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Info 06.01 Übung: Die Albatros-Kultur | Jugendliche zwischen Ausgrenzung und Integration | bpb.de

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Info 06.01 Übung: Die Albatros-Kultur

/ 4 Minuten zu lesen

Diese Übung regt die Teilnehmer an, kulturell geprägte Interpretationen zu reflektieren.

Die Teilnehmenden beobachten das Verhalten eines Mannes und einer Frau aus einer fiktiven Kultur, der so genannten "Albatros-Kultur". Sie teilen ihre Beobachtungen mit und interpretieren anschließend das Gesehene. In einer Auswertungsrunde werden die Interpretationen ausgewertet.

Die Teilnehmenden erfahren dabei an sich selbst, wie schwierig es ist, in Beschreibungen keine Interpretationen einfließen zu lassen. Sie lernen, dass Handlungen immer auf dem Hintergrund der eigenen kulturellen Sozialisation interpretiert werden, es aber auch andere Möglichkeiten der Interpretation gibt. Die Teilnehmenden reflektieren, welche Aspekte ihre eigene Wahrnehmung beeinflusst haben und erweitern ihre Fähigkeit, kulturelle Überschneidungen zu analysieren.

Zeit: ca. 30-45 Min.
Material: Erdnüsse in einer Schale
Raumbedarf: Stuhlhalbkreis für die Gesamtgruppe muss möglich sein
Gruppengröße: 12-30 Personen, 12-20 Personen empfohlen
Vorbereitung: Erdnüsse besorgen
Besonderheiten: Die Übung wird empfohlen für Teilnehmende, die sie noch nicht kennen. Da die Übung häufig sehr intensiv erlebt wird, besteht bei den Teilnehmenden in der Regel das Bedürfnis, sich danach noch inoffiziell auszutauschen. Darum sollte sich eine Pause anschließen.

Übungsverlauf
Zwei Gruppenteilnehmer werden ohne Beisein der Gesamtgruppe in die Rolle des Mannes/der Frau aus der Albatros-Kultur eingewiesen.

Die Gruppe sitzt im Stuhlhalbkreis. Vor dem Stuhlhalbkreis steht ein einzelner Stuhl unter den eine Schale mit Erdnüssen gestellt wird.

Den Teilnehmenden wird angekündigt, dass in wenigen Minuten ein Mann und eine Frau als Vertreterin und Vertreter der Albatros-Kultur den Gruppenraum betreten werden. Die Teilnehmenden werden gebeten, das Verhalten der beiden Personen zu beobachten und sich Notizen zu machen.

Verlauf der Simulation
Mann und Frau betreten den Raum schweigend mit einem freundlichen Gesichtsausdruck. Die Frau geht hinter dem Mann mit einem deutlichen Abstand. Das Paar verharrt kurz im Kreis und betrachtet die Gruppe freundlich. Beide gehen dann der Reihe nach auf die Teilnehmenden zu. Übereinander geschlagene Beine der Teilnehmenden werden sanft aber bestimmt auf den Boden gestellt. Bei denjenigen, welche die Beine erneut übereinander schlagen auch mehrmals. Dabei berührt die Frau nur Frauen und der Mann nur männliche Teilnehmer.

Anschließend setzt sich der Mann auf den bereitgestellten Stuhl, die Frau kniet sich auf den Boden neben ihn. Die Frau nimmt die Schale mit den Erdnüssen auf. Der Mann nimmt sie ihr aus der Hand bevor sie eine Nuss essen kann und isst selbst mit demonstrativen Kaubewegungen einige Nüsse. Danach übergibt er der Frau die Schale, die nun auch einige Nüsse isst und die Schale dann beiseite stellt.

Nach der Nahrungsaufnahme legt der Mann seine Hand auf die Schulter der Frau, die sich dreimal dicht zum Boden hin beugt. Danach erhebt sich das Paar und schreitet zum Abschied noch einmal die Runde der Teilnehmenden ab, wobei die Frau wieder dem Mann folgt, und verlasst den Raum.

Beschreibung und Interpretation der Simulation
Die Teilnehmenden werden gebeten, die beobachtete Situation zu beschreiben, ohne sie zu bewerten. Dies fällt ihnen in der Regel sehr schwer, da man gewohnt ist, Beobachtungen nicht neutral zu schildern, sondern bei ihrer Wiedergabe Interpretationen einfließen zu lassen. Es wird auf Wertungen und Interpretationen hingewiesen und gemeinsam nach neutralen Beschreibungsmöglichkeiten gesucht.

Erst nach dieser Runde werden die Teilnehmenden aufgefordert, das Gesehene zu interpretieren. Einige der Teilnehmenden werden die Rolle der Frau in der Albatrosskultur als benachteiligt interpretieren und als Indizien dafür beispielsweise ihre Position im Raum (auf dem Boden, hinter dem Mann) und im zeitlichen Handlungsablauf (erst kommt er, dann sie, erst isst er, dann sie) oder in der Körperhaltung der Frau (beugen, knien) und der taktilen Körpersprache (Mann berührt) anfuhren.

Nach der Interpretation der Handlung erhalten die Teilnehmenden Informationen über die Albatrosskultur.

Informationen über die Albatros-Kultur
Die Gruppe wird nun über die Hintergründe der Albatros-Kultur informiert:

Die Albatros-Kultur ist eine matriarchalische Kultur, in der die Erde als Muttergottheit verehrt wird. Große Füße sind ein Schönheitsideal, denn sie ermöglichen einen guten Kontakt zur Erde. Die Kraft der Muttergottheit kann durch den Verzehr von Erdnüssen erschlossen werden. Sie sind eine rituelle Speise. Gästen wird besondere Ehrerbietung erwiesen, indem ihren Füßen möglichst viel Bodenkontakt gegeben wird.

Da Frauen ebenso wie die Mutter Erde Leben hervorbringen können, haben sie besondere Privilegien. Männer haben die Pflicht, Speisen der Frauen vorzukosten und vor ihnen her zu gehen, um Gefahren abzuwenden. Frauen dürfen auf dem Boden sitzen, wahrend Männern unbequeme Sitzgestelle, genannt Stühle, zur Verfügung stehen, die sie in Distanz zur Muttergottheit halten. Für ihre Dienste werden Männer belohnt, indem sie Frauen die Hand auf den Rücken legen dürfen. Diese neigen sich dann der Gottheit zu, nehmen Energie auf und leiten sie durch ihren Körper an den Mann weiter. Ansonsten ist es Männern nicht gestattet, Frauen ohne deren Aufforderung zu berühren.

Abschließende Diskussion
In der abschließenden Diskussion wird herausgearbeitet, wodurch "Fehlinterpretationen" zustande kamen. So sind oben - unten / vorne - hinten nicht nur räumliche Beschreibungen sondern auch soziale Metaphern, auf die viele Redewendungen und Sprichwörter in der deutschen Sprache hinweisen. Wahrend die Füße zu berühren eher als Demutsgeste interpretiert wird, die durch die (christliche) Fußwaschung bekannt ist, wird eine Berührung (auch ohne scheinbar erzwungene Verbeugung) an der Schulter, mit Dominanz assoziiert.

Hinweis
Um den Teilnehmenden Zeit zu lassen, die Übung noch mal inoffiziell nach zu besprechen sollte sich eine Pause anschließen.

Quelle: In Anlehnung an: Sabine Handschuck, Williy Klawe: Interkulturelle Verständigung in der Sozialen Arbeit. Ein Erfahrungs-, Lern- und Übungsprogramm zum Erwerb interkultureller Kompetenz, München 2004, S. 97ff.

Fussnoten