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Das Wahlergebnis bleibt umstritten | bpb.de

Das Wahlergebnis bleibt umstritten

Nasrin Alavi

/ 4 Minuten zu lesen

Am Montag (29. Juni) hat Irans Wächterrat das Wahlergebnis bestätigt, doch Zweifel bleiben bestehen. Zugleich werden Gerüchte gestreut, hinter dem Tod der Studentin Neda steckten ausländische Kräfte. Auch wenn die Proteste infolge des massiven Vorgehens der Sicherheitskräfte jetzt abnehmen, der politische Gärungsprozess in Irans Gesellschaft geht weiter, so Nasrin Alavi.

In diesen Tagen liest man die konservative iranische Tageszeitung Externer Link: Keyhan (Webseite auf Englisch) nicht, um zu erfahren, wer gestern verhaftet wurde, sondern wer morgen verhaftet wird. In der Zeitung Externer Link: hieß es jetzt (Webseite auf Persisch), dass Mir Hossein Mussawi "direkt verantwortlich" gemacht werden solle für den Tod von "rund 20 unschuldigen Bürgern und Hunderten von Verletzten" während der Proteste, die auf das umstrittene Wahlergebnis gefolgt waren.

Bei diesen Protesten wurde am 19. Juni die 26-jährige Neda Soltan erschossen. Die Bilder ihres Todes – mit einer Handykamera festgehalten und über das Internet verbreitet – zeigen ihr blutüberströmtes, ruhiges Gesicht. Diese Bilder wurden zum Symbol der Repressionen gegen die Demonstranten sowie zum Symbol des Widerstands. Die Behörden haben Nedas Externer Link: Familie nicht nur verboten (Webseite in Englisch), ihre Tochter nach islamischer Tradition zu beerdigen, sondern öffentlich der Externer Link: CIA (Webseite auf Englisch), dem US-Geheimdienst, die Schuld an ihrem Tod gegeben.

Die spöttische Antwort eines iranischen Bloggers auf Balatarin Externer Link: lautete (Webseite in Persisch): "Die CIA hat Neda nicht nur getötet, sie hat auch dafür gesorgt, dass vor ihrem Haus keine Versammlungen stattfanden und dass keine Moschee in Teheran dazu bereit war, eine Trauerfeier für sie abzuhalten. Was diese CIA nicht so alles kann..."

Regimetreue zahlt sich aus


In einem offiziellen Gruppenblog von Anhängern Ahmadinedschads werden solche Verschwörungstheorien sehr ernst genommen. Man Externer Link: spricht offen (Webseite in Persisch) über CIA-Komplotte, die auch zu den "verdächtigen Ereignissen des 11. Septembers" geführt hätten. Solche Blogger werden häufig von anderen im Netz angegriffen, dass sie bezahlte, opportunistische Bürokraten seien, die lediglich ideologische Sympathien heuchelten.

Sicher ist, dass Ahmadinedschads Anhängern Karrierechancen offen stehen. Ich erinnere mich daran, wie ich im Jahr 2002, während der studentischen Massendemonstrationen, Bloggerbeiträge für mein Buch "Wir sind der Iran" zusammenstellte. Damals hatte sich Mehrdad Bazrpash einen Namen gemacht: Der 23-Jährige hatte als Anführer der Bassidsch-Miliz das gewaltsame Durchgreifen an der Universität Teheran erfolgreich gelenkt. Sechs Jahre später wurde Bazrpash von Ahmadinedschad zum Geschäftsführer von Saipa ernannt, einem der führenden Automobilhersteller Irans.

Heute ist Mehrdad Bazrpash außerdem Geschäftsführer der Vatan Emrooz, einer Tageszeitung, die unlängst hauptsächlich damit beschäftigt war, in langen Artikeln unter Beweis zu stellen, dass diese Wahl frei und fair war. Wie viele andere Medien auch hat diese Zeitung eine Liste offener Fragen von Oppositionsführer Mussawi zur Wahl weder gedruckt, geschweige denn beantwortet; keine der Fragen, die Mussawi in seinem Externer Link: Brief vom 27. Juni (Webseite auf Persisch) an den Wächterrat formuliert hatte, wurde abgedruckt. So zum Beispiel die Frage: Warum wurden 14,5 Millionen "zusätzliche Stimmzettel" gedruckt? Oder: Warum wurde in 170 Wahlbezirken eine Wahlbeteiligung in Höhe von "95 bis 140 Prozent erreicht?" Das Wählerverhalten wurde auch von dem einflussreichen britischen Thinktank "Chatham House" – Externer Link: nach eingehender Prüfung (Webseite auf Englisch) – als "unwahrscheinliches Szenario" beschrieben. Der iranische Wächterrat hatte die Präsidentschaftswahl als die "gesündeste" seit der Revolution von 1979 bezeichnet, Mussawi hingegen fordert die Annullierung der Wahl.

Die Massenproteste werden langsam erstickt


Noch vor wenigen Wochen Externer Link: meldete (Webseite auf Persisch) der Bürgermeister Teherans dem iranischen Parlament, dass am 15. Juni geschätzte drei Millionen Anhänger Mussawis gegen das Wahlergebnis demonstriert hätten. Heute hat es den Anschein, dass die Massenproteste durch das harte Durchgreifen der Sicherheitskräfte langsam erstickt werden. Doch den Beiträgen iranischer Blogger nach zu urteilen, findet Mussawis Standfestigkeit und Forderung nach Neuwahlen große Unterstützung.

Foroogh, einer dieser Blogger, schreibt voll Sehnsucht über Mussawis "Regierung der Hoffnung" und darüber, wie er "die Situation [im Land] verändert" habe. Damit zitiert Foroogh eine Aussage Mussawis – ein möglicher Schlüsselmoment im Wahlkampf –, die dem Oppositionsführer eine Welle der Unterstützung brachte. Während eines Fernsehduells zwischen Mussawi und Ahmadinedschad hatte letzterer in der Pose eines Vernehmungsbeamten mit einer Akte herumgewedelt. Die Akte sollte die akademische Qualifikation von Mussawis angesehener Ehefrau, Zahra Rahnavard, in Frage stellen. Ahmadinedschad nannte nicht ihren Namen, drohte aber diesen preiszugeben, indem er wiederholt fragte: "Soll ich es sagen? Soll ich es sagen?"

Mussawi reagierte auf diese schamlose Schikane mit der Gelassenheit eines erfahrenen Staatsmannes und lud den Präsidenten in aller Ruhe dazu ein, "es [den Namen] zu sagen". Dann schaute Mussawi in die Kamera und sagte noch entschiedener: "Leute! Ich bin angetreten, um die Situation [im Land] zu verändern", in der Iraner allesamt für schuldig gehalten werden, solange ihre Unschuld nicht bewiesen ist und in der die Minister der Regierung sich ausführlicher damit befassen, "diffamierende Akten anzulegen, als dem Volk zu dienen".

Solange die Grundrechte in Iran nicht gewahrt werden und konservative Zeitungen wie Keyhan stets dazu bereit sind, jedermann zu "verraten" – "Namen zu nennen" – werden die offenen Proteste vielleicht abflauen, aber der politische Gärungsprozess im Innern der Gesellschaft geht unweigerlich weiter.


Um die Blogger nicht zu gefährden, werden nicht alle Links zu den Blogs genannt.

Aus dem Englischen von Martina Heimermann

Fussnoten

Nasrin Alavi ist die Autorin des Buches "Wir sind der Iran" (Kiepenheuer & Witsch, 2005), in dem erstmals die iranische Bloggerszene umfassend geschildert wurde. Nasrin Alavi ist in Iran aufgewachsen, hat in London studiert und an britischen sowie nordamerikanischen Universitäten gelehrt. Sie lebt und arbeitet heute in Großbritannien.