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"Wir geben der Unterdrückung nicht nach" | bpb.de

"Wir geben der Unterdrückung nicht nach"

Nasrin Alavi

/ 4 Minuten zu lesen

Die Situation in Iran eskaliert. Immer mehr Menschen werden verhaftet: Politiker, Journalisten, Demonstranten. Die ausländischen Medien geraten zunehmend unter Druck. Nun ist eine tote junge Frau zum Sinnbild der Brutalität des Regimes geworden – ihr Tod wurde mit einer Handykamera aufgezeichnet. Nasrin Alavi berichtet.

Iran konnte sich am letzten Mittwoch in Südkorea zwar nicht für die Fußballweltmeisterschaft qualifizieren, dennoch war die iranische Nationalelf für viele ein Grund zur Freude. Sieben iranische Nationalspieler trugen aus Solidarität mit den Demonstranten in Iran Schweißbänder in Grün, der Farbe des Oppositionsführers Mir Hossein Mussawi. Laut Journalisten vor Ort beim Spielgeschehen wurden die Fußballspieler vom Vorsitzenden des iranischen Fußballverbands aufgefordert, die Schweißbänder abzunehmen. Dennoch spielte Mehdi Mahdavikia – Bundesliga-Profi bei Eintracht Frankfurt – das gesamte Spiel mit seinem grünen Schweißband. Jon Leyne, Auslandskorrespondent der BBC in Teheran, wurde im Rahmen der massiven Medienzensur von den iranischen Behörden des Landes Externer Link: verwiesen (Webseite in Englisch). Externer Link: In einem Fernsehinterview (Webseite in Englisch) beschreibt er den Zorn der iranischen Demonstranten hinsichtlich einer Wahl, die sie als "groben Betrug" bezeichnen. Leyne führt aus, dass das Handeln der Fußballer "den Widerstand unter der Bevölkerung hier [in Iran]" zeigt und sagt weiter "es ist eine Sache, anonym auf die Straße zu gehen und eine andere, dies vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu tun... das war eine unglaubliche Leistung der Fußballer". Sicherlich war das ein mutiger Zug der Fußballer, denn bei ihrer Rückkehr werden sie mit dem Zorn der iranischen Behörden rechnen müssen.

"Die Millionen, die sich gegen die Diktatur wehren"


Der "grüne Protest" der Fußballer löste eine Welle der Externer Link: Unterstützung im Internet (Webseite auf Persisch) aus. Die Beiträge waren voll des Lobes, zum Beispiel: "Ihr wurdet heute keine Champions, Ihr wurdet unsterblich." Oder: "Ihr habt heute weder die Studenten, die schon seit einer Woche verprügelt werden, noch die trauernden Familien im Stich gelassen, Ihr habt Euch hinter die Millionen gestellt, die sich gegen die Diktatur wehren."

Der Widerstand fordert jedoch einen hohen Tribut, viele Menschen – jung und alt – wurden in den letzten Wochen verhaftet. Der 78-jährige Ebrahim Yazdi wurde aus der Intensivstation eines Krankenhauses direkt Externer Link: ins Evin-Gefängnis verlegt (Webseite in Englisch). Laut einer Externer Link: Mitteilung (Webseite auf Persisch) von Tahkim Vahdat – vom Büro zur Förderung der Einheit, der ältesten iranischen Studentenbewegung seit der Revolution – werden 300 Studenten vermisst; ihr Verschwinden ist bislang ungeklärt. Die Mitteilung ist auch eine Protestnote gegen einen Angriff der Sicherheitskräfte auf Studentenwohnheime der Universität Teheran, bei dem Studenten getötet worden sein sollen.

Am Donnerstag, den 18. Juni, rief Mir Hossein Mussawi zu einem Externer Link: Trauermarsch (Webseite in Englisch, Bildergalerie) in Teheran auf, die von Hunderttausenden in Schwarz gekleideten Demonstranten besucht und in vielen anderen Städten, wie Shiraz, verfolgt wurde. Diese Proteste erinnern stark an die Ereignisse, die zur Revolution von 1979 führten. Jeder Mord durch die damals herrschende Monarchie gab Anlass zu Trauerzügen, die immer größer und größer wurden je mehr Menschen sich anschlossen, um die Toten zu beklagen.

Am Externer Link: Freitag (Webseite auf Englisch, Auszüge der Rede), den 19. Juni, verteidigte der iranische Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei die Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad und erklärte die Wahlen als fair und endgültig. Er befahl, die Proteste zu beenden und kündigte an, dass jeder, der von nun an auf die Straße ginge für "Blutvergießen, Gewalt und Unruhen" verantwortlich gemacht werde – auch Mussawi. Am nächsten Tag jedoch war Mussawi wieder auf der Straße und forderte seine Anhänger auf, ihren Kampf fortzusetzen.

Bilder aus dem Netz attackieren das Regime


Einige Stunden nach Chameneis Rede war einer der meistgelesenen Beiträge auf Balatarin, einer vielbesuchten Bookmark-Seite zum Informationsaustausch, der Beitrag von Externer Link: Hanaa (Webseite auf Persisch): "Ich werde morgen auf die Kundgebung gehen. Vielleicht kommt es zu Gewalt. Vielleicht bin ich einer der Menschen, die sterben sollen. Ich höre mir gerade all die schönen Lieder an, die ich kenne... Ich wollte schon immer einmal meine Augenbrauen zupfen... Ich schaue mir meine Familienfotoalben noch einmal von vorne an. Ich muss meine Freunde anrufen und Lebewohl sagen. Ich habe auf dieser Welt nur zwei Regale voll Bücher, die mir gehören; ich habe meiner Familie gesagt, wer die Bücher bekommen soll. Mir fehlen noch zwei Kurse zum Diplom, aber zum Teufel damit... Ich habe diese zerstreuten Sätze einfach geschrieben, um der Nachwelt zu zeigen, dass wir nicht irrational und emotional waren. Damit sie wissen, dass wir alles dafür getan haben, unsere Lebensumstände zu verbessern... aber uns geweigert haben, der Unterdrückung nachzugeben."

Hanaa war am nächsten Tag wieder auf Balatarin, um Externer Link: uns zu sagen (Webseite auf Persisch): "Ich bin noch am Leben, aber meine Schwester ist gestorben... meine Schwester ist gestorben, weil die Gewaltherrschaft keine Grenzen kennt." Die Tote, die Hanaa meint, ist eine junge Frau mit dem Namen Externer Link: Neda (Webseite auf Englisch). Ihr tragischer Tod durch einen Schuss wurde mit der Kamera eines Mobiltelefons festgehalten (das Video findet sich u.a. auf Youtube, ab 18 Jahren). Die Trauer über ihren Tod überschwemmte die persisch-sprachigen Webseiten.

Letztlich sind die Demonstranten von starken persönlichen Gründen getrieben, wenn sie auf die Straße gehen und der gesamten tödlichen Macht des Regimes gegenübertreten. In einem derart zerstörerischen Kampf ist es vielleicht das einfache grüne Schweißband eines nationalen Sporthelden oder der mitleidlose Mord an einer jungen Frau, der sie weiter kämpfen lässt.


Aus dem Englischen von Martina Heimermann

Fussnoten

Nasrin Alavi ist die Autorin des Buches "Wir sind der Iran" (Kiepenheuer & Witsch, 2005), in dem erstmals die iranische Bloggerszene umfassend geschildert wurde. Nasrin Alavi ist in Iran aufgewachsen, hat in London studiert und an britischen sowie nordamerikanischen Universitäten gelehrt. Sie lebt und arbeitet heute in Großbritannien.