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"Wir halten zusammen" | bpb.de

"Wir halten zusammen"

Nasrin Alavi

/ 3 Minuten zu lesen

Webseiten werden gesperrt, SMS-Dienste stillgelegt. Dennoch gelingt es den Menschen in Iran Nachrichten, Bilder und Videos zu verbreiten und weiterhin Demonstrationen zu organisieren. Nasrin Alavi wirft einen Blick in die sozialen Netzwerke.

In den Tagen nach der umstrittenen Wiederwahl Ahmadinedschads kam es zu Externer Link: Massenverhaftungen, Zeitungen wurden geschlossen, Webseiten der Reformer wurden heftig zensiert und soziale Netzwerke im Internet, wie Facebook, gesperrt.

Auch die SMS-Dienste wurden stillgelegt. Dennoch finden die Menschen Mittel und Wege, um Nachrichten zu verbreiten und Protestkundgebungen mit Externer Link: hunderttausenden (Webseite auf Persisch, mit Bildern) von Teilnehmern zu organisieren. Solche Massendemonstrationen waren zuletzt am Vorabend der Revolution 1979 zu beobachten. In den letzten Tagen waren auch mehrere Todesopfer zu beklagen. Sicherheitskräfte und die Basidsch-Milizen donnern auf ihren schweren Motorrädern durch die Stadt. Sie sind oft bewaffnet und bereit zu schießen, sie zwingen viele Menschen zurückzuweichen. Ironischerweise wiederholen in diesen Tagen die Demonstranten eine Form des Protests, die gegen die Monarchie vor 30 Jahren genutzt wurde: Im Schutz der Dunkelheit Externer Link: rufen sie (Webseite in Englisch) "Allahu Akbar" – "Gott ist groß" – von den Hausdächern.

"In einem Schockzustand"



Die technisch versierte Jugend Irans hat sich ihre Möglichkeiten gesucht, um Neuigkeiten zu verbreiten und um an Neuigkeiten zu gelangen. Ein einfacher Tweet – eine Kurzmitteilung über die Mikro-Blogging-Seite Externer Link: Twitter – von Externer Link: Gholamhossein Karbaschi hatte am frühen Morgen des 13. Juni als erstes auf das unerwartete Wahlergebnis aufmerksam gemacht. Gholamhossein Karbaschi ist der für Mehdi Karroubi, einem der Herausforderer im Präsidentschaftswahlkampf, vorgeschlagene Vize-Präsident. Sein Externer Link: Twitter-Beitrag lautete (Webseite auf Persisch): "Wir befinden uns auch in einem Schockzustand, die Dinge, die passieren, sind wahrhaft unglaublich."

Bei vielen seither ins Netz gestellten Beiträgen handelt es sich um Infos und Hinweise zu Kundgebungen. Während sich andere wie eine Flaschenpost lesen, die in den Wellen des Internets treiben, und die es uns erlauben, die privaten Unterhaltungen einer Gesellschaft im Umbruch zu belauschen. Ich lade Sie ein, einige dieser von mir übersetzten Beiträge zu lesen; die Beiträge der Anhänger Mahmoud Ahmadinedschads habe ich mit seinen Initialen M.A. gekennzeichnet.

  • Das Ergebnis einer hohen Wahlbeteiligung: das Regime zeigt sein wahres und dreckiges Gesicht."

  • "Ich glaube langsam, dass ich bei der Stimmabgabe einen Fehler gemacht habe... vielleicht habe ich nicht Mir Hossein [Mussawi] aufgeschrieben."

  • "Haben sie wirklich geglaubt, dass sie trotz all der Kommunikationsmöglichkeiten [bei den Wahlen] so plump betrügen könnten?"

  • "Habt keine Angst vor der Bereitschaftspolizei. Versucht Euer Gesicht mit einem feuchten Tuch zu bedecken. Wenn sie Euch mit Tränengas angreifen, raucht eine Zigarette. Wascht nicht Euer Gesicht."

  • "Habt keine Angst, wir halten alle zusammen."

  • "Die Menschen, die ich auf der Kundgebung sah und die sich so friedlich verhielten... haben meine Hoffnungen verdoppelt. Ahmadinedschad hat mit seinen Taten unbeabsichtigt das Fundament für diesen großen zivilen Kampf gelegt. Gott segne ihn dafür, dass er in seinem Leben einmal das Richtige getan hat."

  • "Wir sind vier Geistliche aus Externer Link: Qom [religiöse Hauptstadt Irans] und werden die Kundgebung in Teheran besuchen, um unserem Protest gegen die Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen Ausdruck zu verleihen.

    • Antwort 1: Lassen Sie uns bei Ihrer Ankunft wissen, wo Sie sind, dann können wir uns neben Sie stellen und werden nicht verprügelt.

    • Antwort 2: Ich mag keine Mullahs, aber ich werde Ihnen für Ihre Solidarität die Hand küssen."

  • Sie werden gleich die Studenten angreifen. Kommen Sie den Studenten an der Universität Teheran zu Hilfe. Die Mobiltelefone funktionieren nicht. Verbreiten Sie diese Information so schnell wie möglich. Helfen Sie um Gottes willen den Studenten."

  • "Die Studentenwohnheime der Universität Teheran in der Amir-Abad-Straße sind jetzt Kriegsgebiet."

  • "Sie verkaufen Iran aufgrund der Sanktionen keine Passagierflugzeuge, aber sie verkaufen ihnen die modernste Ausrüstung im Kampf gegen Aufständische: elektrische Schlagstöcke, Sprays, etc..."

  • "WARNUNG: Leute werden angerufen und die auf Band gesprochene Nachricht lautet, Du warst heute auf der Protestkundgebung, wenn Du noch mal gehst, kümmern wir uns um Dich."

  • (M.A) "Wann werden Mussawi und Karroubi dafür vor Gericht gestellt, dass sie die unschuldige Jugend getäuscht haben."

  • (M.A) "Ich warte gespannt auf die Worte unseres teuren Revolutionsführers bei den Freitagsgebeten [19. Juni], um zu erfahren, was wir [mit den Demonstranten] machen sollen."

  • (M.A) "Diejenigen, die Militärstützpunkte angreifen, müssen erschossen werden. Sollten diese Psychopathen an Waffen gelangen, werden sie die gesamte Gesellschaft bedrohen."

  • "Keine Kugel hat jemals einen Aufschrei zum Schweigen bringen können."


Um die Blogger nicht zu gefährden, werden nicht alle Links zu den Blogs genannt.


Aus dem Englischen von Martina Heimermann

Fussnoten

Nasrin Alavi ist die Autorin des Buches "Wir sind der Iran" (Kiepenheuer & Witsch, 2005), in dem erstmals die iranische Bloggerszene umfassend geschildert wurde. Nasrin Alavi ist in Iran aufgewachsen, hat in London studiert und an britischen sowie nordamerikanischen Universitäten gelehrt. Sie lebt und arbeitet heute in Großbritannien.