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Märzrevolution und Liberalisierung | Revolution von 1848 | bpb.de

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Märzrevolution und Liberalisierung

Günter Wollstein

/ 17 Minuten zu lesen

Märzrevolution 1848 in Berlin. (© Public Domain, Wikimedia)

Februarrevolution in Frankreich

Das auslösende Signal, das Europa weithin mobilisierte, kam aus Paris, wo republikanische Demonstrationen zu einem Aufstand mit Barrikadenkämpfen führten, der am 25. Februar 1848 nach der Abdankung König Louis Philippes zur Ausrufung der Zweiten Republik in Frankreich führte. Eine provisorische Regierung, gebildet aus bürgerlichen Republikanern und Sozialisten, verkündigte ein politisches Reformprogramm, das politische Vorhaben wie die Einführung des allgemeinen Wahlrechts und soziale Anliegen wie das Auffangen der Arbeitslosen in Mobilgarden und "Nationalwerkstätten" umfasste.

Umgehend verbreitete sich Aufbruchstimmung in Europa, und in einer Kettenreaktion folgte im Monat März eine Vielzahl paralleler, sich wechselseitig stützender Revolutionen mit dem Ziel einer neuen, von den Völkern getragenen Ordnung. In dieser "Märzrevolution", konzentriert auf Metropolen von Karlsruhe bis Budapest, Wien und Prag sowie von Berlin bis Mailand, wurden viele, zunächst als unumkehrbar angesehene Erfolge erstritten.

Die Menschen glaubten an den naturnotwendigen Anbruch einer neuen Ära, die Freiheit und Prosperität, Recht und Frieden bringen würde. Vielfach verbreitete sich eine feierliche, festliche, glückliche Stimmung, und es herrschte ein nahezu naives Vertrauen, dass mit dem politischen Umschwung die anstehenden und vielfach unterschätzten Probleme bereits gemeistert seien. Flächendeckend breitete sich die revolutionäre Bewegung über den Deutschen Bund aus, obwohl dieser wegen seines föderativen Aufbaus an sich für eine Revolution denkbar ungeeignet war. Jetzt kam zum Tragen, dass im Vormärz viele Modernisierungen eingesetzt hatten, deren Entwicklung zwar von den Regierungen künstlich abgebremst, aber nicht völlig zum Erliegen gebracht worden war. Dank der neuen technischen Möglichkeiten, etwa des Eisenbahnnetzes und der vorzugsweise entlang der Bahnstrecken verlegten elektromagnetischen Telegraphenlinien, weiteten sich Kommunikation und Mobilität schlagartig aus. Die politische Öffentlichkeit wuchs dadurch nochmals sprunghaft an; damit begann, nicht zuletzt in Deutschland, das Zeitalter der Meinungsvielfalt.

Aufbruchstimmung in Südwestdeutschland

Für das Geschehen in den deutschen Mittel- und Kleinstaaten waren die Vorgänge im Großherzogtum Baden charakteristisch und bahnbrechend. In der Industrie- und Handelsstadt Mannheim feierte allen voran der volkstümliche Anwalt und Demokrat Friedrich Hecker am 26. Februar das Eintreffen der Nachrichten aus Paris und machte sich an das "Werk für Deutschlands Befreiung". Schon am folgenden Tage fand in der Stadt eine erste, mehr als 2500 Menschen zählende Volksversammlung statt, unzählige weitere sollten in den nächsten Tagen und Wochen im gesamten Deutschland folgen. Die große Zahl der Demonstranten zeigte, dass sich in der Märzrevolution ganz unterschiedliche Volksgruppen und Interessen zusammenfanden oder nebeneinander agierten. In nicht wenigen ländlichen Regionen mit besonderer Rückständigkeit, besonders in Teilen des Südwestens, Hessens, Thüringens und Frankens, setzten bäuerliche Aufstandsbewegungen ein, die eine Befreiung von drückenden Lasten, Verschuldung und Not zum Ziel hatten. Verfassungs- und deutschlandpolitische Anliegen waren demgegenüber weitgehend Sache der Städter, besonders des gehobenen Bürgertums mit dessen liberalen und demokratischen Gruppierungen. In Bewegung geraten waren auch Teile der städtischen Unterschichten, die der Protest gegen ihre hoffnungslose Lage an einzelnen Orten zu Gewaltaktionen und zu Zerstörungen von Maschinen trieb. Charakteristischer aber war, dass auch Kleinbürger und Arbeiter nicht zuletzt dank der Volksversammlungen den Anschluss an die für einen Machtwechsel bereiten Gruppierungen, besonders die Demokraten, fanden, zumal diese zunehmend sozialpolitische Forderungen aufnahmen.

Durchsetzung der "Märzforderungen"

Vor diesem Hintergrund gelang es den zahlenmäßig dominierenden Vertretern der liberalen Richtung, vor allem reformfreudigen Beamten und Bildungsbürgern, Männern der Wirtschaft und freier Berufe, relativ leicht, sich als künftige Regierungspartei und politische Mitte zwischen den aufgebrachten Massen und den Vertretern des alten Systems zu empfehlen. In Zusammenarbeit mit Demokraten lenkten sie Volksversammlungen und sorgten dafür, dass bewaffnete Teilnehmer nicht zu zerstörender Gewalt griffen, sondern vielmehr "petitionierten", was bedeutete, dass sie der politischen Führung durch Abordnungen ihre Wünsche auf verfassungsmäßigem Wege vortrugen. Allerdings kamen "Sturmpetitionen" zustande, die den Forderungen durch neuerliche und wiederum nicht ganz friedfertige Demonstrationen - wie es hieß - "Nachdruck" verliehen. Der Inhalt der Forderungen trug erneut die Handschrift der Liberalen und der mit ihnen zusammenarbeitenden Demokraten. In der badischen Hauptstadt Karlsruhe wieauch in den anderen Residenzen wurden den Fürsten und Regierungen die erstaunlich gleichlautenden "Märzforderungen" unterbreitet, darunter Volksbewaffnung, Pressefreiheit, Schwurgerichte und ein deutsches Nationalparlament.

QuellentextMärzforderungen aus Dresden

Die drohenden Zeitereignisse machen jedem echten Deutschen die ruhige, aber unverhüllte Kundgebung dessen, was nach seiner Überzeugung die Eintracht des Vaterlandes im Innern und nach Außen erheischt, zur heiligsten Pflicht.
[...] Von dieser Überzeugung beseelt sprechen wir, die unterzeichneten Bürger und Einwohner Dresdens, die Erwartung aus, daß auch von der sächsischen hohen Staatsregierung den Forderungen der Zeit, deren Gewährung teils für die Ruhe und das Wohlergehen unseres Sachsenlandes, teils für die einheitliche Entwicklung Deutschlands und "seine Erhebung auf die unter den Nationen Europas ihm gebührende Stufe", unerläßlich und unabweisbar ist, dieselbe schleunige Erfüllung werde zu Teil werden, welche ihnen in anderen deutschen Staaten teils verheißen, teils schon gefolgt ist.
Diese Wünsche sind:
1. Freiheit der Presse, Wegfall des Konzessionszwangs für Zeitschriften und Überweisung der Preßvergehen an die ordentlichen Gerichte;
2. Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der kirchlichen Vereinigung.
3. Freiheit des Versammlungs- und Vereinsrechtes.
4. Gesetzliche Sicherstellung der Person gegen willkürliche Verhaftung, Haussuchung und Untersuchungshaft.
5. Verbesserung des Wahlgesetzes namentlich durch Herabsetzung des Zensus und Ausdehnung der Wählbarkeit auf das ganze Land.
6. Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege mit Schwurgericht.
7. Vereidigung des Militärs auf die Verfassung.
8. Verminderung des stehenden Heeres, Umbildung des Militärwesens und der Bürgerbewaffnung. [...]
Wir zweifeln nicht an dem landesväterlichen Sinne des allverehrten, allgeliebten Königs, wir geben uns seiner Huld und Weisheit mit Vertrauen hin, wir erwarten aber ebenso zuversichtlich von den Ratgebern der Krone, daß sie klare Einsicht und aufrichtigen Willen genug haben werden, jenen dringenden Forderungen der Neuzeit zu entsprechen, oder dafern dies mit ihren Überzeugungen nicht im Einklang stehen sollte, dies offen bekennen und durch freiwilligen Rücktritt von ihrem Amte das gesetzliche Zustandekommen zeitgemäßer Reformen ermöglichen und sich dadurch der Achtung und des Beifalls aller Parteien versichern werden.
Es lebe der König! Es lebe die Verfassung! Es lebe die Eintracht zwischen Regierung und Volk!
Dresden, den 7. März 1848.

Karl Obermann (Hg.), Flugblätter der Revolution 1848/49, München 1972, S. 49 f.

Mit diesen Programmpunkten wurde nicht auf punktuelle politische Veränderungen, sondern auf eine fundamentale politische Kehrtwende in den deutschen Ländern und in Gesamtdeutschland abgezielt. Die Heere der Zeit waren bis dahin nämlich strikt auf die Monarchen hin orientiert, sie bildeten neben der politischen Polizei das Rückgrat der bisherigen Unterdrückungspolitik. Mit dem Ruf nach milizartigen "Bürgerwehren" oder "Nationalgarden" sollte nun das Gewaltmonopol der Fürsten gebrochen werden und die Unterdrückung des Volkes ein Ende finden. Die Pressefreiheit sollte eine breite liberal-demokratische Öffentlichkeit schaffen. Volksnahe Gerichte zielten auf eine von den Interessen der bisherigen Machtinhaber unabhängige Justiz.

Bei alledem war klar, dass so weitreichende politische Kehrtwenden nur mit neuen - liberalen oder demokratischen - Regierungen zu realisieren waren. Schließlich sollte mit der Schaffung einer Nationalversammlung der parlamentarische Gedanke in Deutschland bestimmend werden. Der Deutsche Bund wie dessen Einzelstaaten waren in mit Bürgerrechten ausgestattete Verfassungs- und Rechtsstaaten umzuwandeln.

Die baldige Umsetzung dieser Märzforderungen durch neu gebildete Regierungen trug zur Befriedung der Unruhen in Stadt und Land bei. Solche Erfolge waren anfangs allerdings keineswegs sicher. Überall ließen sich Ängste und chaotische Zustände beobachten. Als etwa in Karlsruhe am 1. März, umgeben von demonstrierenden Menschen und Abordnungen vor allem aus Städten, die Zweite Kammer Badens tagte und die Märzforderungen aufgriff, hatte Großherzog Leopold zwar schon ein Einlenken signalisiert. Aber es herrschte alles andere als Sicherheit, hatten doch die Großmächte und die Vertreter der alten Ordnung bislang noch immer kritische Situationen zu ihren Gunsten gewendet.

Panikartig wurde häufig in der Märzrevolution auch mit äußeren Kriegen gerechnet. Reale wie vermeintliche Gefahren drohten die zuversichtliche Aufbruchstimmung immer wieder zu erschüttern, es war oft ein kurzer Weg zum Ausbruch einer Volkswut. Der noch aus Zeiten der Französischen Revolution bekannte Ruf "Verrat" konnte Hass und Raserei auslösen. Vor allem die Liberalen fürchteten eine in einem Blutbad endende soziale Revolution, zumal in Paris der republikanisch-demokratische "Vierte Stand" gesiegt hatte. Sie wurden damit an die Ausschreitungen während der Französischen Revolution und an die Fremdherrschaft Napoleons erinnert.

Nicht zuletzt rechnete man mit der Möglichkeit eines Interventionskrieges Frankreichs mit dem Ziel, im Rahmen einer republikanischen Umgestaltung Europas auch eine deutsche Republik zu errichten. Die Demokraten hatten weniger Berührungsängste gegenüber den Massen, trugen aber den Risiken einer entfesselten Gewalt gleichermaßen Rechnung. Außenpolitisch fürchteten sie vor allem, dass das zaristische Russland als "Hort der Reaktion" einen politischen Erdrutsch in der Mitte Europas nicht tatenlos hinnehmen würde.

Großherzog Leopold von Baden sah keine Alternative. Ein Einsatz des Heeres, sofern dieses für einen Schlag gegen das Volk überhaupt noch zur Verfügung stand, musste dazu führen, dass sich die Unruhen auf dem Lande und in den Städten verbanden und eskalierten. Nach einigen Tagen des Lavierens stimmte er am 9. März allen Forderungen endgültig zu und setzte eines der ersten "Märzministerien" in Deutschland ein, eine "konstitutionelle Regierung" unter liberaler Führung. Dies bedeutete, dass die Regierung - und nicht mehr der Landesherr - durch ihre Unterschrift für alle Gesetze und Regierungsakte die politische Verantwortung übernahm. Den anderen Mittel- und Kleinstaaten blieb keine Wahl, als diesem Beispiel zu folgen, auch wenn in manchen von ihnen eine hinhaltende Politik des Fürsten (Württemberg) oder die Rückständigkeit des Landes (Mecklenburg, Oldenburg) die fälligen Modernisierungen erheblich verzögerten. In Bayern musste König Ludwig I. zugunsten seines Sohnes abdanken.

Spaltung von Liberalen und Demokraten

Auf den ersten Blick mag an dieser Entwicklung verwundern, dass die Liberalen - oft in Verbindung mit zu Reformen bereiten Konservativen - die Märzministerien bildeten, sich aber nicht mit ihren traditionellen Partnern, den Demokraten, zu einer Regierungskoalition zusammenfanden. Dies verwundert um so mehr, als die Demokraten dank ihres Rückhalts in den zu Gewalt bereiten Massen der Märzrevolution erst die nötige Schubkraft verliehen, die Ziele der Revolution mit formuliert und sich verantwortungsbewusst der Gewalteindämmungsstrategie angeschlossen hatten. Doch gerade im Zuge der Bildung der neuen Regierungen trennten sich die Wege der beiden Parteien deutlich. Die Demokraten fanden sich in der bitteren und undankbaren Rolle einer Oppositionspartei wieder, während die nun gegenüber der politischen Rechten nicht selten konzessionsbereiten Liberalen das Werk der konkreten Umsetzung der Märzforderungen übernahmen.

Diese Entwicklung war darin begründet, dass die Gemeinsamkeit der beiden Gruppierungen im Vormärz in ihrer Ablehnung gegen das alte Regime und in dem allgemeinen Willen gelegen hatte, Deutschland zu erneuern. Als 1848 eine definitive Umgestaltung Deutschlands anstand, kam dagegen zum Tragen, dass die Liberalen eine konstitutionelle Monarchie und die Demokraten eine Republik und damit unterschiedliche Staatsformen anstrebten. Auch in zentralen Einzelheiten wie der Wahlrechtsfrage unterschieden sich die Anschauungen erheblich. Während die Liberalen von einer noch verbreiteten politischen Unmündigkeit des Volkes ausgingen und das Wahlrecht nur Staatsbürgern mit Besitz zukommen lassen wollten, befürworteten die stärker egalitär ausgerichteten Demokraten das gleiche Wahlrecht für alle.

Eher noch wichtiger war der unterschiedliche Umgang beider mit der politischen Tradition in Deutschland. Die Liberalen wollten das - wie sie sagten - "organisch" Gewachsene nicht zerstören und lehnten einen völligen Neuanfang ab. Analog zu ihrem Verhalten im Vormärz ging es ihnen um einen Staatsumbau, wobei sie sich auf die Bundesakte und die Erfolge des Frühkonstitutionalismus beriefen. Sie setzten sich für eine fundamentale Reform ein und sahen diese als "Verrechtlichung" der Zustände in Deutschland an. Hierbei vertrauten sie darauf, dass eine Traditionen bewahrende Zusammenarbeit mit den Fürsten nach der Märzrevolution möglich und nötig sein würde. Leitend war der Gedanke, dass die Fürsten - nun endlich - die Zeichen der Zeit eines sich herausbildenden bürgerlichen Zeitalters respektieren und als weiterhin führende Kräfte definitiv und dauerhaft auf einen liberalen Kurs einschwenken würden.

Die Demokraten wiederum schienen nach Bildung der Märzregierungen von den Oppositionsbänken aus kaum noch eine Chance zu besitzen, die von ihnen erstrebte Staatsform und damit einen klaren Bruch mit der Vergangenheit durchzusetzen. Auf der anderen Seite hatten sie sich durch die von ihnen mitgetragene erfolgreiche Eindämmung der Revolution jede Chance genommen, wieder zu revolutionären Mitteln zu greifen: Eine "zweite Revolution" war in Deutschland kaum noch möglich.

Umsturz in Österreich

So spannend und richtungweisend der machtpolitische Sturz der "Zaunkönige" von Mittel- und Kleinstaaten auch sein mochte, das Schicksal der Revolution entschied sich in Preußen und vor allem in Österreich. Letzteres bestand aus höchst unterschiedlichen Landesteilen mit vielfach ständestaatlichen Einrichtungen; nirgends gab es Repräsentativverfassungen. Nicht zum Deutschen Bund gehörten die Habsburger Königreiche Galizien und Ungarn im Osten sowie das Lombardisch-Venetianische Königreich im Süden. In allen Regionen lebten verschiedene Nationalitäten nebeneinander, wobei die kroatische Minderheit in Ungarn und die deutsche Minderheit im zum Deutschen Bund gehörenden Königreich Böhmen-Mähren für 1848 besonders wichtig waren.

Dieser für eine Umgestaltung Europas im Sinne von nationalen Verfassungsstaaten denkbar ungeeignete Vielvölkerstaat wurde durch die Dynastie der Habsburger zusammengehalten. An der Spitze Österreichs stand mit Ferdinand I. ein an Epilepsie leidender, regierungsunfähiger Kaiser. Eine "Staatskonferenz" traf alle wichtigen Entscheidungen. Dieser gehörten Erzherzöge des Hauses Habsburg und hohe Regierungsvertreter an, wobei Metternich, obwohl seit 40 Jahren Staatskanzler, längst keine Integrationsfigur mehr darstellte. Die dem ganzen Deutschen Bund verordnete Politik der Unterdrückung fortschrittlicher Kräfte funktionierte selbst in der Hauptstadt Wien nur noch unvollkommen. Verlass war höchstens noch auf das Militär und die Bürokratie, während zur Erhaltung des Status quo Nationen, Parteien und Klassen geschickt gegeneinander ausgespielt wurden.

Für den Offenbarungseid des Systems Metternich sorgte 1848 das Nationalitätenproblem des Vielvölkerstaates. Gewaltsam erstritt in Italien schon Anfang Februar das Risorgimento für Neapel-Sizilien eine Verfassung, während fast zeitgleich und für die italienische Geschichte richtungweisend auch der neue König Karl Albert in Sardinien-Piemont eine Konstitution erließ. Daneben stellte die italienische Nationalbewegung die österreichische Herrschaft in der Lombardei und in Venetien grundlegend in Frage, was nach Metternichs Auffassung eine militärische Intervention nötig machte. Das von massiven wirtschaftlichen und sozialen Nöten betroffene Österreich war hierzu vor allem finanziell nicht in der Lage, ein Staatsbankrott und eine Staatskrise drohten. Zur Abwehr dieser Krise sammelten sich bei eher unklaren Fronten "Reformer" aus den alten Eliten im Umfeld von Regierung und Bürokratie sowie in Adel und ständischen Zirkeln. Diese empfingen von Liberalen in Niederösterreich, Böhmen und Ungarn Reformideen, verfügten aber dennoch über keine klaren Vorstellungen, wie ein modernisiertes Österreich aussehen sollte.

Aufstand in Wien

Über Böhmen und vor allem Ungarn, wo der Revolutionsführer Lajos Kossuth am 3. März in der "Taufrede" der Revolution konstitutionelle Regierungen für alle Länder Österreichs und weitgehende Selbstständigkeit für das eigene Land forderte, drang die revolutionäre Welle in das ohnehin handlungsunfähige Österreich ein. Am 13. März traten die nieder-österreichischen Stände mit dem Ziel zusammen, eine Eingabe an die Regierung zu erstellen. Um dem Anliegen der Stände mehr Nachdruck zu verleihen, förderten die "Reformer" aus den alten Eliten Demonstrationen, an denen sich Handwerker, Arbeiter und Studenten beteiligten.

Als sich die Ständeversammlung aber die nun auch in Wien erhobenen Märzforderungen zu eigen machte, kam es prompt zu denselben Turbulenzen wie in den deutschen Mittel- und Kleinstaaten. Gewalttätigkeiten der Demonstranten trafen auf eine übermäßig harte Reaktion der Soldaten und lösten einen regelrechten Aufstand aus. Die bürgerlichen Kräfte, die in einem "Juridisch politischen Leseverein", im Gewerbeverein und in der Universität ihre Zentren hatten, waren in Wien relativ schwach und konnten sich nicht wie in den deutschen Mittel- und Kleinstaaten an die Spitze der Bewegung stellen. Die Stoßkraft der Aufstandsbewegung resultierte folglich aus dem Bankrott der alten Führungskräfte sowie massiven Demonstrationen von Handwerkern und Arbeitern, die durch Studentenproteste wirksam ergänzt wurden. Der Wiener Aufstand schuf den Mythos von einer Achse zwischen Arbeitern und Studenten.

Überstürzt wurde Metternich am 13. März entlassen, als er einen massiven Einsatz des Heeres forderte. Dieses sollte jedoch, da es für äußere Kriege wie in Italien gebraucht wurde, nicht in einem inneren Konflikt aufgerieben werden. Nach der in ganz Europa Aufsehen erregenden Flucht Metternichs sah sich die Staatskonferenz Zug um Zug zu weiteren Teilkapitulationen vor der Volksbewegung gezwungen, bis sie schließlich am 15. März ein konstitutionelles Regime zusicherte, womit die Unruhen zunächst ein Ende fanden.

In der Habsburgermonarchie konnte eine solche Zusicherung zunächst nicht mehr als die Verwendung einer beschwichtigenden magischen Zauberformel bedeuten. Die Nationalitätenprobleme, allen voran Unabhängigkeitsbestrebungen in Italien, Ungarn und Böhmen, entwickelten erhebliche Sprengkraft innerhalb des bislang dynastischen Staates. Dem allzu schwachen liberalen Bürgertum, das allein als Träger einer Verfassungspolitik in Frage kam, war es nicht gelungen, die Macht zu erobern. Immerhin wurde im Zuge der von der Staatskonferenz zugesagten "Volksbewaffnung" eine Wiener Nationalgarde aufgestellt, die mit der akademischen Legion als Kerntruppe die Ruhe in der Stadt wieder herstellte. Doch das stärkte die den Problemen nicht gewachsene und von keiner Seite gestützte Regierung nicht dauerhaft. Die Habsburgermonarchie schien als Führungsmacht am Ende zu sein, ihre Konsolidierung lag im Ungewissen.

Kapitulation des Preußenkönigs

Die Märzrevolution in Preußen hatte wiederum eine andere politische Konstellation zur Folge. Das Königreich war noch kein zusammenhängender Flächenstaat, seine Provinzen Rheinland und Westfalen im Westen waren vielmehr von denen im Osten - Brandenburg, Sachsen, Schlesien, Pommern, Preußen und Posen - durch die Staaten Hannover und Hessen getrennt; die Provinzen Posen und Preußen gehörten dem Deutschen Bund nicht an. In weiten Bereichen waren die Modernisierungen des Staates aus der Stein-Hardenbergschen Zeit in Rückständigkeit umgeschlagen.

Gegensätze zwischen den überwiegenden Agrarregionen - auf dem Lande und in den kleinen Städten lebten über 90 Prozent der Bevölkerung - und den Industriezonen Berlin/Schlesien und Westfalen/Rheinland waren ebenso augenfällig wie Unterschiede zwischen Osten und Westen, wo Modernisierungen aus napoleonischer Zeit beibehalten worden waren. Während vor allem im Rheinland ein selbstbewusstes Wirtschaftsbürgertum auf politische Mitbestimmung drängte, lebte in den alten Kernregionen Preußens, allen voran in Brandenburg, das Gros der ländlichen Bevölkerung unter dem dortigen Landadel in anhaltender politischer Stagnation; vor allem Rittergutsbesitzer bewahrten patrimoniale Strukturen. Nicht befriedigend abgeschlossen waren, vor allem in Schlesien, die Folgen der 1811 verfügten Bauernbefreiung. Da die Ablösung der bäuerlichen Lasten den frei gewordenen Bauern erhebliche Landabtretungen an die Gutsbesitzer auferlegt hatte und ihre Resthöfe häufig unrentabel wurden, bauten sich erhebliche Spannungen auf. Wie in Österreich Wien, so fiel auch in Preußen der Hauptstadt Berlin eine Sonderrolle zu. In ihr stießen die Interessen von Kräften des alten preußischen Beamten- und Militärstaates sowie die von Bürgertum, Handwerkern, Arbeitern und Unterschichten hart aufeinander.

Der Erhebung im Jahre 1848 gingen Reformanstrengungen des Königs voraus, die den nationalen und liberalen Kräften in letzter Minute zuvorkommen sollten. So hatte Friedrich Wilhelm IV. versucht, über einen Fürstenkongress deutschlandpolitisch die Initiative zu ergreifen und Reformen auf den Weg zu bringen, war aber an Metternich gescheitert. In der Innenpolitik hatte er dem Vereinigten Preußischen Landtag das Recht auf periodische Tagungen eingeräumt, womit dessen Weg hin zu einem modernen Parlament schon vor der eigentlichen Märzrevolution frei zu sein schien. Allerdings fand dies nur noch wenig Beachtung, da sich der Monarch erkennbar allein dem massiven Druck der sich auch in Preußen rasch ausweitenden Demonstrations- und Petitionsbewegung gebeugt hatte, die ihrerseits schon viel mehr, nämlich ein aus demokratischen Urwahlen hervorgehendes Parlament forderte.

Vom fortschrittlichen Westen aus erfassten die Unruhen alle Provinzen und die Hauptstadt. In Berlin formierte sich in den Tagen vom 6. bis 18. März die bürgerliche Protestbewegung, die Unterstützung aus den Arbeitervierteln erhielt. Die Auseinandersetzungen zwischen den Protestierenden und eingesetzten Heerestruppen gewannen an Schärfe. Selbst Todesopfer waren zu beklagen. Für diese Entwicklung hatte letztlich der Monarch selbst gesorgt, der das Heer in dessen Herr-im-Haus-Haltung bestärkte. Erst als eine revolutionäre Erhebung in Berlin unausweichlich erschien, gab der König nach und entschied sich, die Märzforderungen zu bewilligen.

Barrikadenkämpfe in Berlin

Doch die Dankeskundgebung der begeisterten Volksmenge vor dem Schloss endete am 18. März im Desaster. Als in der Menge der Ruf nach einem Rückzug des Militärs laut wurde, gab der König den Soldaten den Befehl zur "Säuberung" des Schlossplatzes. Zwei Schüsse von militärischer Seite lösten ein allgemeines Entsetzen über diesen "Verrat" und blutige Barrikadenkämpfe aus. Als am Folgetag die Militärs einen Sieg "mit den vorhandenen Streitkräften" als nicht erreichbar erklärten, gab der König erneut nach und ließ das Heer nach Potsdam abziehen. Der Volkszorn richtete sich in dieser Situation weniger gegen den König, der lavierend und schauspielernd "seinen lieben Berlinern" schmeichelte und ausländischen Provokateuren alle Schuld zuwies, als gegen den Prinzen von Preußen. Prinz Wilhelm, Bruder des Königs, Thronfolger sowie später erster Kaiser des Deutschen Reiches, musste als prominentester Verfechter einer harten Linie fliehen.

Einer Übergangsregierung folgte am 29. März ein liberales Märzministerium unter Führung der rheinischen Wirtschaftsliberalen Ludolf Camphausen (1803-1890) und David Hansemann (1790-1864). Wahlen für ein Parlament, das für Preußen eine Verfassung ausarbeiten sollte, wurden für den 1. Mai festgesetzt. Da der König auch eine deutsche Nationalversammlung akzeptierte, endete die Märzrevolution in Preußen wie in den Klein- und Mittelstaaten mit einem Triumph der Aufständischen. Eine gleichzeitige Liberalisierung Preußens als Teil- und Deutschlands als Gesamtstaat schien auf den Weg gebracht.

Diese Sachlage war allerdings nicht eindeutig. Friedrich Wilhelm IV. lag zwar, wie er selbst plastisch formulierte, "auf dem Bauch". Symbolträchtig war das Geschehen vom 19. März: Der König musste sich vor den Opfern der Barrikadenkämpfe, den "Märzgefallenen", verbeugen. Aber schon seine eigene Ausdrucksweise ließ erkennen, dass er weder kapituliert hatte noch zu einem Liberalen bekehrt worden war. Dass ihm nach nur gut sieben Monaten ein politischer Wiederaufstieg als gegenrevolutionäre Schlüsselfigur des Revolutionsjahres in Deutschland insgesamt gelang, ruft Interesse an seiner Persönlichkeit wach.

Ziele und Taktik Friedrich Wilhelms IV.

Friedrich Wilhelm IV. wollte Deutschland macht- und verfassungspolitisch verändern. In romantischer Verklärung des Mittelalters erstrebte er ein mächtiges deutsches Reich, das altfränkisch, hierarchisch und paternalistisch sein sollte. Der sich selbst als abendländisch-christlicher Monarch von Gottes Gnaden verstehende Herrscher legte Wert auf "erneuerte" Stände in Deutschland und Preußen. Allerdings sollten diese Stände nur hin und wieder einberufen werden und strikt auf eine beratende und akklamierende Funktion beschränkt bleiben. Die Führungsmacht der Habsburgermonarchie wurde nicht in Frage gestellt, doch auch Preußen sollte an Macht gewinnen und bei einem möglichen Ausfall Österreichs deutschlandpolitisch die Führung übernehmen.

Trotz seines eher unmilitärischen und unbürokratischen Wesens beharrte er auf seinen Prinzipien mit doktrinärer Härte. In seiner Jugend war die Existenz Preußens bedroht gewesen, und sein Vater hatte den Kampf gegen die Revolutionäre im Westen sowie gegen Napoleon als heiligen Krieg gegen teuflische Kräfte geführt. Ganz in dieser Tradition sah sich Friedrich Wilhelm IV. gefordert für den Fall, dass aufs Neue Anarchie und Revolution drohten. Mit den Liberalen hatte er im Vormärz einen "Dialog" gesucht, doch allein mit dem Ziel, sie zur Umkehr zu bewegen. Im Grunde sah er diese bürgerlichen Kräfte in einer Linie mit Anarchisten, Sozialrevolutionären und Demokraten, die die Macht "usurpieren" wollten und seine Ziele gefährdeten.

Für die Zeitgenossen, allen voran die Liberalen, war dies schwer zu erkennen. Parallelen im programmatischen Ansatz, "Gesprächsbereitschaft" und sein vorübergehendes Nachgeben in kritischen Situationen - er wollte von seinem Volk geliebt werden - gaben immer wieder, so auch bei seinen weitreichenden Zusagen im März 1848, Anlass zu der Annahme, mit diesem König sei ein Aufbruch in ein liberales Preußen und Deutschland möglich. Dies galt in besonderem Maße für die nun in der Regierung federführenden rheinischen Liberalen, die Wirtschaftsreformen und einen ungestörten Wirtschaftsaufschwung als Grundbestandteil einer politischen Erneuerung ansahen, Revolution und sozial-revolutionäre Tendenzen daher besonders rasch ersticken wollten und ganz auf eine Zusammenarbeit mit dem König setzten.

Zumindest im historischen Rückblick aber ist nicht zu übersehen, dass Friedrich Wilhelm IV. sich schon in den Tagen der Märzrevolution Rechtsansprüche sichern konnte, die ihm später Veränderungen in seinem Sinn ermöglichten. So sprach das Wahlgesetz für die verfassunggebende Versammlung, die bald "preußische Nationalversammlung" genannt werden sollte, von einer Verfassung, die zu "vereinbaren" war, was Mitbestimmungsrechte des Königs festschrieb. Deutschlandpolitische Akzente setzte er am 21. März in einer schauspielerischen Höchstleistung mit einem als versöhnliche Geste wirkenden Umritt in Berlin. Er schmückte sich mit einer Schärpe in den deutschen Farben und sprach in einer Proklamation "An mein Volk und die deutsche Nation" davon, dass Preußen nunmehr "in Deutschland aufgehe", dass er "für die Tage der Gefahr" die Führung übernehme und dass nur eine "innigste Vereinigung der deutschen Fürsten und Völker" die Rettung Deutschlands bringen könne.

QuellentextGesinnungswandel?

Aus der Rede König Friedrich Wilhelms IV. bei der Eröffnung des Vereinigten Landtages am 11. April 1847:
Es ist Gottes Wohlgefallen gewesen, Preußen durch das Schwert groß zu machen, durch das Schwert des Krieges nach außen, durch das Schwert des Geistes nach innen. Aber wahrlich nicht des verneinenden Geistes der Zeit, sondern des Geistes der Ordnung und der Zucht. Ich spreche es aus, meine Herren: Wie im Feldlager ohne die allerdringendste Gefahr und größte Torheit nur ein Wille gebieten darf, so können dieses Landes Geschicke, soll es nicht augenblicklich von seiner Höhe fallen, nur von einem Willen geleitet werden. [...]
Es drängt mich zu der feierlichen Erklärung, daß es keiner Macht der Erde je gelingen soll, mich zu bewegen, das natürliche, gerade bei uns durch seine innere Wahrheit so mächtig machende Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein konventionelles konstitutionelles zu wandeln, und daß ich es nun und nimmermehr zugeben werde, daß sich zwischen unseren Herrgott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt, gleichsam als eine zweite Vorsehung, eindränge, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren und durch sie die alte, heilige Treue zu ersetzen.

Aus der Proklamation des Königs von Preußen vom 21. März 1848:
An Mein Volk und an die deutsche Nation!
[...] Ich habe heute die alten deutschen Farben angenommen und Mich und Mein Volk unter das ehrwürdige Banner des deutschen Reiches gestellt. Preußen geht fortan in Deutschland auf. [...]
Gleichzeitig mit den Maßregeln zur Abwendung der augenblicklichen Gefahr wird die deutsche Stände-Versammlung (Einzuberufender Preußischer Landtag, Fürsten und Stände des Deutschen Bundesgebietes - Anm. d. Red.) über die Wiedergeburt und Gründung eines neuen Deutschlands berathen, eines einigen, nicht einförmigen Deutschlands, einer Einheit in der Verschiedenheit, einer Einheit mit Freiheit.
Allgemeine Einführung wahrer konstitutioneller Verfassungen, mit Verantwortlichkeit der Minister in allen Einzelstaaten, öffentliche und mündliche Rechtspflege, in Strafsachen auf Geschworenengerichte gestützt, gleiche politische und bürgerliche Rechte für alle religiösen Glaubensbekenntnisse und eine wahrhaft volksthümliche, freisinnige Verwaltung werden allein solche sichere und innere Einheit zu bewirken und zu befestigen im Stande sein.

Hans Jessen (Hg.), Die deutsche Revolution 1848/49 in Augenzeugenberichten, München 1973, S. 23 f. und 46 f.

Nach diesen Aktionen verfiel der Monarch, was die Führung des Landes anging, für Frühjahr und Sommer 1848 in Passivität. Er dachte nicht daran, seiner Regierung die Hand zur Zusammenarbeit beim Aufbau einer liberalen Ordnung zu reichen, im Gegenteil, er forderte immer neue Rücksichtnahmen und Konzessionen. Bei alledem umgab er sich seit Ende März verstärkt mit einer "Kamarilla", einem Freundes- und Beraterkreis wechselnder Zusammensetzung, bestehend aus Angehörigen des Hofes, des Landadels, der hohen Bürokratie und der Armee, der sich als Gegenregierung anbot und den König zu gegenrevolutionärem Handeln drängte. In Preußen schien zumindest Wachsamkeit am Platz, damit der Sieg der Liberalen nicht in Gefahr geriet.