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Das indische Kino, die Kinos Indiens | Indien | bpb.de

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Das indische Kino, die Kinos Indiens Das Filmschaffen im Windschatten Bollywoods ist vielfältig

Dr. Alexandra Schneider

/ 11 Minuten zu lesen

Seit dem Bollywood-Fieber der letzten Jahre zweifelt auch in Europa kaum noch jemand daran, dass das Kino in der modernen indischen Gesellschaft eine bedeutende Rolle spielt. Wenig bekannt ist allerdings die Vielfalt des filmischen Schaffens über Bollywood hinaus. Hinzu kommt die zunehmende Internationalisierung der Filmproduktion in Indien.

Der indische Kinofilm "Slumdog Millionaire" gewann im Jahr 2009 den Oscar als bester Spielfilm. (© AP)

Das Kino ist unsere zweite, in manchen Fällen sogar unsere erste Religion", sagt die indische Fotografin Dayanita Singh. Und spätestens seit dem Bollywood-Fieber der letzten Jahre zweifelt auch in Europa kaum noch jemand daran, dass das Kino in der modernen indischen Gesellschaft eine bedeutende Rolle spielt. Vielleicht nicht zu unrecht reagierte man in Indien auf die westliche "Entdeckung" Bollywoods mit einer gewissen Skepsis, vor allem in intellektuellen Kreisen.

Der folgende Text versucht das Bild des indischen Kinos zu differenzieren, indem er eine filmkulturelle und ökonomische Landkarte der aktuellen Produktion entwirft. Auf dieser Landkarte kommt das Bollywood-Kino vor, aber auch der unabhängige Autorenfilm, die Digitalisierung des Kinos und das Schielen auf den wachsenden asiatischen Filmmarkt.

Filme in 39 der 40 wichtigsten Landessprachen

Das kommerzielle indische Kino ist, gemessen an der Anzahl produzierter Filme, das produktivste der Welt. Je nach Jahrgang und Zählart werden in Indien zwischen 1000 und 1200 Filme pro Jahr gedreht, was ungefähr dem Doppelten des Outputs von Hollywood oder aller europäischen Länder zusammen entspricht. Bollywood, das kommerzielle Hindi-Kino, das zu einem großen Teil in und um Mumbai (früher Bombay) produziert wird, bestreitet dabei entgegen weit verbreiteten Vorstellungen keineswegs den größten Anteil des Film-Outputs des Landes.

Tatsächlich werden die meisten Filme in Südindien gedreht, in Andhra Pradesh und dessen Hauptstadt Hyderabad in der Sprache Telugu sowie in Tamil Nadu mit der Hauptstadt Chennai (früher Madras) auf Tamilisch. Kleinere Produktionsstätten gibt es in fast allen Landesteilen. Insgesamt werden in Indien Filme in 39 der 40 wichtigen Sprachen des Landes gedreht. Anstatt von einem sollte man daher von den vielen Kinos Indiens sprechen.

Gerade in den letzten Jahren zeichnet sich eine zunehmende Regionalisierung der Kinokulturen ab, die sich nicht zuletzt an einem sinkenden Anteil von Hindi-Filmen bemerkbar macht. So investieren etwa indische Unternehmen wie Eros und Reliance Entertainment viel stärker in regionale Märkte, vor allem in Tollywood (Hyderabad) oder Kollywood (Chennai). Begünstigt und verstärkt wird der Geldzufluss zu regionalen Produktionen durch die so genannte Unterhaltungsteuer, von denen etwa in den Teilstaaten Maharashtra und Tamil Nadu Filme in den jeweiligen Regionalsprachen Maharati und Tamilisch ausgenommen sind. Angezogen von dieser Steuererleichterung investieren mittlerweile auch amerikanische Medienkonzerne wie Fox und Disney in indische Regionalproduktionen.

Doch es ist nicht nur die westliche Wahrnehmung, die der Vielfalt der indischen Filmproduktion nicht gerecht wird. Auch innerhalb Indiens bildet die Wertschätzung regionaler Filmproduktionen ein Streitpunkt. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Verbreitung des kommerziellen Films im Ausland. Die Industrie rief im Jahr 2000 die Internationale Indische Filmakademie (IIFA) ins Leben, welche die Unterstützung des indischen Filmschaffens im Ausland zum Auftrag hat. Immer wieder sieht sich die IIFA mit dem Vorwurf von südindischen Filmemachern konfrontiert, die sich nicht hinreichend beachtet fühlen – eine Klage, die umso verständlicher ist, wenn man bedenkt, dass viele Hindi-Blockbuster Remakes von Filmen sind, die zunächst in Tamilisch, Telugu oder dem in Kerala gesprochenen Malayalam gedreht wurden.

Diese Vernachlässigung gründet sicherlich auch in der überragenden ökonomischen Bedeutung des kommerziellen Hindi-Kinos, das in Indien und in den Übersee-Märkten von allen indischen Filmproduktionen die besten Einspielergebnisse erzielt. Anders als die südindischen Filme werden Bollywood-Produktionen in fast allen Landesteilen und Sprachregionen in den Kinos gezeigt und auf Video und DVD vermietet und verkauft. Nicht von ungefähr hat der Lyriker und Drehbuchhautor Javed Akthar das Hindi-Kino als "zusätzlichen imaginären Teilstaat der indischen Republik" bezeichnet.

Blütezeit der romantischen Familienmelodramen

Die herausragende Stellung des Hindi-Films hat nicht nur ökonomische Gründe. Kommerzielle Filme sind Produkte eines spezifischen industriellen Regimes. Sie sind aber auch Produkte einer jeweiligen Kultur und Gesellschaft, und sie reflektieren – wie indirekt auch immer – die Zeit, in der sie entstanden sind. Auf den kommerziellen Hindi-Film trifft dies in besonderer Weise zu, hat dieser doch gerade in der postkolonialen Geschichte Indiens in identitätspolitischer Hinsicht immer wieder eine wichtige Rolle gespielt. Ein Film wie Mother India (Mehboob Khan, 1957) verhandelt den Übergang von einer feudalen ländlichen zu einer demokratischen Gesellschaft an der Schwelle der Industrialisierung. Hindi-Filme verdanken ihren Erfolg so gesehen auch der Tatsache, dass diese – wie dies auch für andere populäre Filmtraditionen gilt – immer wieder auf eine möglichst für alle gesellschaftlichen Gruppen zugängliche Art und Weise virulente gesellschaftliche Konflikte verhandeln.

Seit den 30er Jahren werden kommerzielle Hindi-Filme in über 100 Länder exportiert. Sie alle sind Produkte einer indigenen Industrie, die noch vor der Unabhängigkeit entstand und zu deren Erkämpfung einen nicht zu unterschätzenden Beitrag leistete. Wichtige Absatzmärkte sind die ehemalige Sowjetunion, die Türkei, der afrikanische Kontinent, arabische und zunehmend auch ostasiatische Länder.

Wachsender Einfluss der Multiplex-Kinos

Im Wandel befindet sich aber auch das Kinopublikum in Indien selbst. Die wirtschaftliche Liberalisierung in den 90er Jahren hat zur Herausbildung einer neuen Mittelschicht geführt, die vorzugsweise die zahlreichen neuen Multiplex-Kinos frequentiert, welche vor allem in den urbanen Ballungszentren gebaut werden. Diese machen zwar nur rund 15 Prozent aller Spielstätten aus, erzielen aber rund einen Drittel des Kinoumsatzes. Die Ausdifferenzierung des Marktes erlaubt der Filmindustrie eine stärkere Segmentierung des Publikums und entsprechend eine stärkere Ausrichtung der Produktion auf spezifische Zielgruppen.

Zugleich haben Auslandsinder oder Non Resident Indians (NRI), die im Ausland die wichtigste Publikumsgruppe für indische Filme ausmachen, sowie das neue urbane Multiplex-Publikum in den letzten Jahren auch indirekt Raum für eine Revitalisierung der regionalen Filmproduktion geschaffen, vor allem in Nordindien. So werden kommerzielle Hindi-Filme nicht mehr für ein möglichst großes, umfassendes Filmpublikum produziert, sondern richten sich immer mehr an ein zahlungskräftiges, urbanes Nischenpublikum. Und mit der bevorzugten Verfilmung von Themen über NRI, nehmen die Produzenten sogar in Kauf, dass sich das ländliche Publikum in Nordindien von diesen Filmen abwendet.

Ein Folge davon ist die Renaissance der Bhojpuri-Filmindustrie, die Filme in der gleichnamigen Regionalsprache der stark ländlich geprägten östlichen Bundesstaaten Bihar und Jharkhand dreht – einer Gegend, die früher zum Stammgebiet des Bollywood-Kinos zählte. Einst als "armer Cousin Bollywoods" belächelt, bringen die jüngsten Erfolge von Bhojpuri-Filmen auch die in Mumbai angesiedelte Industrie zum Staunen. Die Filme knüpfen in der Regel an die alte Bollywood-Erfolgsformel eines gut und böse klar unterscheidenden, melodramatisch vorgetragenen Plots an, in dem die Familie und moralische Werte eine zentrale Rolle spielen.

Vielgestaltiges, unabhängiges, nichtkommerzielles Filmschaffen

Neben dem ebenso vielsprachigen wie vielfältigen kommerziellen Kino existiert in Indien ein vielgestaltiges, unabhängiges, nichtkommerzielles Filmschaffen, das als Parallel-, Kunst- oder Middle-of-the-Road-Kino bezeichnet wird. Wie das kommerzielle kennt das unabhängige Filmschaffen verschiedene regionale Zentren. Am bedeutendsten ist sicherlich Kolkata (früher Kalkutta), die Heimatstadt der beiden bengalischen Regisseure Satyajit Ray und Ritwik Ghatak, die für den Westen das indische Kino lange Zeit mehr oder weniger alleine repräsentierten.

In den 50er und 60er Jahren entstanden hier Filme, die sich dezidiert vom Universalismus kommerzieller Produktionen unterscheiden. Gesucht wurden Geschichten und Darstellungsweisen, die direkter und unmittelbarer mit den Problemen der indischen Wirklichkeit verbunden sind, als dies im Unterhaltungskino in der Regel der Fall ist. In den 70er Jahren näherten sich Autoren- und Unterhaltungskino gegenseitig an, als verschiedene Schauspieler und Regisseure des unabhängigen Kinos anfingen an großen Unterhaltungsfilmen mitzuarbeiten (wie die Schauspielerinnen Shabana Azmi oder Smita Patil). Motiviert waren sie nicht zuletzt vom Wunsch, ein größeres Publikum zu erreichen als das Publikum der Filmklubs, in denen die Filme des Kunstkinos vorwiegend wurden.

Hat sich für die kompromisslosen Autorenfilme von Ray oder Ghatak der Begriff des "Parallelkinos" eingebürgert, so bezeichnet das Label Middle-of-the Road- bzw. Mittelweg-Kino das Schaffen von Regisseuren wie Shyam Benegal, der etwa in Zubeida (2001) auch mit den Stars des kommerziellen Hindi-Kinos gearbeitet hat. In den letzten Jahren sind die Berührungsängste zwischen Mittelweg-Kino und kommerziellem Mainstream in beide Richtungen kleiner geworden. So sucht etwa das so genannte New Bollywood-Kino, das sich nicht zuletzt mit dem Aufkommen der Multiplex-Kinos bilden konnte, seinerseits die formale und inhaltliche Auseinandersetzung mit dem, was ursprünglich als Kunstkino galt. Beispiele sind etwa Maqbool von Vishal Bharadwaj (2003) oder My Brother Nikhil von Onir (2005), der erste Mainstream-Film zum Thema HIV/Aids, oder aktuell Lunchbox von Ritesh Batra (2013, eine Koproduktion mit Deutschland und Frankreich). Zwar entwickelten sich diese Filme nicht zu den ganz großen Kassenschlagern, aber ihr Erfolg bei den Kritikern und ihrem Nischenpublikum war trotzdem beachtlich.

In diesem Zusammenhang ist auch der seit vielen Jahren kontinuierlich arbeitende südindische Regisseur Mani Ratnam zu erwähnen, der in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmefigur im zeitgenössischen indischen Filmschaffen darstellt. Wie kein anderer hat Ratnam es in den in den letzten Jahren verstanden, innerhalb der Konventionen der kommerziellen Filmtraditionen thematisch und ästhetisch innovativ zu arbeiten. Viele seiner südindischen Filme sind zudem als Hindi-Remakes neu aufgelegt worden, teilweise auch unter seiner Regie.

Global agieren, lokal konsumieren

Das Jahr 2013 markierte das einhundertjährige Jubiläum der Filmproduktion in Indien: 1913 wurde mit Raja Harishchandra unter der Regie von Dadasaheb Phalke der erste abendfüllende indische Spielfilm produziert. Das Jubiläum wurde zum Anlass für viele Feiern und Retrospektiven – so auch beim Filmfestival von Cannes, wo Indien als Spezialgast präsent war und mit Ritesh Batra mit seinem Debut Lunchbox einen wichtigen internationalen Erfolg feierte.

Nimmt man Cannes als Gradmesser der europäischen Wahrnehmung des indischen Filmschaffens, so kündigt sich mit Lunchbox möglicherweise eine neue Ära an. Aus indischer Sicht war Cannes ausschlaggebend dafür, dass sich der europäische Blick in den letzten zehn Jahren hauptsächlich auf Bollywood gerichtet hatte, seit 2002 der rote Teppich für den Film Devdas (jenseits des Wettbewerbs notabene) ausgerollt worden war.

Dass Lunchbox von Paramount Pictures, einem der großen Hollywood-Studios, auf die globale Auswertungsbahn geschickt wurde, erstaunt vor dem Hintergrund des wachsenden Interesse Hollywoods am indischen Kinomarkt nicht. So investieren immer mehr Hollywood-Firmen in den indischen Markt. Gemäß dem US-Branchenblatt Hollywood-Reporter will Fox Star Studies India, eine Tochterfirma von 20th Century-Fox, im Jahr 2014 nicht weniger als 28 Filme in Indien ins Kino bringen.

Obwohl der Marktanteil amerikanischer Filme in Indien stetig steigt, sind die Zahlen im internationalen Vergleich nach wie vor bescheiden. Während Hollywood in den meisten europäischen Ländern einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent erzielt, sind es in Indien immer noch nur rund 10 Prozent. Hollywood versucht seine Präsenz in Indien mit Direktinvestitionen, aber auch mit einer vermehrten Anwesenheit von Stars auszubauen. 2013 waren nicht nur Steven Spielberg und Robert de Niro Gäste der indischen Filmindustrie, auch Snoop Dog und Sharon Stone statteten dem indischen Subkontinent einen Besuch ab – in erster Linie natürlich, um amerikanischen Unterhaltungsangeboten zu einer stärkeren Wahrnehmung auf dem rasch wachsenden indischen Medienmarkt zu verschaffen.

Während Hollywood sich bemüht, seine Stellung in Indien auszubauen, investieren indische Medienunternehmen immer mehr auch in die amerikanische Unterhaltungsindustrie. So hält Reliance Entertainment Anteile an Steven Spielbergs Firma DreamWorks. Zudem betreibt das Unternehmen seit 2012 mit der Video-on-Demand-Plattform BigFlix ein indisches Pendant zu Netflix.

Fortschreitenden Digitalisierung und Piraterie

Abgesehen von den Bemühungen im Erschließen neuer Produktions- und Absatzmärkte durchläuft die globale Filmindustrie mit der zunehmenden Digitalisierung einen tiefgreifenden Strukturwandel. Auch in Indien schreitet die Umstellung von analogen Filmkopien auf digitale Projektion rasch voran, vor allem in den Multiplex-Kinos.

Von wachsender Brisanz ist im Zeichen der fortschreitenden Digitalisierung von Produktion und Distribution die Frage der so genannten Piraterie. Die amerikanische Produzentenvereinigung MPAA behauptet, dass der indischen Filmindustrie alleine 2012 rund eine Milliarde Dollar an Einnahmen durch illegale Filmsichtungen entgangen sei. Eine Zahl, die insofern mit Vorsicht zu genießen ist, als die amerikanischen Studios in ihrem eigenen Interesse die Folgeschäden der informellen Zirkulation von digitalen Kopien gerne überspitzt darstellen und ihr Heil in einer längst fragwürdig gewordene Kriminalisierung der Endverbraucher suchen.

Die Hauptursache für die Piraterie von Hollywood-Filmen in Indien liegt ohnehin weniger in der kriminellen Mentalität der Enderbraucher als an der Preispolitik der Studios. Rechnet man den Kaufpreis für eine DVD eines amerikanischen Films in Indien um, so würde eine DVD in den USA statt 24 Dollar 641 Dollar kosten müssen, wenn sie so teuer sein sollte, wie sie für einen durchschnittlichen Inder gemessen am Index der Lebenshaltungskosten in Indien ist.

Außer Frage steht, dass die indische Filmindustrie sich wie Hollywood immer mehr von einer Kinoindustrie zu einer Copyright-Industrie entwickelt, also zu einer Industrie, die ihre Einnahmen mit der Bewirtschaftung von Copyright auf einer Vielzahl von Distributionsplattformen erzielt. Das zeigt sich nicht zuletzt an der massiven Zunahme von juristischen Verfahren im Zusammenhang mit Autoren- und Vervielfältigungsrechten von indischen Filmproduktionen.

Zunehmende Ausrichtung auf den asiatischen Markt

Die wichtigste neuere Tendenz der indischen Filmindustrien ist ihre zunehmende Ausrichtung auf die Auslandsmärkte in Asien. Ein Blick in eine Studie des UNESCO-Instituts für Statistik (UIS), die 2013 unter dem Titel Emerging Markets and the Digitalization of the Film Industry veröffentlicht wurde, vermittelt einen Einblick in die Hintergründe. Mit 1255 Titeln im Jahr 2011 nimmt Indien demnach immer noch den ersten Platz unter den Ländern mit eigenständiger Filmproduktion ein. Allerdings nimmt der jährliche Ausstoß seit 2008 leicht ab, während sich in der Volksrepublik China die Anzahl der produzierten Filmtitel seit 2005 mehr als verdoppelt hat. Schaut man sich sodann die an der Kinokasse eingespielten Umsätze an, ergibt sich ein ähnliches Bild: Unter den so genannten BRIC-Staaten ist China der große Gewinner. Man geht davon aus, dass die chinesische Filmindustrie schon 2020 umsatzmäßig die USA überholt haben wird.

Ähnliche Wachstumsperspektiven ergeben sich in den bevölkerungsreichen Staaten Südostasiens. Indische Filme und in erster Linie Hindi-Filme erfreuen sich vor allem in Malaysia und Indonesien großer Beliebtheit, finden aber auch auf dem informellen Sektor des stark regulierten und für ausländische Produktionen offiziell nur schwer zugänglichen chinesischen Kinomarktes weite Verbreitung. Um die Kontingentierung auf dem chinesischen Markt zu unterlaufen, bemühen sich indische Produzenten vermehrt um Koproduktionsverträge mit China.

Diese Bemühungen werden von flankierenden kulturdiplomatischen Maßnahmen begleitet. So wurde Zhang Yimou, der bedeutendste Regisseur der sogenannten Fünften Generation des chinesischen Kinos, 2012 in Mumbai für sein Lebenswerk geehrt, während der Hongkong-Action-Star Jackie Chan 2013 das Filmfestival von Delhi eröffnete und China 2014 Gastland am Filmfestival von Goa sein wird. Es scheint fast, als hätten die Produzenten und Festivalmacher einen Satz der einflussreichen Filmkritikerin Meenakshi Shedde von 2013 beherzigt: "Der indische Film sollte sich nach Fernost orientieren." (Indian films should now look to the far east.)

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass zwischen kommerziellen und nichtkommerziellen Filmtraditionen in Indien hinsichtlich Anspruch, Produktionsbedingungen und kommerziellem Erfolg nach wie vor ein großer Unterschied besteht. Gleichzeitig aber hat gerade in den letzten Jahren – wie übrigens vielerorts auf der Welt – eine ästhetische und thematische Annäherung der beiden vermeintlich getrennten Traditionen stattgefunden.

Die große Frage für die Zukunft lautet, wie lange es indischen Filmen gelingen wird, um die 90 Prozent des Heimmarktes für sich zu beanspruchen. Von der Stärke der populären Produktionen im Inland hängt wesentlich die Vielfalt des Filmschaffens insgesamt ab, gedeihen doch im Windschatten des kommerziellen Kinos andere Formen filmischer Arbeit.

Je mehr die Kaufkraft der Mittelschicht zunimmt und je teurer die Tickets in den Multiplex-Kinos der Großstädte werden, desto interessanter wird Indien als Markt für die Global Players, vor allem für Hollywood. Andererseits haben ausländische Anbieter von Konsumprodukten auf dem Subkontinent immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sie hinter ihren Erwartungen zurückbleiben. Es scheint, als ob man in Indien gerne global agiert, aber noch lieber lokal konsumiert. Das gilt so offenbar auch – und weiterhin – für das Kino.

Veröffentlichungen der Autorin zum indischen Kino

"Bollywood. Das indische Kino und die Schweiz" (Zürich: Museum für Gestaltung 2002)

"Import/Export. Cultural Exchange between India, Germany and Austria" (Berlin: Parthas 2005)

"Transmission Image. Visual Translation and Cultural Agency" (Cambridge: Cambridge Scholars Publishing, 2009)

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Dr. Alexandra Schneider ist Associate Professor für Filmwissenschaft an der Universität von Amsterdam. Sie hat mehrere wissenschaftliche Publikationen zum indischen Kino verfasst.