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Meinung: Managen, was nicht lösbar ist – Zum Umgang mit vertrackten Konflikten | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Meinung: Managen, was nicht lösbar ist – Zum Umgang mit vertrackten Konflikten

Wibke Hansen Volker Perthes

/ 8 Minuten zu lesen

Politik sollte sich der Erwartung widersetzen, jede Krise möglichst unmittelbar lösen zu können, meinen Wibke Hansen und Volker Perthes. Oft gehe es vielmehr darum, Konflikte zunächst so zu managen, dass Kampfhandlungen aufhören oder zumindest nicht eskalieren, Zivilisten geschützt sowie Zeit und Raum für spätere Lösungsschritte geschaffen werden.

Wibke Hansen (© Photostudie Charlottenburg)

Das Ziel politischer Konfliktbearbeitung liegt selbstredend in der Lösung beziehungsweise Transformation von gewaltsamen Konflikten – im Fall von Kriegen und Bürgerkriegen also um einen Prozess, der letztlich einem nachhaltigen, positiven Frieden den Weg bereitet. In vielen der Fälle, die gegenwärtig das internationale Konfliktgeschehen bestimmen, scheint dieses Ziel aber selbst auf mittlere Frist unerreichbar zu sein. In Teilen der Wissenschaft und auch der Politik hat sich der Begriff "intractable conflicts" durchgesetzt für "hartnäckige" Konflikte, die sich den Lösungsbemühungen internationaler Akteure anhaltend entziehen. Der Begriff ist eher von deskriptivem als von präskriptivem Wert: Er beschreibt das sehr reale Problem, dass Friedens- und Vermittlungsbemühungen scheitern, weil lokale oder regionale Akteure sich darauf nicht oder nicht im geforderten Maße einlassen. Er sollte aber nicht suggerieren, dass der Konflikt per se unlösbar wäre und internationale Akteure sich ihre Mühe deshalb besser sparen sollten.

Volker Perthes (© Volker Perthes)

Gerade in solchen Situationen darf die Orientierung am besten denkbaren aber zunächst unerreichbaren Ergebnis verantwortungsbewusste Akteure nicht davon abhalten, das unmittelbar Richtige zu tun: zu de-eskalieren, auf die Beendigung von Kampfhandlungen hinzuwirken, Zivilisten zu schützen und gegebenenfalls heiße Frontlinien einzufrieren und damit auch bessere Bedingungen für eine spätere umfassende Lösung zu schaffen.

Krisen sind nicht mehr, was sie einmal waren

Dass immer mehr ursprünglich innere, nach und nach aber regionalisierte Konflikte, nicht zuletzt Kriege und Bürgerkriege, wie die in Syrien, Mali, Sudan, Libyen oder Jemen, weder gelöst noch eingedämmt werden, hat auch damit zu tun, dass die Krisen und Konflikte, die die internationale Politik beschäftigen oder beschäftigen sollten, sich heute kaum noch zeitlich, geografisch oder mit Blick auf einzelne entscheidende Akteure eingrenzen lassen.

Analytisch und praktisch hilft es, sich klar zu machen, dass internationale Politik es nicht mit einzelnen, aufeinander folgenden und nach und nach zu bearbeitenden Krisen zu tun hat, sondern mit zusammenhängenden Krisenlandschaften, innerhalb derer zwar einzelne Landschaftselemente und Landmarken erkennbar bleiben, die aber als Teil eines integrierten Geländes verstanden, erkundet und bearbeitet werden müssen. So stellen, um nur ein Beispiel zu nennen, der Krieg in Syrien, die Flüchtlingsströme, die Stabilität Jordaniens oder Libanons, die Hegemonialkonflikte regionaler Mächte, die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Türkei, terroristische Bedrohungen sowie die Verfasstheit der Europäischen Union oder die Beziehungen der EU-Staaten und der USA zu Russland sämtlich miteinander verwobene Elemente einer großen Krisenlandschaft dar.

Dies verlangt ein vernetztes und multilaterales Konfliktmanagement, macht dies gleichzeitig aber auch schwieriger. Dies gilt für das ganze Spektrum des Konfliktmanagements – von Mediation bis zu robusten multidimensionalen Friedenseinsätzen. Die Erwartung, dass die Staatengemeinschaft oder gar einzelne Staaten in der Lage wären, nach und nach alle Krisen zu lösen, dürfte Entscheidungsträger und Öffentlichkeit eher entmutigen, als die strategische Geduld zu fördern, die für ein Management, für ein sicheres Navigieren durch diese Landschaften notwendig ist.

Bedingungen für Lösung oft nicht gegeben

Betrachten wir deshalb den Syrienkonflikt noch einmal: Unterstützungsbekundungen für die Vermittlungsbemühungen der Vereinten Nationen und deren Suche nach einer "politischen Lösung" kommen von allen Seiten, sind aber auch wohlfeil. Tatsächlich ist der Konflikt eben nicht, wie es der Theorie entspräche, "lösungsreifer" (William Zartman) geworden, weil die Konfliktparteien sich nach und nach in eine für beide Seiten schmerzhafte Blockade manövriert haben, überdehnt oder erschöpft sind. Eher ließe sich sagen, dass der Konflikt sich spätestens seit 2016 von der Lösungsreife wieder wegentwickelt hat. Das liegt zum einen an Art und Weise der Kriegsführung selbst, an Länge und Intensität des Konfliktes und vor allem an der dadurch bewirkten Zerstörung gesellschaftlicher Strukturen und der Zunahme von Furcht und Hass.

Es liegt aber eben auch an der Einbettung in eine breitere Konfliktlandschaft und der Involvierung einer zunehmenden Zahl regionaler und internationaler Akteure, durch die die Erschöpfung lokaler Konfliktparteien und deren gesellschaftlicher Basis für den Konfliktverlauf immer weniger relevant wird: Gewaltakteure werden von außen über Wasser gehalten oder gegebenenfalls ersetzt, ohne dass dabei eindeutig klar wäre, wer wem gegenüber als Stellvertreter handelt. Eine Lösung des Konflikts, die einen nachhaltigen Frieden ermöglichen würde, ist ohne substanzielle politische Veränderungen undenkbar, die sich angesichts der lokalen, regionalen und internationalen Interessen- und Kräftekonstellationen zumindest kurzfristig nicht einstellen werden. Das heißt aber eben nicht, dass die Vereinten Nationen und die internationale Staatengemeinschaft Syrien aufgeben und den Konflikt, wie zynische Stimmen gelegentlich gefordert haben, einfach "ausbrennen" lassen können.

Konfliktmanagement und politischer Raum

In einer Situation wie der in Syrien bedeutet Konflikt- bzw. Krisenmanagement zuvörderst, Kampfhandlungen zu beenden, Zivilisten zu schützen und die militärischen und politischen oder gesellschaftlichen Konflikte bzw. deren gewaltsamen Austrag weitestmöglich zu deeskalieren. Als erster Schritt wird dabei meist eine Waffenruhe oder ein Waffenstillstand vereinbart, was oft nur mithilfe von außen – durch interessierte Parteien oder die Vereinten Nationen – zu erreichen ist. Eine Waffenruhe erlaubt unter Umständen, zumindest teilweise, die Rückkehr von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, humanitäre Hilfe sowie Stabilisierungsmaßnahmen, einschließlich des Wiederaufbaus von sozialer Infrastruktur und eine gewisse Normalisierung des Lebens in vorher umkämpften Städten und Regionen.

Erste Erfolge oder eine Annäherung an Normalität können helfen, politische Prozesse zur dauerhaften Lösung eines Konfliktes überhaupt erst möglich zu machen. Klar ist: Je länger der gewaltsame Konfliktaustrag anhält, desto schwieriger wird es, diesen politischen Raum überhaupt wieder zu erschließen und eine tragfähige Konfliktlösung auf den Weg zu bringen.

Konfliktmanagement bleibt auch dort relevant, wo politische Lösungen in greifbare Nähe rücken – nicht zuletzt, weil Konfliktlösung Zeit braucht. Auf langwierige Prozesse des Aushandelns und Aufarbeitens folgen Umsetzungsprozesse. Die Lehren der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass es Generationen dauern kann, bis sich Inklusion und politische und wirtschaftliche Teilhabe, Rechtstaatlichkeit sowie neue Prozesse, Institutionen einer "Friedensordnung" etabliert haben. In der Zwischenzeit müssen häufig politisch fragile Situationen stabilisiert werden – etwa durch internationale Sicherheitspräsenzen, Beobachtung und Verifikation von Waffenstillständen, Garantien für Konfliktparteien und Vertrauensbildende Maßnahmen. Solche Maßnahmen des Konfliktmanagements können die Gefahr eines Rückfalls in die Gewalt reduzieren, den Raum für Divergenz und gesellschaftliche Debatten allmählich wieder eröffnen sowie sensible bzw. störanfällige politische Prozesse schützen.

Konflikte "einfrieren" – nicht immer die schlechteste Option

Einige Blauhelmmissionen dauern seit über 50 Jahren an, ohne dass eine Lösung des Konfliktes – und damit eine Abzugsoption – in Sicht wäre. Das mag man kritisieren; gleichzeitig wird hier jedoch seit Jahrzehnten die gewaltsame Konfliktaustragung weitgehend unterbunden.

Wo Verfassungsprozesse, Machtteilungsarrangements, Wahlen oder die befriedigende Regelung umstrittener Ansprüche auf absehbare Zeit unrealisierbar scheinen, kann es sinnvoll sein, Frontlinien und nach Möglichkeit auch den Konflikt selbst erst einmal "einzufrieren". Das reduziert den Druck, zeitnah eine Lösung herbeizuführen oder gar zu erzwingen, die bestimmten relevanten Akteuren Entscheidungen abverlangen würde, zu denen sie auch um den Preis eines neuen oder weiteren Krieges eben nicht oder noch nicht bereit sind. Furcht vor vermuteten Racheakten und Übergriffen, Eigeninteresse der Herrscher oder von Warlords, die aber nicht einfach weggewünscht werden können, ideologische Dispositionen, Hass und Ablehnung sind häufig schwer – und vor allem nicht kurzfristig – zu überwinden.

Ein Einfrieren der Frontlinien kann immerhin dazu beitragen, zu einer Form der Normalität zurückzufinden, in der Menschen nicht von täglicher kriegerischer Gewalt betroffen sind und Gewalt vielleicht sogar zur Hauptbeschäftigungs- und Haupteinkommensquelle wird. Das ändert die Prioritäten aller Beteiligten. Kinder können wieder zur Schule gehen, gesellschaftliche und wirtschaftliche Beziehungen können sich neu entwickeln, auch über Frontlinien hinweg. Selbst in fragmentierten Staaten und Gesellschaften kann auf diese Weise nach und nach wieder so etwas wie ein politischer Raum entstehen, in dem unterschiedliche Interessen sich äußern oder verhandelt werden können. Der territoriale Status quo würde gesichert werden, bis bestimmte Akteure, die einer Konfliktbeilegung im Weg stehen, abgetreten sind bzw. ihre Relevanz verloren haben.

In Syrien etwa mag es sinnvoll sein, Frontlinien zwischen von unterschiedlichen Kräften beherrschten Regionen zunächst einzufrieren, auch militärische Arrangements zu vereinbaren, um den Ausbruch von Feindseligkeiten oder unbeabsichtigte Zusammenstöße zu verhindern, dafür eine internationale Überwachungsstruktur zu schaffen und vertrauensbildende Maßnahmen, wie etwa Regeln für Checkpoints und Übergänge, auf den Weg zu bringen, damit sich wirtschaftliche und gesellschaftliche Beziehungen wieder entfalten können. Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen: Wäre es vorstellbar, dass die im Gazastreifen herrschende Hamas-Bewegung und Israel sich auf einen 50-jährigen Waffenstillstand einigen – gegenseitige Nichtanerkennung inklusive – und eine politische Lösung, zu der die Führungseliten beider Seiten nicht bereit sind, hintanstellen, bis neue Generationen herangewachsen sind?

Ein Einfrieren von Konfliktlinien bedeutet nicht, die als "frozen conflict" betitelten Konfliktsituationen im post-sowjetischen Raum zum Modell zu nehmen. Eine Form der Waffenruhe, die einer Seite erlaubt, in umstrittenen Gebieten Fakten zu schaffen und ihre Dominanz auf Kosten der anderen Parteien auszubauen, ist eben kein "Einfrieren". Es kann auch nicht darum gehen, Okkupation oder erzwungene demografische Veränderungen zu akzeptieren. Soziopolitische Verhältnisse lassen sich ohnehin nicht einfrieren. Aber sicher war und ist es auch in der Ost-Ukraine richtig, sich um ein Einfrieren der Frontlinie zu bemühen, um zunächst weitere militärische Eskalationen zu verhindern.

Hier und in ähnlichen Fällen stellt sich dann eher die Frage, ob und wie die internationale Gemeinschaft, idealerweise durch die UNO, gegebenenfalls auch durch eine Koalition von Staaten, die Kosten von Okkupation und Obstruktion durch Nichtanerkennung oder Sanktionen erhöhen und damit auch das Interesse an einer Verhandlungslösung fördern kann. Vor Ort verlangt ein Einfrieren zunächst eine mehr oder weniger klare Front- oder Demarkationslinie, die von lokalen und internationalen Beobachtern zu überwachen und möglicherweise zu schützen wäre.

In Konfliktmanagement investieren

Während die Prävention oder die nachhaltige Lösung eines eskalierten Konfliktes immer oberste Priorität ist, sollten politische Entscheider als unmittelbare Notwendigkeit auf ein intelligentes Konfliktmanagement vorbereitet sein. Staaten müssen daher auch in diesem Bereich ihre Instrumente schärfen und ihre Zusammenarbeit verbessern.

Konfliktmanagement steht nicht notwendig für ein niedriges Ambitionsniveau, sondern kann Handlungsspielräume eröffnen. Erlaubt es gegebenenfalls doch, eine Konfliktentscheidung zu vermeiden, bei der eine Partei zum Sieger, eine zum Verlierer gemacht würde – sowie die Furcht vor einem solchen Zustand. Kriegsergebnisse dieser Art mögen vordergründig den Vorteil der Eindeutigkeit haben, lassen sich aber oftmals nur durch anhaltende repressive Gewalt "stabilisieren". Konfliktmanagement kann hier durchaus als Strategie verstanden werden, die allen Beteiligten die nötige Zeit verschafft, um friedensorientierte Kompromisse – Formen der Machtteilung etwa – akzeptabel und möglich zu machen.

Weitere Inhalte

Dr. Wibke Hansen ist Leiterin der Analyse im Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF), Berlin. Zwischen 2007 und 2011 war sie für die UNO bei der United Nations Mission in Sudan (UNMIS) tätig.

Prof. Dr. Volker Perthes ist Geschäftsführender Vorsitzender und Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Berlin. Seit 2016 leitet er zudem für die UNO die Ceasefire Task Force (CTF) für Syrien.