Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Analyse: Russland und der Wandel der internationalen Erdgasmärkte. Die Bedeutung von Flüssiggas und Schiefergas: Erdöl und Erdgas: Russische Produktion und Exporte | Russland-Analysen | bpb.de

Russland-Analysen Propaganda / Nawalnyj (19.02.2024) Analyse: It’s fake! Wie der Kreml durch Desinformationsvorwürfe die Diskreditierung von Informationen in ein Propagandainstrument verwandelt Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Von der Redaktion: dekoder-Special "Propaganda entschlüsseln" Kommentar: Erste Gedanken zum Tod und zum Leben Alexej Nawalnys Statistik: Politisch motivierte strafrechtliche Verfolgung in Russland Chronik: 23. Januar – 09. Februar 2024 Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen und Übergangsjustiz (16.12.2023) Analyse: Russland vor Gericht bringen: Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen Dokumentation: Die Brüsseler Erklärung Analyse: Optionen der Übergangsjustiz für Russland dekoder: "Das unbestrafte Böse wächst" dekoder: "Ist es nicht Patriotismus, wenn alle Kinder zu uns gehören?" Chronik: 01. November – 14. Dezember 2023 Getreidehandel in Kriegszeiten / Wasserwege (06.12.2023) Analyse: Russlands Getreideexporte und Angebotsrisiken während des Krieges gegen die Ukraine Analyse: Russland setzt den Getreidehandel als Waffe gegen die Ukraine ein Analyse: Die strategische Bedeutung des russischen Wolga-Flusssystems Chronik: 23. – 29. Oktober 2023 Hat das Putin-Regime eine Ideologie? (15.11.2023) Von der Redaktion: 20 Jahre Russland-Analysen Analyse: Macht und Angst Die politische Entwicklung in Russland 2009–2023 Kommentar: Russlands neuer Konservatismus und der Krieg Kommentar: Chauvinismus als Grundlage der aggressiven Politik des Putin-Regimes Analyse: Verschwörungstheorien und Russlands Einmarsch in die Ukraine Kommentar: Die konzentrischen Kreise der Repression dekoder: Ist Russland totalitär? Chronik: 03. – 20. Oktober 2023 LGBTQ und Repression (30.09.2023) Analyse: Russlands autoritärer Konservativismus und LGBT+-Rechte Analyse: Russlands Gesetz gegen „Propaganda für Homosexualität“ und die Gewalt gegen LGBTQ-Personen Statistik: Gewalt gegen LGBTQ+-Menschen und Vertrauen in Polizei und Gerichte unter LGBTQ+-Menschen in Russland Dokumentation: Diskriminierung von und Repressionen gegen LGBTQ+-Menschen in Russland Kommentar: Wie sehr geht es bei der strafrechtlichen Verfolgung von "Rehabilitierung des Nazismus" um politische Repressionen? Von der Redaktion: Ausstellung: "Nein zum Karpfen" Chronik: 31. Juli – 04. August 2023 Chronik: 07. – 27. August 2023 Chronik: 28. August – 11. September 2023 Technologische Souveränität / Atomschlagdebatte (20.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause, на дачу – und eine Ankündigung Analyse: Die Sanktionen machen sich bemerkbar: Trübe Aussichten für die russische Chipindustrie Analyse: Kann Russlands SORM den Sanktionssturm überstehen? Kommentar: Russisches Nuklearroulette? Die Atomschlagdebatte in der russischen Think-Tank-Fachöffentlichkeit Dokumentation: Die russische Debatte über Sergej Karaganows Artikel vom 13. Juni 2023 "Eine schwerwiegende, aber notwendige Entscheidung. Der Einsatz von Atomwaffen kann die Menschheit vor einer globalen Katastrophe bewahren" Umfragen: Die Einstellung der russischen Bevölkerung zu einem möglichen Einsatz von Atomwaffen Chronik: 13. Juni – 16. Juli 2023 Chronik: 17. – 21. Juli 2023 Wissenschaft in Krisenzeiten / Prigoshins Aufstand (26.06.2023) Kommentar: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine – Ein "Virolog:innen-Moment" für die deutsche Osteuropaforschung? Kommentar: Osteuropaforschung im Rampenlicht: ein Drahtseilakt zwischen Wissenschaft und Aktivismus Kommentar: Ein Moment der Selbstreflexion für Russlandstudien Kommentar: Wissenschaft im Krieg: Die Verantwortung der Regionalstudien und was daraus folgt Kommentar: Verträgt sich politisches Engagement und Wissenschaft? Zur öffentlichen Position des Fachs Osteuropäische Geschichte dekoder: Mediamasterskaja: Wissenschaftsjournalismus – seine Bedeutung und seine Herausforderungen dekoder: Prigoshins Aufstand gegen den Kreml: Was war das? dekoder: Prigoshins Aufstand: eine Chronologie der Ereignisse Chronik: 15. Mai – 12. Juni 2023 Deutschland und der Krieg II / Niederlage und Verantwortung (26.05.2023) Kommentar: Ostpolitik Zeitenwende? Deutschland und Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Deutsche Wirtschaft und der Krieg Kommentar: Deutschland, der Krieg und die Zeit Kommentar: Nach einem Jahr Krieg: Deutschland im Spiegel der russischen Medien Kommentar: Der Ukrainekrieg: Kriegsängste, die Akzeptanz von Waffenlieferungen und Autokratieakzeptanz in Deutschland Umfragen: Die Haltung der deutschen Bevölkerung zum Krieg gegen die Ukraine: Waffen, Sanktionen, Diplomatie Statistik: Bilaterale Hilfe für die Ukraine seit Kriegsbeginn: Deutschland im internationalen Vergleich Notizen aus Moskau: Niederlage Chronik: 24. April – 14. Mai 2023 Auswanderung und Diaspora (10.05.2023) Analyse: Politisches und soziales Engagement von Migrant:innen aus Russland im Kontext von Russlands Krieg gegen die Ukraine Dokumentation: Ukraine-Krieg: Bislang nur wenig humanitäre Visa für gefährdete Russen Statistik: Asylanträge russischer Bürger:innen in Deutschland Analyse: Emigration von Wissenschaftler:innen aus Russland: Kollektive und individuelle Strategien Dokumentation: Schätzungen zur Anzahl russischer Emigrant:innen nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Chronik: 01. März – 23. April 2023 Sanktionen (27.03.2023) Analyse: Die Wirkung von Krieg und Sanktionen auf Russlands Volkswirtschaft im Jahr 2022 Statistik: Russlands Wirtschaft Analyse: Russische wirtschaftliche Anomalie 2022: Ein Blick aus Unternehmensperspektive Umfragen: Wahrnehmung von Sanktionen durch die russische Bevölkerung Chronik: 01. – 28. Februar 2023 Feminismus / Kriegswahrnehmung / Gekränktes Imperium (13.03.2023) Analyse: Feminist_innen machen in Russland Politik auf eine andere Weise Statistik: Kennzahlen und Indizes geschlechterspezifischer Ungleichheit Analyse: Nicht Befürworter:innen und nicht Gegner:innen: Wie verändert sich bei der Bevölkerung in Russland mit der Zeit die Wahrnehmung des Krieges in der Ukraine? dekoder: Die imperiale Formel ist: Russland hat keine Grenzen Repression und stiller Protest / Die Botschaft des Präsidenten (06.03.2023) Analyse: "Nein zum Karpfen": Stiller Protest im heutigen Russland Dokumentation: Repressionen wegen Antikriegs-Akten in Russland seit 2022 dekoder: Die Schrecken des Kreml Analyse: Ein langer Krieg und die "Alleinschuld des Westens". Präsident Putins Botschaft an die Föderalversammlung am 23. Februar 2023 Kriegsentwicklung / Kirchen im Ukrainekrieg (23.02.2023) Analyse: Unerwartete Kriegsverläufe Analyse: Die Invasion der Ukraine nach einem Jahr – Ein militärischer Rück- und Ausblick Kommentar: Die Unterstützung der NATO-Alliierten für die Ukraine: Ursachen und Folgen Kommentar: Der Krieg und die Kirchen Karte: Kriegsgeschehen in der Ukraine (Stand: 18. Februar 2023) Eliten (16.02.2023) Analyse: Ansichten der russischen Eliten zu militärischen Interventionen im Ausland Analyse: Zusammengeschweißt und gefesselt durch Illegitimität Ranking: Die politische Elite im Jahr 2022 Meinungsumfragen im Krieg (02.02.2023) Kommentar: Sind Meinungsumfragen im heutigen Russland sinnvoll? Kommentar: Diese vier Fragen sollten Sie sich stellen, bevor Sie Meinungsumfragen darüber lesen, was Russ:innen über den Krieg denken Kommentar: Es gibt noch immer keine öffentliche Meinung – der Krieg in der Ukraine und die Diktatur in Russland lassen uns das besser erkennen Kommentar: Die Meinungsumfragen des Lewada-Zentrums auf der Discuss Data Online-Plattform. Zur Diskussion um die Aussagekraft der Daten Kommentar: Telefonische Umfragen im autoritären Russland: der Ansatz von Nawalnyjs Stiftung für Korruptionsbekämpfung Kommentar: Annäherungen an eine Soziologie des Krieges Kommentar: Methodologische Probleme von russischen Meinungsumfragen zum Krieg Kommentar: Befragungen von Emigrant:innen: Herausforderungen und Möglichkeiten dekoder: "Die öffentliche Meinung ist ein Produkt von Umfragen" Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: 01. – 31. Januar 2023

Analyse: Russland und der Wandel der internationalen Erdgasmärkte. Die Bedeutung von Flüssiggas und Schiefergas: Erdöl und Erdgas: Russische Produktion und Exporte

/ 8 Minuten zu lesen

Aufgrund der rasanten Entwicklung auf dem internationalen Erdgasmarkts, ist die Nachfrage nach russischem Gas zurückgegangen. Der russische Energieriese Gazprom ist somit mit einer zunehmend unsiche­ren internationalen Marktumgebung konfrontiert.

Zusammenfassung

Der internationale Erdgasmarkt verändert sich in einem Ausmaß, das die meisten Beobachter bis vor wenigen Jahren nicht haben kommen sehen. Die USA haben neue Technologien entwickelt, mit denen die Produktion unkonventionellen Erdgases ausgeweitet wurde, während gleichzeitig Katar in großem Umfang den Export von Flüssiggas (LNG) aufnahm. Beides hat zu einer Reduzierung der Nachfrage nach russischem Gas geführt. Dadurch war Gazprom gezwungen, seine Exportpläne zu reduzieren und Verträge mit einigen seiner wichtigsten Abnehmer nachzuverhandeln. Das Unternehmen ist mit einer zunehmend unsicheren internationalen Marktumgebung konfrontiert.

Der rasante Wandel des globalen Erdgasmarkts

Die Schiefergasrevolution in den USA hat die Prognosen für die internationalen Erdgasmärkte und die Zukunft des russischen Erdgases gleichermaßen verändert. Bis zu Beginn der 2000er Jahre sahen alle Prognosen die USA als einen der größten Importeure von Erdgas. US-amerikanische Energieunternehmen bauten Häfen mit Regasifizierungsanlagen, um die aus dem Mittleren Osten erwarteten Schiffslieferungen von Flüssiggas aufnehmen zu können. Dann entwickelten jedoch eine Reihe kleinerer Unternehmen in den USA neue Technologien in den Bereichen horizontales Bohren und hydraulisches Aufbrechen, die dem US-Markt Zugang zu enormen Mengen neuer unkonventioneller Erdgasvorkommen im eigenen Land verschafften. Mithilfe der neuen Produktionstechniken konnten die US-Erdgasunternehmen buchstäblich Gas aus Stein gewinnen und quasi aus dem Nichts wuchs ihr Anteil an der gesamten US-Produktion bis zum Jahr 2009 auf 20%.

2005 erwarteten die meisten Analysten noch, dass die USA bis 2030 große Mengen Erdgas importieren würden. So geht etwa »Hard Truths«, eine Studie des National Petroleum Council von 2005, davon aus, dass die USA beträchtliche Erdgasmengen aus Russland, dem Mittleren Osten, Westafrika, Venezuela und Asien beziehen werden. 2010 waren die USA dann aber bereits in der Lage, den größten Teil ihres Bedarfs aus inländischen Quellen zu decken. Im Dezember 2010 begannen sie sogar, Erdgas in kleinerem Umfang nach Europa zu exportieren. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass die USA über 230 Billionen Kubikmeter Erdgasreserven in Form vor allem von Schiefergas verfügen. Auch China könnte 100 und Europa 30 Billionen Kubikmeter Reserven haben.

Während die USA die Schiefergasproduktion stark expandierten, steigerte Katar seine Produktions- und Exportkapazitäten im Bereich Flüssiggas. 2009 wurden hier - der staatlichen US-amerikanischen Energy Information Agency (EIA) zufolge - 91 Mrd. Kubikmeter Flüssiggas produziert, das ist dreimal soviel wie im Jahr 2000. Die gestiegene Gasproduktion war ursprünglich für die US-Märkte vorgesehen gewesen, die an diesen Importen jedoch nicht mehr interessiert waren, so dass Katar sich stattdessen hauptsächlich auf die rasch wachsenden chinesischen und indischen Märkte konzentrierte. Ein Drittel seiner Erdgasexporte geht jedoch auch nach Europa. 2009 erreichten die Flüssiggasimporte der EU mit 68 Mrd. Kubikmetern einen bisherigen Höchststand, der 13% des Bedarfs der EU entsprach.

Die steigende Erdgasproduktion in Kombination mit einem Nachfragerückgang im Zuge der globalen Wirtschaftskrise von 2008 hat die internationalen Erdgasmärkte stark verändert. Es kam zu einem enormen Überangebot. Die Höhe dieses Überangebots, gemessen als Differenz zwischen dem tatsächlich gehandelten Exportvolumen und den Exportkapazitäten in Form von Pipelines und Terminals für Flüssiggas, betrug 2009 insgesamt 130 Mrd. Kubikmeter und wird laut dem Weltenergieausblick der IEA von 2010 bis zum Jahr 2011 auf mehr als 200 Mrd. Kubikmeter anwachsen.

Kurzfristig wird das Überangebot niedrigere Erdgaspreise nach sich ziehen. Da Gas aber eine sauberere Energiequelle als Kohle oder Öl ist, werden diese niedrigen Preise mittel- und langfristig eine höhere Nachfrage generieren, was möglicherweise zu einer stärkeren Auslastung der Produktions- und Exportkapazitäten führen wird. Das wiederum könnte längerfristig wieder steigende Preise bewirken, wenn Kohle und Erdöl durch Erdgas ersetzt werden.

Auswirkungen auf Russland

Diese sich wandelnden globalen Rahmenbedingungen betreffen auch die russische Erdgasindustrie: Zumindest kurz- bis mittelfristig ist die Nachfrage nach russischem Gas rückläufig. Im Jahr 2010 sind die russischen Gasexporte nach Europa - der Nachrichtenagentur AFP zufolge - um 1,5% auf 139 Mrd. Kubikmeter gesunken. Russland musste mit einigen seiner Hauptabnehmer über eine Reduzierung der vertraglich festgelegten Mindestabnahmemenge verhandeln. Doch obwohl die russischen Verkäufe nach Europa zurückgehen, ist das Bild, das sich für Russland in den Zeiten steigender Preise abzeichnet, nicht nur düster. Vielmehr ist Russlands gesamter Gasexport um 6% auf etwa 170 Mrd. Kubikmeter gestiegen. Dank der steigenden Lieferpreise ist der Wert der Erdgasexporte - der Bank von Finnland zufolge - sogar um noch eindrucksvollere 15% auf 48 Milliarden US-Dollar gestiegen. Von ihrem Höchstwert, der 2005 mit 207 Mrd. Kubikmetern erreicht wurde, sind die russischen Gasexporte aber dennoch weit entfernt.

Russland musste auf die neuen Bedingungen reagieren. Traditionell verkauft Russland sein Gas gern in Form von Verträgen mit langen Laufzeiten, die »take or pay«-Klauseln beinhalten und den Preis des Erdgases an den Ölpreis koppeln. Die bei diesen Verträgen üblichen Laufzeiten von 20 bis 25 Jahren verschaffen Russland die Sicherheit, die es benötigt, um in massive Entwicklungsprojekte investieren zu können, die die Förderung neuer Gasvorkommen vorantreiben, die an der russischen Nordküste vermutet werden. Die »take or pay«-Klauseln verpflichten die Kunden zur Zahlung des Gases auch für den Fall, dass sie es nicht wirklich brauchen sollten, was eine zusätzliche Sicherheit für Russland bedeutet.

Mit dem Monopolisten Gazprom ist Russland in der Lage, gegenüber den europäischen Abnehmern mit einer geschlossenen, einheitlichen Position aufzutreten. Die Europäer dagegen haben lange gebraucht, um eine gemeinsame Energiepolitik zu koordinieren. Die größten Energieunternehmen von europäischen Schlüsselmächten wie Deutschland, Frankreich und Italien verfolgen jeweils partikulare Interessen, die sich von denen der Europäischen Union insgesamt unterscheiden. Die großen europäischen Unternehmen profitierten von den stabilen Vereinbarungen mit Gazprom und von hohen Preisen auf ihren Binnenmärkten, dank derer sie hohe Profite machen und gleichzeitig ihre Märkte schützen können. Die EU-Kommission versuchte dagegen, die Energieunternehmen in Produzenten und Pipelinebetreiber aufzubrechen und ihre regionalen Monopole zu beenden. Dazu sollte auch die Rolle der Spotmärkte vergrößert werden. Auf den Spotmärkten gibt es keine Verträge mit langer Laufzeit, hier können die Kunden das Gas dem Anbieter mit dem niedrigsten Preis sofort abkaufen und die Verkäufer können das Gas den Kunden verkaufen, die die höchsten Preise zu zahlen bereit sind.

Aufgrund des derzeitigen Überangebots an Erdgas sind die Spotpreise jetzt niedriger als die Lieferpreise in Gazproms langfristigen Verträgen. Die Liberalisierung des Erdgasmarktes bietet so derzeit offensichtliche Preisvorteile für europäische Verbraucher. Etliche europäische Energieunternehmen nutzen die Entwicklung auf den Spotmärkten auch, um Gazprom unter Druck zu setzen und zu günstigeren Preisen sowie einer Neuverhandlung der Lieferverträge zu bewegen.

Außerdem sorgen sich die europäischen Kunden um ihre Energiesicherheit und versuchen, ihre Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren. Sie erinnern sich noch gut an den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland 2009, der zu Liefereinstellungen in mehrere osteuropäische Länder geführt hat, die größtenteils oder komplett von den russischen Erdgaslieferungen abhängig waren. Russland baut derzeit Pipelines um die Ukraine herum und behauptet, dadurch die Probleme, die zu dem Pipelinekonflikt geführt haben, zu lösen. Einige europäische Beobachter fürchten die durch die höheren russischen Exportkapazitäten möglicherweise steigende europäische Abhängigkeit von Russland aber dennoch. Angesichts des gesunkenen europäischen Verbrauchs von russischem Gas ist für die absehbare Zukunft allerdings gar nicht klar, ob größere Pipelinekapazitäten von Russland nach Europa überhaupt Sinn machen.

Zur Aufrechterhaltung seiner konventionellen Erdgasproduktion wird Russland früher oder später enorme Investitionen tätigen müssen, um das Stokman-Gasfeld in der Barentssee weit im Norden sowie Lagerstätten auf der abgelegenen Jamal-Halbinsel nördlich des Urals zu erschließen. Wegen des Überangebots von Erdgas auf dem Weltmarkt sind Entscheidungen über eine Fortführung dieser Projekte derzeit ausgesetzt und es ist unklar, wann die russischen Entscheidungsträger und ihre potentiellen westlichen Partner bereit sein werden, sich festzulegen. Alternativ könnte Russland sich dafür entscheiden, dem amerikanischen Beispiel zu folgen und seine mutmaßlich umfangreichen Vorkommen an Schiefergas zu entwickeln. Diese könnten über wesentlich kleinere Investitionen erschlossen werden, als für die Entwicklung der konventionellen Offshore-Vorkommen nötig sind.

Zukünftige Entwicklungen

Das Schicksal der russischen Erdgaswirtschaft ist in hohem Maße von den Entwicklungen auf den internationalen Märkten abhängig. Zentrale Faktoren in diesem Zusammenhang sind die Rolle des Erdgases im Energiemix der Zukunft, die Entwicklung der europäischen Gasnachfrage und die des Schiefergassektors. Der Weltenergieausblick der IEA von 2010 geht davon aus, dass Erdgas in der Weltenergieversorgung der nächsten 25 Jahre eine entscheidende Rolle spielen wird. Erdgas ist der einzige fossile Energieträger, dessen weltweite Nachfrage für das Jahr 2035 höher veranschlagt wird als sie 2008 war. Dabei wird eine Nachfragesteigerung von 1,4 Billionen Kubikmetern oder 44% gegenüber 2008 prognostiziert. Den größten Anstieg der Erdgasnachfrage soll es in diesem Zeitraum in China geben, wo ein Fünftel der Steigerung bis 2035 verortet wird. Der Mittlere Osten, der über relativ günstig zu förderndes Gas verfügt, wird seine Produktion bis 2035 voraussichtlich auf 800 Mrd. Kubikmeter pro Jahr verdoppeln. Etwa 35% der neuen Gasproduktion werden nach der Prognose der IEA aus Schiefergasquellen in den USA und in der Asien-Pazifik-Region stammen.

Die europäische Gasnachfrage wird steigen, sobald sich die europäische Wirtschaft von der weltweiten Krise erholt hat. Diese Steigerung wird jedoch nicht mehr für so bald erwartet, und ein Wandel des Energiemixes hin zu erneuerbaren Energien könnte den Nachfrageanstieg dämpfen. Anouk Honore vom Oxford Institute for Energy Studies schätzt, dass die europäische Nachfrage bis 2020 um 0,6% jährlich steigen wird. Bei diesem Tempo wird die EU bereits 2015 neue Gasquellen für ihre Versorgung auftun müssen.

Die Entwicklung des Schiefergases bleibt eine unbekannte Größe. Es ist unklar, ob die USA in der Lage sein werden, mit der Produktion unkonventionellen Erdgases im bisherigen Umfang fortzufahren. Die USA verfügen über schätzungsweise 12 Billionen Kubikmeter Schiefergas. Die Energy Information Administration erwartet so u. a. aufgrund eines Anstiegs der Schiefergasproduktion bis 2035 eine weitere Reduzierung der momentan sowieso schon geringen Erdgasimporte der USA. Erhebliche Bedenken in Bezug auf die Bohrvorgänge, die bereits Trinkwasserreserven belastet haben, könnten das Wachstum der Schiefergasproduktion letztlich aber auch stoppen. Ebenfalls zentral für die weitere Entwicklung der Erdgasmärkte ist die Frage, ob auch in Europa die Schiefergasproduktion aufgenommen wird. EIA-Schätzungen zufolge verfügt Europa über 3 Billionen Kubikmeter Schiefergas (das sind 11 Prozent der weltweiten Reserven). Europa ist jedoch wesentlich dichter besiedelt als die USA und zunehmend um die ökologischen Folgen der Energieproduktion besorgt.

Die Manager von Gazprom würden den Status Quo gerne möglichst lange aufrechterhalten, denn sie haben enorm von ihm profitiert. Sie leben jedoch in einer unsicherer werdenden Welt mit zahlreichen Herausforderungen und Möglichkeiten und die Beschlüsse, die sie in den nächsten Jahren fassen, werden über das wirtschaftliche Wohlergehen des Unternehmens in den kommenden Jahrzehnten entscheiden.

Übersetzung: Sophie Hellgardt

Über den Autor:

Robert Orttung ist Assistant Director des Institute for European, Russian and Eurasian Studies an der Elliott School of International Affairs der George Washington University sowie Visiting Fellow des Center for Security Studies an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.

Lesetipps

  • Paul Stevens, The Shale Gas Revolution': Hype and Reality, A Chatham House Report, September 2010.http://www.chathamhouse.org.uk/publications/papers/view/-/id/947/

  • Alan Riley, "Whither Gazpromcan Gazprom survive in a shale gas world? Baltic Rim Economies, 28. Februar 2011.http://www.tse.fi/FI/yksikot/erillislaitokset/pei/Documents/BRE2011/BRE%201-2011%20final%2017.3.2011.pdf

  • Anouk Honore, "Economic recession and natural gas demand in Europe: What happened in 2008-2010? Oxford Institute for Energy Studies NG 47, Januar 2011. http://www.oxfordenergy.org/pdfs/NG47.pdf

  • Anthony J. Melling, Natural Gas Pricing and Its Future: Europe as the Battleground, Washington: Carnegie Endowment for International Peace, 2010. http://www.carnegieendowment.org/files/gas_pricing_europe.pdf

Fussnoten