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Kein gewöhnliches Jubiläum | Israel | bpb.de

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Kein gewöhnliches Jubiläum

Rudolf Dreßler

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60 Jahre Israel und seit über 40 Jahren diplomatische Beziehungen zwischen Israel und Deutschland. Der deutsche Botschafter a.D. in Israel Rudolf Dreßler gratuliert und blickt auf die deutsch-israelischen Beziehungen zurück.

Nationalflaggen von Deutschland und Israel (© Bundesregierung, B 145 Bild-00080882, Foto: Julia Fassbender)

60 Jahre Staat Israel. Der Gründungsakt im Mai 1948 war eine Zäsur. Es entstand nicht nur ein geistig-kulturelles Zentrum für Juden, das gleichwohl auf vielfältige Weise mit der Diaspora bis heute verknüpft geblieben ist; es entstand vor allem ein "politisches Zentrum". Israel hat heute über sieben Millionen Einwohner. Von mehr als 150 Staaten ist Israel ein diplomatisch anerkanntes Mitglied der Völkergemeinschaft der Vereinten Nationen.

  • Aus einem Agrarstaat wurde in 60 Jahren ein hoch entwickelter Industriestaat.

  • Israel exportiert in alle Welt Erzeugnisse der Hochtechnologie.

  • Israel ist führend auf den Gebieten Elektronik und Elektrotechnik.

  • Israel verfügt über eine schlagkräftige Armee.

Das alles wurde in nur 60 Jahren aufgebaut und entwickelt. Gleichzeitig musste die israelische Gesellschaft Einwanderer aus über 100 Ländern integrieren.

Zudem spürte und erlebte der junge Staat den zunehmenden Widerstand der sich formierenden arabisch-palästinensischen Nationalbewegung. Trotz der bis heute andauernden Gewalt, darf die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Ägypten im Jahre 1979 und mit Jordanien 1994 hoch eingeschätzt werden. Es gingen kriegerische Handlungen voraus. Sie endeten mit der Anerkennung Israels durch zwei wichtige arabische Staaten. Dieser Sachverhalt wirkt bis heute de-eskalierend, trotz Gewalt, trotz terroristischer Übergriffe.

Niemand hätte 1947, nach dem Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen, die rasante Entwicklung des kurze Zeit später gegründeten Staates gewagt voraus zu sagen. Die israelische Gesellschaft sieht dem 60. Jahrestag der Gründung ihres Staates mit Gefühlen entgegen, die wir Deutsche nicht kennen, die wir nicht einmal ahnen. Unsere Sozialisation hat uns nicht zu einer Identifikation mit unserem Staat veranlasst, die der israelischen auch nur nahe kommt.

Wir haben uns im Verlauf unseres Lebens nie Gedanken machen müssen über die Existenzberechtigung unseres Landes, obwohl Deutschland im vorigen Jahrhundert die Welt zweimal an den Abgrund brachte. Unsere Sozialisation unterscheidet sich grundlegend von derjenigen eines Israelis:

  • Keine tägliche Bedrohung!

  • Keine Aberkennung der Existenzberechtigung!

  • Kein Kampf und keine kriegerische Auseinandersetzung um den eigenen Staat!

Vor Monaten formulierte das Wochenblatt "Die Zeit" einen weiteren grundlegenden Sachverhalt für den Prozess unserer Einordnung in die deutsche Gesellschaft. Die Zeitung erinnerte uns daran, dass wir im Schatten Hitlers leben. Nicht weil eine Wiederkehr des Nationalsozialismus droht, sondern weil sich der Nationalsozialismus entwirklicht, an Realität verloren hat. Es gibt eine neue Leichtfertigkeit im Umgang mit dem Nationalsozialismus. Nicht, weil der Gegenstand seine Schrecken verloren hat, sondern weil sich der Schrecken vom Gegenstand gelöst hat. Für uns Deutsche geht es darum den Gegenstand wach zu halten.

Der international renommierte israelische Schriftsteller Amos Oz, in Deutschland mit höchsten Ehren ausgezeichnet, hat mit vielen klugen Sätzen "den Gegenstand" beschrieben. Mit einer Mahnung hat es Amos Oz besonders präzise getroffen: "Die Vergangenheit ist immer gegenwärtig und wird immer gegenwärtig bleiben; doch man muss sich daran erinnern, dass die Vergangenheit uns gehört und nicht wir ihr."

In diesem Kontext ist der 60. Jahrestag der Gründung des Staates Israel für Deutschland ein besonderes Datum. Bereits vor drei Jahren erlebten wir weit über einhundert Veranstaltungen anlässlich des 40. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen beider Länder. Die Position der zweiten deutschen Republik stand und steht unter der Maxime, die deutsche Regierungsvertreter parteiübergreifend, die alle Fraktionen des Deutschen Bundestages immer wieder deutlich gemacht haben: Die gesicherte Existenz Israels liegt im nationalen Interesse Deutschlands, ist somit Teil unserer Staatsraison.

Wenn man im Rahmen des israelischen Staatsjubiläums das bis heute gewachsene Beziehungsgeflecht beider Länder bilanziert, darf man von einer Art "Beziehungswunder" sprechen.

  • Deutschland gilt heute für viele israelische Führungskräfte politisch und wirtschaftlich, wissenschaftlich und technologisch als zweitwichtigster Partner nach den Vereinigten Staaten.

  • Deutschland gilt darüber hinaus als einer der wichtigsten Partner in der kulturellen und zwischengesellschaftlichen Zusammenarbeit.

  • Die israelische Führungsschicht schätzt uns als wichtigen Partner innerhalb Europas und den Vereinten Nationen.

  • Wir sind der zweitwichtigste Außenhandelspartner.

Konzentriert man die Betrachtung auf den Wirtschaftsbereich und sieht das bisherige Ergebnis in Zahlen, darf von einem "soliden Fundament", das kontinuierlich ausgebaut wurde, gesprochen werden.

Deutschland behauptete selbst im Jahre 2003 - als sich die so genannte zweite Intifada zuspitzte - mit 9,7 Prozent der israelischen Einfuhr und 5,4 Prozent der israelischen Ausfuhr seinen seit den sechziger Jahren gehaltenen bemerkenswerten Platz als zweitstärkster Handelspartner Israels nach den USA.

Ohne die guten Ergebnisse noch besser zu reden: Gemessen an der Bevölkerungszahl liegt der deutsche Handel mit Israel noch vor dem Handel mit so wichtigen Partnern wie den USA, Japan, Korea und der Türkei. Für das genannte Jahr 2003 weist die israelische Handelsstatistik aus, dass Deutschland das einzige Land war, das sowohl beim Export wie beim Import substantiell zulegen konnte.

Der an wirtschaftlichen Beziehungen interessierte Unternehmer wird einen weiteren Parameter in seinen Überlegungen zu berücksichtigen haben: die Kaufkraft. Israel ist umgeben vom Libanon, von Syrien, der Palästinensischen Autonomie, von Jordanien und Saudi-Arabien sowie von Ägypten. Die Kaufkraft der Bevölkerungen dieser sechs Gebiete zusammen ist nicht höher als jene der Einwohner Israels.

Unternehmen, die Interesse an einem Handel mit Israel haben oder an einen Ausbau bereits bestehender Handelsbeziehungen denken, sollten nicht warten, bis es unterschriebene Friedensverträge im Nahen Osten gibt. Unübersehbar sind vor Ort die Aktivitäten anderer Länder. Man will bereits "im Geschäft" sein, wenn es soweit ist. Dann erst zu starten, wird keine günstige Position im Ringen um Marktanteile bedeuten.

Wer die Gelegenheit hat sich über den Grad der wissenschaftlich- technologischen Zusammenarbeit informieren zu lassen, wird das Ausmaß und die Intensität der Zusammenarbeit mit dem Prädikat "außergewöhnlich eng" bedenken. Solch hohes politisches Profil im Netzwerk unserer Austauschbeziehungen, wie es mit Israel besteht, finden wir nur in unserer Zusammenarbeit mit Frankreich, mit Polen oder den USA.

Welchen Beitrag die mittlerweile über einhundert Städte- und Kreispartnerschaften, sowohl qualitativ wie quantitativ, innerhalb Israels und innerhalb Deutschlands geleistet haben, werden wir wohl niemals in einem geschlossenen Zahlenwerk erfahren. Wer, wie ich, Gelegenheit hatte fünf Jahre Ausschnitte dieser Zusammenarbeit kennen zu lernen, Ergebnisse einzelner Partnerschaften im Detail zu erleben, bekommt eine Ahnung was eine solche kommunalpolitische Zusammenarbeit bewirken kann. Mit keinem anderen Staat unterhalten Städte und Kreise in Deutschland eine solch hohe Zahl an Partnerschaften. In welcher Anzahl solche Kooperationen zwischen Schulen beider Länder bisher geschlossen wurden, ist nicht bekannt. Über solche Partnerschaften liegen keine Zahlen vor. Wenn man Austauschschülern aus beiden Ländern begegnet, ihren Erzählungen lauscht, von ihren Wahrnehmungen im jeweils anderen Land erfährt, bleibt keinerlei Zweifel, dass diese Investitionen in die Jugend unserer Länder, Investitionen in unser aller Zukunft sind.

Was hunderte, was tausende Israelis und Deutsche nach den Verbrechen während der Nazidiktatur an neuem Miteinander begründet haben, an neuem Vertrauen versucht haben wieder aufzubauen, ist nach nur sechzig Jahren gewaltig. Das Erreichte ist in seiner Summe und im Einzelergebnis beeindruckend.

Aber wir Deutschen müssen wissen, wo es geboten erscheint, müssen wir es lernen: Das Eis ist nach wie vor dünn. Sechzig Jahre sind in einem einzelnen Leben sehr viel, manchmal mehr als ein ganzes Leben. In der Geschichte sind sechzig Jahre ein Windhauch, fast nichts. Diese Wahrheit ist kein israelisches Problem, sondern für viele ein deutsches.

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