektionen der Vergangenheit.

1998 organisierte sich 1998 eine Sammelbewegung, welche die unteren und mittleren Schichten im Protest vereinigen wollte: El Movimiento Nacional por la Defensa de la Soberanía (MONADESO: "Nationale Bewegung für die Verteidigung der Souveränität"). Man stellte sich gegen die neoliberale Regierungspolitik der Neunzigerjahre und gegen stärkere Bindungen an die USA. MONADESO verlieh der vorherrschenden Unzufriedenheit eine Stimme und besaß streckenweise eine breite Basis: Wortführer war längere Zeit der Menschenrechtler und Priester Conrado Sanjur; anderen Teilgruppierungen wurde die Nähe zum linksterroristischen Milieu nachgesagt.

Während um die Jahrtausendwende noch massenhafte Proteste und Streiks gegen Privatisierungen und gegen den Rückzug des Staates aus der Wirtschaftslenkung stattfanden, wirken die sozialen Bewegungen im aktuellen Panama eher marginalisiert. Mangelnde Koordination, innere Heterogenität und eine soziale Regierungspolitik verringern ihren Spielraum.

Plan Puebla – Panamá

Gleichwohl werden zahlreiche Projekte auf lokaler und regionaler Ebene wegen ihrer ökologischen und sozialen Folgen attackiert. Aktuell artikulieren sich zahlreiche Bauernvereinigungen gegen Agrobusiness, Kanal-Erweitungspläne mit ihren Konsequenzen, Minenprojekte und Staudämme ("Coordinadora Campesina contra los Embalses"). Globalisierungsgegner wenden sich gegen eine US-dominierte gesamtamerikanische Freihandelszone sowie gegen den "Plan Puebla – Panamá", der die Großregion Südmexiko-Mittelamerika durch großräumige Infrastrukturprojekte in den Bereichen Telekommunikation, Verkehrswesen, Handel, Tourismusförderung, Ressourcennutzung und Investitionsförderung fördern soll.

Wenngleich weniger stark als in früheren Jahrzehnten, bleibt die Sehnsucht nach radikalem Wandel durchaus latent vorhanden. 50 soziale Vereinigungen und 30 studentische Vertretungen Panamas hießen 2006 den linkspopulistischen Präsidenten Venezuelas, Hugo Chávez willkommen, doch haben sich solche Sympathieaktionen noch nicht zu einer Volksbewegung mobilisieren lassen.

Indigenistische Bewegungen

Das Modernisierungsprojekt der fortschrittlich orientierten Regierungen in Panama-Stadt sah ebenfalls vor, die indianischen Gruppen auf dem nationalen Territorium zu zivilisieren. Das Stammesbewusstsein sollte – in Sitten, Kleidung, Nahrungsgewohnheiten, Religion – zugunsten einer gesamtpanamenischen Identität aufgegeben werden. Doch besonders unter den Kuna-Indianern setzten sich die Traditionalisten durch und leisteten gewalttätigen Widerstand. In einer Erhebung töteten 1925 mehrere panamenische Polizisten und hissten ihre Aufstandsflagge, auf der ein Hakenkreuz prangte.

Panama musste schließlich seine Zivilisierungspolitik einstellen. Ein Schutzgebiet (reserva indígena) wurde vereinbart, in welchem eine Autonomie der Indianer bei Akzeptanz der panamenischen Oberhoheit vorgesehen war. Der Aufstand wurde im Sinne eines Freiheitskampfes zu einem Mythos und fand Einzug in eine indigenistische Bewegung. Die Kuna-Indianer bilden bis heute eine autonome Stammesgemeinschaft (Kuna Yala) auf dem Staatsgebiet Panamas. Sie pflegen ihre Sprache und ihre tribalistische Gesellschaftsordnung; es gilt indianisches Recht.

Bei aller autonomen Selbstverwaltung integrierten sich die Kuna nach dem Aufstand langfristig in den panamenischen Staat; sie bestimmten das Tempo und die Intensität dieses Prozesses allerdings selbst. In gegenseitigem Respekt beschritt man schließlich - und langfristig auch erfolgreich - den Weg der evolutionären Integration.

Weitere Inhalte

PD Dr. Holger M. Meding, Jahrgang 1962, Hochschullehrer des Historischen Seminars der Universität zu Köln, lehrt Iberische und Lateinamerikanische Geschichte. Zu Panama hat er u.a. publiziert: Panama. Staat und Nation im Wandel, 1903 - 1941, Köln u.a. 2002 (Habilitationsschrift).