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Annäherung an ein facettenreiches Land | Israel | bpb.de

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Annäherung an ein facettenreiches Land

Daniel Mahla

/ 3 Minuten zu lesen

2018 begeht Israel den 70. Jahrestag seiner Staatsgründung. Dies wird gefeiert, wie hier, zum 65. Jahrestag 2013 auf den Straßen Jerusalems, gibt aber auch Anlass zum Rückblick auf sieben Jahrzehnte wechselvoller Geschichte. (© Imago / UPI Photo)

Am 5. Ijjar 5708 jüdischer Zeitrechnung, dem 14. Mai 1948, rief der zionistische Politiker und spätere Ministerpräsident David Ben Gurion den jüdischen Staat aus. "Gleich allen anderen Völkern", so verkündet die von ihm verlesene Unabhängigkeitserklärung, "ist es das natürliche Recht des jüdischen Volkes, seine Geschichte unter eigener Hoheit selbst zu bestimmen."

So kurz nach der Schoah, nach der Vernichtung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland und seine Helfer, war diese Staatsgründung alles andere als selbstverständlich. Mittlerweile existiert Israel seit 70 Jahren, in denen sich seine Bürgerinnen und Bürger gegen viele widrige Umstände und feindselige Nachbarn behauptet haben. Trotz fortdauernder Kriegs- und Terrorgefahr blüht die israelische Wirtschaft, Israels wissenschaftliche Errungenschaften und Hightech-Technologien kommen weltweit zum Einsatz und israelische Kulturschaffende, wie Literaten und Musiker, erfreuen sich internationaler Beliebtheit.

Allerdings scheinen auch sieben Jahrzehnte nach der Gründung viele grundlegende Fragen des israelischen Staatswesens weiterhin offen. Israel ist aufgrund seiner Geschichte, seiner Einwohnerstruktur und seines besonderen politischen Charakters als "jüdischer Staat" und als Demokratie, aber auch wegen seiner geografischen Lage und geopolitischen Situation ein höchst facetten- wie spannungsreiches und dynamisches Land. Bereits in der frühen zionistischen Führung war umstritten, ob Israel tatsächlich ein Staat "gleich allen anderen" werden sollte, wie in der Unabhängigkeitserklärung gefordert, oder ob es nicht vielmehr ein einzigartiges Projekt darstellte. Während es etwa zahlreiche christlich oder islamisch geprägte Staaten gibt, ist Israel der einzige jüdisch geprägte Staat. Was dies aber bedeutet und wie sich der jüdische Charakter des Staates in der Praxis äußern sollte, ist unter Israelis fortdauernd umstritten.

Israel wurde auf der Grundlage des UN-Teilungsplanes von 1947 errichtet, der breite internationale Unterstützung fand. Doch bis heute ringt der Staat um Anerkennung und Legitimität. Kaum ein anderes Land steht so stark im Fokus internationaler Kritik – zahllose UN-Resolutionen sind ein Beleg dafür. Nur wenige seiner Nachbarn erkennen Israel offiziell an. Israelis selbst streiten über die Ausdehnung des eigenen Staatsgebietes. Dem Land fehlt bis heute eine klar definierte Grenze.Wie umstritten etwa der Status von Jerusalem ist, hat sich zuletzt an den Debatten um die Entscheidung des US-Präsidenten Donald Trump gezeigt, Jerusalem offiziell als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Während die Israelis jährlich die "Wiedervereinigung" der Stadt durch den Sechstagekrieg von 1967 feiern, ist Jerusalem in vielerlei Hinsicht eine geteilte Stadt und bleibt nicht zuletzt durch seine Bedeutung für die drei großen monotheistischen Weltreligionen – Judentum, Christentum und Islam – ein leidenschaftlich umkämpftes Streitobjekt.

Der Wunsch nach einem eigenen jüdischen Staat entstand nicht nur unter dem Eindruck der Ausgrenzung und Verfolgung der europäischen Juden, sondern wurde auch maßgeblich von zeitgenössischen europäischen Ideen und Vorstellungen geprägt – besonders vom modernen Nationalismus. Diese europäischen Wurzeln sind bis heute in Israel von großer Bedeutung, was sich beispielsweise im Charakter seiner politischen Institutionen niederschlägt. Nach dem Krieg von 1948 waren circa 150.000 arabische Einwohner im Gebiet des neuen Staates verblieben. Gleichzeitig nahm der Staat direkt nach seiner Gründung hunderttausende aus arabischen und nordafrikanischen Ländern vertriebene Juden auf, die ihre eigene Kultur mitbrachten. Auch andere Einwanderungsgruppen, etwa aus der ehemaligen Sowjetunion oder Äthiopien, trugen zur stetigen Veränderung der israelischen Gesellschaft bei. Solche demografischen Faktoren sowie die geografische Lage Israels im Nahen Osten prägen die israelische Gesellschaft nachhaltig. Sie wird zudem in vielen Aspekten von den USA beeinflusst, was nicht nur mit wirtschaftlichen Globalisierungsprozessen, sondern auch mit den engen Beziehungen der beiden Staaten und den Bindungen zum amerikanischen Judentum zusammenhängt.

In der Berichterstattung auswärtiger Medien dominiert thematisch nicht selten der Konflikt Israels mit seinen Nachbarn, während für die moderne israelische Gesellschaft viele weitere Faktoren und Bruchlinien bestimmend sind – etwa die Konflikte zwischen religiösen und säkularen Juden, zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen oder zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlierern. Auch die begrenzten Seiten dieses Heftes können den Staat Israel und seine vielseitige Gesellschaft nicht in aller Komplexität behandeln. Sie sollen jedoch einen ersten Eindruck vermitteln und können als Grundlage und Ausgangspunkt für eine vertiefte Beschäftigung mit Israel dienen.

Kennziffern (© IP Länderportrait Nr.2/2016, Israel, S. 3)

Dr. Daniel Mahla ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur der LMU München und Koordinator des Zentrums für Israel-Studien. Dr. Daniel Mahla hat die Koordination für dieses Heft übernommen.