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Demokratisierung | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Demokratisierung

Julia Strasheim

/ 8 Minuten zu lesen

Gemäß westlich-liberalen Konzepten trägt die Demokratisierung von Nachkriegsgesellschaften dazu bei, Konflikte friedlich auszutragen. Doch ohne die Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten kann Demokratisierung alte Konflikte wieder anfachen. Auch wegen des Einflussgewinns autoritärer Mächte rückt die Stabilisierung von Nachkriegsgesellschaften stärker in den Vordergrund.

Bürger/-innen der Demokratischen Republik Kongo schauen sich am 30.12.2018 Wahllisten der lange-verschobenen Präsidentschaftswahl an. (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com, Stefan Kleinowitz)

Friedensförderung durch Demokratisierungshilfe – dieser Ansatz stand nach Ende des Kalten Krieges lange Zeit ganz oben auf der Agenda der "internationalen Gemeinschaft". In der "liberalen Friedensförderung" (liberal peacebuilding) wurde die Demokratisierung im Sinne der Durchführung freier, fairer und geheimer Wahlen und der Schaffung stabiler staatlicher Institutionen zu einem der wichtigsten politischen Lösungsansätze für bewaffnete Konflikte in Nachkriegsgesellschaften.

Bereits die "Agenda für den Frieden", die 1992 vom damaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen Boutros Boutros-Ghali veröffentlicht und schnell zu einem der wichtigsten Rahmenwerke für internationale Friedenspolitik nach dem Ende des Kalten Krieges wurde, sah einen "offenkundigen Zusammenhang" zwischen "demokratischen Gepflogenheiten" und der "Herbeiführung wahren Friedens". Noch 25 Jahre später machten die im Jahr 2017 von der Bundesregierung verabschiedeten ressortübergreifenden Leitlinien "Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern" die Demokratisierungshilfe zum zentralen Instrument im Werkzeugkasten deutscher Friedenspolitik: "Die Kernprinzipien der freiheitlich-demokratischen Ordnung in Deutschland", heißt es dort, tragen "unser Engagement in Krisen und Konflikten sowie bei der Förderung des Friedens" (Bundesregierung 2017).

Die liberale Theorie geht in einem Analogieschluss davon aus, dass Demokratisierung in Post-Konfliktgesellschaften ähnlich gewaltmindernd und integrativ wirken kann wie in stabilen westlichen Staaten mit jahrzehntelanger demokratischer Tradition. Die zentrale Annahme ist, dass vormals unterdrückte gesellschaftliche Gruppen durch die Teilnahme an freien und fairen Wahlen eine Stimme in der Öffentlichkeit und in den politischen Institutionen erhalten. Zudem bietet die Demokratie Mittel und Wege, Konflikte gewaltfrei auszutragen und zu breit akzeptierten Entscheidungen zu gelangen.

Demokratisierung als Friedenshindernis

In tief gespaltenen Post-Konfliktgesellschaften war und ist dieser Ansatz jedoch deutlich weniger erfolgreich. Nach Bürgerkriegen stehen sich frühere Konfliktparteien oft misstrauisch gegenüber. Staatliche Institutionen (z.B. Gerichte, Sicherheitskräfte) sind nach Jahren der Gewalt meist politisiert, schwach und delegitimiert oder haben nie wirklich existiert. Gerade nach religiösen oder ethnischen Konflikten organisieren sich politische Parteien oft entlang dieser Trennlinien – wie etwa in Nordirland, Bosnien-Herzegowina oder Myanmar. Gepaart mit ihrem Wettbewerbscharakter (Stichwort: Wahlkampf) werden Wahlen mitunter als Nullsummenspiel zwischen konkurrierenden Gruppen gesehen: Vorteile für eine Gruppe gelten als Niederlage für die andere.

Auch können Wahlen in Nachkriegsgesellschaften zur Gefahr für die jungen demokratischen Strukturen selbst werden, wenn sie z.B. Kriegsverbrecher und Autokraten an die Macht bringen, die bestrebt sind, demokratische Errungenschaften gleich wieder rückgängig zu machen. So wurde in Interner Link: Burundi bei den ersten Wahlen nach dem Friedensvertrag im Juli 2005 der ehemalige Rebellenführer Pierre Nkurunziza zum Präsidenten gewählt. Als Hoffnungsträger gestartet, revidierte er nach und nach zentrale Festlegungen der neuen Verfassung, darunter die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf maximal zwei Amtsperioden. Bereits die Wahlen im Juni 2010, die von der Opposition boykottiert worden waren, hatten zu einer schweren innenpolitischen Krise geführt. Als Nkurunziza im April 2015 ankündigte, für eine dritte Amtsperiode zu kandidieren, kam es erneut zu Protesten, die gewaltsam niedergeschlagen wurden. Wegen eines gescheiterten Putsches oppositioneller Offiziere und wiederaufflammender Kämpfe zwischen den politischen und ethnischen Gruppierungen flohen Hunderttausende ins Ausland.

Problem Demokratieexport: Nachkriegsgesellschaften sind keine "normalen" Gesellschaften

Die Demokratisierung in Nachkriegsgesellschaften ist in den letzten Jahrzehnten nicht selten auch an der übermäßigen bzw. verfehlten Einflussnahme internationaler Akteure gescheitert. Die neuere politikwissenschaftliche Forschung sieht dafür speziell zwei Gründe:

Erstens ist das Konzept der liberalen Friedensförderung stark von westlichen Vorstellungen über Regieren und Staatlichkeit geprägt und daher wenig auf die spezifischen Bedürfnisse von Nachkriegsgesellschaften zugeschnitten (Autesserre 2014; Kurtenbach 2017). Welche nicht-intendierte Folgen das haben kann, zeigt die gescheiterte Reform und Demokratisierung der Armee in der DR Kongo nach westlichem Vorbild. Statt die Achtung der Menschenrechte und die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit zu fördern, blieb die Armee die Stütze eines autoritären Regimes und war selbst maßgeblich an Menschenrechtsverbrechen beteiligt (Autesserre 2012).

Zweitens ist das Vorgehen internationaler Akteure nicht selten von innenpolitischen Zwängen diktiert. So können die Unterzeichnung eines Friedensvertrages oder die Durchführung von Wahlen gegenüber dem heimischen Publikum medienwirksam als erfolgreicher Abschluss einer Friedensmission präsentiert werden. Dadurch wird es leichter, das Personal kostspieliger Friedensmissionen zu reduzieren. In Bosnien drängte z.B. der damalige US-Präsident Bill Clinton auf schnelle Wahlen nach dem Krieg, um diese vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen (1996) als außenpolitischen Erfolg verbuchen zu können.

Alternative Ansätze? Lokale Eigenverantwortung, Institutionalisierung und Machtteilung

In der Forschungsliteratur und der politischen Praxis werden verschiedene Ansätze diskutiert, um Demokratisierungsprozesse in Nachkriegsgesellschaften erfolgreicher zu gestalten (z.B. Jarstad/Sisk 2008, Strasheim 2019). Auf der Ebene der Konzepte hat sich der Ansatz der "lokalen Eigenverantwortung" (local ownership) durchgesetzt. Ein Beispiel ist das u.a. von der schwedischen Entwicklungsagentur SIDA und der Weltbank geförderte Programm "Seila" in Kambodscha. Durch die Verbindung der Entwicklung des ländlichen Raums und der Stärkung der lokalen Demokratie ist es gelungen, die Anliegen der Gemeinden zu einem Teil des nationalen Wiederaufbaus zu machen. Durch den Dialog zwischen Bürger/-innen und Staat wurden die Grundlagen für die Dezentralisierungsreform gelegt. 2002 fanden die ersten lokalen Wahlen statt. Die demokratisch gewählten Gemeinderäte kümmern sich z.B. um die Planung und Umsetzung lokaler Entwicklungs- und Infrastrukturprojekte (Öjendal et al. 2017: 47 ff.).

Es ist jedoch nicht garantiert, dass die Übertragung von Eigenverantwortung an lokale Akteure auch zu einer nachhaltigen Demokratisierung führt. In Nepal etwa wurde der Friedensprozess nach 2006 in erster Linie durch die Konfliktparteien selbst gestaltet – externe Akteure, wie die Vereinten Nationen, hatten eine eher untergeordnete und beratende Rolle. Der Fokus auf die Eigenverantwortung der Konfliktparteien unterstützte zwar die erfolgreiche Einbindung der maoistischen Rebellenbewegung in das politische System. Doch trug ihr Eigeninteresse an Straffreiheit gleichzeitig dazu bei, dass bis heute kein effektiver Prozess der Übergangsjustiz angestoßen wurde, der eine Interner Link: Grundvoraussetzung für die demokratische Rechenschaftspflicht lokaler Eliten darstellt.

Um die Chancen zu erhöhen, dass Wahlen in Nachkriegsgesellschaften den Friedensprozess unterstützen und die Einbeziehung breiter Bevölkerungsgruppen garantieren, setzt die internationale Gemeinschaft seit den 1990er Jahren verstärkt darauf, vor der Durchführung von Wahlen starke staatliche Institutionen zu schaffen ("Institutionalisierung vor der Liberalisierung"). Der Gedanke dahinter ist, dass etwa eine vor den Wahlen verabschiedete demokratische Verfassung den politischen Wettbewerb regeln und besser ausgebildete Sicherheitskräfte Wählerinnen und Wählern einen sichereren Weg zum Wahlbüro ermöglichen können. Es geht also in einer solchen Übergangsphase darum, zunächst für die innere Sicherheit und demokratische Abläufe essenzielle staatliche Institutionen zu schaffen bzw. zu stärken, bevor substanzielle Schritte in Richtung Demokratie eingeleitet werden (Paris 2007). Dieser Ansatz wurde z.B. 2015 in der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrates zum Syrienkrieg festgeschrieben – bislang jedoch nicht umgesetzt.

Um die wichtigsten Konfliktparteien am Friedensprozess zu beteiligen, werden bis heute in vielen Friedensverträgen zudem Abkommen über Machtteilung ("Power-Sharing") aufgenommen. In seiner ursprünglichen Form sieht dieses Konzept vor, dass in ethnisch, ideologisch, sozial oder religiös gespaltenen Gesellschaften eine geregelte Einbindung von Minderheiten durch proportionale Repräsentation und Autonomierechte gewährleistet wird. In Nachkriegsgesellschaften zielt der Ansatz jedoch nicht primär auf die Partizipation von Minderheiten, sondern auf die Teilung der Macht zwischen den großen Kriegsparteien ab. So wird ein bestimmter Proporz von Sitzen im Parlament (z.B. Nicaragua und Burundi) und/oder die Beteiligung an der Regierung (z.B. Nordmazedonien) garantiert. In der Folge entsteht bei vielen der – nicht unberechtigte – Eindruck, dass Gewaltanwendung mit politischen Machtpositionen belohnt wird. Einer der jüngsten Fälle von Power-Sharing in Konfliktländern ist die Regierung der nationalen Einheit im Interner Link: Südsudan, auf die sich die Kriegsparteien im Friedensabkommen von 2018 geeinigt haben.

Hier tut sich ein Dilemma zwischen Friedensförderung und Demokratisierung auf. Denn bei Machtteilungsabkommen nach Bürgerkriegen steht nicht unbedingt die Stärkung von Demokratie, sondern von Stabilität und Sicherheit im Vordergrund. Zudem birgt Machtteilung die Gefahr, dass ehemalige Kriegsparteien dauerhaft politische Positionen besetzen. Demokratie lebt jedoch vom Wandel und von der Unsicherheit, errungene Positionen in Regierung oder Parlament bei den nächsten Wahlen wieder zu verlieren. Als langfristiger Mechanismus – über eine Übergangsphase hinaus – wirkt Power-Sharing daher eher als Demokratiebremse, wie das Beispiel Interner Link: Bosnien-Herzegowina zeigt.

Demokratisierung unter Druck

Nicht nur aufgrund dieser Dilemmata steht Demokratieförderung – egal ob liberal oder lokal – weltweit unter Druck. Insbesondere die externe Demokratieförderung in Post-Konfliktgesellschaften befindet sich im Abwärtstrend (Mross 2019). Die sich verändernde Weltordnung, insbesondere die inkonsistente Politik der USA und das Bestreben Chinas, eine stärkere globale Rolle in Post-Konfliktgesellschaften zu übernehmen, veranlassen immer mehr Staaten, internationale Organisationen und andere internationale Akteure dazu, in Konfliktregionen primär auf Stabilisierung und nicht auf transformative Ambitionen für einen demokratischen Wandel zu setzen. So hält sich die Europäische Union mit ihrer Kritik an der zunehmend autokratischen Regierungsführung und der Nichteinhaltung demokratischer Standards in den Staaten des westlichen Balkan zurück, so lange die Regierungen für die Aufrechterhaltung des Friedens in der Region und geschlossene Grenzen für Flüchtlinge sorgen (BiPAG 2017: 9).

Ein weiterer Grund für den Vorrang der Stabilisierung sind die zunehmende Präsenz und Aktivitäten von Terrormilizen in politisch instabilen Regionen, wodurch Anrainerstaaten, regionale und internationale Mächte ihre eigenen Sicherheitsinteressen gefährdet sehen (Ruohomäki 2019). Ein Beispiel für diese Entwicklungen sind die Sahel-Zone und insbesondere Mali, wo die Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen (MINUSMA) unter Beteiligung der Bundeswehr die Umsetzung des Friedensabkommens von 2015 garantieren und die territoriale Einheit des Staates wiederherstellen soll. Neben der MINUSMA wird künftig auch die europäische Task Force "Takuba" die Interner Link: malischen Streitkräfte im Kampf gegen Terrormilizen unterstützen.

Fazit

Zweifellos birgt Demokratisierung in Post-Konfliktgesellschaften Risiken neuer Gewalt und Instabilität, vor allem, wenn sie von internationalen Akteuren ohne lokale Teilhabe durchgesetzt wird. Eine reine Stabilisierungspolitik ist jedoch keine Lösung für dieses Problem. Im Gegenteil: Stabilisierung kann kontraproduktiv sein, wenn internationale Geber Verstöße gegen Menschenrechte akzeptieren oder die militärische Bekämpfung terroristischer Sicherheitsbedrohungen nicht deren Ursachen beseitigt. Dazu gehören v.a. wirtschaftliche Stagnation, schwache Regierungsführung und die Diskriminierung gesellschaftlicher Gruppen. Das kann zu neuer Gewalt beitragen (Mross 2019). Zudem wächst durch eine solche Politik auch die Gefahr, dass internationale Akteure von Konfliktparteien nicht als neutrale Helfer, sondern als militärische Gegner wahrgenommen und selbst bekämpft werden – so wie in Mali, wo der MINUSMA-Einsatz als die gefährlichste aktive UN-Mission der Welt gilt (Rieth 2019).

Es ist daher richtig, dass wichtige außenpolitische Doktrinen westlicher Staaten und Organisationen – wie die oben genannten Leitlinien der Bundesregierung oder die Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union von 2016 –nach wie vor auf die Unterstützung der Demokratisierung in Nachkriegsgesellschaften setzen (Europäische Union 2016). Die Demokratisierung bleibt die nachhaltigste Form der Konfliktprävention und Friedensförderung – wenn Maßnahmen kontextsensibel umgesetzt werden. Das heißt, dass internationale Friedens- und Demokratieförderung nicht auf vorgefertigte Schablonen westlichen Vorbilds setzt, sondern auf situationsabhängige Lösungen, die auf dem Wissen und der Erfahrung sowohl internationaler als auch lokaler Expertinnen und Experten aufbauen.

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Dr. Julia Strasheim ist stellvertretende Geschäftsführerin und Programmleiterin für Europa und Internationale Politik bei der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung in Hamburg, assoziierte Wissenschaftlerin am GIGA German Institute of Global and Area Studies und Lehrbeauftragte an der Universität Heidelberg.