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Wer Journalisten sind und wie sie arbeiten

Markus Behmer Bernd Blöbaum Dr. Wolfgang Donsbach Leif Kramp Margreth Lünenborg Maja Malik Klaus Meier Juliana Raupp Siegfried Weischenberg

/ 36 Minuten zu lesen

Medien informieren die Öffentlichkeit - auch in Krisensituationen. (© picture-alliance/AP)

Das Selbstbild der Journalisten in Deutschland

Das, was wir in Zeitungen und Zeitschriften lesen, im Radio hören, im Fernsehen oder online sehen, wird von Journalistinnenund Journalisten hergestellt. Sie entscheiden im Arbeitsalltag,welche Ereignisse öffentlich werden, wie sie dargestellt werden und welche Themen in der Berichterstattung weniger Beachtung finden. Daher wird den Journalisten große Macht und Verantwortung innerhalb der Gesellschaft zugeschrieben. Allerdings arbeiten sie nicht willkürlich oder auf sich allein gestellt. Das Mediensystem mit seinen historischen, rechtlichen, politischen und ethischen Grundlagen markiert den Rahmen ihrer Tätigkeit. In Deutschland ist dieser Rahmen etwa bestimmt durch die in der Verfassung verankerte Meinungs- und Pressefreiheit und durch die in den Landespresse- und Landesmediengesetzen sowie in den Rundfunkstaatsverträgen festgeschriebenen Regelungen, zum Beispiel zur Trennung von Redaktion und Werbung oder zu Auskunftsrechten gegenüber Behörden.

Darüber hinaus sind ethische Grundsätze institutionalisiert, etwa im Deutschen Presserat oder in den Selbstverpflichtungen der Medien. Ebenso wird die Arbeit der Journalistinnen und Journalisten in Deutschland durch die ökonomischen, organisatorischen und technischen Gegebenheiten in den Medienunternehmen und Redaktionen geprägt. Beispielsweise hängt es von der finanziellen und personellen Ausstattung einer Redaktion ab, wie viel Zeit ein Journalist für die Recherche seiner Themen hat; aus dem organisatorischen Aufbau und Ablauf einer Redaktion und ihrer technischen Ausstattung ergeben sich unterschiedliche Aufgaben und Arbeitsgebiete für Journalisten. Außerdem ist die Produktion von Medieninhalten durch professionelle Standards, Regeln und Routinen geprägt, die von den Journalisten in der Ausbildung erlernt werden, sich in der redaktionellen Sozialisation vertiefen und über die verschiedenen Medien hinweg angewendet werden.

Diese vielfältigen Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren lassen freilich Raum für Handlungen, über die einzelne Journalisten selbst entscheiden und die - innerhalb der jeweiligen Umstände - so oder auch anders ausgeführt werden könnten. Wer diese Journalisten sind, welche Merkmale und Einstellungen sie haben, wie sie sich beruflich orientieren und welche Verhaltensmuster sie entwickeln, ist daher Gegenstand der journalistischen Berufsforschung.

Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, welches Bild die Journalisten selbst von ihrer beruflichen Rolle haben. Was erwarten sie sich von ihren eigenen beruflichen Leistungen, welche Absichten und Ziele verfolgen sie bei ihrer Arbeit? Zu diesem so genannten Rollenselbstverständnis werden Journalistinnen und Journalisten von Wissenschaftlern befragt. Allerdings ist die Aussagekraft solcher Selbstbeschreibungen und Absichtserklärungen in der Forschung umstritten, denn es ist unklar, welche Bedeutung das Selbstverständnis der Journalisten in ihrer alltäglichen Arbeit hat. Man weiß nicht, inwiefern sie ihr Rollenselbstbild in der beruflichen Alltagspraxis, also beim Schreiben von Texten oder Produzieren von Sendungen, auch umsetzen können oder ob es sich eher um idealisierte Selbstbilder handelt. Zum Stellenwert des journalistischen Selbstverständnisses für die Berichterstattung finden sich verschiedene Positionen, die zwischen den folgenden gegensätzlichen Auffassungen stehen:

Auf der einen Seite steht die Annahme, dass Journalisten mit ihren Kommunikationsabsichten bereits ihre berufliche Wirklichkeit beschreiben. Nach dieser Position lässt sich von den Rollenbildern der Journalisten direkt auf die Ausübung ihres Berufs schließen. Wenn zum Beispiel ein Großteil der Politikjournalisten angibt, es sei ihnen in ihrem Beruf wichtig, aktiv die politische Tagesordnung mitzubestimmen, dann wird nach dieser Auffassung daraus gefolgert, dass die politische Berichterstattung aktiv Themen setzt und damit Einfluss auf die öffentliche Meinung oder sogar auf die Entscheidungen von politischen Akteuren nimmt.

Im Gegensatz dazu steht die Position, dass das berufliche Selbstverständnis einzelner Journalisten weitgehend bedeutungslos für ihre Berufswirklichkeit sei, weil die vielschichtigen Arbeitszusammenhänge in den Redaktionen zu wenig Raum für die Umsetzung ihrer individuellen Ziele und Absichten ließen. Wenn beispielsweise Journalisten formulieren, die Kritik und Kontrolle der Mächtigen sei ein zentrales Ziel ihrer Arbeit, lässt dies, so die Auffassung dieser Forschungsrichtung, nicht auf eine kritische Berichterstattung durch die Medien schließen, sondern wird als Selbstüberschätzung der Journalisten gedeutet.

Dazwischen findet sich die Auffassung, dass die Kenntnis journalistischer Selbstbilder aufschlussreich sein kann, wenn man ihre eingeschränkte Aussagekraft in der Interpretation berücksichtigt. Dann werden die Journalisten nicht nur nach ihren Absichten gefragt, sondern auch danach, inwiefern sie diese im beruflichen Alltag umsetzen können. Damit lässt sich erstens prüfen, inwiefern ihr Rollenbild mit ihrer Arbeitswirklichkeit übereinstimmt. Zweitens lassen sich die Rollenbilder auch als Idealvorstellungen und Normen der Journalisten lesen, also als die Wertvorstellungen, an die sie sich in Zweifelsfällen halten. Wenn beispielsweise ein Großteil der Journalisten angibt, dass die neutrale, präzise und schnelle Information ihres Publikums ein wichtiges Ziel ihrer Arbeit sei, lässt sich daraus schließen, dass die Ausgewogenheit, Korrektheit und Schnelligkeit der Berichterstattung im Zweifelsfall wichtiger ist als eine ausführliche Recherche der Hintergründe eines Themas.

Als im Jahr 2005 zuletzt eine repräsentative Stichprobe der hauptberuflichen Journalisten in Deutschland zu ihren Merkmalen und Einstellungen erhoben wurde, erhielten diejenigen Rollenbilder die größte Zustimmung, die auf Information und Vermittlung angelegt sind.

Information und Vermittlung:

Fast neun von zehn der befragten Journalisten (89 %) wollten ihr Publikum möglichst neutral und präzise informieren, acht von zehn (79 %) wollten komplexe Sachverhalte vermitteln und jeweils drei Viertel (74 %) beabsichtigten, Informationen möglichst schnell zu vermitteln sowie die Realität so abzubilden, wie sie ist. Immerhin sechs von zehn befragten Journalisten (60 %) wollten sich auf Nachrichten konzentrieren, die für ein möglichst breites Publikum interessant sind. Die Aufgabe, die Öffentlichkeit zuverlässig und schnell mit Informationen zu versorgen, gehört damit zentral zum beruflichen Selbstverständnis der Journalisten in Deutschland - auch in Ressorts und Medien mit unterhaltenden Schwerpunkten, wie beispielsweise Publikumszeitschriften und Lifestyle-Ressorts.

Kritik, Kontrolle, Engagement:

Eine weitere Dimension der journalistischen Rollenbilder umfasst einen (gesellschafts-)kritischen, politischen, anwaltschaftlichen Journalismus. Ein solchermaßen engagiertes Selbstverständnis wird insgesamt von deutlich weniger Journalisten geteilt als das Selbstbild des Informationsjournalisten. Zwar hatte 2005 gut die Hälfte der Journalisten (58 %) die Absicht, in ihrem Beruf Missstände in der Gesellschaft zu kritisieren; aber nur noch jeder Dritte (34 %) wollte normalen Leuten eine Chance geben, ihre Meinung zu Themen von öffentlichem Interesse zum Ausdruck zu bringen. Sich für die Benachteiligten in der Bevölkerung einsetzen wollten weniger als drei von zehn Journalisten (29 %); als Kontrolleur von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft (watchdog) sah sich knapp ein Viertel (24 %). Weniger als ein Siebtel der befragten Journalisten (14 %) erhob gar den Anspruch, die politische Tagesordnung zu beeinflussen und Themen auf die politische Agenda zu setzen.

Service und Unterhaltung:

Neben den "klassischen" Rollenselbstbildern, die sich auf Information und Vermittlung sowie auf Kritik, Kontrolle und Engagement beziehen, gibt es interpretative, orientierende, ratgeber- und serviceorientierte Kommunikationsabsichten. Die Dimension des Ratgeber- und Service-Journalismus fand 2005 - ähnlich wie die Merkmale eines engagierten Rollenbildes - nur mäßige Zustimmung der befragten Journalisten: Rund vier von zehn Journalisten wollten neue Trends aufzeigen und neue Ideen vermitteln, positive Ideale vermitteln, Lebenshilfe für das Publikum bieten, also als Ratgeber dienen, sowie dem Publikum Unterhaltung und Entspannung anbieten. Nur jeder Fünfte (19 %) wollte dem Publikum eigene Ansichten und Meinungen präsentieren " das Publikum soll sich mehrheitlich seine Meinung selbst bilden.

Insgesamt zeigt sich ein vielfältiges Bild von journalistischen Rollenbildern, welche sich nicht widersprechen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Im Zeitvergleich wie auch im Vergleich verschiedener Medien und Ressorts zeigen sich diese Selbstbilder der Journalisten in Deutschland relativ stabil: Wie schon in den 1990er Jahren fühlt sich die deutliche Mehrheit den Standards des Informationsjournalismus verpflichtet - und zwar auch in Medien, die dem Anschein nach primär der Unterhaltung dienen.

Die Umsetzung der einzelnen Kommunikationsabsichten in der Alltagspraxis wird von den Journalisten allerdings sehr unterschiedlich bewertet. Insgesamt können sie Selbstbilder, die im Zusammenhang mit dem Informations- und Servicejournalismus stehen, nach eigenen Angaben eher im beruflichen Alltag realisieren als kritische und kontrollierende Berufsabsichten. Dass sich diese Ziele eher selten umsetzen lassen, hat vielfältige Gründe. Vor allem setzen Kritik und Kontrolle die zeitlichen und personellen Möglichkeiten sowie redaktionelle Strukturen für investigative Recherche voraus, durch die Missstände aufgedeckt werden könnten. Diese Grundlagen für die Umsetzung von engagiertem Journalismus aber wurden im vergangenen Jahrzehnt durch ökonomische Krisen und massive Strukturveränderungen in den Redaktionen deutlich reduziert. Obwohl ein intensiv recherchierender Journalismus als demokratisch wünschenswert gilt, ist er unangenehm, weil er den Mächtigen (Politikern wie Unternehmern) auf die Finger schaut und weil er viele zeitliche und finanzielle Ressourcen benötigt. Nicht zuletzt an der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Situation des anspruchsvollen Qualitätsjournalismus lässt sich aber ablesen, wie wichtig eine Gesellschaft ihren demokratischen Anspruch nimmt. Ein zwar kostengünstiger, aber harmloser Journalismus, der gut unterhält und niemandem wehtut, mag der bequemere Weg sein für die Journalisten wie für die Gesellschaft, aber für die Entwicklung einer Demokratie ist er nicht notwendig.

QuellentextCrossmedial

Die Bilder haben nicht die Qualität, die man von seinem Sender gewöhnt ist. Aber Mark Kleber, 44, einer von acht Hörfunk-Korrespondenten des SWR im ARD-Hauptstadtbüro, lässt sich nicht beirren. Seit einigen Wochen hat er ein neues, leistungsstarkes Handy. Das hat einen Internetzugang und eine integrierte Kamera. Und Kleber nutzt beides mit viel Spaß an der Sache.
Kleber ist einer, der exemplarisch für den digitalen Wandel in klassischen Medienhäusern steht und für eine aufgeschlossene Art, mit dem Wandel umzugehen. Seine Artikulation verrät den ausgebildeten Radiosprecher, aber nur in ein Mikrofon zu reden, das wäre Kleber heute zu wenig und seinem Arbeitgeber langfristig wohl nicht genügend Leistung. Deshalb erscheinen die Bilder, die der Radiojournalist zum Beispiel auf einem Parteitag mit seinem neuen Handy schießt, im Blog der Tagesschau " und zwar noch bevor Kleber seinen Radiobeitrag für den SWR eingesprochen hat. Wenn der dann fertig ist, schaltet er die Tondokumente in einem bestimmten Computerprogramm frei. Darin können sich nicht nur die Radio-Kollegen anderer Anstalten bedienen, sondern wie selbstverständlich auch ARD-Journalisten, die für andere Medien arbeiten. Insgesamt produziert die ARD vier Medienarten in Berlin, nämlich Ton im Radio und Fernsehen, Bewegtbild im Fernsehen und Internet, Text und Standbild ebenfalls im Netz.
"Aber hier sitzt keiner morgens in der Konferenz und sagt: Das geht online, das geht ins Fernsehen", sagt Ulrich Deppendorf, Chef des Berliner ARD-Studios. Vielmehr beschließe man in einem andauernden Austausch, welche Information in welchem Format wann und wo platziert werde. "Vor zehn Jahren galt: Das muss als erstes in die Tagesschau", erinnert sich Deppendorf. "Das ist heute nicht immer so." Die ARD ist auf einem guten Weg " zumindest in Berlin ", effizient crossmedial zu arbeiten, also mehrere Mediengattungen gleichzeitig und ohne doppelte Arbeit zu bedienen. [...]
Darüber, wie sich die Qualität der journalistischen Arbeit zur Zahl der Kanäle verhält, die ein Mitarbeiter jeden Tag im Blick haben muss, lässt sich spekulieren. ARD-Studiochef Deppendorf scheint zumindest keine Angst vor medialer Überreizung zu haben. In seinem Büro kann er gleichzeitig auf sieben Bildschirme gucken. "Internet " das müssen wir machen!", ruft er, und seine Faust saust auf den Tisch. Vom alten Konkurrenzdenken zwischen den Mediengattungen hält Deppendorf wenig: "Wir bilden zusammen eine einzige Redaktion."
[...] Ein Inhalt, viele Verbreitungswege: Die Kunden sollen entscheiden, was sie wollen und woher sie es beziehen. Für Medienhäuser wie das Berliner ARD-Studio bedeutet diese Erkenntnis, dass man als Journalist zunächst Nachrichten produziert. In welchem Medium diese dann erscheinen, ist nachrangig. [...]

Johannes Boie / Katharina Riehl, "Bitte schön cross", in: Süddeutsche Zeitung vom 15. Dezember 2010

Wird der Journalismus weiblich?

"Der Journalismus wird weiblich." So titelte die Fachzeitschrift für Journalismus message im Jahr 2007. Leicht ängstlich fragte sie dabei im Untertitel: "Wenn Frauen sich durchsetzen: Ändert sich der Inhalt?"

Mit Blick auf die Fakten lässt sich tatsächlich ein deutlicher Anstieg des Frauenanteils im Berufsfeld Journalismus feststellen: Von etwa 48 000 Menschen, die 2005 in Deutschland hauptberuflich journalistisch arbeiteten, waren 37 Prozent Frauen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass Ende der 1970er Jahre etwa 17 Prozent Frauen im "Männerberuf Journalismus" ihren Platz gefunden hatten, zeigt sich hier eine beachtliche Steigerung. Das Mediensystem in Deutschland verhält sich dabei analog zu dem der USA, wo man bereits deutlich früher und intensiver den Ein- und Aufstieg von Frauen in den und innerhalb des Journalismus beobachten konnte. Während der Anteil von Frauen in der Profession fortlaufend steigt, vor allem junge, hochqualifizierte Kolleginnen via Studium, Volontariat und freie Mitarbeit in den Journalismus einsteigen, verändert sich das Bild in den höheren Etagen weiterhin nur wenig bis gar nicht.

Auf der Ebene der Chefredaktionen findet sich eine Frau neben vier Männern, 29 Prozent der Ressortleitungen und Chef vom Dienst-Positionen werden von Frauen besetzt. Schaut man sich die Medienlandschaft genauer an, so werden unangefochtene Männerdomänen sichtbar: Es sind die "alten Medien", allen voran die Tageszeitungen und Nachrichtenagenturen, in denen Frauen dramatisch unterrepräsentiert sind. Vergleichsweise gut vertreten sind Journalistinnen dagegen in Hörfunk und Fernsehen " hier insbesondere bei privat-kommerziellen Sendern " sowie in den Zeitschriften, hier vorneweg in den Frauenzeitschriften. Ganze zwei öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, rbb und WDR, werden heute von einer Intendantin geleitet. Mit Blick auf die inhaltlichen Zuständigkeiten von Frauen und Männern im Journalismus müssen ein paar Klischees beiseitegeschafft werden: In den zentralen Ressorts Aktuelles, Politik, Wirtschaft und Lokales sind Journalistinnen entsprechend ihres Anteils in der Profession vertreten. Der Aufstieg in die Chefetagen scheint ihnen dennoch weiterhin verwehrt. Eine aktuelle online-Befragung von Politikjournalistinnen und -journalisten bestätigt die Befunde erneut. Unter den Befragten sind 32 Prozent Frauen. Mit steigendem Alter nimmt ihr Anteil merklich ab; noch deutlicher fällt ihre Teilhabe bei steigender hierarchischer Position.

Journalistinnen sind im Schnitt besser ausgebildet als ihre männlichen Kollegen, verdienen trotz dieses Qualifikationsvorsprungs jedoch deutlich weniger Geld. Die Differenz beträgt insgesamt circa 700 Euro, gut 500 Euro davon allein aufgrund des Geschlechts. Was läuft falsch für hoch qualifizierte Journalistinnen?

Journalismus hat in dem, was heute als Mediengesellschaft bezeichnet wird, einen grundlegenden Funktions- und Strukturwandel durchlaufen. Die geschlossene politisch-publizistische Elite, die das Bonner "Glashaus" gekennzeichnet hat, ist in Berlin einer "Meute" gewichen, so die Fotografin Herlinde Koelbl 2001. Eine Beschreibung, die für viele Akteure in der Profession mehr als kränkend ist. Die Bezeichnung verweist auf den Verlust an privilegiertem Zugang zur Macht, der noch zu Bonner Zeiten mit dem politischen Journalismus verbunden war. Mit dieser Vermehrung der journalistischen Akteure haben sich die Zugangschancen für Frauen deutlich verbessert. Haben Frauen damit den Journalismus verändert?

Schon die Frage ist falsch gestellt, denn hier werden Ursachen und Wirkungen vermischt.

Als Erstes gilt es festzuhalten: Die Gesellschaft hat sich mit Blick auf die Arbeits- und Rollenverteilung von Männern und Frauen grundlegend verändert. Der Journalismus vollzieht diese Entwicklungen nun mit deutlicher Zeitverzögerung nach.

Zweitens: Journalismus hat sich unter ökonomischen und technologischen Vorgaben grundlegend gewandelt. Diese Prozesse der Kommerzialisierung und Digitalisierung bringen Umbrüche und Öffnungen mit sich, die vor allem Frauen den Zutritt in das Feld erleichtert haben. Journalistische Angebote entstehen kurzfristig und nachfrageorientiert. Damit wird ein Berufsfeld dynamisiert, historisch gewachsene Hierarchien verlieren an Stabilität.

Drittens: Journalismus ist vielfältiger geworden. Die Programmvervielfachung hat das unangefochtene Primat des Informationsjournalismus ins Gestern befördert " nicht immer im Selbstbild der Profession, wohl aber im redaktionellen Alltag. People-Journalismus steht neben Ratgeber-Journalismus, Auslandsberichterstattung neben PR-verdächtigen Reiseberichten, Vereinsberichterstattung neben investigativen Recherchen. Diese Vielfalt journalistischer Berichterstattungsmuster lässt sich nicht nach "weiblich" versus "männlich" sortieren. Frauen schreiben nicht per se einfühlsam, Männer recherchieren nicht qua Geschlecht knallhart. Die neue Vielfalt journalistischer Angebote wird dabei den durchaus vielfältigen Lese-, Seh- und Hörgewohnheiten gerecht. Die Forderung nach einer alltagsweltlichen Berichterstattung, die sich nicht in der Innensicht der politischen und ökonomischen Eliten verliert, ist alt " und nach wie vor zumeist uneingelöst. Eine solche Forderung ist keineswegs "weiblich", sie nimmt aber in besonderer Weise Lesebedürfnisse von Frauen ernst. Bei schrumpfenden Auflagen dürften Medienunternehmen hier künftig ihren Blick schärfen. Junge Leserinnen und Leser sind ein kostbares Gut.

QuellentextFrauen im Nachrichtenjournalismus

[...] Nach einer Untersuchung der Medienwissenschaftlerin Susanne Keil besetzten Frauen im Jahr 1999 15 Prozent der Führungspositionen bei den Öffentlich-Rechtlichen " noch zehn Jahre zuvor war es lediglich ein Prozent, sprich zwei Frauen, gewesen. Dabei ist der Vormarsch der Frauen gar nicht so verwunderlich, betrachtet man die Fakten: Circa die Hälfte aller Volontäre ist weiblich, Journalistinnen weisen häufiger ein abgeschlossenes Studium auf als Journalisten, und sie unterscheiden sich in ihrem professionellen beruflichen Selbstverständnis nicht signifikant von ihren männlichen Kollegen. Frauen bekommen bei der ARD das gleiche Gehalt wie Männer gezahlt. Betrachtet man die gesamte Medienlandschaft, sind es allerdings im Schnitt 500 Euro pro Monat weniger.
All die genannten Aspekte wirken sich bei Frauen schließlich direkt oder indirekt auf eines aus: die Familienplanung. Die aktuelle Bilanz ist ernüchternd bis erschreckend: Während die deutsche Frau noch durchschnittlich 1,4 Kinder zur Welt bringt, sind bereits 40 Prozent der Akademikerinnen kinderlos. Journalistinnen bilden das traurige Schlusslicht mit 67 Prozent. Nach Gründen gefragt, kommen Antworten wie [...]: "Familie darf man nicht haben." Oder [...]: "Die Frage hat sich für mich nie gestellt." [...]
Tatsächlich kommen heute laut Gleichstellungsbeauftragter [Sabine] Knor 96 Prozent der in Elternzeit gegangenen Mütter wieder zurück an ihren Arbeitsplatz " die meisten nach einem Jahr, zunächst in Teilzeit oder stundenweise. [...]
Früher sah das noch etwas anders aus. [Der ehemalige Wortredakteur Georg] Röschert erinnert sich an die erste Redakteurin: "Die hat das wohl zwei Jahre gemacht, und dann hat sie geheiratet " da war sie wieder weg. Das war immer so. Frauen sind verschwunden, weil sie geheiratet oder Kinder gekriegt haben." Tatsächlich seien viele mit der Familie aus dem Beruf gegangen. Manche kamen wieder und arbeiteten halbtags. "Das wurde aber doch als Einschränkung empfunden."
Eine der ersten, der damals der "Spagat" gelang, war [Helga] Kipp-Thomas. Obwohl Mutter von zwei Kindern, stieg sie auf halber Stelle wieder ein und wurde von ihrem Mann tatkräftig unterstützt. So waren selbst Spät- oder Wochenendschichten kein Problem. Und auch Eva Hermann, als Mutter heute eher in "antifeministischer Mission" unterwegs, bekam Unterstützung von allen Seiten: "Ich habe immer so ein gutes Netz gehabt, bestehend aus meinen Schwiegereltern, einem tollen Kindermädchen und nicht zuletzt dem sehr flexiblen Arbeitgeber "Tagesschau". Die Kollegen, vor allem Jan Hofer als Chefsprecher, sind mir extrem entgegengekommen und haben sich wahnsinnig bemüht." Sie ist überzeugt, dass sie damit eine glückliche Ausnahme bildet. "So gute Voraussetzungen hat wahrlich nicht jede."
Gerade im Nachrichtenjournalismus "darfst du nicht erwarten, dass auf dich Rücksicht genommen wird", sagt Kipp Thomas. Das Geschäft sei hart. Es gibt verhältnismäßig lange, unregelmäßige Arbeitszeiten im Schichtdienst. Der Job setzt ein hohes Maß an Flexibilität und Stressresistenz voraus. Das alles lässt sich meist nur schwer mit Kindern vereinbaren, wenn nicht Partner und Familie dahinterstehen.
Die Zahlen bestätigen diese Annahme: Das Verhältnis der Geschlechter kippt in der Altersgruppe der über 30-Jährigen. Ist bis dahin noch mehr als die Hälfte der deutschen Journalisten weiblich, sinkt die Anzahl der Frauen mit steigendem Alter kontinuierlich. [...]

Nea Matzen / Christian Radler (Hg.), Die Tagesschau. Zur Geschichte einer Nachrichtensendung, Konstanz 2009, S. 121 f.

Interessengruppen in der Medienlandschaft

Deutschland gilt als Land der Vereine " und der Verbände; mehr als 12 000 gibt es hierzulande, darunter rund 7000 Berufsverbände. Verbände sind Lobbygruppen: Sie vertreten "ganz offiziell" spezifische Interessen. Die größten sind die Gewerkschaften; als Zusammenschlüsse von Arbeitnehmern handeln sie zum Beispiel mit den Verbänden der Arbeitgeber Tarife aus und legen so die Lohn- und Gehaltsstrukturen fest, regeln Ausbildungsfragen und vertreten Rechte ihrer Mitglieder. Weiter koordinieren und artikulieren sie kollektive Ansichten und Ansprüche gegenüber der Öffentlichkeit.

Verbände stellen Expertenwissen bereit, suchen das Ansehen ihrer Klientel etwa durch Preisverleihungen zu stärken und bieten vielfältige Serviceangebote von Mitgliederbroschüren, -zeitschriften und Websites über Weiterbildung bis hin teilweise zu Rechtsbeihilfe, Versicherungsleistungen und Unterstützung in Krisensituationen.

In wohl allen Berufsfeldern gibt es mehr als nur einen Interessenverband " so auch im Journalismus. Die beiden bedeutendsten "Journalistengewerkschaften" sind der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju). Neben diesen beiden allgemeinen Berufsverbänden gibt es noch zahlreiche spezialisierte Interessenvertretungen wie zum Beispiel den Deutschen Fachjournalisten-Verband (DFJV), die Verbände Deutscher Sportjournalisten (VDS) oder Deutscher Medizinjournalisten (VDMJ), Vereinigungen wie die Freischreiber, die sich für die Belange freiberuflicher Journalisten einsetzen, oder das Netzwerk Recherche, dessen Anliegen vor allem die allgemeine Förderung der Recherchekultur in Deutschland ist, die Reporter ohne Grenzen, die sich als Menschenrechtsorganisation weltweit für Journalistenrechte engagieren, die als Verein organisierte Bundespressekonferenz, der rund 900 Parlamentskorrespondenten angehören, " oder auch die Jugendpresse Deutschland als Dachverband der Schüler- und Jugendzeitschriften.

QuellentextInteressenverbände im Journalismus

Deutscher Journalisten-Verband, DJV
Externer Link: http://www.djv.de : 1949 gegründete größte deutsche Journalistenvereinigung mit rund 39.000 Mitgliedern in Landesverbänden in allen 16 Bundesländern.

Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union, dju
Externer Link: www.dju.verdi.de : Die 1951 als Untergruppe der Industriegewerkschaft Druck und Papier gegründete Union gehört seit 2001 der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di an. Sie hat etwa 22.000 Mitglieder. Gemeinsam mit der Schwestergruppe "Rundfunk, Film und audiovisuelle Medien" bildet die dju die (annähernd 50.000 Mitglieder umfassende) "Fachgruppe Medien" in ver.di.

Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, BDZV
Externer Link: www.bdzv.de : Seit 1954 die Spitzenorganisation der Zeitungsverleger. In elf Landesverbänden sind insgesamt 301 Tageszeitungsverlage und 14 Wochenzeitungen mit einer Gesamtauflage von rund 19 Millionen Exemplaren Mitglieder.

Verband Deutscher Zeitschriftenverleger, VDZ
Externer Link: www.vdz.de : 1949 gegründeter Dachverband, in dessen sieben Landesverbänden rund 400 Verlage organisiert sind, die zusammen mehr als 3000 Zeitschriften aus den Bereichen Publikums-, Fach- und konfessionelle Presse herausgeben.

Verband privater Rundfunk- und Telemedien e. V., VPRT
Externer Link: http//www.vprt.de : Der 1990 gegründeten Interessensvertretung gehören rund 160 Unternehmen aus den Bereichen privater Hörfunk und Fernsehen, Mediendienste und vergleichbare Onlineangebote an.

Rudolf Stöber, "Verbände / Vereine", in: Siegfried Weischenberg / Hans J. Kleinsteuber / Bernhard Pörksen (Hg.), Handbuch Journalismus und Medien, Konstanz 2005, S. 460ff.

Pendant zu den Journalistenvereinigungen auf Arbeitgeberseite sind im Bereich der Zeitungen und Zeitschriften der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), für den privaten Rundfunk der Verband privater Rundfunk und Telemedien e. V. (VPRT). Lobbyarbeit für die Belange kostenloser Wochenblätter betreibt der Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter (BVDA).

Die beiden Presseverlegerverbände BDZV und VDZ handeln gemeinsam mit DJV und dju Tarifverträge, Sozialleistungen und Ausbildungsregelungen aus. Gemeinsam tragen die vier Organisationen auch den Deutschen Presserat, die bekannteste Selbstkontrollinstitution der deutschen Medien (siehe S. 11 f.). Verbände sind das "Salz in der Suppe" der pluralistischen Gesellschaft. Sie organisieren den Interessensaustausch, bauen staatlicher Regulierung vor " und sorgen so auch dafür, dass das Grundrecht auf Presse- und Meinungsfreiheit lebendig bleibt.

Redaktionen: früher und heute

Wer denkt, Journalismus sei ein abwechslungsreicher Beruf, der irrt zumindest in einer Hinsicht: Journalisten lieben die Routine und feste Arbeitsstrukturen. Sie lieben es, wöchentlich, täglich oder stündlich das Gleiche zu tun " je nach Erscheinungsintervall. Die Spannung des Berufs entsteht durch Themenvielfalt und Schnelligkeit: Immer wieder wird eine andere Sau durchs Dorf getrieben, aber immer auf dem gleichen Weg.

Gerade weil sich Journalisten permanent und sehr schnell auf neue Themen einlassen müssen, mögen sie es nicht, wenn ihre Redaktionsstrukturen und gewohnten Arbeitsabläufe durcheinander geraten oder verändert werden. Dennoch müssen sich erfolgreiche Redaktionen immer wieder wandeln, um die neuen technischen Möglichkeiten, die veränderten Marktbedingungen und die sich ändernde Mediennutzung produktiv und kreativ nutzen zu können.

Die Ressorts:

Die Organisation einer Redaktion richtet sich nach der publizistischen Strategie. Das Themenspektrum zum Beispiel, das eine Redaktion bearbeiten kann, wird in der horizontalen Gliederung der Redaktion fachlich verankert: den so genannten Ressorts. Ein privatwirtschaftlicher Radiosender wird seine Redaktion nach den Bereichen Musik, Unterhaltung und Nachrichten gliedern. Special-Interest-Zeitschriften spezialisieren sich auf ganz bestimmte Sachgebiete. Medien mit universellem Themenanspruch teilen die Redaktion dagegen in die klassischen Ressorts ein: Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Lokales " und ergänzend häufig Wissenschaft und Bildung, Religion oder Kinder, Jugend und Familie. Insgesamt gilt: Ressorts und thematische Zuständigkeiten von Journalisten sind die Wahrnehmungsstruktur des Journalismus. Nur Themen, die in einer Redaktion strukturell verankert sind, werden wahrgenommen.

QuellentextDer Newsroom

Beispiel: Welt-Gruppe / Berliner Morgenpost:
Im Hochhaus an der Kochstraße füllt der Newsroom fast eine ganze Etage. Hier arbeiten knapp 60 Menschen auf leuchtend roten Sesseln und an langen Tischen. Über ihnen hängt ein Dutzend Fernsehmonitore mit aktuellen Programmen. An einer Wand zeigt ein riesiges Computerdisplay im Echtbildmodus alle Zeitungsseiten, an denen gerade gearbeitet wird, sowie den aktuellen Stand der eigenen Internetseiten. Ein kleines TV-Studio mit Teleprompter, Kamera und eigener Beleuchtung ist in den Newsroom integriert. Von dort kommen die Nachrichtensendungen auf Welt Online und Morgenpost Online. Die Arbeit im Newsroom beginnt morgens um sechs Uhr und endet nachts um ein Uhr " an sieben Tagen in der Woche. Natürlich wird in Schichten gearbeitet. Arbeitsplätze sind Funktionsplätze " die Blattmacher der Morgenpost wechseln sich zum Beispiel auf ihren Stühlen und an ihren Computern ab, [...]. Im Newsroom sitzen etwa 15 Prozent der Redaktion. Es sind vor allem die oberen Ränge der Hierarchie: Chefredakteure, Stellvertreter, Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretende Ressortleiter, verantwortliche Redakteure. Hinzu kommen Produktionsredakteure aus den Ressorts, die im Rotationsverfahren arbeiten: Alle Textredakteure und Autoren nehmen reihum eine bestimmte Zahl von Produktionsdiensten pro Monat wahr. Das verteilt die anfallende Arbeit [...]. Alle anderen Journalisten arbeiten an eigenen Schreibtischen und mit vielen ruhigen Schreibzimmern, in die sie sich zum Konzentrieren und vertraulichen Telefonieren zurückziehen können. [...]
Unerlässlich [im Newsroom] sind Bildredaktion, Layout, Infografik " zumindest mit Kopfstationen, wenn nicht alle hineinpassen.
[...] Gleich mehrmals täglich kommen Vertreter aller "Gewerke" zu Ad-hoc-Konferenzen zusammen: Die Fotolage wird gesichtet, weiteres Material bestimmt, [...] die Videoredakteure berichten vom eingehenden Material und bemühen sich um die Rechte an einer Sequenz, [...].
Selbstverständlich sitzen alle Onliner mit im Newsroom; sie arbeiten nicht in einem eigenen Raum, sondern sind ein zentraler Bestandteil der Redaktion, [...].
Der Wahlspruch "Online First" bedeutet [...], dass jeder Text, der für die Zeitung geschrieben wird, sofort ins Netz kommt, sobald Redakteur und Ressortleiter im Redaktionssystem den Status "Artikel fertig" gegeben haben. Es gibt keinen zeitlichen "Schutz" für die Zeitung mehr. Leitartikel, Reportage [...], Porträt, alles wird sofort gesendet. So entstehen aus einer gemeinsamen Redaktion sehr unterschiedliche Titel: Eine überregionale Zeitung (Die Welt) kommt aus demselben Newsroom wie Deutschlands größte Qualitätszeitung am Sonntag (Welt am Sonntag), eine jüngere Tabloidausgabe (Welt Kompakt), eine schnell wachsende Nachrichtenwebsite (Welt Online), eine starke Regionalzeitung (Berliner Morgenpost) und eine [...] regionale Webseite (Morgenpost Online). Diese sechs Titel werden von drei Chefredakteuren geführt " jeder davon verantwortet zwei Titel [...].
Trotzdem bewahrt jeder Titel seine Eigenarten. Alles erscheint online, aber nur sehr wenig wird zwischen den einzelnen Zeitungen getauscht. Hier wird deutlich, dass eines der beliebtesten Vorurteile gegen den Newsroom nicht zutrifft. Es besagt, dass er Einheit schafft, wo vorher Vielfalt war. Das ist ein unbegründetes Vorurteil: Offene Marktplätze führen zwangsläufig zu Differenzierungen, weil sie Produktmerkmale transparent machen und Ähnlichkeiten schonungslos aufdecken. [...]
Noch ein weiterer Vorteil zeigt sich im Newsroom: Er führt zu schnelleren Entscheidungen. Wer den Chefredakteur sucht, braucht keinen Termin [...]. Er geht einfach durch den Raum zu ihm. [...]
Die Funktionsarbeitsplätze erleichtern die Kommunikation. Wer auf dem Amtsstuhl des Politikverantwortlichen der Welt sitzt, trifft alle einschlägigen Entscheidungen. Ein Redakteur aus dem eigenen Ressort oder ein Kollege aus der Kultur [...] geht einfach auf den bekannten Platz zu " wer dort sitzt, der ist im Dienst. Falls ein Ressortleiter einige Stunden lang ein Interview führt, vertritt ihn der Kollege auf seinem Stuhl wirksam. [...]
Seine wahre Kraft entfaltet der Newsroom durch die gegenseitige Inspiration seiner Mitarbeiter. [...] Man sieht ein gutes Foto auf dem Bildschirm der Kollegen und lernt dadurch einen Fotografen kennen, der perfekt für die geplante Gesundheitsserie ist. Man sieht die Klickzahlen auf der Internetseite und begreift, dass Irans Atomprogramm die Leser nicht langweilt, sondern fasziniert. Kurzum, man sammelt Informationen und Anregungen. Für die Arbeit eines Journalisten, zumal eines Blattmachers, gibt es nichts Wichtigeres.

Christoph Keese, in: Susanne Fengler, Sonja Kretzschmar (Hg.), Innovationen für den Journalismus, Wiesbaden 2003, S. 20 ff.

Aufgabenverteilung:

Die Aufgaben in einer Redaktion können auf zwei verschiedene Arten verteilt werden: Die Redakteure können auf Themengebiete spezialisiert sein oder auf eine Tätigkeit. Ob die Redakteure auf Tätigkeiten spezialisiert sind, hängt größtenteils von der Journalismuskultur und -tradition ab: In deutschsprachigen Zeitungsredaktionen erledigt der Redakteur überwiegend alle Tätigkeiten von Recherche, Texten und Redigieren bis zu Blattplanung und Seitenlayout; im angloamerikanischen Journalismus ist seit mehr als 100 Jahren eine funktionale Spezialisierung in reporters und editors üblich. Während die reporters recherchieren und schreiben, ist es die alleinige Aufgabe der editors, Texte zu redigieren, Schlagzeilen zu formulieren und die Produktionsabläufe zu überwachen. Inzwischen spezialisieren sich deutschsprachige Redaktionen auch immer mehr in Schreiber und Blattmacher, um Tätigkeiten zu professionalisieren und mehr Freiräume für Recherche und Themenplanung zu bekommen.

Ablauforganisation:

Der Erscheinungsrhythmus eines Mediums bestimmt wesentlich die Abläufe einer Redaktion. Zeitungsredaktionen zum Beispiel haben einen am Tag orientierten Workflow: Am Vormittag wird das einlaufende Material sortiert, in Konferenzen werden Themen besprochen und vergeben, die ersten Recherchen laufen an. Erst am Nachmittag wird geschrieben und layoutet. Die letzten Beiträge werden kurz vor Redaktionsschluss am Abend fertig.

Ganz anders müssen Online-Redaktionen ihren Workflow organisieren: Sie haben weder Redaktionsschluss noch Sendetermin; die Nutzer erwarten eine permanente Aktualisierung der Nachrichten. Größere Themen wandern von einem Texter in die Hand eines anderen: Eine neue Schicht übernimmt die Geschichte und schreibt sie aufgrund der aktuellen Lage um und weiter.

Redaktionstechnik:

Technische Innovationen verändern die Abläufe in den Redaktionen grundlegend. Ein Beispiel aus der Radioredaktion belegt dies: Früher lag ein O-Ton eines Politikers auf einem Tonband vor; das Band wurde geschnitten und geklebt. Es wurde immer mit dem Original gearbeitet, denn mit jeder Kopie hätten die Töne an Qualität verloren. Nach der Digitalisierung der Radiotechnik liegen O-Töne und Beiträge auf Servern, die für jeden Redakteur permanent über das Netzwerk erreichbar sind. Töne können beliebig oft kopiert werden. In kurzer Zeit können mehrere Versionen eines Beitrags für verschiedene Sendungen produziert werden. Redaktionssysteme bzw. Content Management-Systeme steuern heute die redaktionellen Arbeitsabläufe bei allen Medien. Während früher aus technischen Gründen strikt lineare Abläufe vorgegeben waren, werden mit digitaler Technik Abläufe, Tätigkeiten und Publikationsplattformen vernetzt.

Neue Modelle der Redaktionsorganisation:

Nicht nur technische Innovationen, auch neue gesellschaftliche und ökonomische Rahmenbedingungen zwingen Redaktionen zu Umstrukturierungen. Innovative Chefredakteure haben Ressorts neu geschnitten, architektonische und geistige Wände in der Redaktion eingerissen, Themen- und Autorenteams eingerichtet, das redaktionelle Management gestärkt oder alle Publikationsplattformen in einer crossmedialen Redaktion integriert. Crossmediale Redaktionen veröffentlichen auf mehreren Plattformen: zum Beispiel Print im "normalen Format"; Print als kompaktes Format für junge Zielgruppen; verschiedene Formate im Internet wie Text, Audio, Video; mobile Kommunikation.

Zwei neue Begriffe spielen in modernen Redaktionen eine wesentliche Rolle: Der Newsdesk ist eine Koordinations- und Produktionszentrale. Der Newsroom ist ein Großraumbüro, das architektonisch neue redaktionelle Konzepte des ressort- und medienübergreifenden Planens und Arbeitens unterstützt.

Der Umbau zur "medienkonvergenten Redaktion", die alle Publikationsplattformen vereint, ist komplex und kann über unterschiedliche Modelle erfolgen. In manchen Medienhäusern ist mit dem Newsdesk ein zentraler Arbeitsbereich gemeint, an dem ein Dutzend Redakteure verschiedener Ressorts gemeinsam produzieren und verschiedene Medien bedienen, wie beispielsweise bei der Braunschweiger Zeitung und der Rheinischen Post. Ein anderes Konzept sieht einen gemeinsamen Newsdesk für mehrere Lokalredaktionen vor wie bei der Mainpost und beim Südkurier. In anderen Redaktionen wurde ein großer gemeinsamer Newsroom für 30, 50 oder gar 100 Journalisten geschaffen (Austria Presse Agentur APA, Saarländischer Rundfunk, Frankfurter Rundschau).

Fazit: bessere Qualität, aber höherer Arbeitsdruck:

Welche Erfahrungen wurden allgemein mit diesen neuen Arbeitsstrukturen gemacht? Eine pauschale Antwort ist schwierig, weil jede Redaktion Arbeitsteilung und Arbeitsabläufe finden muss, die für sie optimal sind. Manchen gelingt das besser, anderen schlechter. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass durch neue Modelle die journalistische Qualität steigen kann und auch die Arbeitszufriedenheit der Redakteure. Andererseits kann der Arbeitsdruck größer werden: Die zeitlichen Freiräume werden enger, der persönliche Stress nimmt zu.

Wie Journalisten an Informationen kommen: Informationsquellen

Um an Informationen zu kommen, nutzen Journalisten unterschiedliche Quellen. Zu den wichtigsten journalistischen Quellen zählen die Aussagen von Informanten oder Augenzeugen, Interviews, Dokumente und offizielle Berichte. Diese Informationen erschließt sich der recherchierende Journalist selbst. Darüber hinaus stehen den Journalisten Informationen zur Verfügung, die nur zu dem Zweck angefertigt worden sind, dass sie in den Medien weiterverbreitet werden. Hierzu zählen Berichte von Korrespondenten, Meldungen von Nachrichtenagenturen, Pressemitteilungen und anderes PR-Material. Da die aktive Recherche zeitaufwändig und kostenintensiv ist, kommt den vorgefertigten Informationsquellen eine immer größere Bedeutung in der Medienberichterstattung zu.

Informationsquellen

Korrespondenten:

Die Berichte von Korrespondenten spielen in der Medienberichterstattung traditionell eine große Rolle. Korrespondenten arbeiten außerhalb einer Redaktion und berichten aus entfernten Städten, Ländern und Regionen. Nur große, überregionale Zeitungen und Zeitschriften sowie große Rundfunk- und Fernsehanstalten wie ARD und ZDF können es sich leisten, dauerhaft eigene Korrespondenten im Ausland zu beschäftigen. Das weltweite Korrespondentennetz der ARD umfasst etwa hundert festangestellte Hörfunk- und Fernsehjournalisten und ist damit eines der größten weltweit. Die Korrespondenten sind in wichtigen Hauptstädten wie Washington, Moskau, Peking und Brüssel tätig sowie in Kriegs- und Krisengebieten. Als Augenzeugen vor Ort liefern sie ihren Redaktionen Nachrichten und Hintergrundberichte aus erster Hand und recherchieren hierzu aktiv, aber sie nutzen auch die lokalen Massenmedien als Informationsquellen.

Nachrichtenagenturen:

Für die meisten Medien, die sich keine eigenen Korrespondenten leisten können, stellen die Dienste der Nachrichtenagenturen eine wichtige Informationsquelle dar. Nachrichtenagenturen verkaufen als "Nachrichtengroßhändler" ihre Meldungen an Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk- und Rundfunksender, aber auch die Politik, Unternehmen und Verbände nutzen ihre Dienste. Weltweit gibt es über 180 Nachrichtenagenturen. Zu den bekanntesten zählen Reuters, Associate Press (AP), die Agence France Press (AFP), die deutsche ddp, die Ende 2009 den deutschen AP-Ableger gekauft hat, und die dpa. Die dpa besitzt in Deutschland den größten Marktanteil: Über 95 Prozent der deutschen Tageszeitungen haben ihre Dienste abonniert. Gesellschafter der dpa sind Verleger, Verlage und Rundfunkanstalten. Neben diesen so genannten Vollagenturen gibt es Spezialagenturen, die sich auf bestimmte Themengebiete spezialisiert haben. Beispiele hierfür sind der Evangelische Pressedienst (epd), der Sport-Informations-Dienst (sid) und die auf Börsennachrichten spezialisierte Dow Jones News GmbH.

Im Prozess der Nachrichtenentstehung nehmen Nachrichtenagenturen eine Schlüsselfunktion ein. Als so genannte Gatekeeper (Schleusenwärter) entscheiden die Journalisten in den Nachrichtenagenturen darüber, welche Ereignisse sie für so bedeutend halten, dass sie darüber Meldungen verbreiten. Auch Nachrichtenagenturen stützen sich nicht nur auf Informationen aus erster Hand. Sie arbeiten häufig mit anderen Agenturen zusammen, werten andere Medienberichte aus und verbreiten Pressemitteilungen von Regierungsorganisationen, Verbänden und Unternehmen. Gerade wegen ihrer großen Bedeutung für die Verbreitung von Informationen ist die Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflichten für sie sehr wichtig. Zu den Grundsätzen einer Nachrichtenagentur gehört in der Regel politische Neutralität: Agenturmeldungen sollen so objektiv wie möglich sein. Es gibt jedoch auch Nachrichtenagenturen, die von Regierungen kontrolliert werden. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua beispielsweise ist eine Staatsagentur und dient der staatlichen Informationspolitik. Die russische Agentur ITAR-TASS ist zwar keine klassische Staatsagentur mehr, hat aber weiterhin die zentrale Aufgabe, offizielle Mitteilungen der Regierung zu verbreiten.

Pressestellen:

Pressestellen sind Abteilungen in Unternehmen, Behörden, Parteien oder Verbänden, deren Hauptzweck darin besteht, Informationen für Journalisten und Journalistinnen bereitzustellen. Viele Mitarbeiter in den Pressestellen verfügen über eine journalistische Ausbildung und journalistische Berufserfahrung. Sie schreiben Pressemitteilungen, veranstalten Pressekonferenzen und vermitteln Interviews mit Ansprechpartnern aus ihrer Organisation. Darüber hinaus wird in Pressestellen die Medienberichterstattung über die Organisation ausgewertet, und es werden Pressespiegel erstellt. Die Leitung der Pressestelle obliegt meist dem Pressesprecher, der die Organisation nach außen repräsentiert.

Obwohl Stellen für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit heute in den meisten größeren Organisationen selbstverständlich sind, unterscheiden sie sich erheblich in Ausstattung und Professionalität. Zu den großen internationalen politischen Pressestellen zählen die Pressestellen der Europäischen Union und der UNO. Die größte politische Pressestelle in Deutschland ist das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, kurz auch Bundespresseamt (BPA) genannt. Das BPA ist eine eigene Behörde mit mehreren hundert Mitarbeitenden.Zu seinen Aufgaben gehört die Information nach innen und nach außen: Das BPA informiert Journalisten und Bürger über die Aktivitäten der Bundesregierung und gleichzeitig die Bundesregierung über die Nachrichtenlage im In- und Ausland. Der Chef des Bundespresseamtes ist gleichzeitig der Sprecher der Bundesregierung und direkt der Bundeskanzlerin unterstellt. Seit 11. August 2010 ist der ehemalige Fernsehjournalist und Moderator Steffen Seibert Regierungssprecher und Leiter des BPA. Auch Kirchen, Gewerkschaften, Kultureinrichtungen, Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen wie etwa Greenpeace haben professionelle Pressestellen. Große Unternehmen gliedern ihre Pressestellen meist in Abteilungen für Unternehmenskommunikation ein; das Ziel ist es dann, die verschiedenen Formen der internen und der externen Unternehmenskommunikation aufeinander abzustimmen.

Nicht nur in Pressestellen wird Presse- und Medienarbeit geleistet, sondern auch in PR-Agenturen. Je nach Größe und Spezialisierung übernehmen PR-Agenturen verschiedene Aufgaben im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit: Sie entwickeln für ihre Kunden Kommunikationskonzepte, setzen Kampagnen um, erstellen Publikationen und produzieren Programmbausteine, die in journalistischen Sendungen ausgestrahlt werden können. Werden solche Beiträge von den Redaktionen einfach übernommen, ohne dass dabei deutlich gemacht wird, dass es sich um PR-Beiträge handelt, entsteht bei den Zuhörern und Zuschauern fälschlicherweise der Eindruck, hier handele es sich um selbstrecherchierte journalistische Berichterstattung.

Bundespressekonferenz:

Eine Sonderstellung in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit nimmt die Bundespressekonferenz (BPK) ein. Nicht, wie in vielen Ländern üblich, die Regierung, sondern ein Verein von Journalisten veranstaltet mehrmals wöchentlich Regierungspressekonferenzen mit Politikern und Sprechern der Bundesregierung. Der BPK gehören über 900 Parlamentskorrespondenten als Mitglieder an. Dadurch, dass die Journalisten selbst die Pressekonferenzen veranstalten, soll sichergestellt werden, dass keine kritischen oder unliebsamen Journalisten von der Möglichkeit ausgeschlossen werden, Fragen zu stellen. Die Mitschriften der Pressekonferenzen werden 24 Stunden später auf der Internetseite der Bundesregierung unter REGIERUNG-online eingestellt und sind somit auch für andere Journalisten und interessierte Bürger einsehbar.

QuellentextKritische Beobachtungen zur Arbeit von Auslandskorrespondenten und Kriegsreportern

[...] Der Korrespondent dient immer häufiger nur dazu, mit seinen Beiträgen Mosaiksteine für ein bereits fertig geplantes Gesamtwerk der Redaktion zu liefern. Die Entwertung der Arbeit an entfernt liegenden Schauplätzen fällt leicht, weil Informationen in den Redaktionen im Überfluss vorhanden sind. Redakteure in der Zentrale nutzen ihre Kenntnis der sogenannten Nachrichtenlage, um die Beiträge über Ereignisse in anderen Teilen der Welt immer stärker mitzugestalten oder sie gar selbst aus leicht zugängigen Berichten der Agenturen herzustellen.
Korrespondenten werden aufgefordert, für ihre Beiträge bestimmte Aufnahmen zu nutzen oder bestimmte Fakten darzulegen. Diese manchmal dominante Einflussnahme der Redaktionen hat sich schleichend entwickelt. Sie nutzen ihren Informationsvorsprung bei Katastrophen und in Krisenzeiten, um den Anpassungsdruck auf die Korrespondenten zu erhöhen. Dem standzuhalten, fällt dem Korrespondenten vor Ort immer schwerer. In Stresssituationen steht nicht mehr das Überprüfen oder Gewinnen von Erkenntnissen im Zentrum der Arbeit, sondern das Verbreiten vorgegebener Informationen. Dies kann weitreichende Konsequenzen haben. [...]
Während des Kuwait-Krieges liefen Berichte, in denen Angriffe der Amerikaner gemeldet wurden, die es gar nicht gegeben hatte. Generälen wurde eine Plattform geboten, von der aus sie Informationen verbreiten konnten, deren Ziel es war, die Gegenseite zu täuschen. Diese Beiträge wurden gesendet, ohne den Zuschauern zu erklären, wie die Militärs Journalisten im Informationskrieg zu nutzen versuchen.
Bis heute werden die Bemühungen unterschätzt, die Medien systematisch in militärischen und diplomatischen Konflikten zu instrumentalisieren. Die bedeutsamste Konsequenz aus dieser fahrlässigen Berichterstattung ist der Glaubwürdigkeitsverlust westlicher Journalisten vor allem in der arabischen Welt. Al Jazeera und andere arabische Fernsehkanäle verdanken ihm ihre großen Erfolge. [...]
Oft vertiefen die Korrespondenten mit ihrem Auftreten die Gräben noch, die in den Jahren zuvor gezogen wurden. Ihr schnelles Auftauchen " immer öfter wie das Klischee des rasenden Reporters aus der letzten Fernsehserie " erschwert einen direkten Kontakt zu Betroffenen. Oft sind die Berichterstatter nahezu gleichzeitig mit den ersten Helfern vor Ort. Wie selbstverständlich beziehen die rasenden Kollegen die ersten Notunterkünfte.
Hilfsorganisationen fördern diese Entwicklung noch, weil sie die Berichterstattung als willkommene PR nutzen. Die Opfer von Kriegen und Katastrophen spüren, dass sie Gefahr laufen, als Kulisse in einer Inszenierung missbraucht zu werden. [...] In solchen Situationen nutzen Opfer ihre Kulissenfunktion, indem sie das in ihren Augen Beste aus der Situation machen. Dann interessiert gar nicht, dass ein Wehgeschrei angestimmt wird, das der Lage nicht gerecht wird. [...]
Schusswesten verschaffen Reportern zwar das Gefühl von Sicherheit und verleihen ihrem medialen Auftreten etwas Spektakuläres. Gleichzeitig schaffen Journalisten auf diese Weise aber einen großen Teil der Gefahren, über die sie berichten. Denn in vielen Gesellschaften treten nur Soldaten mit Schusswesten auf. Kommen Journalisten als Teil der Invasoren, werden sie auch als Teil dieser Gruppe wahrgenommen.
Die Armierung wird in der Heimat als Beweis der Gefahr und des Korrespondentenmutes verkauft. Dabei schafft sie vor Ort in einigen Fällen gerade erst die Barriere, die verhindert, dass der Journalist Schutz erhält. Schusswesten und Helme gelten als Zeichen der Parteinahme. Daran kann auch die Aufschrift "Press" nur selten etwas ändern " mögen die Buchstaben auch noch so groß sein. [...]
Nur die gebotene Unabhängigkeit und der Einsatz eigener Ressourcen ermöglichen eine Berichterstattung, die die Probleme und Schwierigkeiten bei ihrer Lösung zeigt.

Ulrich Tilgner, "Schulterklopfen am Hindukusch", in: message 4/2009, S. 37ff.

Probleme im Umgang mit Quellen

Zu den journalistischen Sorgfaltspflichten gehört es, die Glaubwürdigkeit der Quelle zu überprüfen und insbesondere bei kritischen Themen mehr als eine Quelle für die Berichterstattung heranzuziehen. Welche Quellen genutzt werden, hängt von der Art der Berichterstattung ab. Geht es um so genannte breaking news, also um Nachrichten über unvorhergesehene Ereignisse, etwa Naturkatastrophen, Anschläge oder akute Krisenfälle, dann recherchieren die Journalisten aktiv und befragen Augenzeugen, Experten oder Helfer. Geht es dagegen darum, regelmäßig über die Regierung, über bestimmte Unternehmen oder über Kampagnen zu berichten, dann nutzen Journalisten vor allem Quellen der Öffentlichkeitsarbeit. Untersuchungen haben gezeigt, dass insbesondere einflussreiche politische Organisationen und große Unternehmen von dieser Praxis in den Redaktionen profitieren. Wegen ihrer Relevanz und da sie als besonders glaubwürdig gelten, werden viele PR-Informationen der Regierung und der Ministerien in die Berichterstattung übernommen. Inhaltsanalysen der Medienberichterstattung haben ergeben, dass bis zu 70 Prozent der politischen Berichterstattung auf Quellen der Öffentlichkeitsarbeit beruhen. Das ist dann problematisch, wenn bestimmte politische Organisationen von den Medien strukturell bevorzugt werden, während es anderen Organisationen nicht gelingt, mit ihren Mitteilungen in den Medien durchzudringen.

Ein weiteres Problem besteht in der mangelnden Transparenz. Gerade wenn Informationen der Öffentlichkeitsarbeit über Nachrichtenagenturen weiterverbreitet werden, geht im Verlauf der weiteren Nachrichtenverbreitung der Hinweis darauf verloren, dass die Information eigentlich aus einer Pressemitteilung stammt. Auch die Neigung von Journalisten, das Internet als zentrales Rechercheinstrument zu nutzen, kann dazu beitragen, dass PR-Mitteilungen ungefiltert in die Berichterstattung Eingang finden. Das ist dann der Fall, wenn beispielsweise aus Weblogs zitiert wird und es sich bei den Bloggern um Personen handelt, die eigentlich PR für eine Organisation oder ein Produkt machen, dies aber nicht zu erkennen geben.

Die Problematik mangelnder Recherche wird in dem Maße verstärkt, in dem sich Journalisten an dem orientieren, was ihre Kollegen schreiben und senden. Die "Selbstbezüglichkeit der Medien" kann dazu führen, dass die Medienberichterstattung ein eigenes Bild der Realität schafft, in dem nur noch wenig Raum für neue und unerwartete Erkenntnisse ist. Auch zwischen Bloggern und Journalisten besteht ein Verhältnis der wechselseitigen Orientierung: Immer häufiger werden Weblogs als Informationsquelle von Journalisten genutzt. Gleichzeitig ist die Berichterstattung in den traditionellen Massenmedien häufig ein Thema in den Weblogs. Das führt zu einem source cycle, einem Zirkel, in dem sich die Quellen wechselseitig beeinflussen, ohne dass dabei neue Erkenntnisse gewonnen werden.

QuellentextPlädoyer gegen Einflussnahme der Lobbyisten auf Medien

Die Werkzeugkiste moderner Lobbyisten beinhaltet schon lange nicht mehr nur das dicke Adressbuch, mit dem sich Hinterzimmer-Gespräche mit Politikern anbahnen lassen. Die Beeinflussung von Meinungen und Stimmungen der Bevölkerung ist zu einem zentralen Bestandteil umfassender Lobbykampagnen geworden. Die Politik wird damit indirekt über die Einflussnahme auf die Bürgerinnen als Wählerinnen unter Druck gesetzt " die dahinter stehenden Akteure und Interessen bleiben dabei gern unerkannt. Dieser Griff nach der Öffentlichkeit führt zu den Medien als Adressaten, Helfer oder Akteure von Lobbying.
Der Umgang mit sogenannten Experten ist weithin viel zu unkritisch. Als Interview-Partner oder Talkshow-Gäste werden sie dem Publikum als Quelle unabhängigen Fachwissens präsentiert. Die Frage, welche Interessen hinter diesen "Fachmeinungen" stehen, wird häufig nicht gestellt oder zumindest dem Publikum nicht transparent gemacht. [...]
Auch Studien, Umfragen und Rankings werden häufig übernommen, ohne ihren Interessenkontext offenzulegen. [...]
Die mangelnde Sensibilität gegenüber einer Vermischung von Journalismus und PR ist zum Teil Ausdruck der Finanznot vieler Medien: Insbesondere kleine Zeitungen und Sender erliegen immer wieder der Versuchung, ihre redaktionellen Teile mit von Interessengruppen vorproduzierten Beiträgen aufzufüllen. Auch Deals wie "Bericht im redaktionellen Teil gegen Schalten einer Anzeige" sind leider keine Seltenheit. Viele freie Journalisten verdienen sich angesichts magerer Zeilenhonorare ein Zubrot mit PR-Dienstleistungen; nicht selten stehen Journalisten beim Interview auch ehemaligen Kollegen gegenüber, die die Seite gewechselt haben und nun als Pressesprecher für Unternehmen oder Verbände arbeiten.
Immer wieder gehen Medien aber auch ganz offen und bewusst auf Kuschelkurs mit Lobbyakteuren " sei es in Form von Medienkooperationen oder durch die Teilnahme an den "Seitensprüngen", dem Tag der offenen Tür der Berliner Lobbyszene. [...]
Angesichts dieser Missstände ist eine kritischere Grundhaltung und ein wachsamer Umgang mit dem Verhältnis von Medien und Lobbyismus dringend geboten. [...] Gleichzeitig ist es wichtig, die Möglichkeiten zu verbessern, Lobbyeinflüsse zu durchschauen. Ein Lobbyregister, das verpflichtend erfasst, wer für wen mit wie viel Geld Lobbytätigkeiten betreibt, würde auch Journalisten die Arbeit erleichtern. Zentral ist aber, dass sich seriöser Journalismus klar dazu bekennen muss, Abstand zu Lobbyismus und PR zu halten.

Heidi Klein, "Der PR-Griff nach der Medienöffentlichkeit", in: message 3/2010 S. 46f.

Das Verhältnis von PR und Journalismus

Die Schwierigkeiten umfassender Recherche und insbesondere das Verhältnis zwischen Journalismus und PR/Öffentlichkeitsarbeit liefern immer wieder Stoff für kontroverse Diskussionen. Öffentlichkeitsarbeit ist für politische Organisationen, für Unternehmen, Verbände und Vereine in Mediengesellschaften unverzichtbar geworden: Wer mit seinen Themen nicht Aufmerksamkeit in den Massenmedien findet, wird von einer breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Dass Journalisten Themen und Mitteilungen der PR aufgreifen, gehört zum journalistischen Geschäft und ist Bestandteil der journalistischen Arbeit. Insofern ergänzen sich PR und Journalismus. Probleme entstehen dann, wenn mangelnde journalistische Sorgfalt, ökonomischer Druck in den Redaktionen, Arbeitsüberlastung und fehlende Mittel dazu führen, dass Journalisten nicht mehr selbstständig recherchieren und wenn PR-Praktiker unlautere Mittel anwenden, um ihre Themen und Botschaften in den Medien zu platzieren. Professionalität auf beiden Seiten ist deshalb eine Voraussetzung, um die Glaubwürdigkeit des Journalismus und der PR zu erhalten.

Beispiel: embedded journalists:

In kriegerischen Auseinandersetzungen und Konflikten ist der Zugang zur Information für Journalisten besonders schwer. Insbesondere bei militärischen Konflikten wird mit dem Argument der Sicherheit der Zugang zu Informationen von den militärischen Einrichtungen kontrolliert. Im Irakkrieg 2003 wurde für Journalisten, die unter dem Schutz der US-amerikanischen Einsatztruppen standen, der Begriff embedded journalists (wörtlich: eingebettete Journalisten) geprägt. Zwar konnten Journalisten auch ohne militärische Genehmigung aus dem Irak berichten (so genannte unilaterale Journalisten), doch sie standen dann unter keinem besonderen Schutz und gefährdeten ihr Leben. Das Pentagon entwickelte zu Beginn der 2000er Jahre eine Strategie der strategischen Einbindung von Journalisten, um so die Information über Militäreinsätze und den Verlauf von kriegerischen Auseinandersetzungen besser zu kontrollieren und feindlicher Propaganda etwas entgegenzusetzen. Denn das Militär hatte erkannt, dass die Berichterstattung über den Krieg sowohl in den USA als auch in anderen Ländern der Welt einen wichtigen Faktor für Akzeptanz und Unterstützung des Einsatzes darstellt.

Waren früher während eines Krieges strikte Zensurmaßnahmen verhängt worden, so stellt die Einbettung von Journalisten eine subtilere Form der Medienlenkung dar. Im Irakkrieg waren über 600 Journalisten aus den USA und anderen Ländern als embedded journalists tätig. Sie erhielten Zugang zu Militärsprechern, reisten mit den Truppen der USA und ihrer Bündnispartner durch das Einsatzgebiet und konnten über strategische Pläne und kriegerische Aktionen in einem Umfang berichten, der vorher nicht denkbar gewesen war. Allerdings mussten sie sich im Gegenzug dazu verpflichten, aus Sicherheitsgründen nicht über alles zu berichten. Das Echo der Journalisten auf die Einbettung war geteilt: Manche begrüßten die neuen Möglichkeiten der Kriegsberichterstattung, andere sahen im embedded journalism eine Beeinträchtigung der Objektivität und Freiheit der Berichterstattung.

Was Journalisten aus Informationen machen: Nachrichten und News

Medien und Journalisten entwerfen Weltbilder. Erst mittels der kontinuierlichen Nachrichtenversorgung durch die Massenmedien kann ein zusammenhängendes Bild über den Zustand eines Gemeinwesens entstehen. Der Soziologe Niklas Luhmann prägte den Sinnspruch: "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien." Aufgabe des Journalisten ist es, Informationen nach bestimmten Kriterien zusammenzutragen und sie in der Regel an ein breites Publikum zu vermitteln.

Traditionell kommt dem Journalismus die Funktion eines Schleusenwärters (gatekeepers) zu, der darüber befindet, welche Informationen veröffentlicht werden und welche nicht: Auch wenn es durch die Verbreitung des Internets immer mehr Medienangebote gibt, die nicht journalistischen Ursprungs sind und dadurch das Deutungsmonopol der Medien zunehmend an Konturen verliert, behauptet sich der Journalismus weiterhin als primäre Schnittstelle zwischen Weltgeschehen und Bevölkerung. Trotz der Popularität neuartiger Informationsquellen wie privater Blogs, des Internet-Lexikons Wikipedia oder kommerzieller Marketing- und PR-Angebote im Internet sind es nach wie vor Journalisten, die täglich in verlässlicher Kontinuität und mit handwerklichem Können bestimmen, worüber in welchem Umfang berichtet wird. Weil sie die Mächtigen in Politik und Wirtschaft kontrollieren, werden sie daher auch als unabhängige "Vierte Gewalt" im Staat bezeichnet.

Allerdings arbeiten Journalisten nicht autark. Sie sind eingebunden in ein dichtes Netz aus Abhängigkeiten und Zwängen, die beeinflussen, was gedruckt oder gesendet wird. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass zudem eine Vielzahl subjektiver Faktoren wie die Erfahrungen, persönlichen Interessen oder auch Weltanschauungen des Journalisten einen nachhaltigen Einfluss haben. Die News Bias-Forschung, die sich unter anderem mit politischen Einseitigkeiten in der Berichterstattung befasst, hat herausgefunden, dass Berichterstatter dazu neigen, sich bei der Nachrichtenauswahl nach ihrer eigenen politischen Linie zu richten und solche Informationen oder Sichtweisen zu bevorzugen, die ihr entsprechen. Diese Voreingenommenheit manifestiert sich jedoch nicht allein auf persönlicher Ebene, sondern richtet sich auch nach der Redaktion, dem jeweiligen Medium und dem Mediensystem, die allesamt auf den Journalisten einwirken. Was also von den Massenmedien als Nachrichten verbreitet wird, ist das Ergebnis eines komplexen und im Einzelnen nur schwer nachvollziehbaren Auswahl- und Produktionsprozesses.

Seit den 1960er Jahren hat die Kommunikationswissenschaft mehrere Nachrichtenfaktoren identifiziert, die im Redaktionsalltag eine Rolle spielen und in Kombination miteinander zu einer starken Relevanz des jeweiligen Ereignisses führen. Die Forschungserkenntnisse zeigen relativ deutlich, dass medienübergreifend hauptsächlich über negative Ereignisse berichtet wird, bei denen prominente Menschen oder wichtige Nationen eine Rolle spielen und zu welchen es Bildmaterial gibt. Generell wird bevorzugt thematisiert, was vom Leser, Hörer und Zuschauer besonders nachgefragt wird. Ein wichtiger Faktor ist daher auch die Nähe eines Ereignisses zum Publikum, wobei zwischen geographischer und gefühlter Nähe unterschieden wird. Während Bundestagsdebatten durch die Relevanz der Parlamentsentscheidungen für den Alltag der Mediennutzer hierzulande regelmäßig thematisiert werden, wird nur selten über das Hunger- oder Bürgerkriegsleid afrikanischer Bevölkerungsteile berichtet, weil die Schicksale für das deutsche Publikum "zu weit weg" sind, das heißt kaum Bezugspunkte bieten. Demgegenüber geht dem Publikum hierzulande die Nachricht von der Tötung eines Bundeswehrsoldaten im fernen Afghanistan wiederum sehr nah.

Die skizzierten Nachrichtenfaktoren stellen jedoch nicht mehr dar als den kleinsten gemeinsamen Nenner. Es wäre verfehlt zu glauben, dass Journalisten bei ihrer alltäglichen Arbeit bewusst auf einen Katalog von bestimmten Kriterien zurückgriffen, um ihre Auswahlentscheidungen danach auszurichten. Die Arbeit der Nachrichtenmacher lässt sich auch als konstruktives Chaos beschreiben, bei dem eine Vielzahl von internen und externen Einflussfaktoren darüber entscheidet, was schließlich als Nachricht in die Zeitung, auf die Website oder in die Sendung gelangt.

Die 22 wichtigsten Nachrichtenfaktoren in deutschen Redaktionen

Reichweite/Bedeutsamkeit; Nutzen/Erfolg; Schaden/Misserfolg; deutsche Beteiligung; räumliche Nähe; kulturelle Nähe; politische Nähe; wirtschaftliche Nähe; Überraschung; Etablierung/Bekanntheit von Themen; wirtschaftliche, politische und militärische Bedeutung der Ereignisnation; Status des Ereignisortes in Deutschland (Einwohnerzahl, Wirtschaftskraft, politische Bedeutung); Einflussmacht einer Gruppe, Institution oder Einzelpersonen; Prominenz; Personalisierung; Kontroverse; Aggression/Gewalt; Faktizität; Demonstration; bildlich festgehaltene Emotionen; Sexualität/Erotik; Visualität.

Nach: Michaela Maier / Georg Ruhrmann / Karin Stengel, Der Wert von Nachrichten im deutschen Fernsehen: Inhaltsanalyse von TV-Nachrichten im Jahr 2007, (Externer Link: PDF (ca. 1,6 MB))

Jede Nachrichtenorganisation hat ihr eigenes Profil und hält ihre Mitarbeiter dazu an, der redaktionellen Leitlinie entsprechend zu berichten. Eine wesentliche Rolle spielt dabei auch die Ausrichtung auf eine bestimmte Zielgruppe: Ein lokaler Radiosender verlässt sich bei der Nachrichtenauswahl auf andere Kriterien als die Redaktion einer bundesweit ausgestrahlten Nachrichtensendung wie die "Tagesschau". Doch unterscheiden sich auch die Bewertungsmaßstäbe von überregionalen Zeitungen zum Teil eklatant: Während publizistische Flaggschiffe wie die Süddeutsche Zeitung oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung für sachliche und umfassende Berichterstattung bekannt sind, wird ein einflussreiches Boulevardblatt wie die Bild-Zeitung dafür kritisiert, dass sie mit ihren oft reißerischen Schlagzeilen um die Gunst der Leser buhlt.

Journalismus will informieren, aber auch unterhalten, weil er ein Publikum finden muss, um seine Vermittlungsziele zu erreichen. Dies wird umso dringlicher, je mehr der Einflussbereich des Journalismus durch nicht-journalistische Informationsangebote zurückgedrängt wird. Für die klassischen Massenmedien wird es immer schwieriger, die in immer kleinere Interessengruppen zersplitterte Öffentlichkeit zu erreichen. Die Redaktionen sehen sich daher unter Zugzwang, Informationen möglichst in einer leichten, ansprechenden, oft auch oberflächlichen Form zu vermitteln. Dies führt bisweilen zu Sensationalisierungen, Boulevardisierung oder auch zu einem "Fastfood-Journalismus". Während sich der Informationsjournalismus mit seinem hohen Objektivitätsanspruch auf Fakten konzentriert und versucht, wahrheitsgetreu eine verbindliche Realität darzustellen, zielt der Unterhaltungs- oder auch der Boulevardjournalismus konsequent auf Massenattraktivität, Spektakel, Emotionen und Amüsement.

Information und Unterhaltung sind jedoch keine Gegensätze, sondern lediglich unterschiedliche journalistische Herangehensweisen, die sich durchaus ergänzen können, solange die Prinzipien Wahrhaftigkeit, Fairness und Ausgewogenheit sowie Unabhängigkeit und Überparteilichkeit eingehalten werden. Dass Informationen auch spannend und mit unterhaltsamen Elementen angereichert werden, spricht also nicht zwingend gegen das Gebot sachgerechter Berichterstattung. Spiegel Online beispielsweise ist nicht nur bekannt für aktuelle, exklusive und fundierte Berichte, sondern auch für flotte Überschriften ("Hickhack im Hitzestau", "Magie des Pinkepinke-Plans") und auflockernde Bildergalerien, deren Informationsgehalt eher nachrangig ist.

Unterhaltung kann zum besseren Verständnis beitragen, wenn sie nicht nur Aufmerksamkeit generiert, sondern beim Publikum überhaupt erst Interesse für die Nachrichteninhalte weckt. Insbesondere den Machern von Online-Medien wird aber vorgeworfen, sie würden nur allzu bereitwillig den Publikumsbedürfnissen folgen und sich dadurch zum Opfer einer um sich greifenden Boulevardisierung machen: Quote und Klicks vor Qualität. Problematisch ist, wenn schnelle Hingucker und leichte Themen ausgewogenen Analysen und tiefgreifenden Reflexionen vorgezogen werden. Der negativ belastete Begriff der Boulevardisierung geht einher mit einer Reihe von weiteren Schlagwörtern wie "Infotainment", "Politainment" oder "Emotainment", die allesamt Ausdruck einer verbreiteten Skepsis gegenüber der Unterhaltungsdominanz und der Verwässerung professioneller Nachrichtenkonventionen sind.

QuellentextEine Nachricht, zwei Artikel:

Das Wunder von Chile: Gerettet! Auf diesen Kuss ihres Mannes hat die Bergmanns-Frau 69 Tage lang gewartet! Gestern fiel sich das Paar nach mehr als zwei Monaten in die Arme. Endlich! Bis zum gestrigen Abend wurden die meisten der 33 verschütteten Bergleute in Chile aus 700 Meter Tiefe geborgen. Es war die spektakulärste Rettungsaktion aller Zeiten: In einer nur 53 Zentimeter schmalen Rettungskapsel schwebten die Kumpel von Copiapó aus ihrem Verlies in die Freiheit. Alles zum Wunder von Chile ...

Bild vom 14. Oktober 2010, S. 1

Jubel in Chile über gerettete Bergleute
Reibungsloser Beginn der Bergung nach 69 Tagen / Präsident Piñera: Ein Denkmal
COPIAPÓ, 13. Oktober. Rascher und reibungsloser als zunächst angenommen sind am Mittwoch die ersten der 33 Bergleute geborgen worden, die vor 69 Tagen nach einem Einsturz in der Mine San José nahe der nordchilenischen Stadt Copiapó eingeschlossen wurden. Die Rettungskapsel "Phönix 2" funktionierte nach Angaben der Rettungsleitung einwandfrei. Als Erster der Eingeschlossenen wurde der 31 Jahre alte Florencia Ávalos am Mittwoch um 0.10 Uhr an die Oberfläche geholt "

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Oktober 2010, S. 1

In welche Richtung ein Journalist tendiert, hängt einerseits von den Vorgaben seiner Redaktion und seinem Gestaltungsspielraum ab, der von Redaktion zu Redaktion variiert. Andererseits spielt auch das journalistische Selbstverständnis eine große Rolle: Sieht sich der Journalist als Forscher (Präzisions-Journalismus) oder eher als Analytiker (Interpretativer Journalismus)? Engagiert er sich als Advokat der allgemeinen Öffentlichkeit (Anwaltschaftlicher Journalismus) oder als Enthüller (Investigativer Journalismus)? Oder aber zeigt sich der Berichterstatter streitlustig (Thesen-Journalismus), als Ratgeber (Service-Journalismus) oder als Schriftsteller (Literarischer Journalismus)? Diese unterschiedlichen Berufsauffassungen üben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die konkreten Berichterstattungsmuster aus, die in den Nachrichten zum Einsatz kommen.

Um möglichst viele Nutzer zu erreichen, berichten Journalisten nicht nur, sondern üben sich als Meinungsmacher, Welterklärer und Kommentatoren, indem sie einordnen, erzählen und bewerten. Dazu bedienen sie sich je unterschiedlicher Vermittlungsformen und Thematisierungsstrategien. Das "Schwarzbrot des Journalismus" sind die drei Darstellungsformen Meldung, Nachricht und Bericht, mit welchen der Mediennutzer kurz, klar und kommentarlos, also ohne Meinungsäußerung des Berichterstatters, informiert wird. Die Meldung kann dabei als knapper "Küchenzuruf" verstanden werden, bei dem das Wichtigste in ein, zwei Sätzen gebündelt wird. Die etwas längere Nachricht beinhaltet die wesentlichsten Informationen (die so genannten W-Fragen), und der Bericht liefert außerdem noch zusätzliche Hintergrundinformationen zum Geschehen. Die Struktur einer Nachricht ist in Form einer Pyramide mit abnehmender Wichtigkeit aufgebaut. Die Nachricht sollte von hinten zu kürzen sein, deshalb steht an erster Stelle immer das Wichtigste. Es folgen weitere interessante Einzelheiten zum Geschehen, danach die Zusammenhänge und zuletzt etwaige weitere, aber unwesentlichere Details. Hierbei unterscheiden sich Text- und Rundfunknachrichten nicht grundlegend. Die Bedeutung einer Nachricht lässt sich darüber hinaus immer auch an gestalterischen Merkmalen ablesen: Die Größe, der Umfang, teils auch die Farbe der Überschrift, Umfang eines Textes, Länge der Fernseh- oder Radioberichterstattung, Platzierung oder Reihenfolge eines Beitrags, auch Schriftschnitt (Unterstreichungen, titel3druck) oder mündliche Präsentation einer Nachricht signalisieren, für wie wichtig die Redaktion eine Nachricht befindet.

Die W-Fragen

Folgende Fragen werden in einer Nachricht immer zuerst beantwortet:

Wer

ist beteiligt?

Was

ist konkret geschehen?

Wann

hat sich das Ereignis zugetragen?

Wo

hat es sich abgespielt?

Wie

ist es passiert/abgelaufen?

Warum

ist es dazu gekommen?

Woher

weiß der Journalist davon bzw. welche Quelle wurde zu Rate gezogen?

Im Bereich der informierenden Darstellungsformen hat sich darüber hinaus das Feature durchgesetzt, das es dem Journalisten ermöglicht, sich personalisierter und szenischer von einem speziellen Fall zum Allgemeingültigen zu bewegen. Im Unterschied zur erzählenden Form der Reportage bleiben die Akteure im Feature aber weitgehend blass und kommen als (repräsentative) Vertreter der Allgemeinheit vor. Die Reportage konzentriert sich deutlich stärker auf das sinnlich Erfahrbare. Die Allgemeinverbindlichkeit steht hier nicht im Vordergrund, sondern vielmehr die Einzigartigkeit der Momentaufnahme. Der Journalist nimmt dabei ungewöhnliche Blickwinkel ein, arbeitet also stark mit Sinneseindrücken und beschreibt seine Beobachtungen en detail. Ähnlich konzentrieren sich auch Portraits und

Interviews

eher auf erzählerische als informierende Aspekte: Primär geht es um den Zugang zum "Inneren" einer interessanten Person, die Einblick gibt in ihr Leben, ihre Meinung oder ihre Sachkenntnisse.

Mit der Glosse, dem Kommentar oder der klassischen Rezension schwingen sich Journalisten zu Orientierungsgebern, aber auch Richtern und Kritikern auf: Mit ihren meinungsorientierten Beiträgen zeigen sie dem Publikum, was hinter einem Sachverhalt steckt, indem sie sein Für und Wider diskutieren, ein klares Urteil fällen oder ihn pointiert ad absurdum führen. Als Königsdisziplin des einordnenden Journalismus gilt der Essay (von lat. "exagium" = Probe, Versuch), eine sehr persönliche und anspruchsvolle Darstellungsform, bei der Journalisten ihr ganzes stilistisches Können und ihre intellektuellen Fähigkeiten einsetzen, um einen gesellschaftlichen Trend aus möglichst vielen verschiedenen Perspektiven zu betrachten, zu beschreiben und dem Leser geistreich wie geschmeidig Denkanstöße zu geben. Durch den digitalen Medienwandel und die Popularität von Blogs zeichnet sich ab, dass nicht nur die Mediennutzer, sondern auch Journalisten die Vorzüge der persönlich eingefärbten, meinungsbetonten Berichterstattung im Internet zu schätzen wissen. Bei dieser vergleichsweise neuen Darstellungsform werden Journalisten für ihr Publikum nicht nur kenntlicher und öffnen Möglichkeiten zum Dialog, sondern sie können auch die Hintergründe ihrer Nachrichtenauswahl entsprechend transparenter machen.

Wechselbeziehungen zwischen Massenmedien, Politik und Wirtschaft

Schon immer waren die verschiedenen Bereiche einer Gesellschaft auf Kommunikation angewiesen. Händler müssen ihren potenziellen Käufern mitteilen, was sie zu bieten haben, und die Käufer wollen sich einen Überblick über den Markt verschaffen. Herrscher brauchen Medien, um sich die Loyalität durch das Volk zu sichern, und das Volk will wissen, was die Regierenden vorhaben. Was früher Marktschreier, Bänkelsänger und Herolde vollbrachten, das leisten heute die modernen Massenmedien. Aber nicht nur die Formen der Kommunikation haben sich geändert, sondern auch die Machtverhältnisse zwischen den gesellschaftlichen Bereichen. Sozialwissenschaftler nennen diese die "Subsysteme" Wirtschaft, Politik und Medien, und der Begriff, mit dem man ihr heutiges Verhältnis untereinander beschreibt, heißt "Mediatisierung".

Darunter versteht man eine Machtverschiebung zwischen diesen Subsystemen zu Gunsten der Medien und zu Lasten von Politik und Wirtschaft. Die Spielregeln der Politik und der Wirtschaft, so das Argument, würden zunehmend an die der modernen Medien, insbesondere des Fernsehens, angepasst werden. Konkret heißt das zum Beispiel für die Politik: Politisches Personal würde nach dessen Fernsehtauglichkeit ausgewählt oder Parteitage in fernsehgerechte Showereignisse umgewandelt. Kurz: Um sich Gehör zu verschaffen, würden die Parteien ihre eigene "Logik" zu Gunsten der "Medienlogik" opfern. Zudem ist in den letzten Jahren eine Diskussion darüber entbrannt, ob das Internet die Demokratie möglicherweise gänzlich revolutioniere, indem es die Willensbildung an den etablierten politischen Institutionen vorbei organisiere. Auch die Wirtschaft bleibt von diesem Machtwechsel nicht verschont. Unternehmerische Entscheidungen wie etwa der Bau einer Fabrik oder einer Versuchsstrecke auf der grünen Wiese oder die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens hängen heute mehr denn je davon ab, wie über das Unternehmen in den Medien berichtet wird. Die Folge ist, dass die Wirtschaft bei ihrem Handeln immer stärker die möglichen Reaktionen der Medien ins Kalkül ziehen muss " eine der Ursachen für die enormen Investitionen in Unternehmenskommunikation und Public Relations-Maßnahmen.

Man erklärt sich diese Machtverschiebung vor allem mit zwei Faktoren: der enormen Präsenz und Reichweite der Medien im modernen Alltag und den politischen Wirkungsabsichten von Journalisten oder Medieneigentümern. Beides zusammen führt dazu, dass die Art und Weise, wie Institutionen, Projekte, Programme und Personen in den Medien vorkommen, über deren Ansehen und damit manchmal auch über deren Schicksal entscheiden.

Die Beziehungen zwischen den gesellschaftlichen Subsystemen sind aber komplexer und stellen keine einseitige Unter- oder Überordnung dar. So kann zum Beispiel auch in Demokratien die Politik auf dem Wege über Medienpolitik und Gesetzgebung die Rahmenbedingungen für den Einfluss der Medien setzen. Das geschieht zum Beispiel über die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems neben den privaten Sendern, über Maßnahmen zur Medienordnung im Kartellrecht oder durch die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK). Auch sind die Medien für die Vermarktung ihrer eigenen Inhalte auf die Politik angewiesen. Man stelle sich zum Beispiel Zeitungsseiten und Fernsehnachrichten ohne Politik oder Talkshows ohne Politiker vor!

QuellentextWer prägt das Bild der Politik in den Medien?

Eher die Politik ...? [...] Die Tatsache, dass Nachrichten praktisch in Echtzeit elektronisch übermittelbar sind, hat Möglichkeiten und Bedingungen der Politikvermittlung [...] revolutioniert. Eine weitere wichtige Rahmenbedingung hat sich aufseiten der Presse verändert: [...] Der Konkurrenzkampf " vor allem der privaten Medien " und dies gilt für TV, Internet und Print, hat die Werthaltigkeit der Inhalte verändert.
Unter der Beachtung des nach wie vor und heute sogar oft vermehrt geltenden journalistischen Lehrsatzes "Only bad news are good news" müssen Storys und ihre Überschriften möglichst reißerisch, möglichst skandalträchtig oder exklusiv sein, um es auf die Titelseite oder die TOP-Position einer Zeitung oder einer Nachrichtensendung zu schaffen. Scheinbar sind nur dadurch Auflage und Quoten zu steigern oder zu halten. Viele Medienhäuser haben ihre Journalisten sogar dazu verpflichtet, Storys möglichst so zuzuspitzen, dass eine Vorabmeldung mit ziemlicher Sicherheit von der Konkurrenz übernommen wird, um damit kostenlose Werbung für das eigene Produkt zu machen.
[...] Dies hatte und hat gravierende Folgen für die Politik: Politiker, die diese Gesetzmäßigkeiten verstanden haben, können sehr bewusst den "Waren-Charakter", den Marktwert einer Sachäußerung einschätzen, einsetzen und damit die Nachfrage nach ihrer Position in einer bestimmten politischen Agenda bis zu einem gewissen Grade steuern.
[...] Journalisten und Redaktionen, die " noch verstärkt durch Personalabbau " diesem hier beschriebenen wirtschaftlichen Druck ausgesetzt sind, sind immer öfter versucht, vermeintliche politische Neuigkeiten ungeprüft sofort in den Äther oder ins Web zu schicken, um die Nase vorn zu haben oder nicht hinter der Konkurrenz zurückzubleiben.
Für die Politik heißt das: Selbst ein Hinterbänkler, der für die Entscheidung einer Regierungsfraktion kaum Bedeutung hat, kann mit der richtigen Zuspitzung, der möglichst krassen Einzelmeinung, einen Platz, zumindest kurzzeitig, in den Nachrichten finden. Die dann abgefragte Reaktion der Fraktionsführung oder der politischen Konkurrenz natürlich ebenso. So entsteht ein Hype, der mindestens ein paar Stunden anhält. [...]
Politisches Handeln hat in der Regel zwei mögliche Entstehungsursachen: 1. reale Probleme oder 2. strategische Ziele, und es braucht 3. Personifizierung. Die Realität: Es gibt tatsächlich Probleme, Sachverhalte, Fragen, die sofort und möglichst sachgerecht von der Politik entschieden und beantwortet werden müssen. Dies sind Agenden, die keine Inszenierung brauchen, sich meistens sogar einer Inszenierung entziehen, [...]. Die Finanzkrise z. B. war " vor allem 2008 " eine solche Wirklichkeit, wo Politik handeln musste, ohne großartige Inszenierungsmöglichkeiten oder Alternativen zu haben. [...]
Die Fiktion, die Realität werden soll! Damit haben wir es in der Regel zu tun. Basieren politische Entscheidungen doch meist auf Programmen, Plänen, Wünschen der Parteien und/oder der dort maßgeblichen Personen für die Zukunft. [...] Gerade wenn eine neue politische Idee propagiert oder eine bisherige Strategie verändert werden muss, brauchen Sie eine Person, die das glaubwürdig vermittelt. [...]
Die Positionierung von Hans Eichel [...] zum Star des ersten Kabinetts Schröder war viel zufälliger als oft unterstellt. [...] Eine Botschaft, die damals noch inszeniert werden musste, war die der Haushaltskonsolidierung. [...] Das haben wir genutzt: Seine zufällig entstandene Sparschweinsammlung auf dem Ministerschreibtisch, die für die Kameras inszenierte Fahrradfahrt mit dem Haushaltsentwurf ins Kanzleramt, seine persönliche Bescheidenheit, [...] passten ins Bild und zur damals als notwendig erkannten und nach und nach propagierten Konsolidierungspolitik.
[...] Aber [...] eine Inszenierung scheitert, wenn die Grundlage verändert wird. Als 2002/2003 die Wirtschaft und im Nachlauf die Steuereinnahmen einbrachen, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen unterfinanziert waren, [...] [war] die Konsolidierung des Haushaltes [...] Geschichte, der Finanzminister entzaubert. Person und Politik passten nicht mehr überein. [...]

Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, "Fiktion, die Realität werden soll", in: epd medien Nr. 26/27 vom 10. April 2010

... oder eher der Journalismus? [...] Der politische Journalismus steht seit Jahren vor einem ernsten Problem: Wenn das Ansehen der Politik und das Interesse an ihr immer weiter abnehmen, wie kann dann ein Journalismus überleben, der sich tagtäglich mit Politik beschäftigt? Die unausgesprochene, aber häufigste Antwort darauf lautet: Wir stellen uns an die Spitze der Politikverdrossenheit und weisen immerzu nach, dass die Politiker von niedrigen Motiven getrieben sind, süchtig nach Aufmerksamkeit, gierig nach Macht, dem Volk entfremdet, und reden können sie auch nicht. Das funktioniert [...]. Aber wie lange? Nachhaltiger Journalismus ist das jedenfalls nicht. Wenn so etwas dennoch grassiert, dann weniger aus rationalen als aus psychologischen Gründen.
Das vergangene Jahrzehnt hat den klassischen Journalismus in eine Selbstachtungskrise gestürzt. Wiederum war der Siegeszug des Internets nicht der Grund dafür, sondern nur der Anlass. Auf die Herausforderung durch das Netz reagierten die meisten Zeitungshäuser mit Umsonstjournalismus im Internet. Zudem sollten die hoch spezialisierten Schreiber alles zugleich sein, Blogger, Twitterer, Fotograf, Filmemacher " Generaldilettanten eben. Obendrein wurde der Untergang der Printmedien besungen [...]. All das trug nicht eben zur Selbstachtung unseres Berufsstandes bei. Und wer sich selbst nicht achtet, achtet auch keinen anderen, am wenigsten die Politik. [...]
Oft wird dem Journalismus [aber auch] vorgeworfen, er stecke mit der Politik unter einer Decke. [...] Dieser Vorwurf trifft schwer, weil der Journalismus aus dem Kampf gegen die Macht hervorgegangen ist (gegen diktatorische Macht allerdings). [...]
Sind Journalisten nun Teil des Systems? Sie dürfen es nicht sein, wenn damit gemeint ist, dass sie gemeinsame Kampagnen machen und einander schonen. Sie müssen es sein, wenn mit diesem System die Demokratie gemeint ist. Denn, ja, wir haben ein Interesse daran, dass der demokratische Rechtsstaat, dass Meinungsfreiheit und Pluralismus überleben, das gehört zu unserer Natur. Deswegen sollte politischer Journalismus kein gemeinsames Interesse haben " außer die Erhaltung der Reproduktionsmöglichkeiten demokratischer Politik. Konkret bedeutet das, dass wir gegen jede konkrete Politik anschreiben können, nur nicht gegen alle Politik. Dass wir die Kriterien der Kritik offenlegen müssen und diese Kriterien nicht so anlegen dürfen, dass die Politik immer nur verlieren kann.
Auf die Dauer liest sich das auch besser.

Bernd Ulrich, "Was ist bloß mit uns los?", in: Die Zeit Nr. 51 vom 16. Dezember 2010

Mindestens genauso stark sind die Medien auf die Wirtschaft angewiesen. Mit Ausnahme des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks, der sich überwiegend durch Gebühren finanziert, stellt die Wirtschaft für alle anderen Medien auf dem Weg über Werbeschaltungen (beispielsweise als gedruckte Anzeigen, Werbespots oder Bannerwerbung im Internet) eine wichtige, im Falle des privatrechtlichen Fernsehens sogar die einzige Einnahmequelle dar. Manche Kritiker gehen sogar noch einen Schritt weiter und behaupten, sowohl die Politik als auch die Wirtschaft würden die Berichterstattung der Medien zu ihren eigenen Gunsten durch geschickte Public Relations "determinieren", das heißt bestimmen. Inhaltsanalysen über die Resonanz von Pressemitteilungen und anderen PR-Beiträgen haben zwar gezeigt, dass sich die PR nur sehr begrenzt in der Medienberichterstattung über Politik und Unternehmen niederschlägt " und zwar je wichtiger und kritischer ein Thema, desto weniger. Dennoch haben auch Politik und Wirtschaft hinsichtlich ihrer kommunikativen Möglichkeiten und Kompetenzen "aufgerüstet" und sind heute durchaus in der Lage, sich mit ihren Themen Gehör zu verschaffen. So gibt es in einer Demokratie wie der Bundesrepublik Deutschland trotz der von Vielen beobachteten Überlagerung des politischen und des wirtschaftlichen Systems durch das Mediensystem auch jeweils ausgleichende Kräfte, die für den Pluralismus der Gesellschaft unabdingbar sind.

Unabhängig von den allgemeinen Kräfteverhältnissen zwischen Politik und Wirtschaft auf der einen und den Medien auf der anderen Seite gibt es inzwischen viele Studien, aus denen sich die konkreten Merkmale der Medieninhalte näher beschreiben lassen. Daraus lassen sich einige generelle Trends ableiten, die meistens auch in anderen, vergleichbaren Ländern zu finden sind.

  • Erstens wurde im Laufe der Zeit über Politik und Politiker immer negativer berichtet. Dieser Trend trat vor allem Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre ein und war eingebettet in allgemeine gesellschaftliche Veränderungen, die auch das Rollenverständnis der Journalisten beeinflussten.

  • Zweitens wurde das politische Geschehen immer stärker über Personen und weniger über die Sachthemen dargestellt. Hierzu hat vor allem die Ausbreitung des Fernsehens und damit die "optische Personalisierung" der Politik beigetragen.

  • Drittens wird das politische Geschehen in immer kleineren Einheiten, das heißt kürzeren Filmbeiträgen und Filmsequenzen und kürzeren Artikeln in den Zeitungen dargeboten. Besonders auffällig ist dies bei den Sound Bites, den Redeausschnitten von Politikern in Fernsehnachrichten. Ihre Länge liegt heute durchschnittlich bei etwa 14 Sekunden und hat sich damit seit den 1970er Jahren auf ein Drittel verringert.

Politiker wie Medienforscher werfen den Medien vor, sie würden so die Darstellung der Politik immer mehr "boulevardisieren" und an Unterhaltungsgesichtspunkten orientieren, sodass die Menschen diese nicht mehr ernst genug nehmen und das Interesse an Politik verlieren würden. Umfragen zeigen tatsächlich ein rückläufiges Interesse an öffentlichen Themen vor allem in der jüngeren Bevölkerung. Ob dies aber durch die boulevardeske Medienberichterstattung tatsächlich verursacht wurde, lässt sich nicht abschließend beweisen. Ein weiterer Vorwurf betrifft die Folgen der überwiegend negativen und kritischen Berichterstattung, die nach Ansicht der Kritiker die Politikverdrossenheit der Bevölkerung schüre. In der Tat weisen Vergleiche zwischen Inhaltsanalysen und Bevölkerungsumfragen auf einen Zusammenhang zwischen dem Negativismus in den Medien und negativen Einstellungen der Menschen zur Politik hin. So hat sich zum Beispiel der Anteil der Deutschen, die der Meinung sind, man benötige, um Bundestagsabgeordneter zu werden, "große Fähigkeiten", seit den 1970er Jahren mehr als halbiert.

Als gesichert kann gelten, dass die Medienberichterstattung die politischen Themen bestimmt, über die sich die Menschen Gedanken machen. Für diesen unter dem Namen "Agenda-Setting" bekannten Effekt gibt es inzwischen viele Belege, und man weiß sogar, wie viel Medienberichterstattung es braucht, damit ein Thema in der Öffentlichkeit als wichtig angesehen wird. Ebenso werden Images von Politikern, Parteien oder Unternehmen durch die Berichterstattung beeinflusst. So musste der Ölkonzern Shell 1995 wegen der wochenlangen Medienberichte über die geplante Versenkung des schwimmenden Öltanks Brent Spar in der Nordsee nicht nur einen Imageschaden, sondern auch erhebliche Umsatzeinbußen hinnehmen. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die meisten Medien mehr oder weniger unkritisch sich später als falsch herausstellende Angaben von Greenpeace übernahmen und die von Shell geplante Versenkung die für die Umwelt verträglichste Lösung war. Unter dem zunehmenden Hang der Medien zur schnellen "Skandalisierung" haben andere Unternehmer wie manche Politiker ebenfalls zu Unrecht gelitten. Meist bleibt auch nach einer später stattfindenden Richtigstellung ein Makel im öffentlichen Ansehen der Betroffenen zurück. Dies wirft dann immer die Frage der Verantwortung der Medien für die von ihnen verursachten materiellen und immateriellen Folgen der Berichterstattung auf.

Bei aller berechtigten Kritik können die deutschen Medien im Vergleich mit vielen anderen Ländern aber insgesamt als relativ sachlich und fair gegenüber Politik und Wirtschaft gelten. Alle beschriebenen Tendenzen gibt es genauso und teilweise in noch kritischerem Ausmaß in anderen Ländern. Zudem haben die deutschen Medien wichtige Missstände in Gesellschaft und Politik aufgedeckt, die ohne kritischen, investigativen Journalismus vielleicht nicht ans Tageslicht gekommen wären. Auch bei den Ereignissen im Herbst 1989, die zur deutschen Wiedervereinigung führten, spielte die Berichterstattung der Medien eine wichtige Rolle, indem sie den Oppositionellen in der DDR vor Augen führte, wie stark ihr Rückhalt im eigenen Land war.

Wandel der journalistischen Arbeit

Drei Entwicklungen haben die journalistische Arbeit in und für Printmedien, Rundfunk und Online-Medien in den vergangenen Jahren sehr stark beeinflusst: die Digitalisierung, die Publikumsorientierung und die zunehmende Ausrichtung redaktioneller Arbeit an wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Dadurch wandeln sich die Rolle und die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten, die Organisation der redaktionellen Arbeit und die Inhalte sowie Formen der Darstellung von Ereignissen und Themen. Unverändert geblieben ist der Kern journalistischer Arbeit: aktuelle und relevante Nachrichten auszuwählen sowie verständlich an ein Publikum zu vermitteln, das von den Massenmedien nach wie vor verlässliche und aktuelle Informationen erwartet.

Journalistische Rollen: Die für den deutschen Journalismus typische Konzentration von verschiedenen Tätigkeiten bei einer Person löst sich mehr und mehr auf. In den Redaktionen bilden sich Spezialisierungen heraus: Diese entstehen zum einen für organisierende, verwaltende und koordinierende Tätigkeiten, bei denen das Nachrichtenmaterial ausgewählt, sortiert und in entsprechende Anordnungen gemäß der redaktionellen Leitideen gebracht wird. Von diesen planenden Arbeiten sind Spezialisierungen im Bereich der kreativen, recherchierenden und in Form bringenden Tätigkeiten (Schreiben, innere Gestaltung eines Beitrags) zu unterscheiden. Während der erste Tätigkeitsbereich fest an die Redaktion gebunden ist, weil damit die inhaltliche und formale Komposition des Medienprodukts verknüpft ist, werden Tätigkeiten aus dem Kreativbereich in zunehmendem Maße ausgelagert. Produktionsfirmen und freie Mitarbeiter agieren hier als kostengünstige Zulieferer.

Redaktionsorganisation: Die Redaktion als organisatorischer Kern der inhaltlichen Medienproduktion verändert ihre innere Struktur. Das Nebeneinander relativ autonomer Teilredaktionen wird ergänzt durch Newsroom- und Newsdesk-Modelle. In diesen neuen, zentral ausgerichteten Organisationsformen wird das aktuelle Angebot unter Beteiligung aller Ressorts geplant und koordiniert. Die Koordination umfasst auch Entscheidungen über die Veröffentlichungswege einer Nachricht: in Print, TV, Radio oder Online (Crossmedialität).

Journalistische Inhalte und Formen: Untersuchungen zum Wandel des Journalismus zeigen, dass politische Themen seit 1990 bei aktuellen Nachrichtenmedien an Bedeutung verlieren. Themen aus Wirtschaft und Gesellschaft haben mehr Chancen, von den Massenmedien beachtet zu werden. Die inhaltliche Varianz korrespondiert mit einer größeren Vielfalt journalistischer Darstellungsformen. Neben Meldungen und Berichten werden vermehrt komplexere Formen der Vermittlung, wie Reportagen, Features und Hintergrundberichte, eingesetzt.

Während die ökonomisch motivierten Veränderungen wie Einsparungen in Redaktionen, Outsourcing, weniger Ressourcen für aufwändige Recherchen die journalistische Leistungsfähigkeit gefährden, kann die zunehmende Orientierung am Publikum als Gewinn für einen Journalismus gedeutet werden, der seine öffentliche Aufgabe zunehmend breiter interpretiert. Journalisten werden in Zukunft auf der Basis einer soliden Vermittlungskompetenz verschiedene Vermittlungswege bedienen: klassische ebenso wie internetbasierte Medien.

In den nächsten Jahren werden die meisten Journalisten weiterhin für Print- und Rundfunkmedien arbeiten. Weil das Internet als Vermittlungsweg noch weiter an Bedeutung gewinnen wird, müssen künftige Journalisten-Generationen multimedial denken und agieren ohne die bewährten journalistischen Standards zu vernachlässigen.

Quellentext"Rucksack-Reporter"

Das amerikanische Fachblatt Broadcast & Cable nennt sie "Rucksack-Reporter" oder "Ein-Mann-Band" " TV-Journalisten, die alles alleine machen: sie recherchieren, drehen, schneiden und produzieren, und oft treten sie auch noch in ihren Beiträgen auf. Sie stehen vor und hinter der Kamera, die sie selbst im Rucksack zum Drehort schleppen. Das ist die Zukunft und immer mehr auch schon die Gegenwart des Fernsehjournalismus in den USA.
Vor zwei Jahren schickte der landesweite Sender ABC solche Einzelkämpfer als Korrespondenten nach Kenia, Indonesien, Indien, Brasilien, Südkorea und in die Arabischen Emirate und feierte diesen Schritt als größte Expansion der Auslandsberichterstattung in 20 Jahren.
Einige lokale Fernsehstationen wie KRON 4 in San Francisco haben bereits vollkommen auf das Modell Rucksack umgestellt und beschäftigen nur noch Einzelkämpfer. Richtig in Fahrt kommt das Modell in den kommenden Monaten, wenn etablierte Networks wie ABC verstärkt darauf umstellen.
Richard Engel, der militärische Korrespondent von NBC, hat seine Kamera im Wert von 3000 Dollar immer mit dabei. ABC hat außerhalb Washingtons kein Korrespondenten-Büro mehr. Journalisten, die für lokale Sender arbeiten, mussten sich im Zuge der Umstellung auf bis zu 30 Prozent Gehalts- oder Honorarkürzungen einlassen.[...]
Früher kümmerte sich der Journalist nur um den Inhalt und der Kameramann um die Technik. Noch früher war ein dritter Mann für den Ton zuständig. Statt 500 000 Dollar jährlich für ein Auslandsbüro kostet die Technik des Rucksackreporters den Sender nur 10 000 Dollar, berichtete das Fachmagazin American Journalism Review. Natürlich gibt es Geschichten, bei denen ein einzelner Reporter im Vorteil ist, weil die Technik in den Hintergrund tritt. Gefährlich aber ist der Zwang zur Ein-Mann-Band. Jason Samuels, ein Journalismus-Professor der New York University und ehemaliger Mitarbeiter von ABC News, warnte in der New York Times, der Druck auf die schrumpfenden Redaktionen führe vermutlich zu Burnout-Erkrankungen bei den verbleibenden Mitarbeitern. [...]

Thomas Schuler, "Im Alleingang", in Frankfurter Rundschau vom 4. Mai 2010

Dr., ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Journalismusforschung, Kommunikationsgeschichte, aktuelle Medienentwicklungen und internationale Medienpolitik.

Kontakt: E-Mail Link: markus.behmer@uni-bamberg.de

ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medientheorie und Medienpraxis am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster. Arbeitsgebiete: Journalismusforschung, Wissenschaft und Öffentlichkeit.

Kontakt: E-Mail Link: bloebaum@uni-muenster.de

ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der TU Dresden, Gründungsdirektor sowie amtierender Direktor des dortigen Instituts. Promotion (1981) und Habilitation (1989) erfolgten an der Universität Mainz. Nach Dresden führten ihn berufliche Stationen an den Universitäten Mainz, Dortmund, FU Berlin.

Kontakt: E-Mail Link: wolfgang.donsbach@tu-dresden.de

Dr., ist Medien- und Kommunikationswissenschaftler und arbeitet als Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Studiengang Journalistik an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation am Campus in Hamburg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Journalismus-, Medien- und Kommunikationsforschung, Globaler Medienwandel, internationale Medienkulturen, Medien- und Kulturpolitik, Digitale Öffentlichkeit, Informationsökonomie, Media Heritage Management. Website: www.kramp.me.

Kontakt: E-Mail Link: Leifkramp@aol.com

Dr., ist Professorin für Journalistik und Direktorin des Internationalen Journalisten-Kollegs an der FU Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Journalismusforschung, Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung, Populäre Medienkultur.

Kontakt: E-Mail Link: margreth.luenenborg@fu-berlin.de

Dr., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Journalismus und Medienwandel, Medienberufe, Medienjournalismus und Medienkritik.

Kontakt: E-Mail Link: maja.malik@uni-muenster.de

Dr., ist Professor am Studiengang Journalistik der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Seine Arbeitsschwerpunkte: Journalismusforschung, Redaktionsforschung, Medienkonvergenz, Online-Journalismus.

Kontakt: E-Mail Link: klaus.meier@ku-eichstaett.de

Dr., ist Professorin für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Organisationskommunikation an der Freien Universität Berlin.

Kontakt: E-Mail Link: j.raupp@fu-berlin.de

ist Professor für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg. Seine Forschungssschwerpunkte sind Journalismus, Politische Kommunikation, Medienethik, Medienökonomie, Kommunikationstechnologien und Nachrichtenproduktion.

Kontakt: E-Mail Link: siegfried.weischenberg@uni-hamburg.de