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Kurdenkonflikt | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Kurdenkonflikt

Moritz A. Mihatsch

/ 9 Minuten zu lesen

Die Lage der Kurden ist 2020 weiterhin schwierig. In keinem der vier Hauptheimatländer der Kurden ist eine Konfliktlösung absehbar, auch weil der Kurdenkonflikt von anderen internen und regionalen Konflikten überlagert wird. Die Corona Krise verschärft die wirtschaftliche und humanitäre Lage zusätzlich.

Kämpferinnen und Kämpfer der PKK in Kirkuk, Irak. (© picture-alliance, Pacific Press/Willi Effenberger)

Die aktuelle Situation

Die Kurden haben zwischen 2013 und 2019 maßgeblich zum Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) beigetragen. Dies hat sich mittlerweile aber als Pyrrhussieg herausgestellt, da sie danach von der Anti-IS-Koalition, die maßgeblich von den USA und anderen westlichen Staaten geführt und unterstützt wurde, nicht mehr als Partner gebraucht wurden. Daraufhin hat die internationale Unterstützung substanziell abgenommen.

In der Türkei geht Präsident Erdoğan nach wie vor massiv gegen die gemäßigte kurdische Opposition, wie die Demokratische Partei der Völker (HDP), vor. Seit den Regionalwahlen 2019 wurden in 47 von insgesamt 65 Städten die pro-kurdischen Bürgermeister aus dem Amt entfernt; sechs weiteren war bereits die Amtseinführung verweigert worden. Obwohl im Zusammenhang mit der Corona-Krise viele Gefängnisinsassen entlassen wurden, gilt dies nicht für die Mehrzahl der politischen Gefangenen. Die Entfernung von Textpassagen über die kurdische Geschichte aus offiziellen Schulbüchern deutet auf eine wieder verstärkte kulturelle Unterdrückung in der Türkei hin.

Das Hauptaugenmerk der Regierung liegt aber auf Militäreinsätzen gegen die PKK-Einheiten, die sich nach Syrien und Irak zurückgezogen haben. Dies wurde zuletzt mit der Behauptung von der Regierung nahestehende Medien begründet, PKK-Kämpfer würden Armenien im Konflikt mit Aserbaidschan unterstützen. In den letzten fünf Jahren kamen laut International Crisis Group im Nordosten der Türkei und im Nordirak über 5.000 Menschen zu Tode, davon rund ein Viertel türkische Sicherheitskräfte und 60% PKK Kämpfer.

In Syrien geraten die Kurden zunehmend in die Defensive. Bereits 2018 war die Türkei in Nord-Syrien einmarschiert. Nachdem US-Präsident Trump im Oktober 2019 erklärt hatte, Amerika würde sich aus Nordsyrien zurückziehen, dehnte die Türkei mit der Operation "Friedensquelle" ihre Kontrolle weiter aus. Die Türkei geht in Syrien primär gegen die Schwesterpartei der PKK, die "Partei der Demokratischen Union" (PYD) und deren bewaffneten Arm, die "Einheiten zum Schutz des Volkes" (YPG), vor.

Aufgrund des türkischen Vormarschs sahen sich die Kurden in Nordsyrien gezwungen, die Kontrolle in den von ihnen kontrollierten Gebieten mit Assads Armee zu teilen. Zudem hat der Einfluss Russlands im Grenzgebiet stark zugenommen. Putin versucht, die abziehenden Amerikaner als Partner der Kurden in Syrien abzulösen. Um ihre Position zu stärken, haben sich 25 kurdische Organisationen, inklusive PYD und "Kurdischer Nationalrat" (ENKS), unter Vermittlung Frankreichs zu den "Kurdischen Nationalen Einheitsparteien" zusammengeschlossen.

In Irakisch-Kurdistan trat 2017 der langjährige Präsident der Kurdischen Regional-Regierung (KRG), Masud Barzani, zurück, nachdem die irakische Zentralregierung ihn mit dem Einsatz der Armee gezwungen hatte, das Unabhängigkeitsreferendum für ungültig zu erklären. Seit Anfang 2020 treibt die "Patriotische Union Kurdistans" (PUK) im von ihr kontrollierten östlichen Teil von Irakisch-Kurdistan eine administrative und finanzielle Dezentralisierung voran. Die rivalisierende "Demokratischen Partei Kurdistans" (PDK) befürchtet, dies könnte zur Spaltung der kurdischen Region führen.

Differenzen zwischen der Zentralregierung und der KRG haben zu einer Unterbrechung der Zahlungen aus Bagdad geführt. In der Konsequenz ist die KRG zurzeit nicht in der Lage, ihre Beamten zu bezahlen. Daraus resultierende Demonstrationen wurden zum Teil mit Polizeigewalt aufgelöst. Die soziale und wirtschaftliche Lage verschärft sich nun zusätzlich aufgrund der Corona-Krise und des auch damit verbundenen niedrigen Ölpreises. Zudem wirft die Regionalregierung Bagdad vor, in den umstrittenen Siedlungsgebieten rund um Kirkuk die Ansiedlung von Arabern gezielt zu fördern.

Im Iran ist die Lage gleichbleibend instabil. 2016 haben die "Demokratische Partei des Iranischen Kurdistans" (PDKI), die "Kurdische Freiheitspartei" (PAK) und die "Komalah" das Ende des Waffenstillstands erklärt und seitdem diverse Angriffe auf iranische Einrichtungen durchgeführt. Dabei kamen insbesondere Kämpfer der iranischen Revolutionsgarden ums Leben. Zugleich kommt es auch immer wieder zu unregelmäßigen Zusammenstößen zwischen iranischen Truppen und Einheiten der "Partei für ein freies Leben in Kurdistan" (PJAK). 2018 richtete die iranische Regierung mehrere kurdische Aktivisten hin und bombardierte das Hauptquartier der PDKI. Die humanitäre Lage in den kurdischen Gebieten hat sich laut PDKI aufgrund der Corona-Krise massiv verschärft.

Die Zersplitterung der iranischen Kurden in verschiedene Bewegungen verhindert weiterhin eine relevante politische Einflussnahme. Der Kurdenkonflikt kann aber nicht isoliert betrachtet werden, da Iran sich auch in kurdische Angelegenheiten im Irak einmischt, und in letzter Zeit zunehmend Drohnen gegen PDKI Kämpfer einsetzt, die sich in den Irak zurückgezogen haben. Im September 2020 kam es zu einer Einigung zwischen Rohani und Erdogan, künftig im Kampf gegen die PKK und ihre iranische Schwesterpartei PJAK zusammenzuarbeiten.

Ursachen und Hintergründe des Konflikts

Die Ursprünge der Kurdenproblematik gehen auf den Zerfall des Osmanischen Reichs nach dem 1. Weltkrieg zurück. Die Gründung eines kurdischen Staates war zunächst von den Engländern betrieben, dann aber 1923 angesichts des Erstarkens der Türkei unter Mustafa Kemal Atatürk wieder aufgegeben worden. Die Grenzziehung zwischen den Nachfolgestaaten des Osmanischen Reichs folgte primär den Machtinteressen der damaligen Groß- und Kolonialmächte. Die Siedlungsgebiete der Kurden wurden so unter mehreren neugeschaffenen Staaten aufgeteilt. Die neuen Grenzen unterbrachen bestehende familiäre und wirtschaftliche Bindungen.

Die Kurden (ca. 24-27 Mio.) die sich als "größtes Volk ohne Land" bezeichnen, sind heute in fünf Ländern beheimatet (Türkei ca. 13 Mio., Irak ca. 4 Mio., Iran ca. 5,7 Mio., Syrien ca. 1 Mio. und Armenien ca. 400.000). Es gibt drei kurdische Sprachen und unterschiedliche Religionszugehörigkeiten, vor allem Sunniten, Schiiten, Jesiden, Aleviten und assyrische Christen. Die Frage, wer Kurde ist, ist in vielen Fällen nicht leicht zu beantworten. Gleiches gilt für die Grenzen der kurdischen Gebiete und die Geschichtsschreibung. Dass der Kurdenkonflikt bis heute virulent ist, liegt hauptsächlich daran, dass keiner der vier Staaten wirkliche Anstrengungen unternommen hat, die Kurden in den Zentralstaat, die Staatsidee und die nationale Identität einzubinden. Dazu hat aber auch der nationale Selbstbehauptungswille der Kurden beigetragen.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Die Türkei setzt nach wie vor auf eine repressive "Lösung". Selbst die Repräsentanten der moderaten pro-kurdischen HDP werden massiv verfolgt. Mehrere Parlamentarier sitzen im Gefängnis oder sind im Exil. Die Regierung hat angekündigt, die PKK völlig vernichten zu wollen. Die Verringerung der Konfliktintensität in den letzten zwei Jahren hat allein damit zu tun, dass die Kräfte der türkischen Armee zurzeit sehr stark in Nordsyrien gebunden sind. Die Öffnung einer Lösungsperspektive für den Konflikt setzt einen Strategiewechsel der türkischen Regierung voraus. Dieser ist jedoch nicht in Sicht.

Seitdem die Türkei in den Operationen "Olivenzweig" und "Friedensquelle" eine Pufferzone in Nord-Syrien eingerichtet hat, sind die Kurden verstärkt auf die Kooperation mit Assads Truppen angewiesen, die ihre Kontrolle über die kurdischen Gebiete schrittweise ausweiten. Eine einseitige Unabhängigkeitserklärung oder eine substanzielle Autonomie scheinen deshalb wenig aussichtsreich. Am wahrscheinlichsten sind Verhandlungen mit dem Ziel einer Teil-Autonomie. Der kurdische Oberkommandierende, Mazloum Abdi, hat bereits Kompromissbereitschaft angedeutet mit dem Assad Regime und Russland angedeutet: "Wenn wir wählen müssen zwischen Kompromiss und Genozid, dann wählen wir unser Volk."

Im Irak wird der Konflikt zwischen Irakisch-Kurdistan und der Zentralregierung durch interne Konflikte auf beiden Seiten überlagert. Im Moment gibt es keine Verhandlungen auf offizieller Ebene, vielmehr versuchen einzelne kurdische Parteien, sich mit ausgewählten Gruppen in Bagdad zu koordinieren. Dies dient der Stärkung der eigenen Position und ist einer tragfähigen institutionellen Lösung nicht zuträglich. Insbesondere die EU hat ein Interesse daran, eine erneute Eskalation zu verhindern. Die momentane wirtschaftliche Notlage könnte Europa den notwendigen Hebel geben, um Verhandlungen anzustoßen.

Das Versprechen von Präsident Rohani in den Präsidentschaftswahlen 2016, sich für ethnische Minderheiten einzusetzen, ist weitgehend unerfüllt geblieben. Rohanis beschränkter Einfluss auf die Kurdenpolitik hat nach dem Sieg der Konservativen bei den Parlamentswahlen im Februar 2020 weiter abgenommen. Die Einmischung des Iran im Irak und die sehr prekäre regionale Situation im gemeinsamen Grenzgebiet erschweren die Lösung des Kurdenkonflikts. Dass auf iranisch-kurdischer Seite die Erwartungen schwinden, zeigt sich insbesondere daran, dass PDKI, PAK und Komalah den Waffenstillstand mit der Regierung aufgekündigt haben. Der Schlüssel für die Lösung der Kurdenfrage liegt zurzeit im Nachbarland Irak.

Geschichte des Konflikts

Die Republik Türkei betrieb seit ihrer Gründung 1923 unter dem Slogan "Wie glücklich ist der, der sagen kann: Ich bin ein Türke" die Schaffung einer türkischen Nation. Obwohl Staatsgründer und Präsident Mustafa Kemal Atatürk den Kurden zunächst eine begrenzte Autonomie zugesichert hatte, wurde der Status einer geschützten Minderheit letztlich nur den Griechen, Armeniern und Juden zuerkannt. Seitdem wurden kurdische Traditionen, ihre Sprache und Kultur weitgehend negiert und unterdrückt. Bereits zwischen 1920 und 1931 kam es zu diversen regionalen Aufständen. Erst in den 1970er Jahren wurde die Kurdenfrage wieder zu einem Thema der nationalen Politik; 1978 formierte sich die marxistische PKK.

Nach dem Militärputsch von 1980 verstärkte sich die Repression, und die PKK begann 1984 den bewaffneten Kampf. Zum Repertoire der PKK gehörten neben Entführungen und bewaffneten Überfällen auch Morde und Selbstmordattentate. Die türkische Armee antwortete mit Luftangriffen auf kurdische Stellungen, phasenweise auch auf Rückzugsräume der PKK im Nordirak. Nach der Festnahme von Kurdenführer Abdullah Öcalan 1999 kam es zu einem Waffenstillstand. Friedensverhandlungen wurden aber erst 2009 unter dem damaligen Ministerpräsident Erdoğan aufgenommen.

In Syrien gerieten die Kurden nach der Unabhängigkeit 1946 zunehmend unter den Druck des erstarkenden arabischen Nationalismus. Nach einer Periode politischer Instabilität schloss sich Syrien Ende der 1950er Jahre mit Ägypten zur Vereinigten Arabischen Republik (1958-1962) unter Führung des ägyptischen Präsidenten Gamal Abd-al-Nasser zusammen. Die nationalistische Propaganda stellte die syrischen Kurden als Werkzeuge des Imperialismus und Israels sowie als Gefahr für die nationale Souveränität dar.

Während der außerplanmäßigen Volkszählung 1962 konnten rund 120.000 Kurden nicht den Nachweis ihrer Nationalität vorbringen und wurden fortan als Ausländer klassifiziert. Ab 1965 praktizierte die herrschende Baath-Partei die Politik des "Arabischen Gürtels". Kurden, die in Grenznähe lebten, wurden enteignet, umgesiedelt und durch arabische Syrer verdrängt. Die Politik der Marginalisierung wurde auch unter Präsident Hafez al-Assad (1971-2000) und seinem Sohn und heutigen Präsidenten, Bashar al-Assad, fortgeführt. Die Schwäche des Regimes und die Kriegswirren nutzend, konnten die Kurden im Nordosten des Landes ein unter ihrer Verwaltung stehendes autonomes Gebiet ("Rojava") aufbauen.

Im Irak wurde 1946, vierzehn Jahre nach der Unabhängigkeit des Landes, die kurdische Partei KDP unter Führung Mustafa Barzanis gegründet. Nach dem Putsch der Irakischen Freien Offiziere 1958 kam es zu einer Allianz zwischen deren Führer Abd-al-Karim Qasim und Barzani. Diese Allianz richtete sich auch gegen linke Strömungen unter den Kurden, denen u.a. der spätere irakische Präsident Jalal Talabani angehörte. Nachdem Qasim erfolgreich den Einfluss der Kommunisten zurückgedrängt hatte, distanzierte er sich zunehmend von seinen kurdischen Partnern, die nun nachdrücklicher als zuvor eine Autonomieregelung einforderten. In den 1960er und 1970er Jahren kam es immer wieder zu Aufständen. Friedensverträge, die u.a. auch Autonomieregelungen vorsahen, wurden nie umgesetzt. Erneute bewaffnete Konflikte zwischen der irakischen Armee und der KDP und PUK 1974/75 wurden von Bagdad mit einer Arabisierungskampagne beantwortet, insbesondere in den ölreichen Gegenden rund um Kirkuk.

1987 bildeten die verschiedenen kurdischen Gruppen eine Allianz. Darauf reagierte der damalige irakische Präsident Saddam Hussein mit der Anfal-Kampagne, in der ca. 180.000 Menschen unter anderem durch Giftgas getötet wurden; über 1,5 Mio. flüchteten. Weil die Kurden 1990 die Amerikaner im Golfkrieg unterstützten, befahl Saddam wiederum Strafaktionen – mit mehr als 2 Mio. Vertriebenen. Als Reaktion auf die humanitäre Katastrophe wurden die kurdischen Gebiete vom UN-Sicherheitsrat zur Flugverbotszone erklärt. Seitdem verwalten sich die Kurden faktisch selbst und greifen seit 2003 auch aktiv in die Geschicke des gesamten Irak ein. Im Rahmen des Kampfes gegen den IS konnten die Kurden zeitweise auch Kontrolle über umstrittene Gebiete rund um Kirkuk erlangen.

Im Iran kam es bereits während des 1. Weltkriegs zu kurdischen Aufständen. 1946 wurde die kurzlebige "Kurdische Republik von Mahabad" ausgerufen. Doch schon nach elf Monaten hatten iranische Truppen das Gebiet wieder unter Kontrolle. Nach 1951 unterstützten die Kurden die Regierung von Mohammad Mosaddegh. Nach dem CIA-gestützten Putsch von 1953 standen sie auf der falschen Seite und wurden Opfer von Repressionen. Als 1979 die islamische Revolution begann, unterstützten die Kurden den Aufstand im Glauben, dass auch für sie größere Freiheiten möglich wären. Ayatollah Khomeini machte entsprechende Versprechungen, brach diese aber, nachdem sich seine Herrschaft etabliert hatte.

Weitere Inhalte

Dr. Moritz Mihatsch (geb. 1981) ist Assistenzprofessor für Politikwissenschaften an der British University in Egypt (BUE) in Kairo. Als Politikhistoriker beschäftigt er sich primär mit der arabischen Welt, insbesondere Sudan und Ägypten. Im Rahmen von Projekten der politischen Bildung war er an Trainings und Konferenzen in Ägypten, dem Irak, Marokko und Bosnien-Herzegowina beteiligt.