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"Sie arbeiten bis zu zwölf Stunden am Tag und bekommen weit weniger Lohn als Erwachsene" | Themen | bpb.de

"Sie arbeiten bis zu zwölf Stunden am Tag und bekommen weit weniger Lohn als Erwachsene" Ein Gespräch mit Barbara Küppers von terre des hommes über Kinderarbeit in der Textilindustrie

Barbara Küppers

/ 4 Minuten zu lesen

Kann man erkennen, ob Kleidung von Kindern erzeugt wurde? Sind Markenartikel Garant für Produkte ohne ausbeuterische Kinderarbeit? Ein Gespräch mit Barbara Küppers über Kinderarbeit in der Textilindustrie.

Frau Küppers, kann man erkennen, ob Kleidung von Kindern und unter ausbeuterischen Verhältnissen erzeugt wurde?

Barbara Küppers: Nein – Verbraucher können das nicht erkennen. Selbst wenn auf den Etiketten steht, in welchem Land ein Kleidungsstück hergestellt wurde, kann man keine Rückschlüsse ziehen – denn überall gibt es Betriebe, die Gesetze einhalten und solche, die es nicht tun. Sichere Orientierung geben der Faire Handel und Sozialsiegel, wie etwa "Good Weave" (ehemals Rugmark) für Teppiche oder das Flower Label für Schnittblumen. Inzwischen testet auch die Stiftung Warentest Produkte auf Herstellungsbedingungen und Einhaltung von Umweltstandards.
Wie sind die Arbeitsbedingungen für Kinder, die unter ausbeuterischen Verhältnissen arbeiten?

Ausbeuterische Kinderarbeit ist in der gesamten Wertschöpfungskette zu finden: Von der Saatgutproduktion bis zur Ernte schuften Kinder auf Baumwollfeldern und in Weiterverarbeitungsbetrieben und sind häufig Pestiziden ausgesetzt. Kinder arbeiten in Spinnereien, Färbereien und Nähereien: Viele von ihnen leiden aufgrund der staubigen Luft und des Kontakts mit Chemikalien unter Atemwegs- und Hauterkrankungen. Sie arbeiten bis zu zwölf Stunden am Tag und bekommen weit weniger Lohn als Erwachsene. Kinderarbeiter in solchen Arbeitsverhältnissen gehen nicht zur Schule und haben kaum eine Chance, aus dem Teufelskreis von Armut und Ausbeutung auszubrechen.

Was können Verbraucherinnen und Verbraucher gegen die Ausbeutung von Kindern in der Textilindustrie tun?

  • Greifen Sie, wo immer möglich, zu Produkten aus dem Fairen Handel oder mit einem seriösen Sozialsiegel.

  • Fragen Sie bei Handelsunternehmen nach, ob und wie das Unternehmen sicherstellt, dass keine Kinder ausgebeutet werden.

  • Drängen Sie Ihre Kommune, die öffentliche Beschaffung fair und umweltgerecht zu gestalten (zum Beispiel bei Berufsbekleidung).

  • Unterstützen Sie Projekte, die Kinderarbeitern Schul- und Berufsausbildung ermöglichen.

Was können Unternehmen tun?

Unternehmen sollten mit einem Verhaltenskodex ihre Zulieferer verpflichten, wenigstens die grundlegenden Arbeitsrechte einzuhalten: Das Verbot von Zwangsarbeit, keine Diskriminierung; Gewährung von Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen. Die Begrenzung von Überstunden und deren Bezahlung, feste Verträge und Arbeitssicherheit sind ebenfalls wesentliche Bestandteile von Verhaltenskodizes. Die Zahlung Existenz sichernder Löhne ermöglicht Familien, Kinder zur Schule zu schicken und nicht auf deren Mitarbeit angewiesen zu sein. Verhaltenskodizes müssen seriös und wirksam kontrolliert werden. Unternehmen können darüber hinaus Verantwortung übernehmen und Projekte unterstützen, die Kindern Schul- und Berufsausbildung ermöglichen.

Inwiefern trägt der Kauf von Produkten aus Fairem Handel dazu bei, die Ausbeutung von Kindern zu überwinden?

Verbraucher tragen dazu bei, dass Produkte unter menschenwürdigen Bedingungen hergestellt werden und die Menschen von ihrer Arbeit leben können. Im Hinblick auf Kinderarbeit bedeutet das: Familien können es sich leisten, ihre Kinder zur Schule zu schicken und sind nicht auf deren Mitarbeit angewiesen. Zurzeit profitieren weltweit 1,6 Millionen Kleinbauern und Plantagenarbeiter vom Fairen Handel. Das Teppichsiegel "Rugmark" (heute: Good Weave) hat dazu beigetragen, dass die Kinderarbeit in der Teppichherstellung in Indien und Nepal deutlich zurückgegangen ist und tausende Kinder aus Schuldknechtschaft und Ausbeutung befreit werden konnten.

Sind aber Produkte aus Fairem Handel nicht oft sehr teuer?

Weil der Faire Handel den Produzenten faire Preise zahlt, sind einige Produkte teurer. Diese zeigen modellhaft, wie menschenwürdige Produktion umgesetzt werden kann. Der Faire Handel bedient eine Nische, die aber in den letzten Jahren und auch jetzt in der Krise wächst: Umsatzzuwächse zum Beispiel bei TransFair von 50 Prozent zeigen, dass immer mehr Verbraucher Wert auf fair produzierte Waren legen.

Sind Markenartikel Garant für Produkte ohne ausbeuterische Kinderarbeit?

Nein, weder ein hoher Endpreis, noch ein Markenname sagen etwas über die Herstellungsbedingungen von Produkten aus. Ein und dieselbe Zulieferfirma kann sowohl für Discounter als auch für Designerlabel oder Marken produzieren. Allerdings gehören einige Markenunternehmen zu den Vorreitern bei der Einführung und Umsetzung von Verhaltenskodizes.

Große Unternehmen betonen oft ihre soziale Verantwortung. Entsprechende Maßnahmen gegen Kinderarbeit werden von vielen als Standard akzeptiert. Wie ernst kann man diese Absichtserklärungen nehmen?

Unternehmen, die sich seriös engagieren behaupten nicht, alles im Griff zu haben. Das wäre bei den häufig tausenden von Zulieferbetrieben in dutzenden Ländern auch schlicht unmöglich. Ein Unternehmen sollte einen Verhaltenskodex auf Grundlage der Standards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) haben. Die Umsetzung sollte verbindliche Unternehmenspolitik sein, seriös und wirksam kontrolliert und von einer unabhängigen Organisation verifiziert werden. Unternehmen sollten ihre Aktivitäten transparent machen und darüber berichten.

Was kann die Politik vor Ort, was internationale Organisationen tun?

Regierungen und die internationale Gemeinschaft müssen vor allem in gute Bildungssysteme investieren und dafür sorgen, dass alle Kinder zumindest in den Genuss einer Grundbildung kommen. Zurzeit können 75 Millionen Kinder im schulpflichtigen Alter keine Schule besuchen – diese Kinder sind potentielle Kinderarbeiter. Wichtig sind auch der Aufbau einer funktionierenden Arbeits- und Gewerbeaufsicht, der Kampf gegen Korruption bei Polizei und zuständigen Behörden. Grundsätzlich ist bei allen Maßnahmen gegen ausbeuterische Kinderarbeit wichtig, dass die Rechte der Kinder geachtet und Alternativen für Kinderarbeiter aufgebaut werden: Wenn Kinder nur entlassen werden, arbeiten sie wahrscheinlich anderswo weiter, vielleicht unter noch schlimmeren Bedingungen. Für nachhaltigen Erfolg entscheidend ist, dass diese Kinder Zugang zu Bildung bekommen und die Familien ihre wirtschaftliche Situation verbessern können.

Muss generell Kinderarbeit oder nur ausbeuterische Kinderarbeit abgeschafft werden? Haben Kinder auch ein Recht auf Arbeit?

Der Slogan von terre des hommes zu Kinderarbeit ist: "Ausbeutung beenden – arbeitende Kinder stärken". Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass es "die Kinderarbeit" nicht gibt. Selbstverständlich muss ausbeuterische Arbeit abgeschafft werden. Ebenso dürfen Maßnahmen gegen ausbeuterische Arbeit nicht dazu führen, dass Kinder selbst in die Illegalität gedrängt werden. Regierungen und Behörden drohen immer wieder damit, Kinderarbeiter einzusperren oder mit Strafen zu belegen. Die Bewegung arbeitender Kinder in Lateinamerika etwa fragt: "Wieso verbietet ihr unsere Arbeit, die uns ernährt, aber nicht die Armut?" Bei allen Aktivitäten muss das Wohl jedes einzelnen Kindes im Mittelpunkt stehen und die Kinderrechte beachtet werden.

Das Interview führte Berke Tataroglu.

Fussnoten

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Barbara Küppers, geb. 1961, ist Referentin für Kinderarbeit/Sozialstandards beim Kinderhilfswerk terre des hommes. Sie hat Entwicklungssoziologie und Journalismus studiert.