Der Grundkonflikt des Baskenlandes mit Spanien und Frankreich lässt sich historisch und politisch an drei Eckpunkten festmachen: (1) Anerkennung der nationalen Identität durch Gleichstellung der baskischen Sprache mit dem Spanischen bzw. Französischen, (2) die Selbstregierung (Autonomie) und das Recht, über die Zugehörigkeit zu Frankreich bzw. Spanien selbst zu bestimmen, (3) die politische Einheit der sieben baskischen Provinzen, von denen vier im Königreich Spanien und drei in der Französischen Republik liegen.
Baskenland
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Die baskische Zivilgesellschaft hat seit 2011 die Grundlagen dafür geschaffen, dass die Untergrundorganisation ETA sich 2018 selbst auflöste. Der Konflikt mit den Regierungen in Madrid und Paris über den politischen Status der baskischen Region und Sprache besteht jedoch fort.
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Karte der ETA-Aktionen im Baskenland 1961-2010
Interner Link: Hier finden Sie die Karte als hochauflösende pdf-Datei. (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Während des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) erhielten die Basken von der Zentralregierung Kompetenzen, sich selbst zu regieren. Diese Autonomie endete 1937, als die rechtsextremen Putschisten unter General Francisco Franco das Baskenland eroberten. Der Diktator verwaltete das Baskenland wieder zentral, verbot das Baskische, ließ Gegner verfolgen und exekutieren. Als Reaktion darauf entstand 1958 die Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (Baskenland und Freiheit – ETA). Ab 1968 kämpfte die ETA gewaltsam gegen die Franco-Diktatur (1936/39 bis 1975/78). Nach dem Ende der Diktatur lehnte sie auch die neue spanische Verfassung (1978) und das darauf basierende Autonomiestatut (1979) ab. Ihr Ziel war eine unabhängige, baskische Republik. Dafür verübte sie bis 2011 Attentate auf Vertreter von Staat, Politik und Industrie. Das französische Baskenland diente ihr als Rückzugsraum.
In den 1990er Jahren weitete sich der Konflikt aus, als linke Jugendliche ihren „Straßenkampf“ (baskisch: kale borroka) begannen. Sie wollten mit Brandanschlägen, z. B. gegen öffentliche Verkehrsmittel und Bankautomaten, die Ziele der ETA unterstützen. Die Attentate und die Reaktionen des spanischen Staates betrafen das gesamte Land. Den Sicherheitsorganen gelang es nicht, die ETA zu besiegen. Doch 2006 verkündete die ETA eine Waffenruhe. Aber schon ein Jahr später scheiterten die Gespräche zwischen der spanischen Regierung, der verbotenen baskischen Linkspartei Batasuna und der ETA über eine politische Lösung des Konflikts.
Der Weg zum Frieden
Zunächst sah es so aus, als würde erneut eine Dekade der Gewalt folgen. Doch 2010 entschieden sich weite Teile der mehrheitlich ebenfalls verbotenen linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung, künftig nur noch gewaltfrei und mit politischen Mitteln für das gemeinsame Ziel – die Bildung eines baskischen (sozialistischen) Staates – zu kämpfen. Die ETA akzeptierte diesen Paradigmenwechsel, mit dem sich im linken baskischen Lager das Primat der Politik durchsetzte. In der Folge entwickelte sich eine Dynamik, die vier linksnationale Parteien veranlasste, sich in der Koalition „Euskal Herria Bildu“ – kurz: EH Bildu (deutsch: das Baskenland bzw. das baskische Volk versammeln) – zusammenzuschließen.
Auf der internationalen Ebene unterstützten Experten für Konfliktlösung diese Entwicklung. Sie konnten u.a. fünf Friedensnobelpreisträger dafür gewinnen, eine politische Regelung zu unterstützen. Die angestrebte Lösung orientierte sich am Beispiel und den Erfahrungen der Friedensprozesse in
Erfolge und Stagnation
Seitdem hat sich das Leben im Baskenland normalisiert. Auch das Kollektiv der Politischen Baskischen Gefangenen (EPPK) hat den spanischen Rechtsrahmen anerkannt. Die Gründungsparteien der Koalition EH Bildu akzeptierten das restriktive spanische Parteiengesetz als Basis des politisch-demokratischen Wettbewerbs. Dazu gehört auch die Bereitschaft, mit gesamtspanischen Parteien sozialdemokratischer und linksrepublikanischer Prägung konstruktiv zusammenzuarbeiten. Das geschieht seit 2019 sowohl in der „Foralen Gemeinschaft Navarra“ (baskisch: Nafarroa)
In der baskischen Gesellschaft gibt es verschiedene Initiativen und Ansätze, den gewaltsamen Konflikt aufzuarbeiten, der insgesamt ca. 1.300 Todesopfer gefordert hat. Hinzu kommen mehrere Tausend Opfer von Misshandlung und Folter durch die Polizei. Sie fordern vom spanischen Staat Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Die Autonome Baskische und die Forale Gemeinschaft Navarra haben fast 5.400 Misshandlungs- und Folteropfer durch Polizei und Geheimdienste für den Zeitraum von 1960 bis 2015 registriert.
Insgesamt stagniert der politische Lösungsprozess. Daran ändern auch einzelne Schritte nichts, wie z. B. die Verlegung aller Häftlinge mit ETA-Hintergrund ins Baskenland, die 2019 von der Sánchez-Regierung veranlasst wurde. Eine Amnestie der ca. 140 verbliebenen Gefangenen (Stand April 2025) ist weiterhin unwahrscheinlich. Etwaige Gewährung von Hafterleichterungen überlässt der Zentralstaat den Justizministerien der beiden autonomen Gemeinschaften, wobei er sich jedoch das Recht vorbehält, diese gegebenenfalls zu revidieren. Knapp die Hälfte der Häftlinge befindet sich im offenen Vollzug, mehrere Dutzend im geschlossenen. Zivilgesellschaftliche Organisationen engagieren sich für eine Verbesserung der Haftbedingungen gemäß den geltenden Gesetzen. Gegen die Lockerung der Sonderregeln für ETA-Häftlinge positionieren sich vor allem die konservative Volkspartei (PP) und die rechtsextreme Partei Vox sowie die gesamtspanischen Organisationen der ETA-Opfer.
Da die ETA nicht mehr existiert, haben die polizeilichen Verfolgungsmaßnahmen zwar nachgelassen, aber die spanische Justiz setzt ihre Ermittlungen und Verfahren gegen die ehemalige Organisation und ihr „Umfeld“ fort. Ziel ist, bisher ungeklärte ETA-Attentate aufzuklären und die Verantwortlichen juristisch zu verfolgen. Auch die französische Polizei und Justiz setzen die Verfolgung von (ehemaligen) ETA-Mitgliedern fort. Spaniens stark politisiertes Justizwesen zwingt manche Betroffene, ihr Recht in letzter Instanz vor EU-Gerichten zu erstreiten.
Probleme und Defizite
Eine nachhaltige Lösung des politischen Konflikts steht weiter aus, nachdem Madrid und Paris die von den internationalen Mediatoren 2011 vorgeschlagenen Lösungsansätze abgelehnt haben (Corbu 2020), die sich an den bei der Beilegung des nordirischen Konflikts und der Überwindung des südafrikanische Apartheid-Systems gesammelten Erfahrungen orientierten. Daher bestehen die o.g. drei Kernpunkte des Konflikts fort: Anerkennung der baskischen Sprache, Autonomie des Baskenlandes in Spanien und Frankreich sowie territoriale Einheit der baskischen Provinzen.
Verbindendes Element zwischen den baskischen Provinzen über Grenzen hinweg ist die baskische Sprache. Doch stellen sich politisch einflussreiche Akteure dem Schutz und der Förderung der Minderheitssprache weiterhin entgegen. So hält die französische Regierung an der offiziellen Einsprachigkeit fest. Sie ist nicht bereit, die EU-Charta der Minderheitensprachen zu ratifizieren. Gleichwohl gestattet sie, dass in Schulen auf Baskisch unterrichtet werden darf.
In Spanien versuchen die rechtskonservative PP und die rechtsextreme Vox, auch über den juristischen Weg, die Förderung und Pflege der baskischen Sprache auf allen institutionellen Ebenen zu behindern. Dennoch hat die Sprachpolitik der bisherigen Regionalregierungen dazu geführt, dass der Gebrauch des Baskischen in der Autonomen Baskischen Gemeinschaft in den letzten dreißig Jahren angestiegen ist.
Die Sánchez-Regierung bemüht sich um eine erhöhte Akzeptanz des Baskischen und der anderen Regionalsprachen. Sie hat es z. B. ermöglicht, dass in beiden Kammern des spanischen Parlaments auch auf Baskisch, Katalanisch und Galizisch gesprochen werden darf. Ihre Initiative, Katalanisch und Baskisch als offizielle Amtssprachen im EU-Parlament einzuführen, stößt jedoch weiter auf Widerstand, nicht zuletzt von PP und Vox. Beide Parteien wollen auch die Selbstregierung (Autonomie) der beiden Gemeinschaften im Baskenland beschneiden.
Die Baskische Nationalpartei (PNV) plädiert als stärkste politische Kraft in der Autonomen Baskischen Gemeinschaft für einen „neuen politischen Status“. Damit könnte sowohl ein erweitertes Autonomiestatut im aktuellen Verfassungsrahmen als auch die Umwandlung des Baskenlandes in einen „Freistaat“ nach dem Vorbild Bayerns gemeint sein. Letzteres versuchte der damalige baskische Ministerpräsident, Juan José Ibarretxe, 2004/2005 vergeblich über den parlamentarischen Weg umzusetzen.
Die gesamtspanischen Parteien lehnen es jedoch grundsätzlich ab, das von Basken und Katalanen geforderte Selbstbestimmungsrecht in der Verfassung zu verankern. Selbst die Spielräume, die die aktuelle Verfassung von 1978 bietet, werden nicht ausgeschöpft. Die Zentralregierung in Madrid zeigte sich bislang bestenfalls zu begrenzten Zugeständnissen, wie die Übertragung einzelner Kompetenzen an die Autonomen Gemeinschaften, bereit. Das war immer dann der Fall, wenn sie für die Regierungsbildung auf die Unterstützung kleinerer Parteien, u.a. aus dem Baskenland und Katalonien, angewiesen waren. So ist die seit 2018 amtierende Minderheitsregierung unter Premierminister, Pedro Sánchez, von der Sozialistischen Spanischen Arbeiterpartei (PSOE) auf die Unterstützung kleinerer Regionalparteien angewiesen. Seine Koalition wird u.a. von den baskischen Parteien PNV und EH Bildu mitgetragen.
Die grenzüberschreitende Annäherung zwischen den sieben baskischen Territorien wird hauptsächlich auf lokaler und regionaler Ebene gefördert. Politisch ist die Unabhängigkeitsbewegung auf französischer Seite traditionell schwächer. Ein erstes Achtungszeichen war der Wahlerfolg der linken Parteienkoalition EH Bai (Euskal Herria Bai)
Spaniens konservative Volkspartei (PP) hat den Machtverlust durch ein konstruktives Misstrauensvotum 2018 nicht verwunden. Um die Regierung Sánchez zu stürzen, ist sie auch bereit, mit der rechtsradikalen Partei Vox zusammenzuarbeiten. Auf lokaler und regionaler Ebene sind beide Parteien bereits Koalitionen eingegangen. Mit Stimmungsmache gegen regionale Parteien, insbesondere aus dem Baskenland und Katalonien, versuchen sie, die Regierung zu diskreditieren. So haben Vertreter von PP und Vox die Regierung als Erfüllungsgehilfin der ETA und die EH Bildu als deren Nachfolgepartei bezeichnet.
Die zunehmende politische Polarisierung und der Umgang mit der „baskischen Frage“ in Politik und Medien finden in einem öffentlichen Klima statt, in dem Debatten immer emotionaler geführt werden. Die Existenz eines „politischen Konflikts“ wird pauschal verneint. In Literatur und Film dominiert die skandalisierende Fokussierung auf den „ETA-Terrorismus“. Dagegen wird die Gewalt des spanischen Staats kaum thematisiert. Das geschieht vor dem Hintergrund der nach wie vor nicht aufgearbeiteten Franco-Diktatur und ihrer Verbrechen.
Karte der separatistischen Bewegungen in Westeuropa
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Ingo Niebel (Köln, 1965) ist Historiker und Journalist. An der Universität zu Köln schloss er 1994 sein Studium in Mittlerer und Neuerer Geschichte, Romanistik (Spanisch) und Politischer Wissenschaft als Magister Artium (M.A.) ab. Niebel kennt das Baskenland seit seiner Jugend. Über die baskische Geschichte und Gegenwart hat er mehrere Bücher verfasst.