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Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) | bpb.de

Wirtschafts- und Währungsunion (WWU)

M. Große Hüttmann

Die WWU [auch: Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, EWWU] ist das bislang bedeutendste Integrationsprojekt der EU, weil es die Verantwortung für die Währungspolitik – ein klassisches Symbol von Staatlichkeit – auf die neu geschaffene Europäische Zentralbank (EZB) überträgt und »vergemeinschaftet«. Die WWU wurde mit dem Vertrag von Maastricht (1993) eingeführt. Im Mittelpunkt der WWU steht die Schaffung neuer Institutionen und Instrumente der Währungspolitik sowie die Einführung einer gemeinsamen Währung (»Euro«), welche am 1.1.1999 im bargeldlosen Zahlungsverkehr und dann am 1.1.2002 in Form von Scheinen und Münzen eingeführt wurde. Die Aufnahme in die WWU ist an die Einhaltung von Kriterien, mit denen die wirtschaftliche Stabilität eines Landes gemessen wird, gebunden (s. u.). Inzwischen haben von den 28 EU-Staaten 19 den Euro eingeführt (Stand: 2019). Mit dem Maastrichter Vertrag wurde jedoch nur die Geldpolitik vergemeinschaftet, nicht jedoch die Wirtschafts- und Finanzpolitik; die ersten Versuche, parallel auch diese Bereiche der nationalstaatlichen Kontrolle zu entziehen und eine »Politische Union« zu gründen, sind Anfang der 1990er-Jahre fehlgeschlagen. Die WWU hat eine längere Vorgeschichte: Erste Versuche einer Währungsintegration wurden bereits in den 1970er-Jahren unternommen (»Werner-Plan«), sie scheiterten jedoch an den ungünstigen ökonomischen Umständen (Ölpreiskrise). Spätere Anläufe haben sich jedoch in weiten Teilen am Werner-Plan von 1970 orientiert. Ein Zwischenschritt zur WWU war die Einführung des Europäischen Währungssystems (EWS), das die Wechselkursschwankungen zwischen den europ. Währungen begrenzen sollte (1978 vom dt. Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem frz. Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing angestoßen; 1992/93 geriet das EWS in eine schwere Krise). Unter maßgeblicher Beteiligung von Jacques Delors, dem Präsidenten der EU-Kommission (1985–95), wurde Ende der 1980er-Jahre ein neuer Versuch in Richtung einer WWU unternommen; ein unter seinem Vorsitz tagendes Gremium hat wichtige Vorarbeiten (»Delors-Bericht«) für die in Maastricht beschlossene WWU geleistet. Durch die sich anbahnende Chance der Vereinigung der beiden dt. Staaten gewannen die Pläne für eine WWU plötzlich an Dynamik. Die damalige dt. Regierung unter Helmut Kohl wollte durch ihr Eintreten für eine WWU die Skepsis und die Sorgen aufseiten der europ. Partner (v. a. Frankreichs), ein wiedervereinigtes Deutschland könnte sein europ. Engagement reduzieren, durch die Einführung einer gemeinsamen Währung entkräften. Die »Aufgabe« der D-Mark wird zwar immer wieder als »Preis« oder »Opfer« für die dt. Einheit beschrieben; da die dt. Wirtschaft jedoch zu den großen Gewinnern des Binnenmarktes und des Euro gehört, weil Wechselkursschwankungen, die die exportorientierte Wirtschaft besonders hart trafen, nun wegfallen, kann hier kaum von einem »Opfer« im ökonomischen Sinne gesprochen werden. Die Abschaffung der D-Mark, welche sich zu einem identitätsstiftenden Symbol in Westdeutschland entwickelt hatte, wurde dennoch in den ersten Jahren des Euro von Wehmut begleitet. Der Vertrag von Maastricht sah, wie auch schon der Werner-Plan, die Einführung der WWU in 3 Stufen vor:

1. Stufe 1990–93: Beginn eines freien Kapitalmarktes;

2. Stufe 1994–98: Reformen, um die strengen Aufnahmebedingungen zu erfüllen sowie Aufbau des Europäischen Währungsinstituts EWI, dem Vorläufer der Europäischen Zentralbank EZB, und

3. Stufe 1999–2001: Prüfung des Erfolgs der Reformen durch EU-Kommission und EWI; auf dieser Grundlage wird die Entscheidung getroffen, welche Staaten in die WWU aufgenommen werden können.

Neben dem Stufenplan war die Formulierung von Kriterien für die Teilnahme in der WWU (sog. Konvergenz- oder Maastricht-Kriterien) von zentraler Bedeutung:

1. Preisstabilität, gemessen an den Verbraucherpreisen der 3 preisstabilsten Länder;

2. das Haushaltsdefizit darf nicht höher sein als 3 % bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP);

3. die öffentlichen Schulden dürfen 60 % des BIP nicht überschreiten;

4. die langfristigen Zinsen dürfen nicht höher liegen als 2 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der Staaten mit der höchsten Preisstabilität;

5. durch die vorherige Teilnahme im EWS sollen die Staaten ihre Währungsstabilität dadurch beweisen, dass sie im Vergleich zu den anderen Währungen keinen größeren Wechselkursschwankungen ausgesetzt sind.

Die ersten 10 Jahre der WWU werden allgemein als Erfolg angesehen, weil die Eurostaaten, um den Eintritt in die WWU zu schaffen, weitreichende Reformen umgesetzt haben, und der Euro sich neben dem US-$ zur zweitwichtigsten Reservewährung entwickelt hat. Im Zuge der europ. Staatsschulden- und Finanzkrise (seit 2008) wurden jedoch die – von vielen Kritikern schon im Vorfeld von Maastricht bemängelten – »Geburtsfehler« der WWU (»Europäisierung« bzw. Vergemeinschaftung der Währungspolitik bei gleichzeitiger Beibehaltung der nationalen Verantwortung für die Wirtschafts- und Haushaltspolitik) zum offensichtlichen Problem, weil die vorhandenen EU-Mechanismen zur Kontrolle der mitgliedstaatlichen Haushaltspolitik (Stabilitäts- und Wachstumspakt, SWP) versagten. Das Überleben des Euro und der WWU wurde, nachdem einige Eurostaaten (z. B. Griechenland) an den Rand des Staatsbankrotts geraten waren, von vielen Beobachtern in Zweifel gezogen. Die Schaffung neuer Instrumente zur Kontrolle der mitgliedstaatlichen Haushaltspolitik bzw. die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sollten den drohenden Zerfall der WWU aufhalten und künftigen Krisen vorbeugen. Der immense Schuldenstand und die Probleme der Eurokrisenstaaten (Griechenland, Portugal, Irland, Italien, Spanien), sich an den Finanzmärkten mit Geld zu versorgen, erhöhten den politischen Druck, die in Maastricht unterlassenen Integrationsschritte nachzuholen, um das Überleben der WWU langfristig zu sichern. Kurzfristige Maßnahmen waren seit 2010 die Errichtung von »Eurorettungsschirmen« (EFSF, ESM), um den Krisenstaaten finanziell beizustehen und die Zukunft der Eurozone zu sichern. So wurde seit Mai 2010 in Rekordzeit eine Vielzahl neuer Instrumente (auch außerhalb des EU-Rechts) geschaffen, um verloren gegangenes Vertrauen in die Überlebensfähigkeit des Euro an den Finanzmärkten wiederherzustellen. Dazu gehörten Instrumente der schärferen Kontrolle der Haushaltspolitik in den EU-Staaten (z. B. Europäisches Semester, Fiskalpakt) und neue Formen der wirtschaftspolitischen Koordinierung (engl.: »Economic Governance«). Dies sollte ein Auseinanderbrechen der Eurozone bzw. den Austritt einzelner Staaten (z. B. Griechenlands, »Grexit«) verhindern und die in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht auseinanderdriftende Eurozone wieder zusammenzuführen. Dank dieser Maßnahmen, die mit einer harten Spar- und Reformpolitik in den Krisenstaaten einherging, und auch dank der Aufkäufe von Staatsanleihen der Krisenstaaten durch die EZB (verstärkt durch das Bekenntnis des EZB-Präsidenten Mario Draghi im Juli 2012 in London, alles zu tun, um den Euro zu retten) konnte ein von vielen Beobachtern in den Jahren 2011 und 2012 für möglich gehaltenes Auseinanderbrechen der WWU verhindert werden. Die milliardenschweren Kreditgarantien und die verschiedenen Maßnahmen der »Eurorettung« haben die Frage nach der Solidarität zwischen reichen und armen EU-Staaten sowie die Frage nach der Legitimität und Akzeptanz einer stärkeren Vergemeinschaftung der Haushalts- und Wirtschaftspolitik neu aufgeworfen. Eine Gruppe unter dem Vorsitz des EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy hat 2012 Vorschläge unterbreitet, die eine – so der Titel des Papiers – »echte« WWU schaffen würden; Teile dieser Vorschläge zur Errichtung einer »Bakenunion« wurden in der Folge umgesetzt bzw. auf den Weg gebracht (Stand 2019).

Literatur

  • P. de Grauwe: Economics of Monetary Union, 12. Aufl., Oxford 2018.

  • U. Hufeld: Zwischen Notrettung und Rütlischwur: der Umbau der Wirtschafts- und Währungsunion, in: integration, H. 2/2011, S. 117-131.

  • K. Dyson/K. Featherstone: The road to Maastricht. Negotiating economic and monetray union, Oxford 1999.

  • H. Rathke: Sondervertragliche Kooperationen, Tübingen 2019.

  • T. Sadeh/A. Verdun: Explaining Europe’s Monetary Union. A Survey of the Literature, in: International Studies Review, H. 2/2009, S. 277-301.

  • D. Schwarzer: Die Europäische Währungsunion. Geschichte, Krise und Reform, Stuttgart 2015.

aus: Große Hüttmann / Wehling, Das Europalexikon (3.Auflage), Bonn 2020, Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH. Autor des Artikels: M. Große Hüttmann

Siehe auch:

Fussnoten

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