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Kultur im Wiederaufbau (Teil 2) | Deutschland in den 50er Jahren | bpb.de

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Kultur im Wiederaufbau (Teil 2) Bildung und Kultur in der DDR

Simone Barck

/ 20 Minuten zu lesen

1. Parteikonferenz der SED am 25. Januar 1949 mit dem Slogan, der zum Programm wurde. (© Bundesarchiv, Bild 183-V08668, Fotograf: o.Ang.)

Einleitung

Erklärtes Ziel der SED war es, in der von ihr diktatorisch gestalteten Gesellschaft der DDR einen neuen, "sozialistischen Menschen" zu entwickeln. Diese sich als Utopie herausstellende Vorstellung gründete sich auf die marxistische Gesellschaftstheorie, nach der es mit der Beseitigung kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse möglich sein könne, eine gerechte und freie Menschengesellschaft zu schaffen sowie jedem Menschen maximale Bedingungen zur Entfaltung seiner geistigen, kulturellen, körperlichen Fähigkeiten und zur Wahrnehmung seiner geistigen und materiellen Bedürfnisse zu bieten. Diese Idealvorstellung wurde in das Leitbild der "allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit" gefaßt. Deren historisch neue Qualitäten sollten die Einnahme eines sozialistischen Klassenstandpunktes, Verantwortungsbewußtsein für das Ganze, allseitige Bildung, hohes fachliches Wissen und Können, sozialistischer Gemeinschaftsgeist, Organisiertheit und Disziplin, kulturelle Aktivität und Interessiertheit sein. Die Arbeiterklasse sei als herrschende Klasse berufen, diese sozialistische Menschengemeinschaft zu schaffen.

Bildung und Erziehung sowie Kultur und Kunst wurden in diesem Prozeß eine wichtige Rolle zugewiesen. Ein komplexes System von politisch-ideologischen, ökonomischen, propagandistischen sowie kulturellen und wissenschaftlichen Maßnahmen sowie entsprechende Institutionen und Organisationen dienten der Realisierung dieses parteipolitischen Ziels. Das Leitbild "der neue Mensch" war dabei in der Auseinandersetzung mit dem Westen immer auch gegen das Feindbild vom "alten, bürgerlichen Menschen", oft auch als "Klassengegner" oder "Klassenfeind" bezeichnet, gesetzt.

Wichtigste Grundlage des Bildungs- und Erziehungssystems in der DDR stellte die "Brechung des Bildungsprivilegs" dar, um allen Kindern und Jugendlichen ohne Berücksichtigung der elterlichen Vermögensverhältnisse das gleiche Recht auf Bildung zu garantieren. Das 1946 in der SBZ verabschiedete (und bis 1959 gültige) "Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule" zielte auf ein einheitliches, integriertes Schulwesen, das dem Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche folgte und vom Staat finanziert war. Zentraler Streitpunkt war, ob die Schule mehr auf Wissensvermittlung (als "Lernschule") oder auf Denkvermittlung (als "Arbeitsschule") aufgebaut werden sollte. Sowohl unter dem Einfluß der dogmatischen sowjetischen Pädagogik wie auch in der Folge eigener nationaler, in diesem Fall preußischer Traditionen setzte sich letztlich ein Schulsystem durch, in dem die Wissensvermittlung vorherrschte, die Autorität der Lehrkräfte dominierte und die Kinder mehr als Objekte denn als Subjekte behandelt wurden. Der unauflösbare Zusammenhang von Ideologie und Pädagogik bewirkte eine stark ideologisierte Staatserziehung. Die "richtige" Weltanschauung stand im Zentrum dieser Art Bildung und Erziehung. Disziplin war wichtiger als die schöpferische Selbstbetätigung der Schülerinnen und Schüler. Seit 1952 hatte die Schule mit dem proklamierten Aufbau des Sozialismus in der DDR die Zielsetzung, sozialistische Persönlichkeiten herauszubilden.

Schulen und Hochschulen

In den fünfziger Jahren bildete sich in der DDR eine differenzierte Schulstruktur heraus. Sie bestand aus der in den vierziger Jahren geschaffenen achtklassigen Grundschule ("Einheitsschule"), deren Besuch für alle gesetzlich verfügt war, den Zehnklassigen Oberschulen (erstmals im Schuljahr 1950/51, ab 1956 unter dem Namen Mittelschulen), vierklassigen Ober(real)schulen (als Auslaufmodell), die mit dem Abitur abschlossen, den Betriebs- oder Kommunalen Berufsschulen sowie einigen Spezial- und Sonderschulen (Kinder- und Jugend-Sportschulen, Hilfs- und Behinderten-Schulen). Den traditionellen Volkshochschulen wurde die Erwachsenenbildung übertragen. Um den besonderen ländlichen Bedingungen zu entsprechen, wurden für über 400000 Schüler bis 1956 1745 Zentralschulen geschaffen. Von den 4114 einklassigen Landschulen des Jahres 1946 gab es 1959 noch ganze 12, 1960 wurden die letzten beiden aufgelöst.

Die wichtigste Neuerung im Schulsystem der DDR bedeutete die 1959 eingeführte "Zehnklassige polytechnische allgemeinbildende Oberschule" (POS) als grundlegende Schulform für alle weiterführenden Bildungswege und beruflichen Tätigkeiten. Für sie gab es in dieser Form auch keine sowjetischen Vorbilder, wenngleich die seit 1958 stattfindende Polytechnisierung der DDR-Schule auch unter sowjetischen Einflüssen zustande gekommen war. Mit der POS sollte ein engerer Praxis- und Lebensbezug von Bildung, Unterricht und Erziehung erreicht werden. Der polytechnische Unterricht gliederte sich in den 14tägigen "Unterrichtstag in der Produktion" in Industriebetrieben oder in der Landwirtschaft und in das (theoretische) Fach "Einführung in die sozialistische Produktion". Außerdem gehörten der Werk- und Schulgartenunterricht (Klassen 1 bis 4) sowie das Technische Zeichnen (Klassen 7 bis 10) dazu.

Ab Ende der fünfziger Jahre besuchten im Durchschnitt 94 Prozent der Schülerinnen und Schüler die POS, drei Prozent die Sonderschulen, drei Prozent erwarben an Erweiterten Oberschulen (EOS) das Abitur.

Bedeutung der Herkunft

Da sich die DDR als Arbeiter- und Bauern-Staat verstand, wurden Arbeiter- und Bauernkinder in besonderer Weise gefördert. Die "richtige" soziale Herkunft entschied über die Zulassung zur Abiturstufe wie über den Studienplatz. Dabei waren die Klassifikationskriterien jedoch nicht durchgängig soziologisch, sondern eher politisch-ideologisch (zum Beispiel SED-Mitgliedschaft der Eltern) bestimmt. Seit den sechziger Jahren verschwammen sie immer mehr. Kinder aus sogenannten kleinbürgerlichen Verhältnissen oder aus Pfarrhäusern mußten sich trotz bester Leistungen ihr Abitur und einen Studienplatz hart erkämpfen, vielen blieb er ganz versagt.

Als besonders effektives Instrument zur Heranbildung einer neuen Intelligenz wirkten die 1949 aus den seit 1947 bestehenden "Vorstudienanstalten" hervorgegangenen "Arbeiter- und Bauern-Fakultäten" (ABF, nach sowjetischem Vorbild), an denen bis zu ihrer Schließung im Jahre 1964 insgesamt 33729 Personen (davon 80 Prozent aus Arbeiterhaushalten) die Hochschulreife erwarben. Als Hochschulabsolventen bildeten sie den Kern der neuen sozialistischen Intelligenz, die in den sechziger Jahren in Führungspositionen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Kunst einrückte. Über die erste ABF-Generation hat der Schriftsteller Hermann Kant in dem autobiographischen Roman "Die Aula" (Halle 1965) ein informatives und historisch stimmiges Porträt geliefert.

In den fünfziger Jahren bildete sich ein differenziertes System von Studienformen heraus. Die Hauptform stellte das Direktstudium an Hoch- und Fachschulen dar, bei dem der Anteil der Arbeiterkinder in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre die Fünfzig-Prozent-Grenze überstieg. Das 1950 eingeführte "Fernstudium für Werktätige", das im Mittel 18 Prozent der Gesamtstudierenden aufnahmen, war ein Weg, den spürbaren Nachwuchs- und Qualifikationsmangel zu beheben. Insgesamt stiegen die Studentenzahlen an den über vierzig Hochschulen, davon sieben Universitäten, in den fünfziger Jahren stetig an, zwischen 1951 und 1960 hatte sich die Zahl der Studierenden mehr als verdreifacht (1949: 28500 und 1960: 99860). An den über 200 Fachschulen, davon 58 medizinischen, verfünffachte sich zwischen 1951 und 1989 die Zahl der Studierenden.

Hochschulreform

Die zweite Hochschulreform (1951) begann unter der Losung "Erstürmt die Festung Wissenschaft", den Marxismus-Leninismus in Lehre und Forschung an den Universitäten und Hochschulen durchzusetzen. Es waren vor allem zwei Maßnahmen, die neu und bleibend eingeführt wurden. Das war erstens das für alle Studierenden obligatorische "Grundstudium" des Marxismus-Leninismus. Zweitens war es der viersemestrige Russisch-Unterricht, der die Studenten in die Lage versetzen sollte, sich die Resultate der "führenden Sowjetwissenschaft" anzueignen. Die Dauer des Studiums wurde auf vier bis fünf Jahre, für Medizin sechs Jahre, festgelegt und das Studienjahr auf zehn Monate angesetzt.

Hauptziel der Hochschulreform war es, die sogenannte bürgerliche Ideologie zurückzudrängen, eine ideologische Auseinandersetzung mit allen nicht dem marxistisch-leninistischen Dogma entsprechenden Auffassungen in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen zu führen.

Dieser ideologische Druck sowie die ökonomische Attraktivität Westdeutschlands bewirkten, daß Teile der alten Intelligenz sowie eine nicht unbeträchtliche Zahl von Hochschulsabsolventinnen und -absolventen der DDR den Rücken kehrten. Unter den zwischen 1951 und 1961 mehr als drei Millionen aus der DDR Übergesiedelten befanden sich etliche zigtausend hochqualifizierte Personen. In Fachrichtungen wie Medizin, Chemie, Ingenieurwissenschaften planten die staatlichen Zulassungskommissionen vor 1961 generell einen Zuschlag von 25 Prozent für die geschätzte Abwanderungsquote ein. Im Bildungswesen betrug die Anzahl von abgewanderten Fachkräften (Lehrkräfte, Lehrausbilder, Kindergärtnerinnen u.ä.) in den Jahren 1957 bis 1961 etwa 26 Prozent.

Politisch-ideologische Bildung und Erziehung

Grundprinzip der DDR-Schule war die Einheit von wissenschaftlich-fachlicher Bildung und politisch-ideologischer Erziehung. Bereits in den antifaschistisch-demokratischen Umerziehungsprogrammen der Moskauer Exil-Kommunisten hatte die "Erziehung der Erzieher" eine zentrale Stelle eingenommen. Da von den bei Kriegsende in der SBZ erfaßten Lehrkräften etwa 72 Prozent Mitglieder der NSDAP gewesen waren und so für eine Weiterbeschäftigung meist nicht in Frage kamen, fehlten trotz der wiedereingestellten, von den Nazis verfolgten Kollegen circa 40000 Lehrerinnen und Lehrer. In einer gezielten und erfolgreichen Kampagne warb die SED neue Lehrkräfte an. Diese meist jungen "Neu-Lehrer", insgesamt mehr als vierzigtausend, waren in den Jahren 1945 bis 1947 zum Teil ohne jegliche pädagogische Vorbildung oder nach zwei- bis acht Monatslehrgängen (im Volksmund als "Schnellbleiche" bezeichnet) an die Schulen gekommen. Sie waren politisch und sozial hoch motiviert und notwendigerweise zunächst unzureichend qualifiziert. Heute sind weniger ihre pädagogischen Fähigkeiten als ihre fachlichen Leistungen umstritten.

Konflikte dieser "Lehrer der ersten Stunde" mit den etablierten Lehrern sowie mit den Absolventen der Pädagogischen Fakultäten (aufgelöst 1955), den Instituten für Lehrerbildung (Unterstufe), den Pädagogischen Instituten (Mittelstufe), den Universitäten und der Pädagogischen Hochschule Potsdam (Oberstufe) waren vorprogrammiert.

Um den ökonomisch benötigten und auch von vielen Frauen erstrebten hohen Grad der Erwerbstätigkeit (der Anteil der weiblichen Erwerbstätigkeit betrug im Verhältnis zu den Gesamtberufstätigen in den Jahren 1955 44 Prozent, 1960 45 Prozent) garantieren zu können, mußte ein komplexes Kinderbetreuungssystem geschaffen werden. Die "Vorschulerziehung" fand statt in den Kindertageskrippen, die Säuglinge ab der zehnten Lebenswoche aufnahmen, und in den Kindergärten, in denen die Kinder von drei bis sechs Jahren betreut wurden. Während der Bedarf an Kinderkrippenplätzen in den fünfziger Jahren stets höher war, als Plätze vorhanden waren, konnte für die Kindergärten eher ein den Wünschen entsprechender Versorgungsgrad erreicht werden.

Kinder- und Jugendorganisationen

Die politischen Kinder- und Jugendorganisationen der Jungen Pioniere und der Freien Deutschen Jugend (FDJ) mit ihren Erziehern, den Pionierleitern und den FDJ-Sekretären, nahmen im Bildungs- und Erziehungssystem einen wichtigen Platz ein.

Sie stellten eine Art paralleles Erziehungssystem zur Schule dar und orientierten sich in Organisationsform und äußerer Erscheinung (uniformierte Kleidung) am sowjetischen Vorbild. Sie boten sowohl im Rahmen der Schule als auch im außerschulischen Bereich als kulturelle und sportliche Freizeitorganisationen vielfältige Einflußmöglichkeiten auf die Heranwachsenden. Der erreichte hohe Organisationsgrad war Ergebnis starker Indoktrination ("freiwilliger Zwang") und der Tatsache, daß Nichtmitgliedschaft verschiedene Nachteile haben konnte. So erhielt man beispielsweise schlechtere Beurteilungen wegen mangelnder "gesellschaftlicher Arbeit" oder wurde von bestimmten Gemeinschaftserlebnissen ausgeschlossen, für einen Studienantrag wirkte sich dies in jedem Falle negativ aus. Allerdings gab es auch das verbreitete Phänomen formaler Mitgliedschaft.

Beide Organisationen verfügten über eigene Zeitungen und ein vielfältiges Freizeitangebot in Sportstätten, Schulungs- und Begegnungseinrichtungen (Pionierhäuser, FDJ-Clubs) sowie Ferienlagern. In der 1948 gegründeten Pionierorganisation waren 1952 von allen schulpflichtigen Kindern 62 Prozent Mitglied, 1959 bereits 84,3 Prozent.

Um eine "systematische sozialistische Erziehung" durchzuführen, erfolgte eine Gliederung der Organisation in "Jungpioniere" (6 bis 9jährige) und "Thälmann-Pioniere" (10 bis 14jährige). Nach einer Art Lehrplan wurden die Inhalte und Tätigkeiten (Singen und Spielen, Altstoffsammeln u.ä.) vorgeschrieben, sie sollten die Pioniere zu "Helfern der Werktätigen" erziehen. Blaues (Jungpioniere) oder rotes (Thälmannpioniere) Halstuch, Pioniergruß, Appelle, Friedens- und Heimatlieder wirkten ritualbildend. Festgeschrieben wurden die politischen und moralischen Ziele in den 1960 verabschiedeten "Zehn Geboten" der Jung-Pioniere, die Patriotismus, Friedensliebe, Elternliebe, Internationalismus sowie Eigenschaften wie Fleiß, Wahrheitsliebe, Hilfsbereitschaft, und sportliche Aktivität propagierten.

Die FDJ erreichte bei den 14- bis 25jährigen nie einen so hohen Organisationsgrad, in den Jahren 1950 bis 1958 blieb er stets unter 50 Prozent. 1946 als "überparteilich" gegründet, wurde dieser Anspruch seit 1948 nicht mehr aufrechterhalten. 1952 erkannte die FDJ die führende Rolle der SED an und erklärte sich 1957 zur "sozialistischen Jugendorganisation" der DDR. In sogenannten Grundorganisationen (nach dem Muster der SED) in Betrieben, Hochschulen und Schulen sowie verschiedenen Einrichtungen organisiert, uniformiert in Blauhemden, startete die FDJ zahlreiche politische, ökonomische und kulturelle Mobilisierungskampagnen, mit denen sie sich als "zuverlässige Kampfreserve der Partei der Arbeiterklasse" inszenierte.

In "Jugendobjekten" wurden FDJ-Brigaden bei wichtigen ökonomischen Bauvorhaben (zum Beispiel Talsperrenbau in Sosa 1949 bis 1951, Bau von Stalinstadt, heute Eisenhüttenstadt, 1951 bis 1954, Meliorationsarbeiten in der Altmärkischen Wische 1958 bis 1960) eingesetzt. In jährlich stattfindenden "Messen der Meister von Morgen" konnten technisch und wissenschaftlich begabte Schüler, Lehrlinge und Studierende in einen Wettbewerb treten.

Die politische Schulung erfolgte unter anderem in "Zirkeln junger Sozialisten", in denen ein "Abzeichen für gutes Wissen" in Gold, Silber oder Bronze erworben werden konnte.

Im Hochschulbereich und an den Oberschulen hatte die FDJ 1952/53 zu einer "ideologischen Schlacht" gegen die (evangelischen) Jungen Gemeinden aufgerufen, in deren Verlauf über 300 junge Menschen von Hochschulen und Oberschulen verwiesen wurden. Ein Teil dieser Repressionen wurde nach dem 17. Juni 1953 wieder rückgängig gemacht. Die mit dieser Kampagne verbundene Auflösung der Studentenräte beendete endgültig letzte Ansätze einer pluralen Interessenvertretung der Studierenden. Ein umfangreiches Schulungssystem für die Mitglieder und eine stetig zunehmende Schar von hauptamtlichen FDJ-Funktionären sorgten für allseitige Präsenz im DDR-Alltag.

Wichtiges Anliegen der FDJ war auch die "sozialistische Wehrerziehung", für die sie mit der 1952 gegründeten "Gesellschaft für Sport und Technik" (GST) in der "wehrsportlichen Erziehung und vormilitärischen Ausbildung" zusammenarbeitete. In der GST konnten Jugendliche ab 14 Jahren sogenannte "Wehrsportarten" (Wehrkampfsport, Sportschießen, Sporttauchen, Flugsport, Fallschirmspringen u.ä.) praktizieren, sie wurden mit den "militärpolitischen Grundsätzen" der DDR bekannt gemacht und erhielten die Möglichkeit, begehrte Führerscheine fast kostenlos zu erwerben.

Jugendweihe

Ein wesentliches Element der politisch-ideologischen Bemühungen um Kinder und Jugendliche war die gegen die Kirchen gerichtete atheistische Erziehung. Mit der erstmals 1955 durchgeführten Jugendweihe gelang es der SED, eine besondere Form des Übergangs der Jugendlichen zum Erwachsenenalter zu schaffen. Als weltliche Alternative zur evangelischen Konfirmation angelegt, fanden im sogenannten Jugendweihejahr (dem achten Schuljahr) für die Vierzehnjährigen "Jugendstunden" statt, in denen wissenschaftlich-technische, philosophische, aber auch moralische und kulturelle Themen behandelt wurden. Ein attraktives Exkursionsprogramm (Sternwarten, Museen, Gedenkstätten) und Einblicke in die Arbeitswelt der Erwachsenen (Betriebe, Baustellen und LPG) gehörten ebenfalls zu diesem Ausbildungspensum. Die eigentliche Jugendweihefeier, deren Ablauf die Orientierung an den Konfirmationsfeiern deutlich offenbarte (Gesang, Ansprache, Gelöbnis) stand am Abschluß dieses gemeinschafts- und bewußtseinsbildenden Prozesses. Unter der Devise "Wissen ist besser als Glauben" (1957) stand auch das Buch "Weltall-Erde-Mensch" (mit einem Vorwort von Walter Ulbricht), das als eine Art Handbuch Beiträge zur marxistisch-leninistischen Weltanschauung, aus Wissenschaft und Technik sowie Geschichte und Philosophie vereinte. Es wurde allen überreicht, die an der Jugendweihe teilnahmen.

Von anfänglich zögerlicher Teilnahme, die zwar formal freiwillig war, jedoch durch intensive Werbung bei Schülern und Eltern, durch massiv nötigende Agitation und psychischen Druck in der Schule und in der Pionierorganisation unterstützt wurde, erhöhte sich der Prozentsatz der Teilnehmer von 17,7 Prozent im Jahre 1955 auf 44,1 Prozent im Jahre 1958. Eine offensive Großkampagne ließ im Jahre 1959 die Teilnehmerzahl auf beachtliche 80,4 Prozent ansteigen. Dieser hohe Anteil kam durch verschiedene Faktoren zustande: erheblicher Druck und eine konzentrierte Beeinflussung von Elternhaus und Schule, die schlaue Taktik der SED, doppelte Teilnehmerschaft von Jugendweihe und Konfirmation zuzulassen (im Unterschied dazu verbot die Kirche dies bis in die sechziger Jahre hinein). Die SED konnte die Durchsetzung dieses traditionell-atheistischen und zunehmend sozialistischen Rituals als Erfolg ihrer Anti-Kirchenpolitik werten.

Kunstpolitik

Kultur und Künste sollten nach den Vorstellungen der SED vorrangig eine bewußtseinsbildende Rolle bei der Realisierung der politischen und gesellschaftlichen Aufgaben spielen. Ein "weiter" Kulturbegriff zielte auf die "Einheit von geistiger und materieller Kultur". In der Verfassung von 1949 war ein freier Zugang zu Kultur- und Bildungseinrichtungen verankert.

Mit dem "Aufbau des Sozialismus" (1952) proklamierte die SED auch das Ziel, eine deutsche, sozialistische Kultur und Kunst zu schaffen. Als deren allein verbindliche künstlerische "Schaffensmethode" übernahm sie aus der Sowjetunion den "Sozialistischen Realismus", der seit dem Ersten Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller 1934 zur Grundlage der sowjetischen Künste und Kultur erklärt worden war. Unter Sozialistischem Realismus wurde eine wahrheitsgetreue, konkret-historische Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären bzw. sozialistischen Entwicklung verstanden. Um seine richtige bzw. falsche Interpretation drehten sich seit dem ZK-Beschluß über den "Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur" (1951) alle künstlerischen Auseinandersetzungen und kulturellen Kampagnen in den fünfziger Jahren. Als zentrale Kategorien des "Sozialistischen Realismus" galten: Parteilichkeit, Volksverbundenheit, soziale Typisierung, Tradition und Neuerertum.

Für die Kulturpolitik der SED spielte das Selbstdarstellungskonzept von der "Literaturgesellschaft" eine Schlüsselrolle. Johannes R. Becher, der prominente kommunistische Dichter, der aus der sowjetischen Emigration zurückgekehrt und seit 1954 erster Kulturminister der DDR war, hatte dieses Konzept auf dem IV. Deutschen Schriftstellerkongreß 1956 vorgestellt. Es war ein utopischer Modellentwurf, der eine "harmonische Gemeinschaft von Kunst und Volk" anstrebte. In dieser Konzeption wurde der Traditionspflege ein Logenplatz zugewiesen. Insbesondere die deutsche Klassik, aber auch die als "fortschrittlich" qualifizierte Literatur und Kunst anderer Jahrhunderte (auch anderer Länder) sollten zusammen mit der neu entstehenden Kunst den "goldenen Fond" der sozialistischen DDR-Kultur bilden, deren Herausbildung seit 1957 verstärkt gefördert wurde.

Die 1954 in Weimar begründeten "Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur", die Forschungs- und Editionsarbeit leisteten und einen auch international anerkannten Ort geistig-kultureller Begegnung und musealer Präsentation darstellten, sollten dieses Konzept professionell unterstützen. Jubiläen und Gedenkveranstaltungen, etwa 1955 zum Schillergedenkjahr mit dem umstrittenen Auftreten Thomas Manns in beiden deutschen Staaten, hoben das Prestige der DDR.

Geist und Macht

Trotz der Behauptung der SED, daß in der DDR die uralte antagonistische Gegenüberstellung von Geist und Macht in ein harmonisches Verhältnis beider übergegangen sei, blieb eine Grundspannung zwischen der Partei, den staatlichen Kultur- und Verwaltungsinstitutionen sowie den Künstlern und Intellektuellen bestehen. Auch gegenüber dem bereits 1945 als "überparteiliche" Intelligenzorganisation gegründeten "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" (ab 1958 Deutscher Kulturbund), der sich dem Humanismus und dem Antifaschismus verschrieben hatte, existierte ein latentes Mißtrauen. Zunächst noch gesamtdeutsch orientiert, wollte er die künstlerische, wissenschaftliche und technische Elite an "die Seite der Arbeiterklasse" führen. In seiner Arbeit wie in den neu geschaffenen Institutionen und Organisationen Akademie der Künste (1950), Schriftstellerverband (1952), Verband Bildender Künstler (1952), Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler traten ernste Konflikte zwischen dem demokratischen Anspruch und der autoritären Durchsetzung der kulturpolitischen Maximen auf.

Die parteipolitische Reglementierung und Disziplinierung erstreckte sich dabei nicht nur auf die Partei-Intellektuellen wie Johannes R. Becher, Hanns Eisler, Anna Seghers oder Stephan Hermlin, sondern sie betraf auch alle anderen: Bertolt Brecht, Arnold Zweig, Peter Huchel, Stefan Heym oder Ernst Busch. Sie konnten sich nur in heftigen Auseinandersetzungen gegen die engen kulturpolitischen Auffassungen behaupten. Dies war für die betroffenen Künstlerinnen und Künstler oft mit parteipolitischen Reglementierungen und Disziplinierungen sowie schweren Schaffenskrisen verbunden. Zugleich verstand es die SED, sie durch ein geschicktes System von materiellen und ideellen Privilegien an das "sozialistische Experiment" zu binden. Dazu gehörten die seit 1949 alljährlich verliehenen hochdotierten Nationalpreise in drei Klassen für Kunst und Literatur, Wissenschaft und Technik, weitere Kunst-Auszeichnungen, besondere Versorgungssysteme und Reisemöglichkeiten.

Das Mißtrauen der SED-Führung gegenüber den Intellektuellen und den Kunstschaffenden wurde besonders geschürt durch den Aufstand am 17. Juni 1953, in dessen Verlauf sich zwar die meisten staatsloyal verhalten, aber teilweise auch sehr entschiedene Kritik an den administrativen und stalinistischen kulturpolitischen Gängelungen geäußert hatten. Im Zusammenhang des 20. Parteitages der KPdSU kam es auch in der DDR 1956/57 zu einem kurzen "Tauwetter", das sich in Philosophie, Ästhetik sowie in den Kunstwissenschaften und in den Künsten auswirkte. Antistalinistische Thesen und Positionen von Ernst Bloch, Hans Mayer, Georg Lukács bestimmten die Auseinandersetzungen um eine Entdogmatisierung, wie sie sich zum Beispiel im "Sonntag", der kulturpolitischen Wochenzeitung des Kulturbundes, niederschlugen. Nach einem kurzen halben Jahr des "frischen Windes" (Gerhard Zwerenz) folgten zahlreiche Verhaftungen und Verurteilungen sowie andere Maßregelungen von in diesem "Tauwetter" führend Beteiligten.

In der seit 1957 geführten "ideologischen Offensive" hatten sich Partei- und Kulturfunktionäre wie Kurt Hager und Alexander Abusch, der Nachfolger Bechers, hervorgetan.

QuellentextSozialistischer Realismus

Beschluß des ZK der SED über den Kampf gegen den Formalismus vom 17. März 1951

Um eine realistische Kunst zu entwickeln, orientieren wir uns am Beispiel der großen sozialistischen Sowjetunion, die die fortschrittlichste Kultur der Welt geschaffen hat.

Genosse Shdanow hat 1934 wie folgt formuliert: "Genosse Stalin hat unsere Schriftsteller die Ingenieure der menschlichen Seele genannt. Was heißt das? Welche Verpflichtung legt Ihnen dieser Name auf?

Das heißt erstens, das Leben kennen …, es nicht scholastisch, nicht tot, nicht als ‚objektive Wirklichkeit‘, sondern als die Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung darstellen zu können.

Dabei muß die wahrheitsgetreue und historisch konkrete künstlerische Darstellung mit der Aufgabe verbunden werden, die werktätigen Menschen im Geiste des Sozialismus ideologisch umzuformen und zu erziehen. Das ist die Methode, die wir in der schönen Literatur und in der Literaturkritik als die Methode des sozialistischen Realismus bezeichnen."

Welche Lehren haben wir daraus für das Kulturschaffen in der Deutschen Demokratischen Republik zu ziehen? Um eine realistische Kunst zu entwickeln, "die … die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik zum Ausdruck bringt" (Entschließung des III. Parteitages der SED), müssen unsere Kunstschaffenden das Leben richtig, das heißt in seiner Vorwärtsentwicklung darstellen. Dazu ist die Kenntnis der Entwicklung des wirklichen Lebens erforderlich. Die typischen Umstände unserer Zeit, unter denen die getreue Wiedergabe typischer Charaktere erfolgen soll, sind die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik, das ist der Kampf um die Lösung der Lebensfragen unseres Volkes.

Entsprechend dieser Verhältnisse muß die wahrheitsgetreue, historisch konkrete künstlerische Darstellung mit der Aufgabe verbunden werden, die Menschen im Geiste des Kampfes für ein einheitliches, demokratisches, friedliebendes und unabhängiges Deutschland, für die Erfüllung des Fünfjahrplans, zum Kampf für den Frieden zu erziehen.

Die realistische Kunst vermittelt die Erkenntnisse der Wirklichkeit und erweckt in den Menschen Bestrebungen, die geeignet sind, sich in einer fortschrittlichen, schöpferischen Tätigkeit im Sinne der Lösung der Lebensfragen unseres Volkes zu verkörpern. […]

Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. III, Berlin (Ost) 1952, S. 433-440.

Die renommierte Zeitschrift des Kulturbundes "Aufbau" wurde wegen Propagierung von Dekadenz "plötzlich" eingestellt. Sie hatte unter anderem Jean-Paul Sartre, William Faulkner und Wolfgang Koeppen veröffentlicht und vor allem zuwenig Literatur des "Sozialistischen Realismus" berücksichtigt. 1957 bedeutete auch das Ende der Kolumne "Offen gesagt" in der "Berliner Zeitung", die Stefan Heym nach dem 17. Juni 1953 als eine in der Presselandschaft der DDR singulär bleibende Form eines kritischen Journalismus entwickelt hatte. In der Folge dieses scharfen Konfrontationskurses verließen 1957 Alfred Kantorowicz und Gerhard Zwerenz, 1959 Heinar Kipphardt und Uwe Johnson, 1961 Ernst Bloch sowie 1963 Hans Mayer die DDR.

Sichtbarstes optisches Zeichen des "kulturrevolutionären" Gestaltungswillens der SED waren die in den fünfziger Jahren erbauten Kulturhäuser (insgesamt gab es 160 davon), die als "Arbeiter- und Bauern-Tempel" sowohl als Betriebskulturhäuser wie auch auf dem Lande errichtet wurden und "Stätten des geistig-kulturellen Lebens sowie der Geselligkeit und Unterhaltung" sein sollten. Durch politische und kulturelle Großveranstaltungen, Theater- und Filmaufführungen, sowie als "Heimstätten des künstlerischen Volksschaffens" wurden sie als ein wesentlicher Faktor zur Herausbildung der (kollektiven) sozialistischen Lebensweise angesehen. Oft palastartig ausgeführt, mit moderner Technik (Fernsehapparaten, die damals privat noch kaum verbreitet waren) ausgestattet, konnten sie als zentrale Orte der Feier- und Festtagsgestaltung sowie des Vergnügens von Teilen der Bevölkerung angenommen werden. Besonders in ländlichen Regionen waren sie kulturelle Anziehungspunkte.

Belletristik

Der Tradition der deutschen Arbeiterbewegung folgend, wurde auch in der SED dem gesprochenen und geschriebenen Wort eine bevorzugte Stellung eingeräumt. Daher standen auch die Schriftsteller immer im besonderen Visier der Parteibürokratie. Ein effizientes Presse- und Verlagswesen, weit verzweigte Bibliothekseinrichtungen sowie ein gut funktionierender Buchhandel sollte dieser Wertschätzung Rechnung tragen.

Im kulturellen Bereich war die Zeitschriften-Szene gut überschaubar, sowohl wegen ihrer hohen Kontinuität wie ihrer geringen Anzahl. Neben dem "Sonntag" spielte vor allem "Sinn und Form" als "geheimes Journal der Nation" (Walter Jens), herausgegeben von der Akademie der Künste, seit 1949 unter der Chefredaktion des parteilosen Dichters Peter Huchel eine Rolle. Mit weltliterarischer Ausrichtung und gesamtdeutschen Autorinnen und Autoren war die Zeitschrift in Parteikreisen ebenso als "elitär" und "dekadent" verpönt wie sie bei vielen Intellektuellen und Schriftstellern als hochqualifizierte Literaturzeitschrift anerkannt war. Sie wurde kritisiert, weil sie zuwenig sozialistische Literatur veröffentliche und weil sie in den Debatten um Hanns Eislers Faust-Libretto oder um Ernst Barlachs Bildhauerkunst differenzierende Positionen gegenüber dem parteioffiziellen Dekadenz-Verdikt abgedruckt hatte. Von Kurt Hager, Mitglied des ZK der SED und ZK-Sekretär für Wissenschaft und Kultur, wegen "majestätischer Isoliertheit im Elfenbeinturm" angegriffen (Stasiprotokolle sprachen von seiner "ideologischen Zersetzungsarbeit"), wurde Huchel Ende 1962 gekündigt. Es dauerte noch bis 1971, bis man den völlig Isolierten ausreisen ließ.

QuellentextZensurfragen

In der so stark ideologisierten Gesellschaft der DDR gab es eine Reihe von Themen und Gegenständen, die innerhalb des Herrschaftsdiskurses entweder als Leerstellen oder nur in Andeutungen oder Umschreibungen vorkamen. […] Das war erstens die Sowjetunion, deren heroisches und positives Bild nicht durch gegenläufige Meldungen zu ihrer Vergangenheit und Gegenwart angetastet werden durfte. Zweitens wurde kein

negatives oder kritisches Bild von den kommunistischen Parteien und ihrem Führungsanspruch zugelassen. Drittens ging es um das sozialistische Wesen des Systems, das höchstens systemimmanent, aber nicht als Gesellschaftsform zu kritisieren war. […]

[…] Vor Erscheinen eines Jugendbuches mußte die schwierige Frage geklärt werden […], ob der Titel "Tito, die Geschichte einer Präriewölfin" erscheinen durfte. (Stalin hatte 1948 mit dem damaligen jugoslawischen Parteichef, Josip Broz Tito, gebrochen, weil dieser eigene ideologische Vorstellungen hatte und die Unabhängigkeit seines Staates einforderte - Anm. d. Red.)

Die Wölfin hatte sympathische Züge und triumphierte über alle Fallen und Giftbrocken ihrer Widersacher. Kurt Hager fürchtete, der Leser würde den Titel "allegorisch mit dem Banditen Tito in Verbindung bringen" und forderte einen Auslieferungsstop. […] Lektor Holz erklärte, den Titel nicht fahrlässig ausgesucht zu haben. Man könne ihn nicht ändern, die Erzählung Thompson-Setons gehöre zur Weltliteratur. Westbekannte hätten sogar gelobt: "Es ist erstaunlich, daß bei Euch ein Buch namens ‚Tito‘ erscheinen kann […] Eine andere Kollegin fand, daß "die Kinder durch die Gestalt der Präriewölfin Tito so ausgefüllt sind, daß in ihnen kein Raum mehr bleibt, um zu schädlichen Assoziationen zu kommen. Außerdem ist dadurch, daß Tito ein weibliches Tier ist, die Gefahr einer Gedankenverbindung stark abgemildert." Der Verleger selbst fand […], daß die Diskussion die entscheidende Frage offen gelassen hätte: "Selbst wenn Kinder beim Lesen des Heftes nicht sofort schädliche Gedankenverbindungen herstellen, so wirkt doch die positive Darstellung des Raubtieres im Unterbewußtsein und später verbindet sich dann aus der Erinnerung

heraus mit dem Namen Tito etwas Positives. Diese später auftretende oder möglicherweise auftretende Gedankenverbindung mit der Tito-Clique und ihrer faschistischen Politik mußte ein ausreichender Grund sein, das Buch nicht neu aufzulegen."

Simone Barck/Martina Langermann/Siegfried Lokatis, Jedes Buch ein Abenteuer, Berlin 1997, S. 18 und S.25 f.

Bei einer in den fünfziger Jahren stetig steigenden Buchproduktion kamen 5,6 Exemplare auf jeden Bürger, worauf sich die propagandistische Bezeichnung als "Buch-" bzw. "Leseland" gründete. Rund 80 Verlage, davon 22 für Belletristik, Kinder- und Jugendliteratur sowie 40 Verlage für wissenschaftliche und Fachliteratur, stellten diese Bücher nach staatlichen Themenplänen und unter der Kontrolle eines wachsamen Parteiapparates und des Amtes für Literatur und Verlagswesen (seit 1958 als Abteilung Literatur und Buchwesen ins Ministerium für Kultur integriert) her. Zentrales Steuerungsinstrument war außer der Themenplanung die Papierkontingentierung, die das stets Mangelware bleibende und teure Papier nach politischen "Schwerpunkten" verteilte. In dem zwischen den Verlagen entbrannten Kampf um das Papier lief der zentrale Parteiverlag Dietz immer außer Konkurrenz.

Die Abteilung "Begutachtung" in der Hauptverwaltung (HV) war das Zentrum der Zensur, die es offiziell nicht gab und deren Tätigkeit in der DDR deshalb mit dem umständlichen Begriff "Druckgenehmigungsverfahren" eher vornehm und verschleiernd umschrieben wurde. Diesem sogenannten "Druckgenehmigungsverfahren", zu dem auch die Selbst-Zensur als individuelles Vorfeld sowie die Zensurinstanzen in den Verlagen selbst gehörten, war jede Art von Literatur unterworfen. Es bildete ein ständiges Ärgernis zwischen den Schriftstellern, anderen Buchautoren und den verschiedenen Zensurinstanzen. Da die Kriterien der Zensur grundsätzlich abhängig waren von der jeweiligen gerade als verbindlich geltenden Interpretation des Marxismus-Leninismus, den wechselnden kulturpolitischen Kampfkonzepten und Losungen sowie den sich ändernden politischen Ereignissen und internationalen Groß- oder innerstaatlichen Kleinwetterlagen, kam es immer wieder auch bei "Parteischriftstellern" und ganz "staatstreuen" Büchern zu Konflikten, textlichen Eingriffen und zum von den Parteiinstanzen verfügten Verbot bereits ausgedruckter Bücher. Über die Auflagenhöhen konnte die SED die Buchproduktion in ihrem Sinne und auch kanonbildend steuern. So dominierte in den fünfziger Jahren im belletristischen Bereich die antifaschistische Literatur, vor allem von kommunistischen Autoren wie Johannes R. Becher, Erich Weinert, Friedrich Wolf, Anna Seghers, Willi Bredel, die außer Einzelpublikationen jeweils Werkausgaben erhielten, aber auch von Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig, Heinrich und Thomas Mann. Es kamen aber auch Werke von in Deutschland verbliebenen Autoren wie Bernhard Kellermann, Hans Fallada, Gerhart Hauptmann heraus.

Während die deutsche klassische und nach DDR-Lesart "fortschrittliche" Literatur verschiedener Jahrhunderte und die Übersetzungsliteratur, die etwa jeden siebenten Titel ausmachte, in beachtlichen Auflagen erschienen, blieb die Literatur der Moderne des 20. Jahrhunderts (Franz Kafka, James Joyce, Marcel Proust, John Dos Passos und andere) umkämpft. Sie wurde lange mit Verdikten wie Formalismus, Dekadenz, Pessimismus, Skeptizismus abgelehnt und wurde - außer Kafka 1965 - erst seit den siebziger Jahren veröffentlicht.

Trotz der Orientierung auf "Aufbauromane" vom Typ "Menschen an unserer Seite" (Eduard Claudius, 1951), die den beruflichen DDR-Alltag thematisierten, blieb die literarische Gestaltung der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit eine wesentliche Komponente der DDR-Literatur in den fünfziger Jahren. Zu einem, allerdings ungeplanten und unerwarteten, Bestseller wurde der autobiographisch angelegte Roman "Nackt unter Wölfen" von Bruno Apitz. Er erreichte im Jahr seines Erscheinens 1958 bereits 60000 Exemplare, wobei das große öffentliche Interesse auch durch die feierliche Eröffnung der Mahn- und Gedenkstätten Buchenwald im September 1958 gefördert wurde, wo die Romanhandlung um die Rettung eines jüdischen Kindes spielt.

Für die Einlösung des Konzeptes "Leseland" war das Bibliothekswesen sehr wichtig. Mit einem "flächendeckenden System" von im Jahre 1960 rund 18000 staatlichen Allgemein- und Gewerkschaftsbibliotheken (mit einem Buchbestand von 18 Millionen und 50 Millionen Entleihungen), 33 wissenschaftlichen Bibliotheken (deren größte die Deutsche Staatsbibliothek und die Deutsche Bücherei Leipzig waren) gab es einen breiten und kostenfreien Zugang zur Literatur. Die niedrigen Buchpreise hatten auch ihren Anteil daran, daß sich ein "breites mittleres Lesepublikum" herausbildete.

Bitterfelder Konferenzen

Für die Entwicklung des geistig-kulturellen Lebens und der Künste spielte die Tatsache, daß eine bedeutende Anzahl von Emigrantinnen und Emigranten in die DDR gekommen war, eine wichtige Rolle. Sie bestimmten zusammen mit anderen Künstlern das auch international zur Kenntnis genommene Niveau im Theater (Bertolt Brechts und Helene Weigels "Berliner Ensemble"), das Musik- und Konzert-Leben (Paul Dessau, Hanns Eisler und im DEFA-Film (Slatan Dudow, Kurt Maetzig). Die Deutsche Film AG(DEFA) besaß in der DDR das Monopol zur Herstellung von Filmen.

Die staatliche Subventionierung kultureller und künstlerischer Einrichtungen und eine damit verbundene Preisgestaltung für Eintrittskarten bewirkte eine breite Inanspruchnahme von Theatern, Konzertsälen, Museen, Kinos. Für das gesamte kulturelle Leben gab es eine kulturpolitische Steuerung durch Jubiläen und Kampagnen wie die "Wochen der sowjetischen Kultur und Kunst", Freundschaftswochen mit den "Bruderländern", Musik- und Theaterfestspiele mit ausländischen Gästen, öffentliche Unterhaltungsgroßveranstaltungen. Die wichtigste periodische Kunstausstellung war die in Dresden seit 1946 alle vier Jahre stattfindende Deutsche Kunstausstellung. Sie präsentierte alle Genres der Bildenden Kunst, deren Exponate über Bezirksausstellungen von einer zentralen Jury nach den Kriterien des Sozialistischen Realismus ausgewählt wurden. In dem Maße, wie über "Auftragswerke" hinaus von der Norm abweichende, interessantere Werke ausgestellt wurden, gewannen diese Kunstausstellungen zunehmend an öffentlicher Resonanz. Die Besuchszahlen betrugen in den Jahren 1953 zur III. Ausstellung 200000, zur IV. Ausstellung 1958/59 120000, um in den siebziger Jahren die Millionengrenze zu überschreiten.

In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre unternahm die SED mit Kulturkonferenzen (1957 und 1960) sowie mit der I. und II. Bitterfelder Konferenz (1959 und 1964) energische Anstrengungen, gegen einen angeblichen "Dogmatismus der Moderne" in den Künsten eine sozialistische Kultur und Kunst mit Hilfe der "Arbeiterklasse selbst" zu organisieren. "Greif zur Feder, Kumpel, die sozialistische Nationalkultur braucht dich!" hieß die Losung, mit der auf der I. Bitterfelder Konferenz, an der etwa 300 schreibende Arbeiter im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld teilnahmen, die Bewegung "schreibender Arbeiter" aktiviert wurde.

Die seit 1959 alljährlich stattfindenden Arbeiterfestspiele, vor allem vom FDGB und dem Ministerium für Kultur verantwortet, dienten dazu, die besten Laienproduktionen von etwa 80 Ensembles und die literarischen Ergebnisse der etwa 100 Zirkel schreibender Arbeiter vorzustellen. Dabei praktizierte man die Zusammenarbeit von Berufs- und Laienkünstlern. Trotz dieser Anstrengungen zeigte sich bald, daß auf diesem Wege nur im Ausnahmefall wirklich talentierte Autoren rekrutiert werden konnten. Was als Gewinn für die Laienkünstler herauskam, war ein souveränerer Umgang mit Kunst und Literatur.

Der propagierte "neue Lebensstil" war auch gegen die "westliche Unkultur" gerichtet, als deren Inbegriff die amerikanische Tanzmusik und die beliebten, aber noch verpönten Jeans galten. Seit 1958 brachte die ministerielle Anordnung, auf Tanzveranstaltungen 60 Prozent der Musik von Komponisten aus der DDR und den "befreundeten Bruderländern" zu spielen, bei den Jugendlichen großen Unmut hervor, und die obligaten 40 Prozent Musik aus den übrigen Ländern der Welt wurden mit allerlei Tricks vergrößert.

Die zweite Dimension des Bitterfelder Weges, die auf eine engere Verbindung von Kunst und Leben gerichtet war, führte zahlreiche Autoren in die Kombinate und Betriebe. Ihre (zeitweilige) Ansiedelung auf den "Großbaustellen des Sozialismus" oder auf dem Lande bewirkte, daß sich der Realitätsgehalt der Literatur erhöhte. Auf der Suche nach dem "Antlitz der herrschenden Klasse", den "Helden unserer Tage" fanden die in den Betrieben bestehenden gesellschaftlichen und persönlichen Konflikte oft auf offiziell unerwünschte und allzu realistische Weise ihren Niederschlag. Es kam hinzu, daß diese Art von Literatur vom Publikum weitgehend als "langweilig" empfunden und nicht gekauft wurde, was die kulturpolitisch engagierten Verlage in ökonomische Schwierigkeiten brachte.

In der Folgezeit oft als "Bitterer Feldweg" oder auch als "Bitterfelder Sackgasse" bespöttelt, von außen als "DDR-eigene Absurdität" betrachtet, stellte dieses Konzept die letzte große kulturpolitische Anstrengung der Ulbricht-Ära dar. Die direkte Bindung von Kunst und Literatur an politische und ökonomische Aufgaben (oft kampagnenhaft angekurbelt durch sozialistische Losungen wie "Kunst hilft Kohle", "Chemie gibt Brot, Wohlstand und Schönheit") wurde von vielen Künstlern zunehmend abgelehnt. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre war das Ende der Übergangszeit erreicht, viele ältere Künstler wie etwa Brecht und Becher bereits verstorben und eine neue Generation bereitete die "Geburtsstunde" der eigentlichen DDR-Literatur vor.