Aktuelle Konfliktsituation
Auch im Jahr 2020 hat sich der gewaltsame Konflikt im Süden Thailands nicht beruhigt. In den mehrheitlich von malaiischen Muslimen bewohnten Provinzen Pattani, Yala und Narathiwat sowie in geringerem Maße auch in Songkhla und Satun kommt es weiterhin regelmäßig zu Anschlägen und Gewalttaten von Separatisten, die eine Loslösung der südlichen Provinzen vom Gesamtstaat fordern. Mit Bombenanschlägen auf staatliche Einrichtungen, in letzter Zeit aber auch vermehrt auf nichtstaatliche Einrichtungen, und mit gezielten Tötungen von Vertretern des thailändischen Staates, wie Soldaten, Polizisten, Verwaltungsmitarbeitern und Lehrern, schaffen sie ein Klima der Gewalt.
So explodierten am 17. März 2020 zwei Bomben in Yala vor einem Verwaltungszentrum der südlichen Grenzprovinzen (SBPAC), einer thailändischen Regierungsbehörde, und verwundeten 18 Menschen. Zuvor waren bei einem Bombenanschlag auf einen Kontrollpunkt in der Provinz Yala am 5. November 2019 mindestens 15 Menschen getötet worden. Einem örtlichen Armeesprecher zufolge galt der Überfall einem Wachposten, der mit freiwilligen Sicherheitskräften besetzt war.
Am 3. April 2020 kündigte die derzeit schlagkräftigste muslimische Separatistengruppe BRN (Barisan Revolusi Nasional) einen einseitigen Waffenstillstand wegen der auch in Süd-Thailand um sich greifenden Corona-Epidemie sowie des islamischen Fastenmonats Ramadan an. Die thailändische Armee ignorierte diese Ankündigung und äußerte lediglich, dass die Sicherheitskräfte die geltenden Gesetze auch weiterhin durchsetzen würden. So erschossen am 30. April 2020 thailändische Militärangehörige drei schon länger gesuchte BRN-Kämpfer in einem Dorf in der Nähe von Pattani. Wenige Tage später wurden als Vergeltung im nahegelegenen Distrikt Saiburi zwei thailändische paramilitärische Rangers angegriffen, einer getötet und einer verwundet, als sie mit einem Motorrad von einem Kontrollpunkt zu einem Lebensmittelgeschäft fuhren.
Seit Mai 2014 wird Thailand von einer Militärregierung unter Führung von General Prayuth Chan-o-cha gelenkt, die die gewählte Premierministerin Yingluck Shinawatra durch einen Putsch aus dem Amt gedrängt hatte. Nach unfairen und manipulierten Parlamentswahlen im März 2019
Insgesamt gestaltete sich die innenpolitische Lage im Königreich Thailand in den letzten fünfzehn Jahren sehr turbulent. Seit der gewaltsamen Eskalation des Konflikts im Jahr 2004 waren sieben verschiedene Regierungen an der Macht – und keiner gelang es, den Konflikt im Süden Thailands auch nur einzudämmen. Auch die gegenwärtige Militärregierung hat bisher keinerlei Fortschritte bei der Eindämmung der Gewalt erzielt.
Der seit Juli 2005 verhängte Ausnahmezustand wurde bisher von allen thailändischen Regierungen verlängert. Er erlaubt den thailändischen Sicherheitskräften ein sehr hartes Vorgehen gegenüber vermeintlichen "Terroristen" und deren Unterstützern. Der Konflikt im Süden Thailands wird von beiden Konfliktparteien mit großer Brutalität geführt, von der in hohem Maße auch die Zivilbevölkerung betroffen ist. Nach Angaben von Deep South Watch, einer zivilgesellschaftlichen Organisation an der Universität in Pattani, gab es von Externer Link: Januar 2004 bis Mai 2020 7.136 Tote und 13.320 Verletzte.
Ursachen und Hintergründe
In den thailändischen Provinzen Pattani, Yala, Songhkla und Satun lebt eine Bevölkerungsmehrheit von ca. 1,8 Mio. Malaien, die sich in historischer und ethnischer Hinsicht deutlich von der übrigen Bevölkerung Thailands unterscheidet. Während die thailändische Staatsreligion der Buddhismus ist, sind die Bewohner der südlichen Provinzen fast ausschließlich gläubige Muslime, die vom 15. Jahrhundert bis zur Integration in den thailändischen Nationalstaat im Jahr 1909 in einem eigenen semi-autonomen Sultanat lebten. Der Süden Thailands gehört zu den Regionen, in denen der ökonomische Fortschritt des Landes nur sehr langsam zu besseren Lebensbedingungen für die lokale Bevölkerung führt. Konfliktverschärfend kommt hinzu, dass der allgemeine Wohlstand hier zwar deutlich höher ist als z.B. im Nordosten des Landes (Isaan), sich die Einkommensverteilung jedoch sehr ungleich gestaltet. Buddhistische ethnische und chinesischstämmige Thais verfügen im Durchschnitt über ein deutlich höheres Einkommen und Vermögen als die Angehörigen der muslimisch gläubigen malaiischen Minderheit.
Seit 2004 verfolgen islamistische Gruppen in Südthailand kontinuierlich eine Politik der Gewalt gegen die thailändische Zentralregierung. Als politische Maximalforderungen werden die Wiedererrichtung eines unabhängigen islamischen Staats (Sultanat Patani) oder die Angliederung der Provinzen an Malaysia artikuliert. Abang Jawat, der Vorsitzende der MARA Patani, einem Bündnis verschiedener muslimisch-malaiischer Organisationen, hat im August 2015 die folgenden Forderungen aufgestellt:
Die Schaffung einer politischen Struktur und Verwaltung, die für die Menschen in Pattani geeignet ist, ihre eigene Zukunft selbst zu bestimmen.
Gleichmäßige und gerechte Verteilung der natürlichen Ressourcen und lokalen Steuern zugunsten der Entwicklung und des Wohlstands der Patani-Bevölkerung.
Anerkennung der malaiischen Sprache (und der Jawi-Schrift) als offizielle Landessprache, ebenso des Rechts, ein islamisch begründete Bildungssystem zu errichten sowie islamische Gesetze und Vorschriften zu praktizieren.
Gesetzliche Garantie der Rechte der Nicht-Muslime, um zu einem harmonischen Miteinander in der multi-ethnischen und multi-religiösen Region Pattani zu gelangen.
Unterstellung der Sicherheitspolitik von Pattani unter lokale Verwaltung, die damit der Armeeführung in Bangkok entzogen wird.
Ein Problem ist jedoch, dass nicht alle Widerstandsaktivitäten zentral koordiniert werden. Es gibt Grund zur Annahme, dass es Gewalttäter unter den malaiisch-muslimischen Aktivisten gibt, denen es weniger um politische Inhalte als um organisierte kriminelle Aktivitäten geht, wie z.B. Drogenhandel.
Bearbeitungs- und Lösungsansätze
Seit Beginn der Gewalteskalation gehen die thailändischen Sicherheitskräfte mit äußerster Brutalität und oft außerhalb des rechtsstaatlichen Rahmens gegen alle vor, die sie für Separatisten halten. Diese Maßnahmen verstärkten die bereits latent vorhandenen Antipathien der lokalen Bevölkerung im Süden Thailands gegenüber der Zentralregierung und dem thailändischen Staat. Es entsteht zunehmend ein Klima der Feindseligkeit.
Eine von der thailändischen Regierung eingesetzte Nationale Versöhnungskommission unter Leitung des früheren thailändischen Premierministers Anand Panyarachun schlug im Juni 2006 vor, sowohl Teile des islamischen Gesetzes als auch Malaiisch als Amtssprache in den Südprovinzen zuzulassen. Der frühere Premierminister Abhisit Vejjajiva (2008-2011) betonte immer wieder, dass er eine friedliche Konfliktlösung unter Anerkennung der kulturellen und sprachlichen Besonderheiten suche und veranlasste die Verwendung zusätzlicher Steuergelder zur Entwicklung des Südens. Im Februar 2013 begann die thailändische Regierung unter Premierministerin Yingluck Shinawatra Friedensgespräche mit der Barisan Revolusi Nasional-Coordinate (BRN-Coordinate) und anderen bewaffneten Gruppen unter Vermittlung der malaysischen Regierung. Die Verhandlungen wurden mehrfach verschoben, weil die Separatistenorganisationen Bedingungen stellte, die für die thailändische Verhandlungsseite nicht akzeptabel waren.
Mitte des Jahres 2015 fanden unter Vermittlung des muslimischen Nachbarlands Malaysia informelle Gespräche zwischen Vertretern der thailändischen Militärregierung und Mitgliedern von sechs verschiedenen Widerstandsgruppen aus Süd-Thailand statt, doch konkrete Ergebnisse wurden bislang nicht bekannt. Mitte Juli 2015 wurde der 63-jährige Sama-ae Thanam, der bis 1997 den bewaffneten Arm der PULO (Patani United Liberation Organization) anführte, nach 18 Jahren im Gefängnis von der thailändischen Regierung begnadigt und auf freien Fuß gesetzt. Mitglieder der BRN begrüßten dies als Zeichen des guten Willens der Bangkoker Regierung, machten jedoch ebenfalls deutlich, dass die Freilassung keine direkten Auswirkungen auf die Friedensgespräche haben werde.
Ende August 2015 schlossen sich sechs Separatistenorganisationen (BRN, drei verschiedene Flügel der PULO, die Gerakan Mujahideen Islam Patani (GMIP) und die Barisan Islam Pembebasan Patani (BIPP) zu einer Dachorganisation mit dem Namen Majlis Syura Patani (MARA Patani) zusammen. Damit gingen die Separatisten auf die Forderung Bangkoks ein, eine einheitliche und verbindliche Repräsentation für die Friedensgespräche mit der Regierung zu schaffen. Doch dieses Bündnis hielt nicht lange, und die BRN, die nach allgemeiner Einschätzung über den größten Einfluss auf radikale Aufständische verfügt, verließ das Bündnis wieder.
Friedensgespräche wurden dennoch wiederaufgenommen. Die Vertreter von MARA Patani und des thailändischen Staats nutzten die Treffen, um ihre Forderungen zu präsentieren und die Aufrichtigkeit und das Engagement der jeweils anderen Seite zu testen. Die Regierung verlangte, dass MARA der Einführung von "Sicherheitszonen" zustimmt, die darauf abzielen, die Gewalt in diesen speziellen gemeinsam ausgewiesenen Gebieten zu verringern. Die MARA verlangte ihrerseits, dass der Staat Immunität für ihre an den Friedensverhandlungen beteiligten Personen gewährleisten solle.
Die zwischenzeitlich unterbrochenen Verhandlungen wurden im Januar 2020 – erneut unter Vermittlung der malaysischen Regierung – wieder aufgenommen. Weitere Verhandlungen zwischen dem thailändischen Team unter der Leitung von General Wanlop Rugsanoah und einer von Anas Abdulrahman geführten BRN-Delegation fanden Anfang März in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur statt. Laut einer Erklärung des Sekretariats des thailändischen Nationalen Sicherheitsrates für den Friedensdialog im tiefen Süden war die allgemeine Atmosphäre des Treffens "konstruktiv", wobei beide Seiten technische und administrative Fragen diskutierten und sich auch mit "wesentlichen Fragen einschließlich der Reduzierung von Gewalt" befassten.
Nach mehreren übereinstimmenden Medienberichten wurde auch das mehrheitlich muslimische Indonesien Anfang März 2020 gebeten, als Vermittler im Süd-Thailand-Konflikt tätig zu werden. Suhendra Hadikuntono, ein hochrangiger indonesischer Geheimdienstmitarbeiter sagte, er habe diese Angelegenheit mit dem Vorsitzenden der Verteidigungs- und Militärkommission des thailändischen Parlaments, Datuk Seri Sutipan Siririkanon, erörtert.
Geschichte des Konflikts
Thailand, das im Unterschied zu den Vielvölkerstaaten Indonesien und Malaysia als ethnisch und kulturell weitgehend homogen gilt, verfügt neben den Bergvölkern im Norden und Nordosten des Landes über eine bedeutende malaiisch-muslimische Minderheit, die in den südlichen Provinzen an der Grenze zu Malaysia lebt. Sie macht rund 4,6% der Gesamtbevölkerung aus. Die malaiische Minderheit ist sich ihrer eigenen Identität im Verhältnis zur ethnisch und religiös unterschiedlichen zentralthailändischen Bevölkerungsmehrheit bewusst und verweist auf eine jahrhundertelange eigene Geschichte.
Ein Auslöser der Unruhen in den muslimischen Südprovinzen war die Homogenisierungspolitik der thailändischen Regierungen, die bereits mit der Anerkennung des thailändischen Herrschaftsanspruchs in der Pattani-Region durch Großbritannien im Jahr 1809 begann. Mitte der 1960er Jahre entstanden erste militante Widerstandsgruppen, wie die BRN oder die PULO. Bis Anfang 2004 köchelte der Konflikt auf kleiner Flamme. Dann organisierten radikale Separatistenorganisationen unter der Führung von BRN-Coordinate im Süden Thailands eine Reihe von Anschlägen gegen zentralstaatliche Einrichtungen. Als Beginn der Eskalation gilt der 4. Januar 2004, als muslimische Jugendliche bei einem Überfall auf eine Kaserne rund 400 Maschinengewehre erbeuteten.
Die damalige thailändische Regierung unter Premierminister Thaksin Shinawatra befahl daraufhin den nationalen Streitkräften, mit Härte auf Provokationen und Übergriffe zu reagieren. Am 28. April 2004 erschossen Sicherheitskräfte in der Krue Se Moschee in Pattani 32 Muslime, die zuvor eine Kaserne und Polizeistationen überfallen hatten. Am 25. Oktober 2004 löste die thailändische Armee in Tak Bai in der Provinz Narathiwat eine Protestversammlung von muslimischen Jugendlichen gewaltsam auf und verhaftete mehrere Hundert Demonstranten. Bei dem sechsstündigen Transport zu einem Armeestützpunkt in völlig überfüllten Armeelastwagen erstickten mindestens 78 jugendliche Demonstranten. Inzwischen hat sich die thailändische Regierung für den Vorfall entschuldigt und rund 1,2 Mio. Euro als Entschädigung an die Hinterbliebenen gezahlt. Trotzdem geschehen auch weiterhin Morde und Gewalttaten – sowohl vom thailändischen Militär als auch von malaiisch-muslimischen Separatisten.