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Private Haushalte - Quelle und Ziel wirtschaftlicher Aktivität | Haushalt – Markt – Konsum | bpb.de

Haushalt – Markt – Konsum Editorial Private Haushalte - Quelle und Ziel wirtschaftlicher Aktivität Von der Selbstversorgung zum Konsum - Entwicklung und Situation privater Haushalte "Gutes Leben" oder maximaler Nutzen - ökonomische Entscheidungen im Haushalt Ökonomisierung versus Regulierung? Haushalte zwischen Markt und Staat Konsum in der sozialen Marktwirtschaft Herausforderungen und Gestaltungsoptionen für private Haushalte Literaturhinweise und Internetadressen Autorin und Impressum

Private Haushalte - Quelle und Ziel wirtschaftlicher Aktivität

Birgit Weber

/ 4 Minuten zu lesen

Voller Kühlschrank in der Küche: Private Haushalte sind die kleinsten Wirtschaftseinheiten. (© picture-alliance/AP)

Eine alleinerziehende, arbeitslose Mutter erhielt im Jahr 2010 auf Basis der als "Hartz IV" bezeichneten Grundsicherung für Arbeitsuchende als Regelleistung monatlich 359 Euro, für ihre 16-jährige Tochter 281 Euro und einen Mehrbedarfszuschlag von 12 Prozent der Regelleistung sowie zusätzlich Miet- und Heizkosten für die Unterkunft. Das Kindergeld wurde als Einkommen angerechnet. Dass die Notwendigkeit, mit den verfügbaren Mitteln sinnvoll umzugehen, existenziell ist, liegt in diesem Fall auf der Hand, da der Spielraum für freie Entscheidungen denkbar knapp ist.

Ein verheirateter Vorstandsvorsitzender einer Bank und Vater einer Tochter hätte angesichts der Finanzkrise zwei Jahre zuvor auch Grund zum Klagen gehabt. Er musste sich mit nur zehn Prozent seines Vorjahreseinkommens begnügen. Statt 14 Millionen erhielt er nur 1,4 Millionen Euro. Mag die Höhe dieses so erheblich gekürzten Einkommens für die meisten Menschen unvorstellbar sein, so sind auch in diesem Fall möglicherweise Verbindlichkeiten zu begleichen, und es besteht der Wunsch, den erreichten Lebensstandard zu halten.

Auch wenn die beiden Beispiele extreme Gegensätze abbilden, weisen sie doch Gemeinsamkeiten auf. Sowohl die alleinerziehende Mutter und ihre Tochter als auch der Bankmanager mit seiner Familie werden zu der Gruppe der privaten Haushalte gezählt. Die privaten Haushalte sind die kleinsten wirtschaftlichen Einheiten, die im Gegensatz zu den Unternehmen für die eigene Bedarfsdeckung wirtschaften. Die eigenständige Haushaltsführung stellt sie vor komplexe organisatorische und wirtschaftliche Herausforderungen. Sie verlangt vielfältige Abwägungen, die einerseits frei und selbstbestimmt, andererseits aber auch von sozialen Konventionen und Normen oder durch andere soziale Akteure und Institutionen beeinflusst, beeinträchtigt oder begrenzt getroffen werden.

Im Grundsatz müssen beide eingangs genannten Haushalte wirtschaften, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, auch wenn die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel unterschiedlich sind. Dass sie wirtschaften müssen, resultiert aus der Annahme, dass Bedürfnisse grundsätzlich unbegrenzt sind, aber die zur Verfügung stehenden Mittel knapp, weshalb immer Entscheidungen zu treffen sind, welche Ziele mit welchen Mitteln angestrebt werden.

So fragt sich vielleicht die alleinerziehende Mutter in dem einen Haushalt, ob sie sich und ihrer Tochter ab und zu etwas Besonderes gönnen könnte, ob sie die bisher frei einteilbare Zeit gegen ganztägige Arbeitszeit - oft mit nur geringfügig höherem Einkommen - eintauschen oder eine weit entfernte Arbeit mit weniger Zeit für die Tochter annehmen sollte. Dem Bankmanager in dem anderen Haushalt mag sich trotz seines hohen Einkommensniveaus die Frage stellen, ob er den erreichten Lebensstandard halten kann oder weniger Arbeitszeit aufwenden sollte, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen.

Relativ betrachtet ist so für jeden Haushalt etwas knapp. Entscheidungen zur Verwendung des Einkommens, der Zeit und der verfügbaren Güter sind unumgänglich und bedingen immer einen Verzicht auf mögliche Alternativen. Denn man kann nicht zur gleichen Zeit an seinem Arbeitsplatz tätig sein, Kinder aufziehen, Freunde besuchen, Urlaub machen und lange schlafen. Ob für 200 Euro notwendige Lebensmittel gekauft werden oder für zwei Millionen Euro ein als standesgemäß angesehenes Anwesen - in beiden Fällen stehen die Mittel für andere Verwendungszwecke zu diesem Zeitpunkt nicht zur Verfügung.

Wie das Eingangsbeispiel zeigt, verbergen sich hinter dem Begriff "private Haushalte" verschiedene Typen von Haushalten mit unterschiedlichen Herausforderungen. Deshalb ist zunächst zu prüfen, nach welchen Merkmalen Haushalte unterschieden werden können, woher ihr Einkommen rührt, wieviel davon sie zur Verfügung haben und wofür sie es verwenden. Da Haushaltsmitglieder aber nicht nur Einkommen über Marktleistungen beziehen und verwenden, sondern auch Leistungen im Haus, für sich selbst in Eigenarbeit oder ehrenamtlich als Bürgerarbeit erbringen, ist ebenfalls zu klären, welchen Beitrag sie zum gesellschaftlichen Wohlstand leisten.

Diese empirische Bestandsaufnahme führt zur Frage, wie private Haushalte überhaupt ihre Entscheidungen treffen. Maximieren sie fortlaufend ihren Nutzen, wie es die Ökonomen annehmen? Oder wollen sie einfach nur ein gutes Leben führen? Um darauf Antworten zu finden, muss berücksichtigt werden, welche Bedürfnisse private Haushalte haben, mit welchen Mitteln sich diese befriedigen lassen und warum es gar nicht so leicht ist, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Für die Art und Weise, wie diese Entscheidungen zustande kommen, haben die Wissenschaften ganz unterschiedliche Erklärungen. Das ist nicht verwunderlich, wenn die einen vor allem die Beziehung zu Märkten beschäftigt, die anderen eher gesellschaftliche Problemstellungen analysieren und die dritten an vernünftigen Entscheidungen im und für den Haushalt interessiert sind.

Solche Haushaltsentscheidungen erfolgen aber nicht im luftleeren Raum. Die privaten Haushalte sind mit Güter-, Arbeits- und Kapitalmärkten verbunden, und sie werden von staatlichen Regulierungen beeinflusst. Dabei bauen die einen auf den Markt, weil der freie Entscheidungen freier Bürger ermöglicht, während die anderen vom Staat Ordnung und Schutz fordern. Diese zum Teil ideologisch ausgetragenen Kontroversen um Extreme verschleiern, dass beide Koordinationsmechanismen nützlich sind. Die Frage ist vielmehr, wann eher die Märkte und wann eher der Staat zur Verbesserung der Situation privater Haushalte beitragen - und wo beide ihre Grenzen haben. Erweitern oder beschränken sie die Freiheit der privaten Haushalte?

Vor diesem Hintergrund kann das Konsumverhalten der Haushalte genauer betrachtet werden. Mit ihren Kaufentscheidungen belohnen und bestrafen die Haushalte die Anbieter, deren Güter sie kaufen bzw. nicht kaufen. Aber tun die Menschen dies wirklich frei, selbstbestimmt und vernünftig, oder sind sie in hohem Maße schutzbedürftig - vielleicht gar vor sich selbst? Kann die Verbraucherpolitik dafür sorgen, sowohl Freiheit als auch Schutz zu gewährleisten - oder geht das eine immer auf Kosten des anderen?

Auch gesellschaftliche Entwicklungen wie die Globalisierung und Technisierung beeinflussen die Versorgung und Lebensgestaltung privater Haushalte. Solche Entwicklungen bergen Licht und Schatten, sie beinhalten Freiheiten und Zwänge und sind mit Chancen wie Risiken verbunden. Sind die Haushalte Entwicklungen wie zunehmender Flexibilität, sozialer Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung hilflos ausgeliefert? Oder gibt es auch zwischen Markt und Staat Möglichkeiten, an einer gerechten, solidarischen und nachhaltigen Lebenswelt mitzuwirken?

Dr. phil. Birgit Weber ist Professorin für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld. Von 1989 bis 2006 war sie tätig im Bereich Wirtschaftswissenschaft und Didaktik der Wirtschaftslehre an der Universität Siegen. Dort leitete sie als Geschäftsführerin im Zentrum für Lehrerbildung von 2000 bis 2002 ein Projekt zur Förderung der unternehmerischen Selbstständigkeit in der Lehrerausbildung. Als stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildung hat sie die Entwicklung von Bildungsstandards für die ökonomische Bildung mit vorangetrieben. Ihre fachlichen Schwerpunkte sind neben grundsätzlichen Fragen der Didaktik der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften vor allem Kultur der unternehmerischen Selbstständigkeit, Umweltökonomie sowie Fragen des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft.

E-Mail: E-Mail Link: birgit.weber@uni-bielefeld.de