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Die Linke Meinungsbeitrag von Prof. Dr. Richard Stöss

Richard Stöss

/ 7 Minuten zu lesen

Richard Stöss meint: Die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden soll sich auf die Beobachtung von tatsächlichen Bestrebungen konzentrieren, die erkennbar aggressiv-kämpferisch und destruktiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.

Prof. Dr. Richard Stöss.

Seit der deutschen Einheit wird die PDS, ab 2005 die "Linkspartei.PDS" und seit 2007 die Partei "Die Linke" (hinfort: Linkspartei) vom Bundesamt für Verfassungsschutz mit der Begründung beobachtet, dass Anhaltspunkte für den Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen bestünden. Im Januar 2013 berichteten mehrere Medien übereinstimmend, dass Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich das Bundesamt für Verfassungsschutz bereits Ende 2012 angewiesen habe, nur noch besonders extremistische Gruppen innerhalb der Partei zu beobachten. Gleichzeitig erklärte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, dass sich sein Amt künftig in erster Linie auf die Bekämpfung des gewaltbereiten Extremismus konzentrieren werde. Allerdings meldeten damals einige Tageszeitungen, dass immer noch 25 Mitglieder der 76 Personen umfassenden Bundestagsfraktion der Linkspartei unter Beobachtung stünden. Das Problem der Beobachtung der Linkspartei durch Verfassungsschutzbehörden ist mithin nach wie vor aktuell und diskussionsbedürftig.

Darf eine politische Partei überhaupt vom Verfassungsschutz beobachtet werden?

Demokratie beruht auf dem Prinzip der Volkssouveränität. "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" heißt es im Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes. Bei der Willensbildung des Volkes spielen die politischen Parteien eine wichtige Rolle. Sie stehen daher unter dem ausdrücklichen Schutz des Grundgesetzes (Art. 21 GG): Ihre Gründung ist frei, sie können sich frei entfalten und dürfen in ihrer Tätigkeit nicht durch den Staat und seine Organe behindert werden. Und sie genießen das Privileg, dass sie nur durch das Bundesverfassungsgericht verboten werden können, nachdem es ihre Verfassungswidrigkeit festgestellt hat. Eine Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden stellt mithin einen schweren Eingriff in die verfassungsrechtlich gewährleistete Staatsfreiheit der Parteien dar. Damit ergibt sich die Frage, wie dieser Eingriff begründet wird: Woher nimmt der Staat das Recht, seinen Souverän, das in Parteien organisierte Volk, danach auszuforschen, welche politischen Ziele es mit welchen Mitteln verfolgt, und gegebenenfalls auch noch unerwünschte Bestrebungen zu sanktionieren?

Das Recht erwächst ihm aus der Entscheidung des Grundgesetzes für eine "wehrhafte" oder "streitbare" Demokratie. Diese Entscheidung wurde von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes vor allem mit Blick auf die Erfahrungen der Weimarer Republik gefällt, in der antidemokratische Kräfte im Schutz der Verfassung die Zerstörung der Demokratie betreiben konnten. "Wehrhafte" Demokratie bedeutet, dass sich der Staat der Bundesrepublik präventiv gegen die Feinde der Demokratie schützt, konkret gegen Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Kennzeichnend dafür sind acht Prinzipien:

  • die Menschenrechte,

  • die Volkssouveränität,

  • die Gewaltenteilung,

  • die Verantwortlichkeit der Regierung,

  • die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,

  • die Unabhängigkeit der Gerichte,

  • das Mehrparteienprinzip und

  • die Chancengleichheit der Parteien einschließlich der Oppositionsfreiheit.

Bei Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung handelt es sich nach §4 Abs. 1 Nr. c des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) um ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, eines der genannten Verfassungsprinzipien zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.

Fazit: Eine Partei darf zwar vom Verfassungsschutz beobachtet werden, wenn der Verdacht auf verfassungswidrige Bestrebungen gegeben ist. Allerdings stehen das Selbstbestimmungsrecht der Parteien und der Bestandsschutz der Demokratie im Grundgesetz gleichberechtigt nebeneinander. Es bedarf daher einer gewichtigen Begründung, um das Selbstbestimmungsrecht der Parteien im Interesse des Bestandsschutzes der Demokratie zu beschränken. Diese Begründung kann nach der Intention der "wehrhaften" Demokratie nur darin bestehen, dass die genannten Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hochgradig gefährdet sind.

Ist die Beobachtung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz durch das geltende Recht gedeckt?

Diese Frage hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 21.7.2010 (BVerwG 6 C 22.09) unter Berufung vor allem auf das BVerfSchG eindeutig bejaht. Es basiert hinsichtlich der Beobachtung der Linkspartei auf drei Leitsätzen:

Der Verfassungsschutz könne bereits dann tätig werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorlägen. Gewissheit über derartige Bestrebungen sei nicht gefordert. Derartige Anhaltspunkte seien nicht erst dann gegeben, wenn von der Partei insgesamt verfassungswidrige Bestrebungen ausgingen. Es reiche bereits aus, wenn einzelne Gruppierungen innerhalb der Partei derartige Bestrebungen entfalteten. Bestrebungen bedeuteten ein "aktives, nicht jedoch notwendig kämpferisch-aggressives Vorgehen".

Fazit: Im Ergebnis erlaubt das geltende Recht, dass die Linkspartei schon dann flächendeckend überwacht wird, wenn bereits bei einzelnen Gruppierungen nur tatsächliche Anhaltspunkte - aber nicht einmal Gewissheit - für verfassungswidrige Absichten vorliegen, die sich lediglich "aktiv" - aber nicht einmal "kämpferisch-aggressiv" - manifestieren müssen.

Ist damit die im Grundgesetz vorgegebene Gleichrangigkeit des Selbstbestimmungsrechts der Parteien und des Bestandsschutzes der Demokratie gewahrt?

Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem bereits erwähnten Urteil (BVerwG 6 C 22.09, Rdnr. 25) bestätigt, "dass Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der Parteien auf das zur Selbstverteidigung der freiheitlichen Demokratie zwingend Gebotene beschränkt bleiben" müssen. Der schwere Eingriff in das verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht der Linkspartei wird damit begründet, dass bei einigen Gruppierungen tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorlägen und dass diese Gruppierungen über "nennenswertes Gewicht" innerhalb der Gesamtpartei verfügten. So ließen dem Marxismus (-Leninismus) verpflichtete revolutionär-klassenkämpferische Aussagen der Kommunistischen Plattform (KPF), des Marxistischen Forums (MF) und der Linksjugend ['solid] die Interpretation zu, dass nicht nur durch das Grundgesetz gedeckte ökonomisch-soziale Veränderungen sondern auch verfassungswidrige politische Zustände angestrebt würden.

Dabei handelt es sich um eine Bewertung von Aussagen, der man wegen des bestehenden Interpretationsspielraums nicht unbedingt folgen muss. Es sei darauf hingewiesen, dass ausweislich der Verfassungsschutzberichte des Jahres 2011 die Linkspartei damals in acht Ländern überhaupt nicht beobachtet wurde, in vier Ländern wurden nur "offen extremistische Zusammenschlüsse" innerhalb der Partei observiert, und nur in den übrigen vier Ländern wurde die Partei einschließlich ihrer Neben- und Suborganisationen beobachtet. Mittlerweile will aber auch Baden-Württemberg nur noch einige Zusammenschlüsse ins Visier nehmen, und auch in Niedersachsen deutet sich nach dem Regierungswechsel vom Februar 2013 eine Revision der bisherigen Praxis an. Eine flächendeckende Beobachtung fände dann nur noch in zwei Bundesländern statt. Selbst die eingangs erwähnte Anweisung des Bundesinnenministers belegt, dass man bei der (gegebenenfalls auch politisch motivierten) Bewertung von Statements aus dem Bereich der Linkspartei zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen kann. Polemisch zugespitzt: Handelt es sich um das verbalrevolutionäre Geschwätz in Randgruppen oder um konkrete Anhaltspunkte für tatsächliche Umsturzabsichten?

Schließlich ist auch die Bewertung zu bezweifeln, dass die vermeintlich "offen linksextremistischen Zusammenschlüsse" über "nennenswertes Gewicht" innerhalb der Gesamtpartei verfügen. Zusammen genommen dürften alle in den Verfassungsschutzberichten des Bundes und der Länder genannten extremistischen Gruppierungen nicht einmal zehn Prozent der Parteimitglieder ausmachen. Sie stellen schätzungsweise ein Viertel der insgesamt 44 Mitglieder des Parteivorstands und zwei von 12 Mitgliedern des Geschäftsführenden Parteivorstands. Zudem treten die diesen Gruppierungen zuzurechnenden Personen nicht geschlossen im Sinne einer Fraktion auf, sondern konkurrieren miteinander um Ressourcen und Einfluss innerhalb der Partei. Und es liegen nicht einmal Anhaltspunkte für den Verdacht vor, dass die in Rede stehenden Zusammenschlüsse die Partei jemals dominieren könnten.

Fazit: Die Rechtfertigung des schweren Eingriffs in das verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht der Linkspartei steht meines Erachtens auf schwachen Füßen. Denn der Nachweis, dass von den extremistischen Gruppierungen innerhalb der Linkspartei eine hochgradige Gefährdung der Demokratie ausgeht, ist nicht überzeugend gelungen. Wird also bei der Beobachtung der Linkspartei unter Berufung auf die "wehrhafte" Demokratie mit Kanonen auf Spatzen geschossen?

Taugt das Konzept der "wehrhaften" Demokratie überhaupt noch als Begründung für die Beobachtung einer Partei durch den Verfassungsschutz?

Dieses Konzept wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit unter dem Eindruck des Zusammenbruchs der Weimarer Republik, des nationalsozialistischen Terrorregimes und der Expansionsbestrebungen des Sowjetkommunismus entwickelt. Da die demokratische Kultur in der entstehenden Bundesrepublik damals noch höchst unterentwickelt war, galt ein effizientes Überwachungs- und Abwehrsystem gegen die vielfältigen Bedrohungen des demokratischen Verfassungsstaats als unabdingbar: Der Schutz der Verfassung sollte nicht nur darin bestehen, Bestrebungen zu unterbinden, die planvoll und kämpferisch auf die Beseitigung der demokratischen Ordnung hin arbeiten. Vielmehr sollte der Staat im Rahmen des vorverlagerten Demokratieschutzes bereits tätig werden können, bevor die Feinde der Demokratie gegen geltendes Recht verstoßen, also schon wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht auf verfassungsfeindliche Bestrebungen bestehen.

Mittlerweile haben sich die Rahmenbedingungen aber völlig verändert. Abgesehen einmal davon, dass der "Kalte Krieg" Geschichte ist und vor unseren Toren keine Rote Armee mehr steht, handelt es sich bei der heutigen Bundesrepublik unumkehrbar um eine stabile, auf einen breiten Verfassungskonsens gegründete und fest in die westliche Gemeinschaft integrierte Demokratie. Zudem haben sich spätestens seit den sechziger Jahren in Westdeutschland eine kritische Öffentlichkeit und Schritt für Schritt auch zivilgesellschaftliche Strukturen herausgebildet, und der marode Staatssozialismus der DDR wurde durch demokratische Bürgerbewegungen zum Einsturz gebracht. Das Konzept der "wehrhaften" Demokratie und die darauf gegründeten Normen und Praktiken folgen heute weithin einer auf "Weimarer Verhältnisse" fixierten Konfliktsicht, also einem mittlerweile anachronistischen Bedrohungsszenario.

Dennoch ist die Entscheidung des Grundgesetzes für eine "wehrhafte" Demokratie nach wie vor aktuell. Der demokratische Verfassungsstaats steht mittlerweile zwar auf einem unerschütterlichen Fundament, er hat aber immer wieder neue Herausforderungen bezüglich der Stabilität und Sicherheit der politischen Ordnung zu meistern. Dazu zählen aber kaum noch marxistisch-leninistische (oder völkisch-nationalistische) Weltanschauungen, sondern vor allem der nationale und internationale Terrorismus, im Weiteren dann auch elektronische Angriffe auf computergesteuerte Systeme von Behörden und Wirtschaftsunternehmen oder die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen (Proliferation).

Fazit: Ich plädiere daher dafür, die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden auf die Beobachtung von tatsächlichen Bestrebungen zu konzentrieren, die erkennbar aggressiv-kämpferisch und destruktiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Die geistig-politische Auseinandersetzung mit extremistischen Sichtweisen und Ideologien von rechts und links sollte den Institutionen der politischen Bildungsarbeit, den gesellschaftlichen Verbänden, den Medien, den Vereinen und Bürgerinitiativen vor Ort überlassen und vom Staat ideell und materiell nachhaltig gefördert werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Thüringen.

  2. Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen.

  3. Neben den bereits genannten Zusammenschlüssen KPF, MF und 'solid handelt es sich um die Arbeitsgemeinschaft Cuba Si, um die Antikapitalistische Linke (AL), den Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog (GD/SD), die Linke/SDS und die Sozialistische Linke (SL)/marx 21.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Richard Stöss für bpb.de

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Dr. phil., geb. 1944; Professor für Politikwissenschaft (i.R.) am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, Ihnestraße 21, 14195 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: rstoess@zedat.fu-berlin.de