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Neue Formen des globalen Regierens

Marianne Beisheim Lars Brozus

/ 9 Minuten zu lesen

Aufgrund von Globalisierungsprozessen wird Global Governance erheblich komplexer. Wo das traditionelle Instrumentarium (zwischen-)staatlicher Steuerung fehlt oder nicht greift, tauchen weichere, informellere Formen des Regierens auf. Gesellschaftliche Akteure, wie Unternehmen und zivilgesellschaftliche Gruppen, verhandeln diese mit und setzen die verhandelten Ergebnisse auch oft selbst mit um.

Karikatur (© Burkhard Mohr / Baaske Cartoons)

Von der UNO über die G 20 nach Davos

Multilateralismus: repräsentativ, aber auch effektiv?


Die Vereinten Nationen (UN) weisen eine nahezu universale Mitgliedschaft und Zuständigkeit auf. Ihr Zweck ist es, Lösungen für Probleme zu finden, die internationale oder gar globale Auswirkungen haben. Theoretisch sind die UN der wichtigste Global Governance-Akteur. Praktisch war und ist die Weltorganisation aber nicht so ausgestattet, dass sie Regeln auf globaler Ebene verbindlich setzen und wirksam umsetzen könnte. Die UN sind auf die Kooperation ihrer souveränen Mitgliedstaaten angewiesen. Stimmen diese UN-Regelungen nicht zu oder setzen sie nicht um, hat die Weltorganisation kaum Möglichkeiten, effektiv zu Global Governance beizutragen.

QuellentextEbola: mangelnder politischer Wille und schlechte Ausstattung – Hindernisse für die WHO

Mit bereits mehr als 4000 Todesfällen, einer unbekannten Dunkelziffer und einer nahezu ungehinderten Weiterverbreitung in Westafrika übertrifft die derzeitige Ebola-Epidemie alle bisherigen Ausbrüche des seit 1976 bekannten Virus [Stand 22. Oktober 2014]. Das Center for Disease Control (CDC) in Atlanta schätzt, dass bis kommenden Januar [2015] im "optimistischen" Fall 11.000 bis 27.000, schlimmstenfalls gar 537.000 bis 1,7 Millionen Menschen dem Virus zum Opfer fallen werden. Die zahlreichen "Sekundärtoten", die aufgrund der zusammenbrechenden Gesundheitssysteme an Krankheiten wie Malaria oder Durchfallinfektionen sterben, sind dabei noch nicht mitgezählt.

Diese Prognosen lassen keinen Zweifel: Ebola ist eine Katastrophe, die sich immer weiter zuspitzt. Die Epidemie hat das gesamte Gesundheitssystem in den betroffenen Ländern aus den Angeln gehoben. Meist mangelt es schon an Handschuhen und Schutzkleidung, selbst sauberes Wasser ist knapp. In den Städten herrschen Angst und Chaos, an vielen Orten kommt die Wirtschaft weitgehend zum Erliegen. Trotz dieser alarmierenden Zustände finden Rufe nach mehr medizinischer, humanitärer und ja, auch militärischer Unterstützung noch immer kaum Gehör.

Dass die Weltgemeinschaft bei der Ebola-Krise versagt hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Im Zentrum der Kritik stehen die zögerliche Reaktion der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das schleppende Anlaufen der internationalen Hilfe.

Während die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen schon im Frühjahr warnte, die Seuche sei außer Kontrolle, rief die WHO erst Anfang August den internationalen Gesundheitsnotstand aus – zu spät, um die Ausbreitung des Virus noch unter Kontrolle zu bringen. […]

Diese verspätete Reaktion unterscheidet sich deutlich von dem Umgang der WHO mit anderen Gesundheitsrisiken in der jüngeren Vergangenheit – beispielsweise der Schweinegrippe 2009 oder der neuerlichen Verbreitung von Kinderlähmung. Für das entschiedene Handeln beim Auftreten der Schweinegrippe war das Krisenwarnsystem der WHO verantwortlich, das seit den 1990er Jahren stark ausgebaut wurde. Mit Hilfe neuer Kommunikationstechnologien entstand ein globales Reaktionsnetzwerk, das auch bei der raschen Eindämmung der Lungenkrankheit SARS im Jahr 2003 zum Einsatz kam. Dank einer groß angelegten Revision der Internationalen Gesundheitsvorschrift (IGV) im Jahr 2005 ist die WHO heute befugt, eigenmächtig den internationalen Gesundheitsnotstand zu erklären.

Dass dennoch das Ausmaß der Ebola-Epidemie erst viel zu spät erkannt und ernstgenommen wurde, hängt sowohl mit fehlender Expertise als auch mit einschneidenden Sparmaßnahmen in den letzten Jahren zusammen: Während das "Flaggschiffprogramm" der WHO – der Kampf gegen die Kinderlähmung – mit ausreichenden Geldmitteln ausgestattet ist, wurden insbesondere die Mittel der WHO-Notfallabteilung drastisch gekürzt. Seit 2009 verlor die Organisation rund ein Drittel ihrer Krisenfachleute – darunter auch Ebola-Experten, die das Ausmaß des jetzigen Ausbruchs möglicherweise früher hätten absehen können.

Hinzu kommt, dass neben den Personalkürzungen auch die flexibleren Fonds für Notfälle um die Hälfte gekürzt wurden. Man setzte auf die Erfahrung aus vergangenen Krisen, dass Notfallgelder im akuten Bedrohungsfall kurzfristig eingeworben werden könnten. Dies aber kostet – wie sich jetzt zeigt – wertvolle Zeit: Für die Armutskrankheit Ebola sind neue Zuwendungen erst geflossen, als die Ausbreitung der Epidemie bereits in vollem Gange war.

Das gesamte Jahresbudget der WHO liegt derzeit bei rund zwei Milliarden US-Dollar und ist damit etwa gleich hoch wie das der Charité in Berlin oder der New Yorker Feuerwehr. Die WHO-Leitung kann obendrein gerade einmal über ein Viertel des Gesamthaushaltes relativ frei verfügen – nämlich über den Anteil der regulären staatlichen Abgaben, der seit den 80er Jahren allerdings kontinuierlich gesunken ist. Der überwiegende Teil des Haushalts stammt aus freiwilligen Beiträgen, die häufig kurzfristig vergeben werden und mit eng definierten Verwendungszwecken – beispielsweise für den Einsatz in Impfkampagnen im Programm gegen Kinderlähmung – versehen sind.

Das erschwert die Arbeit der WHO zusätzlich: Vergleicht man deren Tätigkeit mit der der Bundesregierung, müssten die Kabinettsmitglieder nach Verabschiedung eines Regierungshaushalts zunächst Fundraising betreiben, bevor sie ihre Arbeit aufnehmen könnten. Oder, um einen triftigen Vergleich des amerikanischen Politikprofessors Daniel Drezners aufzugreifen: Die WHO arbeitet wie eine öffentliche Universität mit schlechter Grundfinanzierung und hoher Drittmittelabhängigkeit. Auf dieser Geschäftsgrundlage eine gefährliche Seuche einzudämmen, erscheint fast unmöglich. […]

Tine Hanrieder, "Ebola: Das Scheitern der Weltgemeinschaft", in: Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2014; Externer Link: http://www.blaetter.de


Zwar haben alle Staaten ungeachtet ihrer Größe, Einwohnerzahl oder ihres ökonomischen Gewichts in den UN den gleichen Status. Auch die innere Verfassung der Staaten spielt keine Rolle, sodass Diktaturen ebenso wie Demokratien das gleiche Stimmrecht in der UN-Generalversammlung haben. Während die Staaten also formal gleichgestellt sind, unterscheiden sie sich aber tatsächlich ganz erheblich voneinander: Industriestaaten haben oft andere Interessen als Entwicklungsländer, Diktaturen andere als Demokratien. Die aus solchen Unterschieden herrührenden Interessendifferenzen werden durch Wertunterschiede, etwa zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen, noch verstärkt. Da aufgrund der formalen Gleichheit jeder Staat Regelungen blockieren kann, die seinen Interessen zuwiderlaufen, ist oft nur eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner möglich. Derartige Regelungen sind meist jedoch nicht problemangemessen.

Am deutlichsten wurde dies während des Ost-West-Konflikts, als beide Lager die UN mehr als Bühne zur Darstellung von gegensätzlichen Positionen und weniger als Institution zur gemeinsamen Problemlösung nutzten. Nach dessen Ende bestand die Hoffnung, dass effektives globales Regieren möglich würde. Die UN veranstalteten in rascher Folge Weltkonferenzen, bei denen drängende globale Herausforderungen verhandelt wurden. Dabei ging es unter anderem um Umwelt und Entwicklung (Rio 1992), Menschenrechte (Wien 1993), Migration und Bevölkerungswachstum (Kairo 1994), soziale Ungleichheit (Kopenhagen 1995) sowie Gleichberechtigung (Beijing 1995). Allerdings zeigte sich rasch, dass die Erwartungen an die Lösung globaler Probleme durch die UN unerfüllt bleiben würden. Zum einen waren sich Industriestaaten und Entwicklungsländer uneinig über angemessene allgemein verbindliche Regeln, beispielsweise zur Eindämmung des Klimawandels oder bei vielen Menschenrechts- und Wirtschaftsfragen. Zum anderen wurden die verabschiedeten Aktionsprogramme kaum wirksam umgesetzt.

Die anhaltende Schwäche der UN hatte zwei Konsequenzen: Es stieg der Problemdruck, denn der Regelungsbedarf für Herausforderungen wie den Klimawandel oder ungleiche Lebensbedingungen nahm bei steigender Verflechtung kontinuierlich zu; und die offenkundigen Regelungsdefizite führten dazu, dass Akteure außerhalb des UN-Systems die Initiative ergriffen, sich Globalisierungsproblemen anzunehmen.

Mitglieder der G20 (© picture alliance / dpa-infografik, Globus 21 858; Quellen: G 20, Germany’s Federal Statistic Office, 2013 data)

"Club-Governance" durch mächtige Staaten


Staatenclubs wie die G 20 (Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer) streben an, neue Regeln für ausgewählte Politikfelder zu setzen, in denen sie Regulierungsdefizite ausmachen. Zu den wichtigsten Clubs auf globaler Ebene gehören neben der G 20 die G 7/8, aber auch lockerere Gruppierungen wie die BRICS (= Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika). Im Unterschied zu den UN, die prinzipiell allen Staaten offen stehen, oder zu Regionalorganisationen wie der Afrikanischen Union oder der Organisation Amerikanischer Staaten, die ihre Mitglieder nach geografischen Kriterien bestimmen, entscheiden Clubs selbst über ihre Mitgliedschaft.

Clubs regieren nicht im formellen Sinne durch den Erlass von Gesetzen oder gesetzesähnlichen Regelungen. Sie ermöglichen es ihren Mitgliedern, ihre Interessen und Präferenzen zu sondieren und aufeinander abzustimmen. Das zeigt sich bei den meist jährlichen Gipfeltreffen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs, die einen direkten Austausch im kleinen Rahmen ermöglichen. Im Vorfeld der Gipfel bereiten Arbeitsgruppen die zu behandelnden Themen wie auch mögliche Maßnahmen vor. Sie bestehen aus Fachleuten, die sowohl aus den Ministerialverwaltungen der Mitgliedstaaten als auch aus fachlich einschlägigen (internationalen) Organisationen oder Interessengruppen kommen. Clubs setzen also auf eine Form zwischenstaatlicher Global Governance, die auf Abstimmung und Koordination mächtiger Staaten basiert. Bei der Umsetzung der Gipfelbeschlüsse arbeiten sie dann eng mit den zuständigen internationalen Organisationen zusammen. Dieses Regieren kann nur effektiv sein, wenn sich die mächtigen Staaten über die Probleme und die notwendigen Maßnahmen einig sind.

QuellentextClub-Governance

Die 1976 entstandene G 7 besteht aus den damals größten demokratischen Industriestaaten (USA, Kanada, Japan, Deutschland, Großbritannien, Italien, Frankreich). Zunächst zur informellen Abstimmung der Wirtschafts- und Währungspolitik gedacht, umfasst ihre Agenda inzwischen eine Vielzahl von Themen mit globaler Relevanz. 1998 stieß Russland dazu und begründete die G 8. Im Frühjahr 2014 wurde Russland aufgrund der Ukraine-Krise und der Annektierung der Krim faktisch ausgeschlossen. Deutschland richtet den G-7-Gipfel 2015 aus.

Die G 20 umfasst neben den G-7/8-Staaten wichtige nichtwestliche Ökonomien wie Brasilien, China und Indien sowie die EU. Ursprünglich zur besseren Koordinierung der globalisierten Wirtschafts- und Finanzpolitik gegründet, bearbeitet sie heute auch umwelt-, entwicklungs- und gesundheitspolitische Themen. Sie hat seit 2008 durch die globale Schuldenkrise an Bedeutung gewonnen. Mit den Business 20, Labour 20 und Think Tank 20 haben sich inzwischen parallele Foren formiert, die Wirtschafts- und Arbeitnehmerinteressen sowie die Wissenschaft repräsentieren.

Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika sind die Mitglieder der BRICS, des wichtigsten Schwellenländer-Clubs, der seit 2010 ein Gegengewicht zu den etablierten Industriestaaten bildet. Ziel der BRICS ist unter anderem ein ihrem ökonomischem Gewicht entsprechender Einfluss bei Finanzinstitutionen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds. Sie verstehen sich als Repräsentanten der Entwicklungsländer und haben 2014 eine eigene Entwicklungsbank gegründet.

Elitennetzwerke und informelle Machtmechanismen


Elitennetzwerke, bei denen Individuen Staaten, Unternehmen, Medien, Verbände oder Nichtregierungsorganisationen repräsentieren, sind noch informellere Formen von Global Governance. Bei ihren Treffen, wie etwa dem jährlich in Davos stattfindenden World Economic Forum (WEF), werden Konsens und Dissens über das ausgelotet, was im globalen Geschehen wichtig oder weniger wichtig ist und entsprechend mehr oder weniger politischer Aufmerksamkeit bedarf. So werden Themen auf die Agenda gesetzt und können politische oder ökonomische Präferenzen und Interessen informell und diskret abgestimmt werden.

Auch die circa 2500 Teilnehmenden in Davos repräsentieren durchaus unterschiedliche Interessen und Werte. Ein Konsens über das, was wichtig ist, kann nicht vorausgesetzt werden, sondern wird in Diskussionen herausgearbeitet und zu Narrativen, also sinnstiftenden Darstellungen komplexer Sachverhalte, verdichtet. Daraus folgen nicht zwingend politische Regeln oder Maßnahmen. Narrative bilden jedoch eine wichtige Grundlage für wirksames politisches Handeln, dessen Effektivität auf einem geteilten Verständnis über Ausgangssituation, Handlungsziele und notwendige Maßnahmen basiert. So wurden manche Globalisierungsthemen, die auf informellen Foren diskutiert wurden, etwa im Bereich der globalen Entwicklungs- und Gesundheitspolitik, später durch die internationale Politik aufgegriffen – und private Akteure dabei auch verstärkt eingebunden.

Freiwillige Vorreiter-Initiativen


NGOs, transnationale Netzwerke oder öffentlich-private Partnerschaften können als Vorreiter freiwillig Regeln setzen oder globale Politikziele lokal umsetzen helfen. Derartige Initiativen sind sehr vielfältig im Hinblick auf ihre Ziele, Gestalt und Herangehensweise – und auch hinsichtlich ihres mehr oder weniger erfolgreichen Beitrags zur Gestaltung der Globalisierung.

Bekannt sind die Aktivitäten zivilgesellschaftlicher NGOs, wie etwa im Umweltbereich von Greenpeace oder im Menschenrechtsbereich von Amnesty International. Sie drängen nicht nur darauf, dass Staaten und Unternehmen existierendes nationales oder internationales Recht ernst nehmen, sondern sie setzen sich auch für Standards ein, die im Sinne der von ihnen vertretenen Normen des Umwelt- oder des Menschenrechtsschutzes darüber hinausgehen.

Einige Initiativen haben sich darauf spezialisiert, freiwillige Standards und Verhaltenskodizes zu erarbeiten und deren weltweite Anerkennung und Umsetzung zu fördern. Gütesiegel oder Label sollen beispielsweise typische Probleme globalisierter Handelsketten lösen helfen, indem ausgewählte Welthandelsprodukte als nachhaltig produziert und gehandelt ausgezeichnet werden. Ein Beispiel ist fair gehandelter Kaffee, hier verspricht das "Fairtrade-Siegel" des Anfang der 1990er-Jahre gegründeten deutschen Vereins "TransFair" und später des internationalen Dachverbandes "Fairtrade International" verlässliche Handelsbeziehungen und Mindestpreise für die Bauern. In Ergänzung dazu hat die "4C-Initiative" für den Kaffee-Massenmarkt den "Common Code for the Coffee Community" erarbeitet. Der 4C vergibt kein Gütesiegel, sondern hat unter Mitarbeit von Kaffeeproduzenten, Vertretern aus Kaffeehandel und -industrie sowie Organisationen der Zivilgesellschaft einen Basisstandard zu Arbeitsbedingungen und Umweltschutzmaßnahmen definiert, den alle Produzenten jenseits gesetzlicher Vorgaben freiwillig einhalten sollen.

QuellentextFairtrade-Siegel: ein Anfang, aber noch keine global gerechte Handelspolitik

[…] Das Geschäft mit fair gehandelten Produkten ist längst ein gigantischer Markt. Mit Waren, die das Fairtrade-Siegel tragen, erzielte der Handel 2013 weltweit einen Umsatz von rund 5,5 Milliarden Euro – laut Fairtrade International ein Plus von 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. […]
[…] Hinter den Fairtrade-Standards steht ein umfassendes Konzept von gerechteren Handelsbeziehungen. Zu den Bedingungen zählen der direkte Deal mit Produzentengruppen ohne Zwischenhändler, der Ausschluss von Kinderarbeit, Mindestlöhne und Gesundheitsvorsorge, aber auch Umweltstandards wie sparsamer Umgang mit Ressourcen und ein reduzierter Einsatz von Chemikalien.

Kernelement aber ist eine garantierte Mindestsumme, die für Bananen, Kaffee oder Kakao auch gezahlt wird, wenn der Weltmarktpreis tiefer liegt. Dazu kommt eine Fairtrade-Prämie für soziale oder Infrastruktur-Projekte. Und gegebenenfalls gibt es noch eine Bio-Prämie obendrauf. Zudem finanzieren die Händler den Bauern, mit denen sie eine langfristige Lieferbeziehung eingehen, die Ernte vor.

So weit so gut. Aber welche Wirkung hat fairer Handel? […]
Es ist wie so oft: Verteidiger und Kritiker von Fairtrade argumentieren jeweils mit Studien. Erst im August [2014] erregte eine Untersuchung der School of Oriental and African Studies der University of London großes Aufsehen. Fairtrade sei "kein effektiver Mechanismus, um das Leben der ärmsten Landbevölkerung und der angestellten Arbeiter zu verbessern", fasst Studienautor Christopher Cramer die Ergebnisse der Untersuchung zusammen. So seien die Löhne der Fairtrade-Farmer keinesfalls höher als die ihrer konventionell wirtschaftenden Kollegen.

Das Gegenteil belegte Ende 2012 eine Sektor- und Kontinent- übergreifende Untersuchung des Centrums für Evaluation der Universität Saarbrücken. Ihr Fazit: Fairtrade-zertifizierte Kleinbauern verfügen über leicht höhere und vor allem stabilere Einkommen, ihre Produktivität ist höher, sie können mehr sparen und nehmen häufiger an Weiterbildungsprogrammen teil.

Dennoch weisen sowohl Transfair Deutschland als auch die Gepa [Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt – Anm. d. Red.] allzu hohe Erwartungen zurück. Es könne nicht gelingen, mit einem Siegel mal eben schnell die Welt zu retten und alle Ungerechtigkeiten zu beseitigen. "Das war auch nie unser Anspruch", sagt Gepa-Geschäftsführer Robin Roth. "Wir wollen zeigen, dass man erfolgreich fair handeln kann und den Kunden die Möglichkeit bieten, sich für entsprechende Produkte zu entscheiden."

Doch genügt es, Bananen oder Schokoriegel zu kaufen, die das Fairtrade- oder Gepa-Siegel tragen? […]

Konkret gesagt: Mit der Entscheidung für ein Fairtrade-Produkt können Verbraucher zwar im Idealfall Gutes bewirken, sich aber nicht von einer weitergehenden Verantwortung freikaufen. Die bestünde darin, sich auch politisch für eine gerechtere Welthandels- und Wirtschaftspolitik einzusetzen. Dazu gehörte dann vor allem auch, von Unternehmen außerhalb des Fairtrade-Systems Rechenschaft über die Beachtung von Menschenrechten in globalen Zulieferketten zu verlangen. Und darauf hinzuarbeiten, dass Firmen für die Verletzung von fundamentalen Rechten zur Verantwortung gezogen werden können.

Tobias Schwab, "Fair bedeutet noch lange nicht gerecht", in: Frankfurter Rundschau vom 29./30. November 2014

Die zehn Prinzipien des Global Compact (© www.globalcompact.de/publikationen/die-zehn -prinzipien-des-global-compact)

Ähnlich bauen die Selbstverpflichtungsinitiativen der Industrie- und Branchenverbände auf die unternehmerische Verantwortung (Corporate Responsibility) ihrer Mitglieder. Ein Beispiel ist das "Responsible Care"-Programm der chemischen Industrieverbände, das unabhängig von gesetzlichen Vorschriften auf die freiwillige Umsetzung von weitergehenden Maßnahmen in den Bereichen Umwelt- und Gesundheitsschutz, Arbeits- und Produktsicherheit zielt. Auch der 1999 vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan initiierte UN Global Compact fordert multinationale Unternehmen auf, sich zu einem Katalog von Prinzipien in den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung zu bekennen, diese zu unterstützen und innerhalb ihres Einflussbereichs in die Praxis umzusetzen. Dabei versteht sich der Global Compact als Lernplattform, über die sich Unternehmen in Form von Fortschrittsberichten gegenseitig über Erfolge und Probleme bei der Umsetzung der Prinzipien in ihrem Geschäftsbereich informieren und darüber auch Orientierung für andere freiwillige Vorreiter bei der Umsetzung von gemeinwohlorientierten Regeln für eine globalisierte Wirtschaft bieten.
Oft füllen freiwillige "weiche" Standards Lücken im "harten" internationalen Recht. Da die UN-Mitgliedstaaten es beispielsweise nicht vermocht hatten, bei der ersten Rio-Konferenz zu nachhaltiger Entwicklung 1992 ein internationales Regime zum Schutz der Wälder zu etablieren, schuf der Forest Stewardship Council (FSC) kurz danach einen Standard und ein System zur freiwilligen Zertifizierung nachhaltiger Forstwirtschaft. Mit dem FSC-Siegel wurden weltweit seither mehr als 180 Millionen Hektar Waldgebiete in 81 Ländern ausgezeichnet.

Dies zeigt, dass sich Initiativen nicht nur für die freiwillige Setzung von Regeln, sondern auch für deren freiwillige Anwendung engagieren. Ein Weg dahin ist die Zertifizierung. Einige Initiativen arbeiten mit einer eigenen Zertifizierungsgesellschaft, wie etwa Fairtrade International mit einem weltweit einheitlichen Kontrollsystem. Teilweise nutzen Initiativen aber auch Verfahren und Zertifizierungsagenturen, die in der Wirtschaft im Umfeld der Arbeit der Internationalen Organisation für Normung (ISO) bereits etabliert sind. Übereinstimmend mit deren Arbeitsweise versucht etwa die NGO Social Accountability International (SAI) mit dem Standard SA8000 Arbeitsbedingungen weltweit zu verbessern, indem die Normen der geltenden Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der UN-Konvention für Kinderrechte konkretisiert und operationalisiert werden. So formuliert der SA8000-Standard klare Mindestanforderungen an Sozial- und Arbeitsstandards. Multinationale Unternehmen können sich dann freiwillig entlang des SA8000-Standards von etablierten Wirtschaftskontrolleuren wie etwa dem TÜV zertifizieren lassen.

Schließlich organisieren und finanzieren öffentlich-private-Partnerschaften (PPPs) mittlerweile in erheblichem Ausmaß die lokale Umsetzung globaler Politikziele. Im Gesundheitsbereich finanziert die GAVI Alliance (vormals Globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung) weltweit Impfprogramme oder der Global Fund die Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria. Neben staatlichen Gebern beteiligen sich an diesen Fonds auch private Geldgeber, so etwa die Bill & Melinda Gates-Stiftung als weltweit größte Privatstiftung. Beantragen können die Gelder sowohl staatliche als auch nicht staatliche Akteure und Initiativen. Ihre Projekte müssen sie dann nach den Vorgaben der Geldgeber umsetzen – dergestalt erlangen solche informellen Projektregeln weitreichende Autorität.

QuellentextPrivate Stifter: willkommene Verstärkung, aber kein Ersatz für politisches Handeln

[…] [D]ie Bill & Melinda Gates Foundation aus Seattle […] gilt […] als größte private Stiftung der Welt. Mit rund 41 Milliarden Dollar entspricht ihr Kapital fast der jährlichen Wirtschaftsleistung von Ghana.
Rund 3,6 Milliarden Dollar hat die Stiftung allein im vergangenen Jahr ausgeschüttet, unter anderem um Krankheiten wie Malaria und Aids zu bekämpfen. Doch diese Großzügigkeit hat einen Nachteil: […] Öffentlich kaum bekannt ist […], dass rund 80 Prozent des Budgets der WHO auf freiwillige Zahlungen und Spenden zurückgehen. Diese Mittel sind zweckgebunden, sie dürfen also nur entsprechend den Vorgaben der jeweiligen Geber eingesetzt werden. […] Die Gates-Stiftung lässt der WHO inzwischen mehr Geld zukommen als die gesamten Vereinigten Staaten. Im vergangenen Geschäftsjahr waren es allein 300 Millionen Dollar. […]

Der Aufstieg von Großspendern wie dem Ehepaar Gates hat vor allem damit zu tun, dass die 194 Mitgliedsstaaten der WHO seit den neunziger Jahren ihre Beiträge für das allgemeine Budget der Organisation stetig zurückgefahren haben. Besonders deutlich wurde das zuletzt beim Etat für Notfälle wie der aktuellen Ebola-Epidemie. Er wurde in kurzer Zeit mehr als halbiert: von 469 Millionen Dollar im Geschäftsjahr 2012/2013 auf 228 Millionen Dollar für das Jahr 2014/2015. […]
Gates’ Initiativen sollen unter anderem weltweit Polio ausrotten sowie HIV, Tuberkulose und Malaria bekämpfen. Für […] Kritiker steht fest: Diese moderne Form der Wohltätigkeit hat die internationale öffentliche Gesundheitspolitik in eine Ansammlung unkoordinierter Einzelprojekte verwandelt, die sich den Wünschen der Geldgeber unterordnen muss. Eine Sprecherin der Stiftung weist diesen Vorwurf allerdings zurück: "Wir stellen mit drei Milliarden jährlich nur einen geringen Anteil der weltweiten Ausgaben für Entwicklung und Gesundheit in Höhe von 140 Milliarden Dollar dar und konzentrieren deshalb unsere Ressourcen auf Aufgabengebiete, wo wir glauben, die größtmögliche Wirkung erzielen zu können."

[…] Gates […] zählt zu den Pionieren des "Philanthrocapitalism", einer Art Wohltätigkeitskapitalismus, der nach unternehmerischen Grundsätzen funktioniert. Seine Programme und Projekte haben genaue Zielvorgaben, sie müssen einer Kosten-Nutzen-Analyse standhalten und vor allem messbare Resultate vorweisen. Der Gewinn wird nicht in Dollar gerechnet, sondern in der Zahl verhinderter Todesfälle oder der Ausrottung von Krankheiten. […]

Impfungen passen perfekt in dieses Konzept. Und auch Organisationen wie Gavi, die von der Gates-Stiftung gefördert werden. Gavi wurde 2000 als Global Alliance for Vaccines and Immunization gegründet, unter anderem fördert sie Impfkampagnen gegen Kinderlähmung. Seit ihrer Gründung habe Gavi geholfen, 440 Millionen Kinder zu impfen, heißt es auf der Webseite der Organisation. Gesundheitsexperten loben die Initiative, weil sie die Kindersterblichkeit gesenkt habe. Doch es gibt auch Kritik.

So macht sich Gavi für eine Impfung mit Pentavalent stark. Der Impfstoff soll Kleinkinder zugleich vor Diphterie, Tetanus, Keuchhusten sowie vor Hepatitis B und Hib schützen – einem Bakterium, das Meningitis und Lungenentzündung auslöst. Doch die Impfung ist umstritten: Nach einer Reihe von Todesfällen setzten Sri Lanka, Bhutan und Vietnam die Gabe von Pentavalent zunächst aus, nahmen sie nach Beratungen mit der WHO (die Pentavalent empfiehlt) jedoch wieder auf. […]

Andere Kritiker verweisen auf potenzielle Interessenskonflikte bei Gavi. Im Verwaltungsrat sitzen nicht nur Regierungsvertreter verschiedener Länder, sondern auch ein Entsandter der Gates-Stiftung, eine Hedgefonds-Managerin, jemand von der Investmentbank Goldman Sachs sowie ein Partner des Consulting-Konzerns BDO, zu dessen Kunden auch Pharmakonzerne gehören. Auch die Rolle von Adar Poonawalla in dem Gremium ist umstritten. Er ist Spross eines indischen Milliardärsclans, zu dessen Imperium das Serum Institute gehört, einer der führenden Impfstoffhersteller und Anbieter von Pentavalent. Ebenfalls im Verwaltungsrat sitzt Olivier Charmeil, Chef von Sanofi Pasteur, der Impfsparte von Sanofi. Dem Pharmakonzern gehört unter anderem der indische Hersteller Shanta Biotechnics, zu dessen wichtigsten Produkten ebenfalls Pentavalent zählt. Auf das Thema angesprochen, erklärt Gavi, Verwaltungsratsmitglieder würden potenzielle Interessenskonflikte jährlich offenlegen und sich bei möglichen Interessenskonflikten aus sämtlichen Beratungen und Entscheidungen zurückziehen. […]

Für Gates und seine Stiftung dürfte die Nähe zur Industrie nicht anrüchig, sondern eher erstrebenswert sein. […] Bei Gavi sind Unternehmen bewusst Partner, wie aus der eigenen Webseite hervorgeht. Dort ist von gebündelten Kräften die Rede, die "von der wissenschaftlichen Expertise der WHO, dem Beschaffungssystem von Unicef über das finanzielle Know-how der Weltbank bis hin zur Marktkenntnis der Impfindustrie" reichten. Die Sprecherin der Gates-Stiftung erklärt, durch die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft sei es gelungen, den Preis für viele Medikamente zu senken, die für Menschen in ärmeren Ländern zu teuer gewesen seien. Bei HIV-Medikamenten habe man eine Reduktion um 99 Prozent erreicht.

Gates-Gegner weisen darauf hin, dass das Stiftungsvermögen zum Teil in Aktien von Unternehmen steckt, die wiederum von Projekten der Stiftung profitieren. So besaß die Stiftung zeitweise Aktien der Pharmakonzerne Merck und Eli Lilly, wie aus Dokumenten der Börsenaufsicht SEC hervorgeht. Über ihre Beteiligung an Berkshire Hathaway hält sie weiterhin indirekt Anteile an Sanofi. Der Stiftung zufolge sei das Anlagevermögen von den Kernzielen jedoch strikt getrennt. Die Vermögensverwaltung sei auf die Maximierung des Spendenkapitals ausgerichtet. […]
Auch wenn es im Einzelfall gut und ehrenwert sei, was Einzelpersonen oder Unternehmen mit ihrem Geld tun: "Es gibt keine öffentliche Debatte über die Vergabe dieser Mittel", sagt Jeremy Youde, Dozent an der University Minnesota Duluth. Und das bleibt das Problem des Wohltätigkeitskapitalismus: Er legt Entscheidungen über das Wohl und Wehe der Menschheit in die Hände einiger weniger Geldgeber mit individuellen Vorstellungen. Die Bill & Melinda Gates-Stiftung schuldet niemandem Rechenschaft.

Heike Buchter, "Bill Gates: Der Weltgesundheitsapostel", in: DIE ZEIT Nr. 44 vom 23. Oktober 2014, Mitarbeit: Jan Roß

Bilanz der neuen Governanceformen


Wie sind diese neuen Formen von Global Governance zu bewerten, wenn man Kriterien anlegt wie Wirksamkeit einerseits und Transparenz, Inklusivität und Verantwortlichkeit andererseits?

Neue Governance-Formen gelten als schneller erreichbar und flexibler gestaltbar – und daher auch als wirksamer. Tatsächlich sind sie aber nur begrenzt effektiv. Clubs mangelt es an repräsentativer Legitimität, die durch das Versprechen auf größere Effektivität aufgewogen werden soll. Tatsächlich erwiesen sich die G 20 im Verlauf der Schuldenkrise ab 2008 zunächst als handlungsfähig. So konnten sie sich schnell darauf einigen, die Regeln für die Eigenkapitalbildung von Banken zu verschärfen, um Pleiten künftig unwahrscheinlicher werden zu lassen. Mit nachlassendem Problemdruck traten die Interessenunterschiede zwischen den Clubmitgliedern jedoch wieder in den Vordergrund, zum Beispiel zwischen exportstarken Ländern wie Deutschland und China und importorientierten Staaten wie den USA und Frankreich. Gemeinsame Lösungen werden dadurch schwerer.

Transnationale Elitennetzwerke vertreten zwar viele, aber längst nicht alle Interessen und Werte auf globaler Ebene. Schon aufgrund der Zusammensetzung der Teilnehmenden ist Davos weit davon entfernt, ein Ort demokratischer Konsensbildung zu sein. Obgleich dort längst nicht mehr nur über Wirtschaftsfragen diskutiert wird, sind ökonomische Interessen durch die überdurchschnittliche Teilnahme von Wirtschaftsakteuren deutlich überrepräsentiert. Diese nutzen Davos, um politische Entscheidungsträger zu beeinflussen, was Akteuren aus der Zivilgesellschaft nicht möglich ist. Da die von Elitennetzwerken ausgeübte Governance nochmals weicher oder informeller ist als die der Staatenclubs, ist sie auch nochmals schwerer demokratisch zu kontrollieren.

Die Erfolge der freiwilligen Vorreiterinitiativen fallen unterschiedlich aus. Ein Großteil startet mit guten Absichten, scheitert jedoch an Interessenkonflikten oder Problemen der Umsetzung. Andere Initiativen sind durchaus erfolgreich, oft bleibt jedoch ihre Reichweite und Durchschlagskraft begrenzt. Nur selten etwa erreichen zertifizierte Produkte bislang den Massenmarkt.

Auch das Ausmaß an Inklusivität ist höchst unterschiedlich. Vor allem bei der Formulierung freiwilliger Standards gibt es Bemühungen, alle betroffenen Interessen einzubinden. So sind beispielsweise beim FSC sowohl Wirtschafts- und Umweltschutzinteressen als auch Gewerkschaften und indigene Völker in drei Kammern vertreten; einem Beschluss muss jede Kammer zustimmen. Auf diesem Wege soll dem im Konsens verabschiedeten Standard eine hohe Legitimität verschafft werden, um so die Chancen auf eine spätere freiwillige Regeleinhaltung zu erhöhen. Oft werden jedoch kleinere Unternehmen und lokale Produzenten nicht in die Entwicklung der Standards eingebunden.

Grundsätzlich bringt eine Zertifizierung einen Gewinn an Transparenz über die Liefer- und Wertschöpfungsketten in globalisierten Produktionsprozessen mit sich. Gleichzeitig wird den neuen Formen von Governance insgesamt vorgeworfen, zu Fragmentierung und Intransparenz beizutragen. Von einigen werden sie als "Feigenblatt" und Alibiaktivitäten kritisiert, da sie die systemimmanenten Probleme der Globalisierung, der gewinnorientierten kapitalistischen Produktionsbedingungen und der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen nicht grundlegend zu ändern vermögen.

Rechenschaftspflichtig sind die Clubs, Netzwerke und freiwilligen Initiativen meistens nur ihren eigenen Mitgliedern. Eine begleitende externe Überprüfung (Monitoring), deren Ergebnisse öffentlich gemacht werden, ist eher selten, obwohl die Forschung eine unabhängige systematische Erfolgskontrolle für entscheidend hält. Die UN wollen zukünftig die bei ihnen registrierten freiwilligen Initiativen und Partnerschaften dazu einladen, sich an einem Überprüfungsverfahren zu beteiligen und mindestens alle zwei Jahre über Ihre Aktivitäten Bericht zu erstatten.

Diese Art des Zusammenspiels alter und neuer Formen in einem Gesamtarrangement von Global Governance wird zukünftig an Bedeutung gewinnen. Komplexe Herausforderungen in einer globalisierten Welt benötigen angemessene Lösungen, die daher unter Umständen ebenfalls komplex ausfallen müssen. Die UN bieten sich hier an, nicht nur ihre Autorität und Legitimität einzubringen, sondern auch eine koordinierende Rolle zu übernehmen und gezielt die Zusammenarbeit mit neuen Akteuren und den von ihnen erarbeiteten neuen Formen von Governance zu gestalten. Allerdings sind die UN aktuell dafür weder gut aufgestellt, noch haben sie die volle Unterstützung aller Mitgliedstaaten für den Ausbau derartiger Kompetenzen. Gerade weil die Bilanz der neuen Governance-Formen bislang eher gemischt ist, ist eine solche Einbettung jedoch unerlässlich, wenn Global Governance insgesamt effektiver und legitimer werden soll.

Dr. Marianne Beisheim ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind multilaterale Verhandlungen bei der UNO, Initiativen zivilgesellschaftlicher und wirtschaftlicher Akteure und Partnerschaften im Bereich der globalen Nachhaltigkeitspolitik.
Kontakt: E-Mail Link: marianne.beisheim@swp-berlin.org

Dr. Lars Brozus ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU-Außenbeziehungen der SWP. Seine Arbeitsschwerpunkte sind u. a. Globalisierung/Global Governance, UNO und Clubgovernance. Kontakt: E-Mail Link: lars.brozus@swp-berlin.org