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Binnenmarkt

Eckart D. Stratenschulte

/ 7 Minuten zu lesen

Freiheit der Waren, Dienstleistungen, Arbeitskräfte und des Kapitals: Der europäische Binnenmarkt ist viel mehr als eine Freihandelszone – und volumenmäßig der größte der Welt.

Der größte europäische Outdoor-Markt Porta Palazzo in Turin, Italien. (© AP)

Die Europäische Union umfasst viele Politik- und damit für uns auch viele Lebensbereiche. Am unmittelbarsten kommen wir mit dem Binnenmarkt in Berührung. Binnenmarkt heißt, dass wir kaufen, arbeiten und investieren können, wo wir wollen. Im nationalen Rahmen ist das selbstverständlich. Jeder kann in Leipzig wohnen, aber sein Auto in München erwerben, sein Geld bei der Sparkasse in Rostock anlegen und für seinen Hausumbau einen Architekten aus Dresden verpflichten. Der europäische Binnenmarkt bedeutet, dass dies in gleicher Weise in der gesamten Europäischen Union möglich ist.

Wir sprechen von den Vier Freiheiten, nämlich

  • der Freiheit der Waren

  • der Freiheit der Dienstleistungen

  • der Freiheit der Arbeitskräfte und

  • der Freiheit des Kapitals.

Der Binnenmarkt ist damit viel mehr als eine Freihandelszone. Er garantiert nicht nur die Waren-, sondern auch die Dienstleistungsfreiheit. Wer sich als deutscher Arzt in Frankreich oder in Schweden niederlassen will, kann dies tun. Wer als Niederländer in Deutschland ein Reisebüro aufmachen will, kann daran nicht gehindert werden. Jeder hat die Möglichkeit, sich seinen Arbeitsort auszusuchen. Wer lieber in Griechenland arbeitet und dort einen Job findet, dem kann die Arbeitserlaubnis nicht verweigert werden. Der Binnenmarkt bedingt viele weitere Gemeinsamkeiten, die zum Teil schon geschaffen sind, die zum Teil aber auch noch nicht umgesetzt sind.

Die Freiheit der Waren

Eine wichtige Grundregel des Binnenmarktes ist, dass eine Ware, die in einem Land legal in den Verkehr gebracht worden ist, auch in allen anderen EU-Ländern verkauft werden darf. Es kann also nicht sein, dass ein Land den Import durch Sondervorschriften behindert - sogenannte nicht-tarifäre Handelshemmnisse. In Deutschland haben in diesem Zusammenhang zwei Fälle der Warenverkehrsfreiheit für Aufmerksamkeit gesorgt, die durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) entschieden wurden.

Das "Cassis de Dijon-Urteil" von 1979 bezieht sich auf die Einfuhr eines französischen Likörs, der einen geringeren Alkoholgehalt aufwies als die deutsche Branntweinverordnung ihn für solche Getränke vorsah. Als einer Lebensmittelkette die Einfuhr dieses Likörs verboten wurde, klagte sie vor dem Hessischen Finanzgericht, das den Fall dem EuGH zur Entscheidung vorlegte. Dieser Externer Link: entschied, dass die Einfuhr zu erlauben sei, wenn der Likör "rechtmäßig hergestellt und in Verkehr gebracht worden sei".

Das zweite Urteil, das in Deutschland viele beschäftigte, hatte auch mit Alkohol zu tun. Nach dem Reinheitsgebot von 1516 darf in Deutschland Bier nur mit Hopfen, Gerste, Hefe und Wasser hergestellt werden. Nicht nur die Produktion, sondern auch die Einfuhr von Bieren, die andere Zusatzstoffe enthielten, war verboten. Hiergegen klagte die Europäische Kommission, die den freien Handel gefährdet sah. Der Europäische Gerichtshof gab ihr 1987 Externer Link: Recht. Seitdem darf nach Deutschland auch Bier eingeführt werden, das dem Reinheitsgebot nicht entspricht. Für die Brauereien in Deutschland gilt dieses älteste Lebensmittelgesetz allerdings weiter, da sich EU-Regelungen immer nur auf grenzüberschreitenden Verkehr beziehen. Der deutsche Brauer muss also nach dem Reinheitsgebot brauen, aber der deutsche Biertrinker muss nicht danach trinken.

Für Unternehmen ist die Warenverkehrsfreiheit sehr wichtig, weil sie so nicht für jedes Land spezielle Anforderungen erfüllen müssen. Dies würde die Produktion sehr verteuern, gerade wenn es um kleine Märkte und damit auch geringe Stückzahlen geht.

Das setzt natürlich voraus, dass man sich in vielen Bereichen auf Sicherheits- und Qualitätsstandards einigt. Bei manchem, was der EU als Bürokratisierung und Reglementierung angelastet wird, handelt es sich um die Festlegung gemeinsamer Kriterien.

Die Freiheit der Dienstleistungen

Ein anderes Beispiel für den Binnenmarkt aus dem Bereich der Dienstleistungsfreiheit ist die Aufhebung des Kabotageverbotes. Das klingt sehr technisch, ist aber für viele Menschen interessant. Vor der Vollendung des Binnenmarktes konnten Transportunternehmer nur Leistungen aus ihrem Land heraus anbieten. Die Lufthansa durfte keinen Flug von Madrid nach Paris durchführen und der Gesangverein in Aachen konnte für seinen Vereinsausflug keinen belgischen Busunternehmer verpflichten. Jetzt ist jedes Unternehmen frei, seine Transportleistungen dort anzubieten, wo sie nachgefragt werden.

Stärker in der öffentlichen Wahrnehmung sind allerdings andere Formen der Dienstleistungsfreiheit wie italienische Restaurants in Deutschland oder deutsche Handwerksunternehmen, die ihre Leistungen in Frankreich anbieten.

Der Binnenmarkt wurde durch die Externer Link: Einheitliche Europäische Akte geschaffen, eine Revision der Römischen Verträge, die 1987 in Kraft trat. Bis Ende 1992 sollte er vollendet sein, aber bestimmte Felder gibt es immer noch, die für den Binnenmarkt nicht völlig geöffnet sind oder in denen der europaweite Wettbewerb nicht funktioniert. So hat die Europäische Kommission beispielsweise Ende 2013 einen Externer Link: Fahrplan zur Vollendung des Binnenmarkts für die Paketzustellung verabschiedet.

Die Europäische Kommission gibt jährlich einen Externer Link: Bericht über die Vollendung des Binnenmarkts heraus, dem zu entnehmen ist, was im abgelaufenen Jahr erreicht wurde und was noch ansteht. Um noch bestehende Einschränkungen zu beseitigen, hat die Europäische Kommission darüber hinaus eine Externer Link: Binnenmarktakte beschlossen, mit der sie Druck auf die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament ausüben will.

Die Freiheit der Arbeitskräfte

Ein wichtiges Element des Binnenmarktes ist die Freizügigkeit der Arbeitskräfte, die jedem EU-Bürger überall in der Union den Aufenthalt und die Arbeitsaufnahme gestattet. Eigene Staatsbürger dürfen gegenüber anderen EU-Bürgern nicht bevorzugt werden. Selbst an den deutschen Schulen und bei den Polizeibehörden können Bürger aus anderen EU-Staaten als Beamte gleichberechtigt eingestellt werden. Die Freizügigkeit des Binnenmarktes bezieht sich allerdings nur auf Erwerbstätige. Durch die Schaffung einer Unionsbürgerschaft im EU-Vertrag, der 1992 in Maastricht unterzeichnet wurde und 1993 in Kraft trat, ist diese Freizügigkeit auf alle EU-Bürger ausgeweitet worden, also auch auf diejenigen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, wobei es für den Zugang zu sozialen Sicherungssystemen Einschränkungen gibt. Hierüber gab es 2013 in Deutschland eine heftige Diskussion, die auch gerichtlich noch nicht abschließend entschieden ist.

Grundsätzlich gilt, dass niemand nach Deutschland ziehen kann und dort auf Dauer Hilfe zum Lebensunterhalt, also das Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) beanspruchen kann. Allerdings fordert die Europäische Kommission von Deutschland, jeden Einzelfall zu prüfen. Zwei deutsche Gerichte haben entsprechende Fälle nun an den Europäischen Gerichtshof überwiesen, um überprüfen zu lassen, ob die deutschen Vorschriften europäischem Recht entsprechen. Unbestritten ist, dass EU-Ausländern das Arbeitslosengeld I zusteht, wenn sie – wie alle Arbeitnehmer – mindestens zwölf Monate in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Auch wer länger als ein halbes Jahr sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, dann aber seinen Job verliert, wird unterstützt – in diesem Fall mit dem Arbeitslosengeld II. Gleiches gilt für Selbstständige, die so wenig verdienen, dass sie „aufstocken“ müssen. Auch Kindergeld steht allen EU-Bürgern in Deutschland zu – sogar wenn die Kinder nicht in Deutschland leben.

Die europaweite Anerkennung der Ausbildungsabschlüsse ist ebenfalls ein wichtiger Schritt hin zur Vollendung des Binnenmarkts, da die Arbeitnehmer- und die Dienstleistungsfreizügigkeit sonst verpuffen würden, wenn ein deutscher Schreiner beispielsweise in Spanien nicht seinem Beruf nachgehen dürfte. Die meisten Abschlüsse sind schon anerkannt, bei einigen gibt es noch Probleme, die durch Verhandlungen beseitigt werden müssen. Um eine flächendeckende Anerkennung zu ermöglichen, versucht die EU auf zwei Wegen für Akzeptanz zu sorgen. Es werden für einzelne Bereiche Richtlinien erlassen, die festlegen, dass in allen EU-Staaten bestimmte Berufsqualifikationen automatisch und ohne gesonderte Prüfung anerkannt werden. Beispiele hierfür sind Ärzte oder Krankenpfleger. Dies ist aufgrund harmonisierter Ausbildungsanforderungen möglich, das heißt, dass ein Arzt, der in den Niederlanden über eine Zulassung verfügt, auch in Großbritannien praktizieren darf, weil seine niederländische Ausbildung der eines britischen Arztes ähnlich ist und daher als gleichwertig angesehen wird.

Jedoch kann dies nicht für alle Berufsfelder angenommen werden. Die Ausbildung zum Altenpfleger unterliegt zum Beispiel nicht einem europaweit einheitlichen System, möglicherweise gibt es den Beruf auch in einzelnen Mitgliedstaaten gar nicht, weil die Aufgabe andernorts von ausgebildeten Krankenpflegern übernommen wird. In diesem Fall führt kein Weg an einer neuen Prüfung vorbei, da die gesetzlichen Befähigungsnachweise zu unterschiedlich sind. Um solche Lücken in der Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen zu schließen, fertigt die EU Externer Link: Richtlinien aus, die möglichst viele Berufsfelder erfassen sollen. In Deutschland wurde die Situation 2012 durch ein Anerkennungsgesetz verbessert. Seitdem sind die Verfahren klarer geregelt und die Angehörigen weiterer Berufsgruppen können sich ihre Qualifikation anrechnen lassen. Nicht immer ist die Anerkennung der Gleichwertigkeit aber überhaupt die Voraussetzung dafür, dass man den Beruf in Deutschland ausüben darf. Dann ist es Sache des Arbeitgebers, ob er eine ausländische Arbeitskraft für die Tätigkeit einstellt oder nicht. Das Bundesinstitut für Berufsbildung bietet im Internet einen Externer Link: Anerkennungs-Finder an, mit dessen Hilfe man sich über jeden einzelnen Beruf informieren kann.

Die Freiheit des Kapitals

Die Freiheit des Kapitals bedeutet, dass jeder sein Geld dort anlegen oder investieren kann, wo es ihm am lohnendsten erscheint. Wer gerne in eine spanische oder slowakische Firma investieren oder schwedische Staatsanleihen kaufen möchte, kann dies genauso tun wie er einen Kredit bei einer österreichischen oder irischen Bank aufnehmen kann. Um auch den europäischen Zahlungsverkehr zu erleichtern, ist ein einheitlicher europäischer Zahlungsraum (SEPA, Single European Payment Area) geschaffen worden. Die traditionellen Kontonummern wurden durch den IBAN (International Bank Account Number) ersetzt.

Der europäische Binnenmarkt ist volumenmäßig der größte der Welt. Er umfasst nicht nur die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auch die drei Länder, die mit der EU im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verbunden sind, nämlich Island, Norwegen und Liechtenstein. Der genaue Zusammenhang zwischen EWR und EU wird durch das Externer Link: Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum geregelt. So ist beispielsweise Landwirtschaft als sensibler Bereich grundsätzlich ausgenommen, auch wenn eine Liberalisierung im Agrarsektor durch die EWR-Staaten angestrebt wird. Für die Schweiz, die dem EWR nicht angehört, sondern durch ein Freihandelsabkommen von 1972 mit der EU verbunden ist, gelten ähnliche Regelungen. Die Schweizer haben in einem Referendum im Februar 2014 mit knapper Mehrheit die Einschränkung der vollständigen Freizügigkeit für EU-Bürger beschlossen. Den Kroaten verweigerten sie die Freizügigkeit im Zusammenhang mit dem Beitritt Kroatiens zur EU sogar schon von Anfang an. Damit steht das gesamte Beziehungsgeflecht der EU mit der Schweiz auf dem Prüfstand, da die EU nicht bereit ist, der Schweiz die Vorteile des Binnenmarktes zu gewähren, aber gleichzeitig Nachteile für EU-Bürger zu akzeptieren.

Fussnoten