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Was ist eine Kommune? Zur Bedeutung von Kommunalpolitik heute | Kommunalpolitik | bpb.de

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Was ist eine Kommune? Zur Bedeutung von Kommunalpolitik heute

Elena Frank Ralf Vandamme

/ 11 Minuten zu lesen

Die Kommunalpolitik in Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Die Schwierig keiten sind für jede Gemeinde verschieden, trotzdem haben Kommunen noch immer viele Möglichkeiten, das direkte Lebensumfeld der Menschen zu gestalten.

Kommunen sind die kleinsten politischen Verwaltungseinheiten in Deutschland. Getragen werden sie von ihren Bewohnerinnen und Bewohnern. Stadtfest in Eisenhütten stadt, mit ca. 30 000 Einwohnern gemäß Einteilung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) eine kleine Mittelstadt (© picture-alliance/dpa)

Der Begriff "Kommune" ruft vielfältige Assoziationen hervor. Sie reichen von der politischen Gemeinde bis zur Hippiewohngemeinschaft. "Gemeinde" ist die wörtliche Übersetzung von "Kommune" und betont das Gemeinsame, Gemeinschaftliche. Und genau das kennzeichnete vor der Industrialisierung die Dörfer und Städte in Deutschland: Sie waren politische Gemeinschaften, die sich bemühten, möglichst große Unabhängigkeit von Adel und König zu erhalten, ohne deren Schutz zu verlieren.

Zugleich waren die Menschen in den Gemeinden ökonomisch stark aufeinander angewiesen, etwa in der Organisation der handwerklichen Produktion, aber auch im Erhalt der gemeinschaftlichen Güter wie Wege, Mauern oder Brunnen. Dabei galten strenge Regeln, und es wurden harte Strafen vollzogen, wenn beispielsweise jemand mehr produzierte, als erlaubt war, oder wenn jemand seinen Brunnen nicht sauber hielt und so die Gesundheit der Gemeinschaft gefährdete.

Dieser enge Zusammenhang besteht so heute nicht mehr; Nachbarschaften sind keine lebenslänglichen Schicksalsgemeinschaften mehr, sondern zeitlich begrenzt. Viele Menschen wechseln ihren Wohnort häufig, manche haben ständig zwei Wohnorte, einen zum Wohnen, einen zum Arbeiten oder Studieren.

Vor diesem Hintergrund hat Kommunalpolitik einen schweren Stand. Warum soll man sich für die Kommune interessieren, in der man gerade mehr oder weniger zufällig für eine nicht bestimmbare Zeit seinen Wohnsitz hat? Diese defizitäre Wahrnehmung wird dadurch noch verstärkt, dass Kommunalpolitik sich meist sozusagen unter dem Radar der Medienberichterstattung hindurchbewegt. Kommunalpolitische Ereignisse betreffen jeweils nur einen eingeschränkten Personenkreis und sind in der Regel nicht so spektakulär wie bundespolitische oder internationale Themen. In der Folge haben viele Lokalzeitungen schließen müssen. Die Lokalteile der überregionalen Zeitungen bilden meist nur einen kleinen Ausschnitt der örtlichen Ereignisse ab, von Radio und TV ganz zu schweigen.

Gegen diesen Trend der Konzentration auf überregionale Berichterstattung gibt es in manchen Regionen Gegenbewegungen. Dazu zählen lokale Radio- und TV-Sender; manche Kommunen publizieren auch eigene Nachrichten im Stile eines "Amtsblattes", in dem sie die zentralen politischen Neuerungen verkünden. Daneben gibt es vereinzelt Initiativen, die etwa die Sitzungen der politischen Gremien im Internet live übertragen. Wie diese das Informationsdefizit dauerhaft und qualitätsvoll mindern können, ist noch nicht absehbar.

Ganz im Gegensatz zu ihrer öffentlichen Wahrnehmung hat Kommunalpolitik eine immense Bedeutung für die konkrete Gestaltung unseres Umfeldes. Es sind die Kommunen, die die Infrastruktur für Arbeit und Freizeit organisieren oder in eigener Regie bereitstellen, vom Stromanschluss und sicheren Verkehrswegen bis hin zu Abwasser- und Müllentsorgung ("Kommunale Daseinsvorsorge"). Sie gestalten Bildungsangebote, betreiben Museen und schaffen öffentliche Räume wie Plätze oder Flussufer, an denen wir uns mit anderen treffen können, ohne dies, wie in Bars oder Cafés, zwangsläufig mit der Konsumtion von Getränken bezahlen zu müssen.

Alle technischen und sozialen Neuerungen müssen von den Verantwortlichen in den Kommunen gemanagt werden; für E-Bikes sind Ladestationen bereitzustellen, für Smartphones offenes W-LAN, für generationenübergreifende Wohnprojekte Grundstücke und Infrastruktur, für Unternehmen schnelles Internet, auch in strukturschwachen Regionen.

Soziale Bewegungen finden, wenn sie sich nicht vollständig im virtuellen Raum abspielen, in der Gemeinde oder im Quartier statt, politisch motivierte Veränderungen können hier ausprobiert werden, wie etwa die Geschichte der Energiewerke Schönau zeigt. Das Schwarzwaldstädtchen mit 2400 Einwohnern hatte unter dem Eindruck der Atomkraftwerkkatastrophe von Tschernobyl zunächst sich selbst mit ökologischem Strom versorgt und exportiert diesen nun auch an auswärtige Kunden.

Zentralistisch organisierte Staaten neigen zu Großprojekten, die wenig Rücksicht auf die Bevölkerung vor Ort nehmen. Föderale Strukturen sind gezwungen, dezentrale Lösungen zu finden. Dass Deutschland eine Vorreiterrolle in der Energiewende einnimmt, ist kein Zufall, sondern auch den starken Kommunen geschuldet, die unter anderem in eigene Energiegewinnung investiert hatten und daher nach der Kernschmelze in Fukushima für den Atomausstieg eingetreten sind.

Kommunalpolitik wirkt also keineswegs nur im begrenzten Radius der Kommune, sondern weit darüber hinaus. Umgekehrt ist daran zu erinnern, dass Bund und Länder bei fast allen Gesetzen, die sie beschließen, darauf angewiesen sind, dass die Kommunen diese umsetzen. Ob Kinderbetreuung, Pflege, Integration usw. – fast immer sind es die Kommunen, die Räume bereitstellen, Personal ausbilden und einstellen müssen oder dies an freie Träger delegieren, ohne dabei die Letztverantwortung vollständig abgeben zu dürfen.

Verwaltungsgliederung in Deutschland (© Deutscher Städtetag Berlin, Bereich Statistik Externer Link: www.staedtetag.de/fachinformationen/statistik)

"Kommune" ist, so könnte die Antwort auf die eingangs gestellte Frage lauten, die Möglichkeit, das eigene Lebensumfeld in den verschiedenen Handlungsfeldern der Kommunalpolitik zu gestalten – als aktiver Bürger, als gewählter Repräsentant in der Politik bzw. Gemeindevertretung oder als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter der Verwaltung. Noch finden sich genügend Personen, die diese Form der kommunalen Selbstverwaltung am Leben erhalten und damit dazu beitragen, dass Kommunalpolitik in Deutschland weitgehend als eine eigenständige politische Sphäre mit weitreichenden Mitbestimmungsrechten wahrgenommen wird und sich damit stark von Kommunalpolitik in zentralistischen Staaten unterscheidet. Dies wird unter anderem an den Kommunalwahlen deutlich, die dort häufig dazu genutzt werden, der Regierung einen "Denkzettel" zu verpassen, während sie sich in Deutschland – vor allem in kleineren Kommunen – zumeist an lokalpolitischen Fragestellungen orientieren. Doch das Gleichgewicht von Bürgerschaft, Politik und Verwaltung ist gefährdet, wenn sich zu wenig Menschen aus allen sozialen Gruppen für ihr Lebensumfeld einsetzen. Die nachfolgenden Ausführungen wollen daher nicht nur die Funktionsweise dieses Dreiecks erläutern, sondern auch dessen Verletzlichkeit aufzeigen.

Global City oder sterbende Kulisse? Kommunale Lagen

Stadt ist nicht gleich Stadt, "Land" nicht gleich "Land" und infolgedessen Kommunalpolitik nicht gleich Kommunalpolitik. Die Rahmenbedingungen für die Führung einer Kommune sind in Deutschland höchst unterschiedlich, sodass die vom Grundgesetz vorgesehene Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse (Artikel 72 Absatz 2 GG) in der Realität schwer durchzusetzen ist. Die Versorgung etwa mit Schulen, Krankenhäusern, Schwimmbädern, Bibliotheken, Kindergartenplätzen, aber auch mit Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowie kulturellen Angeboten ist in boomenden Regionen deutlich besser als in schrumpfenden. Dies macht sie zusätzlich attraktiv für den Zuzug vieler Bevölkerungsgruppen und stellt Kommunalpolitik vor völlig unterschiedliche Herausforderungen.

Dies gilt, obwohl sich paradoxerweise die Lebensformen in Stadt und "Land" in vieler Hinsicht angleichen: Durch das Internet sind heute viele Berufstätigkeiten räumlich ungebunden. Ob eine Übersetzung oder ein Gutachten in einem städtischen Büro erstellt werden oder in einem Wohnzimmer auf dem Lande, macht qualitativ keinen Unterschied. Einige Berufstätigkeiten werden nur noch über das Internet vermittelt (cloud-working).

Dadurch ist die Ausübung von Berufen, die früher an städtische Räume gebunden waren, heute auch auf dem Land möglich. Dabei geben die Betroffenen in der Regel bestimmte städtische Verhaltensweisen – wie etwa hohen Konsum, wenig Selbstversorgung, geringe Vorratshaltung – nicht auf. Durch die Globalisierung und die Konzentration des Handels sind gleiche oder ähnliche Waren überall verfügbar. Bestehende Versorgungslücken werden durch Bestellungen über das Internet geschlossen.

Städte dehnen sich aus, gemeinden dabei ehemalige Dörfer ein und überformen diese. In den neuen Stadtteilen existieren dann oftmals städtische und ländliche Merkmale nebeneinander, also neben historischen Ortskernen anonyme Wohnblocks. Umgekehrt ziehen auch ländliche Aspekte in die Stadt: Im Rahmen von Urban Gardening brechen interessierte Anwohnerinnen und Anwohner versiegelte oder ungenutzte Flächen auf und gärtnern dort fortan öffentlich.

Wildtiere kehren in die Städte zurück. Im Sommer 2016 fütterten Badegäste über Wochen liebevoll einen Fuchs, der sich in ein Berliner Schwimmbad verlaufen hatte, bis ihn schließlich Jäger zur Strecke brachten. Auch Wildschweine und Waschbären entdecken zunehmend städtische Grünzüge und Mülltonnen als ihr Territorium. Imker produzieren Honig in der Stadt, weil ihre Bienen dort während der gesamten Saison Blüten finden, während sie inmitten von großflächigen Monokulturen auf dem Land in Schwierigkeiten geraten.

Die Lebensformen in "Stadt" und "Land" haben sich also in mancher Hinsicht angeglichen – die Chancen einzelner Quartiere, Orte oder Regionen aber differenzieren sich immer weiter aus. Benachteiligte Quartiere sind nur sehr schwer wieder aufzuwerten, strukturschwache Regionen verlieren Einwohner und insbesondere Einwohnerinnen, denn junge Frauen sind oftmals schneller bereit, den Wohnort zu wechseln, als Männer, was die Chancen der Verbliebenen weiter reduziert. Benachteiligte Regionen verlieren Arbeitsplätze und Infrastruktur, wie Busverbindungen, Ärzte und Apotheken. Zurück bleiben häufig ältere Menschen und eine gewisse Hoffnungslosigkeit, die einen Nährboden für politische Radikalisierung bilden kann.

Boomende Regionen und Städte sind geprägt von Zuzug, Wirtschaftswachstum und einer Vielzahl kultureller Angebote, aber auch sie produzieren eigene Probleme: Durch die Überteuerung von Wohnraum in den Innenstädten – durch große Nachfrage, aber auch, weil Immobilien als Spekulationsobjekte gehandelt werden – ist es für manche Global Citys (Städte von internationaler Bedeutung) inzwischen schwer, offene Stellen in bestimmten Berufen zu besetzen, wie etwa in Kindertageseinrichtungen oder bei Rettungsdiensten. Wo sie können, zahlen finanzkräftige Städte daher höhere Löhne, doch reicht dies häufig nicht, um sich die Mieten dort leisten zu können, sodass die offenen Stellen vielfach trotzdem nicht besetzt werden können.

QuellentextSchwarmstädte und Landleben

[…] "Die Zahl der Hochschulstandorte ist mittlerweile so groß, dass kaum jemand für eine höhere Bildung seine Heimatregion verlassen müsste", heißt es in dem bemerkenswerten Report "Schwarmstädte in Deutschland", den das Berliner Forschungsinstitut Empirica Ende 2015 im Auftrag des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen erarbeitet hat.
Ein Ergebnis: Wenn den jungen Gebildeten ihre Stadt oder ihre Region nicht gefällt, wandern sie weiter, ganz gleich, wie das Bildungsangebot in der Nähe ist. Spätestens nach dem Studium zieht es sie in eine Stadt: dorthin, wo andere junge Gebildete wohnen, wo etwas los und wo es schön ist. […] [D]iese neuartige Binnenwanderung [hat] […] nichts mit der klassischen Landflucht früherer Jahre zu tun. Denn die Stadt per se ist gar nicht das Ziel. Dreißig besonders attraktive Schwarmstädte haben die Autoren der Studie herausgefiltert: München gehört dazu, Leipzig und Frankfurt, aber auch Bonn, Regensburg und Trier.
"Praktisch das ganze Ruhrgebiet" hingegen verliere Menschen an die sehr viel kleinere Stadt Münster. Die Alten schwärmen dann in andere Richtungen aus, an die Nord- und Ostseeküste, nach Garmisch, Baden-Baden, Landshut oder Weimar. […] Diese Binnenflucht ist auch deshalb so bemerkenswert, weil sie nicht mehr nur dem klassischen Muster folgt: Menschen gehen nicht mehr nur dorthin, wo es Arbeitsplätze gibt. Schlicht gesagt, das müssen sie aktuell nicht. Der Wirtschaft in Deutschland geht es gut, es gibt in der Regel genug Arbeitsplätze – auch in der Provinz. Das Wirtschaftswachstum ist in vielen Regionen sogar stärker als in den Städten. Den Schwärmern geht es gut, und sie leisten sich diese wirtschaftlich eigentlich unsinnige Wanderung. "Geldverdienen müssen" hat in der Erbengeneration an Bedeutung verloren. Natürlich bleibt es wesentlich, aber andere Ziele spielen eine stärkere Rolle. Für ein glückliches Leben etwa, was immer man darunter versteht, nehmen viele Jüngere finanzielle Einbußen in Kauf. So kommt es, dass viele Menschen heute in teuren, aber attraktiven Schwarmstädten wohnen und zum Arbeiten in die Provinz pendeln. Arbeiten in Wolfsburg, wohnen in Berlin, selbst das ist keine Seltenheit. Früher sind die Menschen vom Land in die Stadt gefahren, um zu arbeiten. Heute ist es umgekehrt. Deshalb hilft es auch nur bedingt, auf dem Land Arbeitsplätze zu schaffen, um diese Bewegung zu stoppen: "Neue Arbeitsplätze im Donnersbergkreis oder in Merseburg bringen zunächst Mainz und Leipzig zusätzliche Einwohner, nicht aber dem Donnersbergkreis oder Merseburg selbst", heißt es in dem Report. Was die Attraktivität der Schwarmstädte ausmacht, darüber herrscht Rätselraten: Letztlich zeichneten sie sich dadurch aus, dass sie eine angenehme Atmosphäre hätten. […] Schon heute ist zu sehen, dass diese Binnenwanderung teils fundamentale Veränderungen mit sich bringt. Das Leben in den Schwarmstädten wird teurer, Wohnungen werden knapp. Es ist paradox: In einem Land, dessen Bevölkerung schrumpft, gibt es in Teilen wieder Wohnungsnot. Hinzu kommt: Weil die Lebenshaltungskosten steigen, wird es auch mehr Verlierer geben in diesen Städten. Das hat gerade das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln herausgefunden: "Auch scheinbar wohlhabende Städte weisen nach der Preisbereinigung ein hohes Armutsrisiko auf." […]
Die Frage ist, wie sich die nach Glück Suchenden und gut Gebildeten aus der Provinz mit den Armen in der Stadt arrangieren und wie man diesen sozialen Sprengstoff entschärft. Viele Zuzügler würden ohnehin am liebsten in der Stadt leben, aber ihr Dorfleben behalten. Vor zwei Jahren hat das Institut für Demoskopie Allensbach festgestellt, dass der ländliche Raum für viele Deutsche "auf einer psychologischen Ebene" sogar attraktiver geworden sei. "Wo haben die Menschen ganz allgemein mehr vom Leben: auf dem Land oder in der Stadt?" Auf diese Frage antworteten 1956 noch 59 Prozent der Menschen mit Stadt. Heute sagt nur noch jeder Fünfte, in der Stadt lebten Menschen besser. Das Landleben trage noch immer Züge eines Idealbildes, in den Büchern der Stadtkinder seien Bauernhöfe abgebildet, die es seit Jahrzehnten allenfalls noch in Freilichtmuseen gebe, schreibt Autor Thomas Petersen.
"Je mehr Menschen in der Stadt leben, je weniger Kontakt sie zum tatsächlichen Landleben haben, desto mehr wird das Land zu einer Projektionsfläche ihrer Phantasien." […]
Tatsächlich ist in manchen Stadtteilen schon heute zu beobachten, wie die neuen Bewohner versuchen, ein ländliches Idyll zu erschaffen mit "Urban Gardening", Bioläden und Bouleplätzen wie in der französischen Provinz. Glaubt man den Empirica-Autoren, dann werden die meisten Maßnahmen gegen die neue Binnenwanderung scheitern. Billige Grundstücke für Familien, Lockangebote für junge Ärzte werden ein Dorf schwächen, das andere stärken und nur zu einem letztlich aussichtslosen Verteilungskampf innerhalb einer Verliererregion führen. Besser wäre es demnach, in jeder Region die Kräfte zu bündeln und ein Zentrum zu stärken. Dass damit Konflikte aufkämen, sei keine Frage. Aber eine andere Lösung dürfte es kaum geben. Die Autoren wählen einen drastischen Vergleich: "Zwei halbtote Städte werten die Region nicht auf, eine lebendige und eine tote hingegen schon."

Bernd Freytag, "Alle auf einen Haufen", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. August 2016; © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv

Kommunalpolitik muss versuchen, zu große Segregation (Entmischung) von Bevölkerungsgruppen zu verhindern, also sowohl das Entstehen von Gettos oder Slums, als auch das Entstehen von Gated Communities, von Quartieren also, in die nur eine reiche Oberschicht Zutritt hat. Denn beide Formen der Entmischung sind mit Folgekosten für die Kommunen verbunden. Weder abgehängte noch "abgehobene" Quartiere inspirieren dazu, sich aktiv in das kommunalpolitische Geschehen einzubringen und zum Beispiel ein Mandat in der Kommunalvertretung anzustreben. Ebenso ist auch das Entstehen abgehängter Regionen zu verhindern oder rückgängig zu machen. Eine Aufgabe, die die Kommunen alleine nicht bewältigen können.

QuellentextUnterschiedliche Voraussetzungen für kommunale Steuerung: Frankfurt-Frankfurt

Die Städte Frankfurt am Main und Frankfurt (Oder) haben den gleichen Namen, sind aber sehr unterschiedlich. Das hat den Kabarettisten Rainald Grebe dazu veranlasst, ein Theaterstück zu schreiben, in welchem er beide Städte beschreibt. "Ist Frankfurt noch zu retten? Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird es Frankfurt in 100 Jahren nicht mehr geben. Denn die jungen Frankfurter ziehen weg und die alten Frankfurter sterben" – heißt es über Frankfurt (Oder).

Frankfurt (Oder) ist eine traditionsreiche Stadt in Brandenburg an der polnischen Grenze. Durch die Nähe zur Hauptstadt Berlin und die Nähe zu Polen ist Frankfurt (Oder) theoretisch ein interessanter Wirtschaftsstandort. Doch die Heimatstadt des Schriftstellers Heinrich von Kleist (1777 – 1811) wurde im Zweiten Weltkrieg zur Ruinenstadt.

In der DDR wurde Frankfurt (Oder) einer der 15 Verwaltungsbezirke. Heute schrumpfen seit Jahren die Bevölkerungszahlen. Im Jahr 2000 wohnten dort 72.131 Personen, im Jahr 2014 nur noch 57.649. Besonders der Anteil junger Menschen nimmt ab. Die kreisfreie Stadt Frankfurt (Oder) hat ein Haushaltsvolumen von circa 200 Millionen Euro.

Im Gegensatz zu Frankfurt (Oder) wuchs Frankfurt am Main von 646.550 Einwohnern im Jahr 2000 auf 717.624 im Jahr 2014 an. Somit ist die kreisfreie Stadt Frankfurt am Main eine Großstadt. Ihre Größe ermöglicht und erfordert auch ein entsprechend größeres Haushaltsvolumen von circa drei Milliarden Euro (ohne Berücksichtigung der 371 Eigenbetriebe in den Bereichen Wirtschaft, Verkehr, Entsorgung, Wohnungsbau, Kultur, Freizeit und Sozialwesen).

Die größte Stadt Hessens und fünftgrößte Stadt Deutschlands ist für ihren internationalen Flughafen, das Bankenwesen und die Skyline der Hochhäuser bekannt. Viele Menschen leben dort auf engem Raum, und es werden tendenziell immer mehr. Tagsüber sind es weit über 1,5 Millionen Menschen, da viele zum Arbeiten nach Frankfurt am Main pendeln.

Trotz des Bankenwesens und des hohen Bruttoinlandsprodukts pro Erwerbstätigen sind die öffentlichen Schulden der Großstadt Frankfurt am Main viel höher als die des kleineren Frankfurt (Oder). Dieses konnte in den vergangen Jahren Schulden abbauen, während sie in Frankfurt am Main gestiegen sind.

Elena Frank

Die Städte im Zahlenvergleich

Die Stadtstaaten

In Deutschland gibt es drei Stadtstaaten: Berlin, Hamburg und Bremen. Sie sind Bundesländer und Kommunen zugleich. Das Bundesland Bremen besteht aus zwei Kommunen – der Stadt Bremen und der Stadt Bremerhaven – und ist genau genommen ein Zwei-Städte-Staat oder eigentlich ein Zwei-Städte-­Bundesland.

Der Gegensatz zum Stadtstaat ist ein Flächenland. Das ist ein Bundesland, das viele Gemeinden einschließt und von ihnen administrativ und politisch getrennt ist. Die anderen 13 Bundesländer Deutschlands sind Flächenstaaten.
Der Status als Stadtstaat hat Auswirkungen auf die Aufgabenvielfalt, die Organisationsstruktur und Entscheidungsprozesse der Kommune. Deshalb werden Stadtstaaten bei allgemeinen Erklärungen zur Kommunalpolitik oder auch bei der Statistik häufig nicht berücksichtigt. Beispielsweise wird in Berlin und Hamburg nicht zwischen dem Landes- und dem Kommunalhaushalt unterschieden, weswegen sie nicht mit anderen Kommunalhaushalten vergleichbar sind und zum Beispiel aus den Statistiken zu Kommunalfinanzen ausgeklammert werden.

Die Stadtstaaten Berlin und Hamburg sind getrennt von dem Zwei-Städte-Staat Bremen zu betrachten. Da Berlin und Hamburg gleichzeitig Land und Gemeinde sind, sind die Landesverfassungen zugleich Kommunalverfassungen. Dort werden staatliche und kommunale Tätigkeiten nicht voneinander getrennt. Die Volksvertretung, Regierung und Verwaltung nehmen somit die Aufgaben von Berlin bzw. Hamburg als Gemeinde und als Land wahr.

Der Zwei-Städte-Staat Bremen untergliedert sich in die Städte Bremen und Bremerhaven. Die größere Stadt Bremen weist stadtstaatähnliche Strukturen auf, da die Landesverfassung zugleich die Kommunalverfassung ist und darüber hinaus städtische und staatliche Organe weitgehend identisch sind. Die zweite Stadt Bremerhaven ist organisatorisch vom Land getrennt und hat auch eine eigene Kommunalverfassung.

Da Stadtstaaten Kommune und Land zugleich sind, ist für die Gesamtstadt die Landesregierung zuständig. Die Regierung besteht in den Stadtstaaten aus dem Senat, mit dem Regierenden Bürgermeister (Berlin), Ersten Bürgermeister (Hamburg) oder Bürgermeister (Bremen) als Regierungschef. Er entspricht den Ministerpräsidenten in den Flächenländern. Deshalb sitzt er auch im Bundesrat. Zu seinen Aufgaben gehört es, den Stadtstaat nach außen zu vertreten und den Vorsitz im Senat zu führen.

Gemeinsam mit seinem Regierungskollegium – dem Senat – bestimmt er die Richtlinien der Regierungspolitik des Stadtstaates.
Die Senatoren führen und beaufsichtigen die Hauptverwaltung in dem ihnen zugeteilten Geschäftsbereich. Sie sind sowohl Landesminister als auch städtische Dezernenten. Die Hauptverwaltung übernimmt Aufgaben von übergeordneter Bedeutung, welche einer einheitlichen Regelung für die Gesamtstadt bedürfen.

Stadtstaaten: ihre oberste Leitungsebene

Die Landesregierung wird vom Landesparlament gewählt, welches in den Stadtstaaten Abgeordnetenhaus (Berlin) und Bürgerschaft (Hamburg, Bremen) genannt wird. Das Abgeordnetenhaus bzw. die Bürgerschaft wird wiederum von den Bürgern gewählt und ist die Vertretung des Volkes. Sie hat folgende Aufgaben: Wahl des Regierungschefs und der Senatoren, Gesetzgebung für das jeweilige Land und Kontrolle des Senats.

Aufgrund der Zusammensetzung aus den zwei Städten Bremen und Bremerhaven wird die Landesregierung des Landes Bremen sowohl aus Mitgliedern der Bremer (68 Abgeordnete) als auch aus Mitgliedern der Bremerhavener Bürgerschaft (15 Abgeordnete) gebildet. Die Bremer Mitglieder haben eine Doppelfunktion: Sie bilden einerseits die Gemeindevertretung der Stadt Bremen, zugleich aber auch gemeinsam mit jenen aus Bremerhaven die Volksvertretung des Landes Bremen. Diese Doppelfunktion hat auch der Bürgermeister: Er ist gleichzeitig Chef der Landesregierung und Bürgermeister der Stadt Bremen.

Aufgrund ihrer Größe werden die Stadtstaaten in Bezirke (Berlin und Hamburg) und Stadt- bzw. Ortsteile (Bremen) eingeteilt. In Berlin mit etwa 3,5 Millionen Einwohnern gibt es zwölf Bezirke, sodass im Durchschnitt auf einen Bezirk 300.000 Einwohner kommen. Die durchschnittliche Einwohnerzahl der Berliner Bezirke entspricht der Einwohnerzahl von Großstädten wie Münster, Karlsruhe oder Augsburg.

In den Bezirken werden untergeordnete Verwaltungseinheiten gebildet, welche für Aufgaben und Entscheidungen vor Ort zuständig sind. Diese Dezentralisierung schafft mehr Bürgernähe. In den einzelnen Bezirken existieren kommunale Strukturen und Gremien, sie sind aber keine selbstständigen Gemeinden. Je nach der entsprechenden Verfassung gibt es Unterschiede in den einzelnen Stadtstaaten bezüglich der Aufgaben, Rechte und Pflichten der Bezirke. Während für die Gesamtstadt die Landesverfassung gilt, regelt das Bezirksverwaltungsgesetz (bzw. Ortsgesetz in Bremen) die Verwaltung in den Bezirken.

Leitung und Verwaltung in Bezirken / Stadtteilen

In jedem Bezirk gibt es eine eigene Verwaltung (Bezirksamt in Berlin und Hamburg oder Ortsamt in Bremen genannt) sowie eine eigene Vertretungskörperschaft (Bezirksverordnetenversammlung in Berlin, Bezirksversammlung in Hamburg und stadtteilbezogene Beiräte in Bremen). Die Vertretungskörperschaft wird wie das Landesparlament von den Einwohnern der entsprechenden Bezirke gewählt. Sie hat die Aufgabe, die Verwaltung in dem jeweiligen Bezirk zu kontrollieren und Maßnahmen vor Ort anzuregen. Die Bezirksverwaltung verfügt über finanzielle Mittel, die ihr von der Gesamtstadt zugeteilt werden, über welche sie in einem eingeschränkten Rahmen frei bestimmen kann. Auch wenn die Bezirksämter in den ihnen übertragenen Aufgaben frei handeln können, hat der Senat ein allgemeines Eingriffsrecht.

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands gab es immer wieder Bestrebungen, den Stadtstaat Berlin und das Bundesland Brandenburg zu fusionieren. Davon erhofften sich die Befürworter eine Stärkung des Wirtschaftsstandorts Berlin-Brandenburg und eine Kostensenkung durch die Zusammenführung der Verwaltung. Im Jahr 1996 scheiterte die Fusionierung jedoch an einem Volksentscheid, weil die Mehrheit der Brandenburger mit Nein stimmte. Sie befürchtete einen finanziellen Nachteil und zugleich eine politische Dominanz der Hauptstadt in dem dann neu entstehenden Bundesland.

So bleiben die drei genannten Städte frei und den Bundesländern gleichrangig. Sie führen damit eine lange Traditionslinie fort: Berlin als eine Rechtsnachfolgerin des Staates Preußen, Hamburg als freie Reichsstadt seit 1510, Bremen seit mindestens 1649.

Letztere erinnern gerne daran, dass sie der Hanse, einem einflussreichen Handelsverband von Städten im Nord- und Ostseeraum, angehörten. Dieser Verband wurde 1669 nach 400-jährigem Bestehen aufgelöst, 1980 aber aus Gründen der Traditionspflege wiederbelebt.

Elena Frank, Jg. 1991, Sozialarbeiterin (B.A.), studierte an der Hochschule Mannheim Soziale Arbeit mit einem Schwerpunkt auf Kommunalpolitik. Sie fasziniert, an wie vielen Stellen im Alltag der Bürgerinnen und Bürger Kommunalpolitik wirkt.

Prof. Dr. Ralf Vandamme, Jg. 1963, Politikwissenschaftler, lehrt seit 2009 an der Hochschule Mannheim mit den Schwerpunkten Kommunalpolitik, Politische Ordnung, Bürgerschaftliches Engagement und Partizipation. Zuvor war er für den Städtetag Baden-Württemberg 12 Jahre als Fachberater für Bürgerschaftliches Engagement tätig.
Kontakt: E-Mail Link: r.vandamme@hs-mannheim.de