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Tadschikistan | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Tadschikistan

/ 9 Minuten zu lesen

Seit dem Verbot der "Partei der Islamischen Wiedergeburt" (PIW) 2015 scheint der Machtkampf zugunsten von Präsident Rahmon entschieden. Das Regime versucht, den Konflikt durch eine autoritäre Strategie zu befrieden. Machtkonzentration, Klientelismus, Personenkult, nationale Identitätspolitik und Dynastisierung bringen jedoch keine nachhaltige Stabilität.

Der Präsident von Tadschikistan, Emomali Rahmon, bei einer Rede vor dem Parlament in der Hauptstadt Duschanbe. (© picture-alliance, AA | Nakib Murodov/Tajikistan Presidency/Handout)

Der Autor ist der Redaktion namentlich bekannt.

Aktuelle Situation

In den letzten fünf Jahren hat sich die autoritäre Entwicklung verschärft und verfestigt. Opposition wird in Tadschikistan nicht geduldet. Angehörige der seit Herbst 2015 verbotenen Partei der Islamischen Wiedergeburt (PIW) wurden zu langen Haftstrafen verurteilt, Familienangehörige, Rechtsanwälte und Unterstützer massiv eingeschüchtert. Unabhängige zivilgesellschaftliche Gruppen und Journalisten, die über die politischen Entwicklungen im Land berichten, werden unter Druck gesetzt, ins Ausland geflohene Politiker und Dissidenten verfolgt und bedroht.

Im Dezember 2015 hat sich Emomali Rahmon durch das Parlament zum "Führer der Nation" auf Lebenszeit ernennen lassen. Damit hofft er, sich Strafimmunität über die Dauer seiner Präsidentschaft hinaus zu sichern. Im Mai 2016 konnte Rahmon seine Macht durch ein Verfassungsreferendum weiter ausbauen. Exklusiv für ihn wurde die Beschränkung des Präsidentenmandats auf zwei Amtszeiten aufgehoben. Außerdem wurde das Mindestalter für Präsidentschaftskandidaten von 35 auf 30 herabgesetzt. Dies gilt als Bestätigung dafür, dass Rahmon seinen ältesten Sohn Rustam Emomali (geboren 1987) als Nachfolger auserkoren hat.

Vorerst wird Rahmon jedoch an der Macht bleiben. Bei den Präsidentschaftswahlen am 11. Oktober 2020 wurde er nach offiziellen Angaben mit 91 % im Amt bestätigt. Unabhängige Beobachter gehen von Wahlbetrug aus. Die vier registrierten Gegenkandidaten waren lediglich Staffage. Im Gegensatz zu den Entwicklungen des Jahres 2020 in den ebenfalls postsowjetischen Staaten Belarus, Kirgistan und Georgien, wo große Teile der Zivilgesellschaft auf die Manipulation der Präsidentschafts- oder Parlamentswahlen mit umfangreichen Protesten reagierten, blieb es in Tadschikistan ruhig.

Der Ausbau des Überwachungs- und Repressionsapparates führt dazu, dass der Staat grundlegende Funktionen, wie die Gewährleistung von sozialen Dienstleistungen, Bildung Gesundheit und Beschäftigung, immer weniger garantieren kann. Selbst im Sicherheitsbereich zeigen sich gravierende Defizite. So kam es im Juli 2018 im Gebiet Chatlon zu einem Terroranschlag auf ausländische Radtouristen, wobei vier Menschen getötet wurden. Vier der fünf Verdächtigen, tadschikische Arbeitsmigranten in Russland, die kurz vor der Tat nach Tadschikistan zurückgekehrt waren, wurden von der Polizei erschossen, nachdem sie sich der Festnahme widersetzt haben sollen. Obwohl sich die Täter zum "Islamischen Staat" (IS) bekannten, machte die Regierung Mitglieder der PIW im Exil im Iran verantwortlich.

Außerdem wurden bei zwei Gefängnisrevolten im November 2018 in Chudschand und im Mai 2019 in Wahdat, die ebenfalls der IS für sich beanspruchte, insgesamt 55 Menschen getötet. Die Revolten in den beiden Hochsicherheitsanstalten wurden von den Sicherheitskräften durch den massiven Einsatz von tödlicher Gewalt beendet, was von Seiten internationaler Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wurde. Bis heute sind die Umstände aufgrund des intransparenten Vorgehens der tadschikischen Regierung nicht aufgeklärt.

Ethnische Gruppen in Tadschikistan 1992
Interner Link: Hier finden Sie die Karte als hochauflösende PDF-Datei (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Ursachen und Hintergründe des Konflikts

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion befindet sich Tadschikistan in einer politischen und ökonomischen Dauerkrise. Besonders dramatisch war die Situation zwischen 1992 und 1997, als das Land in einem Bürgerkrieg versank. Ursache war der Machtkampf zwischen rivalisierenden Fraktionen um die politische Kontrolle des Staates und die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes. Die "neue" Machtelite des seit September 1991 unabhängigen Tadschikistans, die ein hohes Maß an personeller Kontinuität mit der sowjetisch-tadschikischen Nomenklatura aufweist, profitierte dabei von den engen Verflechtungen mit der informellen Wirtschaft und der organisierten Kriminalität.

Das Friedensabkommen, das 1997 vom damaligen und heutigen Präsidenten Emomali Rahmon und dem 2006 verstorbenen Vorsitzenden der PIW, Sayid Abdulloh Nuri, geschlossen wurde, stabilisierte kurzzeitig die Lage im Land. Den Vertretern der Vereinigten Tadschikischen Opposition (VTO) wurde ein Drittel der Ministerposten zugesichert. Doch schon bald wurden politische Gegner verfolgt, ins Exil getrieben oder ermordet. Mit dem Verbot und der Kriminalisierung der PIW im Herbst 2015 entledigten sich die Machthaber in Duschanbe der letzten echten Oppositionspartei. Die derzeit fünf im Parlament vertretenen Parteien wahren im De-facto-Einparteienstaat den Schein einer funktionierenden Demokratie. Mit dem Referendum von 2016 wurde schließlich das generelle Verbot religiöser Parteien in die Verfassung aufgenommen.

Der Bürgerkrieg wurde von beiden Seiten mit erbarmungsloser Brutalität geführt (vgl. Sobiri 2017) , und Regierungstruppen und regierungsnahe Milizen begingen vor allem in den Hochburgen der Opposition, im Rascht-Tal und der südtadschikischen Region um Qurghonteppa (heute Bochtar), schwere Kriegsverbrechen. Schätzungen zufolge hat der Krieg zwischen 20.000 und 150.000 Menschen das Leben gekostet, über 800.000 Menschen wurden im Land vertrieben oder sind ins Ausland geflohen. Die negativen Folgen des Krieges sind bis heute nicht überwunden. Im offiziellen Erinnerungsdiskurs wird der Konflikt auf ein simples Gut-gegen-Böse-Schema reduziert, wobei hauptsächlich der persönliche Einsatz und das diplomatische Geschick Rahmons für die Erreichung eines Friedens herausgestellt wird. Die von allen Seiten verübten Gräueltaten werden verschwiegen und nicht aufgearbeitet.

Tadschikistan ist das ärmste Land im postsowjetischen Zentralasien. Nach Schätzungen des Welternährungsprogramms lebten 2020 rund 47 % der Tadschiken von weniger als 1,33 USD pro Tag, wobei ein Drittel der Bevölkerung an Unterernährung leidet. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie machen bescheidene Fortschritte bei der Armutsreduktion wieder zunichte. Lebensmittelpreise steigen, nur 5 % der Haushalte erhalten staatliche Beihilfen. Die Rücküberweisungen der mindestens 500.000 tadschikischen Migranten in Russland, die rund ein Drittel des BIP Tadschikistans ausmachen, sind eingebrochen. Sie waren im März 2020 um 50% niedriger als im gleichen Vorjahresmonat.

Die Machtkonzentration bei Rahmon und seiner Familie genießt Rückhalt bei einem Großteil der Bevölkerung, doch fehlt dem Regime eine langfristige soziale Basis. Nach dem Verbot der PIW 2015 ist ein wichtiger Stützpfeiler der Regierung und des politischen Systems in konservativ-religiös orientierten und ökonomisch marginalisierten Bevölkerungsgruppen weggebrochen, zu denen auch die Arbeitsmigranten in Russland gehören (Schmitz 2019). Die PIW war die einzige legale islamische Partei in einem postsowjetischen Land Zentralasiens. Das bereits erwähnte Attentat von Arbeitsmigranten gegen ausländische Radtouristen deutet darauf hin, dass in diesem Milieu die Frustration über politische Missstände, Korruption und sozioökonomische Marginalisierung zunimmt und Radikalisierungen befeuert.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Tadschikistan ist ein Beispiel für eine autoritäre Befriedung innerstaatlicher Konflikte. Präsident Rahmon und seine Regierung sind darauf bedacht, nicht den geringsten Zweifel an ihrer Machtposition und Kontrollfähigkeit aufkommen zu lassen. Bereits zu Beginn der 2000er Jahre waren die wichtigsten Oppositionsgruppen und ehemalige Verbündeten ausgeschaltet oder in den Machtapparat integriert worden. Zugleich ist es gerade diese repressive Vorgehensweise, die die Lage tendenziell weiter destabilisiert und hohes Konfliktpotenzial birgt.

Die tadschikische Führung hat neben dem Ausbau des repressiven Apparates ein breitgefächertes Vorgehen entwickelt, um ihre Macht und die Kontrolle über das Land zu sichern. Die wesentlichen Elemente sind:

  • Paternalismus und Klientelismus

  • Personenkult um Präsident Rahmon

  • (begrenzte) staatliche Leistungen für sozial Schwache

  • Nation-building- und Identitätspolitik

  • Etablierung der Dynastie der Familie Rahmon sowie

  • enge sicherheits- und wirtschaftspolitische Beziehungen zu Russland und China.

Das politische System beruht im Wesentlichen auf personengebundenen Loyalitäten, die je nach machtpolitischen und ökonomischen Erwägungen geknüpft oder aufgekündigt werden. Formelle (institutionelle und von persönlichen Beziehungen unabhängige) Strukturen existieren nur auf dem Papier. Rahmon, dessen politischer Aufstieg innerhalb eines regionalen Netzwerkes stattfand, hat sich damit ein auf seine Familie zugeschnittenes Herrschaftssystem geschaffen. Sämtliche politische und wirtschaftliche Schlüsselpositionen sind von mehr oder weniger nahen Mitgliedern der Familie Rahmon besetzt, die im Staatsapparat vor allem ein Mittel zur Selbstbereicherung sehen.

Über die Jahre hat Rahmon einen ausgedehnten Personenkult um sich entwickelt. Während hohe Inflationsraten und stark steigende Lebensmittelpreise zunehmend die Ernährungssicherheit der breiten Bevölkerung gefährden, präsentiert sich Rahmon öffentlich als Präsident eines Landes im materiellen Überfluss. Überall, an Universitätsgebäuden, Polizeistationen, Schulen, Krankenhäusern, Wohnblöcken, Baustellengerüsten und Straßenlaternen, verkünden übergroße Plakate und Banner mit Fotos und Zitaten des Präsidenten die Dominanz des Staates gegenüber der Gesellschaft. Offene Worte und Kritik sind nur noch in engsten privaten Kreisen möglich.

Während der Corona-Pandemie waren Beschäftigte verschiedener Branchen von massiven Zahlungsausfällen ihrer Gehälter betroffen. Nach Angaben des Arbeitsministeriums waren Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes nicht von Lohnausfällen betroffen, auch wenn in einigen Städten und Regionen u.a. viele Lehrer und Beschäftigte im Gesundheitswesen ihren Lohn nicht rechtzeitig erhielten. Die Regierung hat immer wieder versprochen, die zugesagte Erhöhung von Löhnen und Renten im öffentlichen Sektor umzusetzen, wobei die Inflation von 10% allein 2020 diese wahrscheinlich in erheblichem Maße ausgleichen wird.

Das Regime versucht außerdem, seine Macht durch die Verbreitung eines essentialistischen Narrativs zu den Ursprüngen und dem "Wesen" der tadschikischen Nation zu konsolidieren. Darin wird den Tadschiken u.a. eine "friedliche" und auf Harmonie bedachte "Natur" zugeschrieben. Die Bürger sollen sich nicht als mündige Subjekte eines zivilen Gemeinwesens verstehen, sondern als passive und apolitische Rezipienten einer durch den Staat und den Präsidenten verkörperten einheitlichen, stabilen und in Eintracht lebenden Nation.

Nachdem Rustam Emomali im März 2020 im Stadtrat von Duschanbe mit 100% der Stimmen in den Senat und einen Monat später zu dessen Vorsitzenden gewählt wurde, nimmt dieser mittlerweile die offiziell zweitwichtigste Stellung im Präsidialsystem Tadschikistans ein. Die Verfassung sieht für den Fall, dass der Präsident zurücktreten oder sterben sollte, eine Interimspräsidentschaft durch den Senatssprecher vor. Die Nachfolgefrage scheint damit geklärt und die Weitergabe des Präsidentenamtes innerhalb der Familie gesichert.

Schließlich legt das Rahmon-Regime großen Wert auf gute sicherheits- und wirtschaftspolitische Beziehungen zu Russland und China. Moskau sichert mit Überweisungen weiterhin die Handlungsfähigkeit des tadschikischen Staates. Russland wird auch als Garantiemacht gesehen, um etwaige Aufstände und Umbrüche zu unterbinden. Von guten Wirtschaftsbeziehungen zu Russland und China verspricht man sich zudem Impulse für die eigene Entwicklung.

Für einen regionenübergreifenden nationalen Versöhnungsdialog fehlt zurzeit jede Grundlage. Die politische Opposition ist zerschlagen bzw. emigriert. Die Zivilgesellschaft ist schwach. An Schulen und Universitäten wird lediglich die offizielle Version der nationalen Bürgerkriegsgeschichte vermittelt. Eine ehrliche gesellschaftliche Aufarbeitung wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Tadschikistan hat eine junge Gesellschaft, heute sind über 50% der Bevölkerung unter 24 Jahre alt. Das Regime scheint seinen Diskurs zunehmend auf diese erste Generation junger Erwachsener auszurichten, die den Bürgerkrieg nicht mehr selbst erlebt hat.

Geschichte des Konflikts

1929 wurde Tadschikistan in den bis heute gültigen Grenzen als eigenständige Sozialistische Sowjetrepublik (SSR) etabliert. Auch die Einteilung der Bevölkerung in ethnische Gruppen (v.a. Tadschiken, Usbeken, Pamiri) erfolgte gemäß der sowjetischen Nationalitätenpolitik. Diese Klassifizierung verdeckt und verzerrt die Komplexität und Dynamik der tief verankerten regionalen Identitäten und kleinteiligere Beziehungsnetze. Im alltäglichen Leben ist die Identifikation mit der nationalen Ebene trotz der von der Regierung massiv propagierten nationalen "tadschikischen" Geschichte und Kultur eher gering.

Als mit dem Zerfall der Sowjetunion die Subventionen aus Moskau von einem Tag auf den anderen ausblieben und Tadschikistan völlig unvorbereitet seine Unabhängigkeit erhielt, entwickelte sich rasch ein Konflikt um die politische und wirtschaftliche Macht und die Kontrolle des Staates entlang regionaler und ideologischer Unterschiede. Durch den Bürgerkrieg haben die trennenden Gruppenloyalitäten und Solidaritäten zusätzlichen Auftrieb erhalten und sich weiter verfestigt. Der nach wie vor dominierende Regionalismus stellte zwar nicht den eigentlichen Ursprung des Konfliktes dar, war jedoch ein wichtiger Faktor zur Mobilisierung der jeweiligen Gruppen und Akteure des Kriegsgeschehens.

Als Sieger aus dem Bürgerkrieg und den Machtkämpfen ging die Fraktion aus der Region Kulob hervor. 1994 wurde Emomali Rahmon, als Repräsentant der "Kulober" erstmals zum Präsidenten gewählt. Seither hat Rahmon es verstanden, seine Macht Schritt für Schritt auszubauen. Im Herbst 2015 nutzte die Regierung den Angriff auf eine Polizeistation in der nahe Duschanbe gelegenen Kleinstadt Wahdat als Vorwand, um sich der letzten echten Oppositionspartei zu entledigen. Der Hauptverantwortliche, der einen Tag zuvor entlassene stellvertretende Verteidigungsminister und General Abduchalim Nazarzoda, wurde wenige Tage später in der Bergregion unweit der Hautstadt von Spezialkräften aufgespürt und getötet.

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