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Editorial | Haushalt – Markt – Konsum | bpb.de

Haushalt – Markt – Konsum Editorial Private Haushalte - Quelle und Ziel wirtschaftlicher Aktivität Von der Selbstversorgung zum Konsum - Entwicklung und Situation privater Haushalte "Gutes Leben" oder maximaler Nutzen - ökonomische Entscheidungen im Haushalt Ökonomisierung versus Regulierung? Haushalte zwischen Markt und Staat Konsum in der sozialen Marktwirtschaft Herausforderungen und Gestaltungsoptionen für private Haushalte Literaturhinweise und Internetadressen Autorin und Impressum

Editorial

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Christine Hesse

Private Haushalte wirtschaften zwar in erster Linie für den Eigenbedarf, doch die unbezahlte Arbeit, die innerhalb der Haushalte geleistet wird, ist eine Grundvoraussetzung für gesellschaftliches Wohlergehen und eine effiziente Erwerbsarbeit. Gleichzeitig ist der Konsum der privaten Haushalte ein wesentlicher Bestandteil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und damit ein wichtiger Motor des Wirtschaftshandelns. Dieses Wirtschaftshandeln hat der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Systems der sozialen Marktwirtschaft und bei steigender Produktivität wachsenden Wohlstand beschert. Im internationalen Vergleich wird deutlich, dass die hiesigen privaten Haushalte im Durchschnitt über einen relativ hohen Lebensstandard und eine gute Ausstattung mit materiellen Gütern verfügen.

Um dennoch weiterhin das Kaufinteresse der Verbraucher wach zu halten, unternehmen Handel, Konsumgüterindustrie und Marketing viele Anstrengungen: Mehr als 100 Joghurtsorten im Kühlregal, Obst aus aller Welt, mindestens viermal jährlich wechselnde Modekollektionen, die Gestaltung von Erlebniswelten in Einkaufszentren und ausgeklügelte Werbung sind nur einige Beispiele für Anreize, die den vielschichtigen Bedürfnissen der Kunden zu entsprechen suchen; ganze Wissenschaftszweige untersuchen die psychologischen Mechanismen, die Kaufentscheidungen beeinflussen, während die Verbraucher ihrerseits angesichts der Vielfalt des Angebots mitunter den Überblick zu verlieren drohen.

All dies geschieht im Zeichen von Wettbewerb und Wachstum, die für Beschäftigung, Wohlstand, Fortschritt und Umverteilung des erwirtschafteten Gewinns sorgen sollen. Auch die öffentliche Hand profitiert von hoher Binnennachfrage, da mit ihr über das Steueraufkommen die Möglichkeiten zur Erfüllung staatlicher Aufgaben und zur Sorge für das Gemeinwohl verbunden sind.

Doch der Massenkonsum hat auch problematische Begleiterscheinungen: Bis zu 20 Millionen Tonnen Lebensmittel landen nach Schätzungen der Welthungerhilfe jährlich in Deutschland im Müll, großen Mengen zum Teil fast neuwertiger Kleidung wird ein ähnliches Schicksal zuteil. Gebrauchte oder nicht mehr absatzfähige Produkte gelangen über Vertriebskanäle in Drittweltländer, wo sie unter Umständen, etwa aufgrund ihrer (häufig subventionierten) Niedrigpreise, die einheimischen Hersteller ruinieren. Massentierhaltung und Tierversuche sind heftig umstritten. Die übermäßige Warenproduktion schädigt die Umwelt und erschöpft die natürlichen Ressourcen, so dass nicht sicher ist, ob künftige Generationen den erreichten Lebensstandard halten können oder noch ausreichende Lebensgrundlagen haben werden.

Gleichzeitig wächst das Unbehagen an der Tendenz, "das Nützliche eines Menschen auf dessen Leistung und Verwertbarkeit in der Waren- und Marktgesellschaft" zu reduzieren und ihn somit einem beständigen "Vermarktungszwang" auszusetzen, so der Sozialpsychologe Harald Welzer. Die Kritik fußt auf der Erkenntnis, dass es Menschen allein durch Wirtschaftswachstum nicht automatisch besser geht. Auch die OECD erwägt neue Indikatoren zur Wohlstandsmessung, die Umweltbedingungen, gesellschaftliche Verhältnisse und individuelles Glücksempfinden einbeziehen.

In einer weitgehend saturierten Gesellschaft gibt es konsumkritische aber ausgabebereite Verbraucher mit einer neuen Werteorientierung, die stärker nach Qualität, Beständigkeit, Fairness und Nachhaltigkeit fragen. Gleichzeitig gibt es aber wachsende Bevölkerungsgruppen, die in prekären Lebensverhältnissen leben müssen und auf preisgünstige Güter angewiesen sind.

Auf beides stellt sich der Markt zunehmend ein. Während viele Anbieter einen heftigen Preiskampf führen, gibt es nach Einschätzung des Bundesverbandes Verbraucher Initiative andererseits bereits um die 50 Gütesiegel, die im weitesten Sinne mit Nachhaltigkeit zu tun haben. Neben staatlich kontrollierten entwickelt der Handel auch eigene Label, die zum Teil auf Kosten von Übersichtlichkeit und Aussagekraft gehen.

Zur besseren Orientierung im "Angebotsdschungel" soll neben Maßnahmen der Verbraucherpolitik auch der schulische Wirtschaftsunterricht beitragen. Für ihn hat die Wirtschaftsdidaktik Ziele entwickelt. Neben einer allgemeinen Orientierungsfähigkeit in der Wirtschaftswelt (d.h. Kenntnissen darüber, welche Rahmenbedingungen das eigene Handeln prägen und ob und wie man effektiv handeln kann) nennt etwa der Wirtschaftssoziologe Reinhold Hedtke eine individuelle ökonomische Handlungskompetenz im Alltag. Zur erfolgreichen Selbststeuerung als Konsument, Haushälter, Beschäftigter, Anleger und Unternehmer gehört das Wissen darüber, wie man in diesen Rollen funktioniert, welchen Einflüssen man unterliegt, ob und wie man sich selbst steuern kann. Unverzichtbar sind dabei auch Einblicke in die Sozial- und Wirtschaftspsychologie, die Konsumentenforschung, das Marketing und die Konsumsoziologie.

Unser aktuelles Heft, das die zum Thema Wirtschaft bereits vorhandenen Ausgaben 293 "Unternehmen und Produktion", 294 "Staat und Wirtschaft" und 299 "Internationale Wirtschaftsbeziehungen" ergänzt, hat diese Anregungen gerne aufgegriffen.

Christine Hesse