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Eine Reportage aus Serbien: "Die Ärmsten der Armen sind die Roma“ | Sinti und Roma in Europa | bpb.de

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Eine Reportage aus Serbien: "Die Ärmsten der Armen sind die Roma“ Die europäische "Roma-Dekade" hat in Serbien bisher nur wenig an der schwierigen Lage der Roma geändert

Danja Antonovic

/ 12 Minuten zu lesen

Das Leben der meisten Roma in Serbien ist geprägt von Rassismus, Diskriminierung und schwierigen wirtschaftlichen Umständen. In einem Land, in dem 20 Prozent aller Bürger unter der Armutsgrenze leben, gehören Roma meist zu den Ärmsten der Armen. Wie sieht ein Leben als "unsichtbare" Bürger Serbiens aus?

(© Paula Bulling)

"Sie leben in Slums, die es nicht gibt, in Straßen, die es nicht gibt, in Hütten, die keine Hausnummern haben. Die hier geborenen Kinder gibt es nicht, weil sie an einem Ort geboren sind, den es nicht gibt, und diesen Ort gibt es nicht, weil er in keinem Katasteramt verzeichnet ist und offiziell nicht existiert." So beschreibt Ljiljana Stanojević, Journalistin, die Lage der Roma in Serbien in einer Talkshow des öffentlich-rechtlichen Senders Vojvodina. In dieser multinationalen Provinz, zwischen Belgrad und Budapest, leben die meisten Roma Serbiens – zusammen mit 20 weiteren Nationen. Unter ihnen sind Ungarn, Serben, Slowaken, Rumänen, Deutsche, Bosnier. In der Talkshow streiten Politiker, Vertreter der Roma-Verbände und Journalisten über die "unsichtbaren" Bürger Serbiens, von denen man nicht einmal weiß, wie viele es eigentlich sind. Die Statistik spricht von 147.000 Roma, offizielle Schätzungen gehen von 400.000 aus, nach Angaben der Roma-Verbände sind es bis zu 800.000, manche reden sogar von einer Million Roma in Serbien.

Noch im 20. Jahrhundert zogen Roma-Familien mit Pferdegespann durch Berg und Tal, lebten in Zelten, im Sommer und Winter auf der grünen Wiese und waren berühmt für ihre Handarbeiten. Auf Bauernmärkten verkauften sie Gegenstände aus geschnitztem Holz und boten Küchenutensilien aus Metall an.

Im 21. Jahrhundert sind Roma die Verlierer des Übergangsprozesses in Serbien. Elendssiedlungen und Arbeitslosigkeit bestimmen ihr trostloses Dasein. Diejenigen, die einen Job hatten, haben ihren Arbeitsplatz genauso verloren wie Hunderttausende andere Serben auch. Der Grund: Die Privatisierung der alten Staatsbetriebe. Neue Jobs bekamen die Roma im Gegensatz zu anderen Serben weder in der Privatwirtschaft noch im Staatsdienst. Osman Balić, Gründer des "Yurom Center" in Niš, der drittgrößten serbischen Stadt, in der etwa 30.000 Roma leben, sagt: "Die Zahl der Roma im Staatsdienst ist minimal. Von etwa 100.000 Staatsdienern in Serbien sind nur einige Hundert Roma dabei. Im selben Jahr waren 20.000 Roma beim Arbeitsamt gemeldet, einen Job bekamen 82 von ihnen, davon waren 31 Frauen und fünf Behinderte."

Unsichtbare Müllsammler

So tun Roma das, was niemand tun will – sie sammeln Müll und versuchen, mit dieser Arbeit zu überleben. Seit Jahrzehnten durchforsten sie die Müllcontainer in den Städten, um dort Plastikflaschen und Papier an Recycling-Firmen zu verkaufen. Ein schmutziger Job, der kaum Geld bringt: Für eine Tonne Karton gibt es gegenwärtig 1.500 Dinar, das sind etwa 15 Euro. Mindestens eine Woche brauchen zwei Männer, um eine Tonne abzuliefern. In einem Land, in dem 20 Prozent aller Bürger unter der Armutsgrenze leben, gehören Roma zu den Ärmsten der Armen. Seitdem 2010 ein neues Gesetz zur Abfallentsorgung in Serbien an die EU-Normen angepasst wurde, ist auch diese Nische in Gefahr. So zum Beispiel in Belgrad: Die Zweimillionenstadt hat statt der offenen Straßencontainer neue, unterirdische, geschlossene Müllcontainer installiert – und so kann keiner mehr darin wühlen und Papier und Plastik herausholen. Das Recycling-System wurde reorganisiert, wer draußen blieb – waren wieder die Roma. Zwar gibt es einige Projekte, in denen weiterhin und gezielt Roma engagiert werden, jedoch ist das ein Tropfen auf den heißen Stein.

Auch auf das Grundrecht auf medizinische Hilfe in Serbien müssen viele Roma verzichten, denn vor allem diejenigen, die keinerlei Dokumente besitzen, sind von der staatlichen Gesundheitsvorsorge ausgeschlossen – und das sind eben oft auch Roma.

Quellentext"Die hier geborenen Kinder gibt es nicht"

Und die Spirale dreht sich weiter: Roma ohne Papiere haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe, und weil viele Roma-Eltern keine Personalausweise haben, sind auch ihre Kinder nicht gemeldet und werden häufig nicht eingeschult.

Obwohl es viele Projekte und Programme zur besseren Bildung der Roma-Kinder gibt, beendet nur ein Viertel der eingeschulten Kinder die Grundschule. Einen Sekundarschulabschluss machen weniger als zehn Prozent, viele werden in Sonderschulen und Sonderklassen für Lernbehinderte gesteckt, obwohl sie dort nicht hingehören. Noch immer können nach Schätzungen 80 Prozent aller serbischen Roma nicht lesen und schreiben.

Die Europäische Union macht Druck

Die "Roma Dekade 2005 - 2015" heißt das ehrgeizige europäische Projekt, das Roma-Integration fördern und verbessern soll. Zwölf europäische Länder, von Albanien bis Spanien, sollen in dieser Zeit Aktionspläne und Initiativen vor Ort durchführen. Im Zentrum der Dekade stehen Bildung, Arbeit, Wohnen und Gesundheit. Als Božidar Djelić 2009 den Vorsitz der Roma-Dekade hatte, erklärte der damalige Vizepremier Serbiens und nationale Koordinator, Serbien habe vier Themen als Priorität gesetzt: Unterkunft, Verringerung der Diskriminierung in der Bildung, Verfolgung der statistischen Angaben über Roma und Definierung einer europäischen Politik.

Unter dem Druck und mit viel Geld der EU wurde hier und da etwas getan, wurden Pläne und Strategien entwickelt, jedoch übernahmen sie die wenigsten Gemeinden in Serbien. Die wenigen Projekte, die tatsächlich realisiert wurden, kamen in den Medien groß raus. So konnte jeder lesen, dass, zum Beispiel in der Stadt Požarevac, südlich von Belgrad, "komfortable Montagehäuser" gebaut wurden. Und zwar für 118 Roma, Flüchtlinge aus dem Kosovo, die seit zehn Jahren am Stadtrand im Elend gelebt hatten. Natürlich zeigte man auch die lachenden Roma-Frauen, die stolz vor ihren neuen Häusern posierten. Die Geldgeber wurden auch genannt: 260.000 Euro kamen von der EU, 25.000 US-Dollar von der Amerikanischen Botschaft in Belgrad, die Bauarbeiter bezahlte die Stadt Požarevac. Die meisten Roma aber blieben weiterhin in den Elendssiedlungen, wo sie auch vor der Roma-Dekade gelebt hatten.

Das Grundrecht, ein menschenwürdiges Dach über dem Kopf zu haben, das in der UN-Deklaration der Menschenrechte, im Artikel 22, verzeichnet ist, wird den meisten Roma in Serbien noch immer verwehrt. Am Rande der Städte und Dörfer, in ungefähr 600 Siedlungen leben Hunderttausende Roma. Ihre schäbigen Hütten sind aus Wellblech, Spanplatten und Schrott zusammengezimmert und dicht nebeneinander gebaut. Im Winter wird Feuer vor den Hütten gemacht, um die eisige Kälte zu vertreiben. In den meisten Siedlungen fehlen Strom und Wasser, Straßen sowieso. In der serbischen Presse werden solche Roma-Lager "unhygienische Siedlungen" genannt, die abfällige Bezeichnung spielt darauf an, dass Roma – wie viele Menschen in Serbien sagen –"sowieso schmutzig" sind und "sowieso nichts Besseres verdient haben". Die Roma-Siedlungen empfinden die meisten Städter aber als "Schande" und sie sind froh, wenn Behörden Zwangsräumungen beschließen.

Ungeliebte Nachbarn

(© Paula Bulling)

Die serbische Hauptstadt Belgrad hat sich in den vergangenen Jahren zu einer pulsierenden europäischen Großstadt entwickelt, die Altstadt ist voller Gründerzeithäuser, die einen frischen Anstrich bekommen haben und wieder in alter Pracht erstrahlen, unzählige Bistros und Cafés säumen die breiten Boulevards mit ihrer glitzernden Schaufensterwelt von Prada und Gucci. Nicht unweit vom Stadtkern, in Neu-Belgrad, das mit zwei Brücken über die Save mit der Altstadt verbunden ist, entsteht die neue City von Belgrad. Hier wachsen die Neubauten in den Himmel, hier sitzen Banken und erfolgreiche Unternehmen und hier wohnen diejenigen, die für einen Quadratmeter bis zu 3.000 Euro zahlen können. In dieser Welt stört die Armut. Denn in Neu-Belgrad hatten sich auch Roma-Flüchtlinge aus dem Kosovo niedergelassen – in zwei "unhygienischen Siedlungen", in denen bis zu 1.000 Menschen lebten. Als 2009 die "Universiade", die Studentenolympiade, in Belgrad stattfand, sollten in Neu-Belgrad Wohnungen gebaut werden, weshalb die Roma-Siedlung "Karton-City Belleville" geräumt werden sollte. Die Belgrader Verwaltung zerstörte 50 Hütten und begann mit einer Zwangsumsiedlung. Doch die Stadtväter mussten das Vorhaben stoppen – sie hatten nicht mit den tagelang andauernden Protesten gerechnet.

Quellentext"Arroganz ist keine Lösung"

Der Bürgermeister Dragan Djilas hat mit Gewalt die Umsiedlung der Roma aus der ‚nichtexistierenden Roma-Siedlung‘ in Neu-Belgrad verordnet. Ihm ist vorzuwerfen, dass er auf unethische Weise und ohne auf die ungewünschte Minderheit einzugehen, agiert hat. Er hat jegliche Menschenrechte verletzt, indem er die Menschen gegen ihren Willen zwangsumgesiedelt hat.

Quelle: Der Belgrader Soziologe Božidar Jakšić in einem Kommentar in der Tagezeitung "Politika"

In seinem Kommentar "Arroganz ist keine Lösung" schrieb damals der Belgrader Soziologe Božidar Jakšić in der Tagezeitung "Politika": "Der Bürgermeister Dragan Djilas hat mit Gewalt die Umsiedlung der Roma aus der ‚nichtexistierenden Roma-Siedlung‘ in Neu-Belgrad verordnet. Ihm ist vorzuwerfen, dass er auf unethische Weise und ohne auf die ungewünschte Minderheit einzugehen, agiert hat. Er hat jegliche Menschenrechte verletzt, indem er die Menschen gegen ihren Willen zwangsumgesiedelt hat."

Roma und Serben demonstrierten tagelang und belagerten das Belgrader Rathaus. Die Proteste gegen die Zwangsumsiedlung hat das deutsch-serbische Künstlerpaar Rena Rädle und Vladan Jeremić in ihrer Videoarbeit "Belleville" eindrucksvoll dokumentiert. Der Film endet mit den Protesten am 8. April 2009, am Welttag der Roma. Während die Demonstranten vor dem Rathaus auf den Bürgermeister von Belgrad warten, wird am Platz der Republik der Tag der Roma gefeiert. Doch trotz der Proteste gegen die Räumung von "Belleville" wurden im August 2009 in nur einer Nacht die Hütten der "Gazela"-Siedlung in Neu-Belgrad zerstört. Rund 250 Roma, die unter der gleichnamigen Brücke gelebt hatten, wurden vertrieben. Seitdem leben sie in einer Art Ghetto, in Metallcontainern am Stadtrand von Belgrad.

Es verwundert also kaum, dass Amnesty International Serbien im Jahresbericht 2010 Diskriminierung der Roma vorwirft. Neben dem alltäglichen Rassismus geht es vor allem um die Zwangsumsiedlung der "Gazela"-Siedlung. Im selben Bericht wirft Amnesty International übrigens auch dem Kosovo Diskriminierung und die Vertreibung der Roma vor. Trotz des Amnesty-Berichts und der Proteste serbischer NGOs, von europäischen Roma-Organisationen und der EU führte die Belgrader Behörde 2012 die zweite Zwangsumsiedlung durch: "Belleville" wurde endgültig zerstört. Immerhin wurden auf Drängen der EU mit europäischen Geldern statt Metallcontainer Fertighäuser gebaut. Die Einwohner der Gemeinde Resnik, einem Außenbezirk von Belgrad, protestierten monatelang, als Roma-Familien aus "Belleville" ihre Nachbarn wurden. Auch wenn die meisten serbischen Politiker das Wort "Ciganin" aus ihrem Vokabular verbannt haben und von "Roma" sprechen, das Volk spricht noch immer vom "Ciganin" und versteht darunter einen listigen Menschen ohne Schulausbildung und ohne festen Wohnsitz, den man am besten nicht ins Haus lässt.

Unterstützer, Roma-Musiker und Kulturschaffende

Trotz des täglichen Rassismus, dem Roma in Serbien ausgesetzt sind, ist natürlich nicht jeder Serbe ein Rassist. Intellektuelle, Künstler und Schriftsteller, viele nicht staatliche Organisationen wie "Frauen in Schwarz" setzen sich für die Rechte der Roma ein. Und auch diejenigen, die gerne einmal abfällige Bemerkungen über "Zigeuner" loslassen, sind gerührt, wenn Roma-Musiker bei Hochzeiten aufspielen. Kaum eine Familienfeier ohne Geige und Trompete, den traditionellen Roma-Instrumenten, kein Restaurant, das auf sich hält, kommt ohne Roma-Klänge aus. Der Welterfolg des Trompeten-Virtuosen Boban Marković wird gefeiert, als ob Marković kein Roma wäre. Und da wären natürlich auch noch die Musik von Goran Bregović und die Filme von Emir Kusturica, die voller surrealer Bilder vom Leben der Roma erzählen. "Solche" Roma lieben die Serben.

Diese zumindest ambivalente Haltung reicht weit zurück. Das Jahr 1981 war ein wichtiges Jahr für Roma in der Welt, und für Roma im damaligen Jugoslawien. Im Balkanland werden Roma erstmals alle Minderheitenrechte zuerkannt. In Göttingen, beim dritten Welt-Roma-Kongress, wurden gleich drei Serben ins Präsidentenamt gewählt. Präsident der Roma-Union wurde Sait Balić aus Niš, einer der zwei Generalsekretäre war Dr. Rajko Djurić aus Belgrad. Djurić (Jahrgang 1947) hat in Belgrad Philosophie studiert und über "Kultur der Roma in Jugoslawien" seine Doktorarbeit geschrieben. Als "ungeeignet" verlor er in der Milosević-Ära seinen Posten als Kulturchef der Zeitung "Politika" und flüchtete nach Berlin. Günter Grass half ihm, in Deutschland Fuß zu fassen. Zwölf Jahre lebte Djurić im Exil, in dieser Zeit veröffentlichte er mehrere Bücher. In seinem Buch "Ohne Heim, ohne Grab" befasst sich Djurić mit der Geschichte der Roma.

QuellentextIm "Neunten Kreis der Hölle"

Auch unter normalen Bedingungen leben die meisten Roma im ‚Neunten Kreis der Hölle‘, um Dante Alighieri zu zitieren. In Krisenzeiten und im Krieg sind sie die ersten Opfer, weil sie oft zum Ziel rechtsextremistischer Angriffe werden. Die ersten Opfer der letzten Kriege auf dem Balkan waren Roma. Zwei Jahre vor Kriegsbeginn wurden sie aus dem bosnischen Mostar vertrieben. Doch die radikalste ethnische Säuberung wurde nach der NATO-Intervention, 1999, von albanischen Nationalisten im Kosovo durchgeführt. Die meisten von ihnen leben heute in Serbien, unter menschenunwürdigen Bedingungen.

Quelle: Interview mit Dr. Rajko Djurić

In einem Interview sagt er: "Auch unter normalen Bedingungen leben die meisten Roma im ‚Neunten Kreis der Hölle‘, um Dante Alighieri zu zitieren. In Krisenzeiten und im Krieg sind sie die ersten Opfer, weil sie oft zum Ziel rechtsextremistischer Angriffe werden. Die ersten Opfer der letzten Kriege auf dem Balkan waren Roma. Zwei Jahre vor Kriegsbeginn wurden sie aus dem bosnischen Mostar vertrieben. Doch die radikalste ethnische Säuberung wurde nach der NATO-Intervention, 1999, von albanischen Nationalisten im Kosovo durchgeführt. Die meisten von ihnen leben heute in Serbien, unter menschenunwürdigen Bedingungen." Rajko Djurić lebt heute wieder in Belgrad.

Auch Dragoljub Acković (Jahrgang 1952) kämpft für die Rechte der Roma in Serbien. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Kommission für Menschenrechte im Welt-Roma-Parlament. Seine Herzensangelegenheit ist das "Museum of Roma Culture" in Belgrad, "das einzige auf dem Balkan", wie er stolz sagt. Acković ist ein stattlicher Mann, den ein Rauschebart und eine große Brille zieren. Er redet unaufhörlich, gestikuliert viel und gibt gerne Auskunft über sein Lebenswerk. Seine Augen blinzeln verschmitzt, wenn er sagt: "Das hier ist eher ein Zentrum zum Abbau der Vorurteile als ein Museum. Wenn jemand hier erfährt, wie alt die Geschichte der Roma ist, dann wird er, so hoffe ich, über uns anders denken." Er zeigt auf eines der Exponate hinter dem Glas, es ist ein Buch in Romanes, 1803 erschienen. "Und", fügt Acković stolz hinzu, "im selben Jahr wurden nur neun Bücher in Serbisch gedruckt." Das ganze Museum ist nur 72 Quadratmeter groß, die werden aber maximal genutzt: Hinter den Glasvitrinen sind die Wände mit Bildern, Karten und alten Fotos "bepflastert". Roma haben den Balkan im zehnten Jahrhundert erreicht, "und nicht immer waren sie so diskriminiert wie heute", sagt Acković und zeigt auf eine Informationstafel. "Während im 15. Jahrhundert in Brandenburg für jeden toten Roma ein Taler bezahlt wurde, hatten Roma hier in Belgrad alle bürgerlichen Rechte. Im 19. Jahrhundert saßen sie im serbischen Parlament, und keiner weiß, dass heute in der serbischen Akademie der Wissenschaften mehrere Roma vertreten sind."

Und die Zukunft?

Bald wird die Europäische Union entscheiden, ob Serbien "ein sicheres Herkunftsland" wird. Das heißt, dass Asylbewerber aus Serbien in der EU abzulehnen sind, weil ihr "Asylantrag offensichtlich unbegründet" ist. Da die meisten serbischen Asylbewerber der vergangenen Jahre Roma sind, heißt das konkret, dass Serbien "Ausreisewillige" besser kontrollieren und mit allen Mitteln die Ausreise der Roma nach Europa verhindern sollte. Die serbische Regierung wird sich dem Ersuchen der EU beugen, denn Serbien selbst will nach Europa, die Verhandlungen über eine EU-Beitritt sollen möglichst bald beginnen.

Doch auch ohne die Verhandlungen mit der EU ist die Lage verzwickt und hat viel mit der Visa-Freiheit für Serben zu tun: Nach den Balkankriegen gehörte Serbien lange Zeit nicht zum Schengen-Raum. Wenn jemand nach Berlin, Paris oder London wollte, musste er tagelang in langen Schlangen vor den Türen der europäischen Botschaften in Belgrad anstehen. Erst 2009 feierten die Serben "den Fall der Schengener-Mauer" und konnten nun auch ohne Visum nach Europa reisen.

Nun jedoch droht die EU, dass das Abkommen zum Schengen-Raum wieder zurückgenommen werden könnte, wenn Serbien die Massenausreise der Roma nicht verhindere. Für die angedrohte Rücknahme der Visa-Freiheit machen die meisten Serben "die Roma-Auswanderung nach Europa" verantwortlich. Vor allem die serbische Presse wettert seit Monaten gegen "lažni azilanti", was in etwa "scheinheilige, falsche Asylbewerber" bedeutet. Und wer diese "lažni azilanti" sind – das belegen die dazugehörigen Fotos mit den stereotypen Roma-Bildern aus den "unhygienischen Siedlungen".

Und die Roma? In Serbien sehen sie keine Zukunft, die Festung Europa will sie nicht, hier als "lažni azilanti" verunglimpft, dort als Wirtschaftsmigranten abgelehnt, wird ihr Leben im Balkanstaat nicht leichter, nehmen der tägliche Rassismus und die Diskriminierung weiter zu. Zwar soll ein "Nationaler Plan" die Roma-Situation in den kommenden Jahren verbessern, es ist aber fraglich, ob Serbien überhaupt die Mittel für neue Roma-Projekte hat. Das Land befindet sich am Rande des Bankrotts, und Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen verteuern das Leben in Serbien. Für die Ärmsten der Armen sieht es nicht gut aus. Ob sie Serben oder Roma sind.

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Danja Antonovic lernte Sprachen in Mailand, London und Paris, studierte in Frankfurt Philosophie. In Wien volontierte sie bei CBC - Canadian Broadcasting Corporation – Büro Südosteuropa, in München absolvierte sie die Deutsche Journalistenschule. Fürs ZDF hat sie lange Zeit als Autorin Reportagen aus Albanien, Bulgarien und Jugoslawien unterschrieben. Seit 2006 lebt sie in Belgrad und beliefert, als freie Auslandskorrespondentin, deutsche Medien aus Serbien und der gesamten Balkan-Region. Unter anderem schreibt sie für DIE ZEIT, BRIGITTE WOMAN, GEO und arbeitet für WDR und DEUTSCHLANDRADIO. Danja Antonovic ist Mitglied des Netzwerks WELTREPORTER.NET.