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Weimarer Republik

Hans-Gerd Jaschke

/ 6 Minuten zu lesen

In keiner anderen Zeit der deutschen Geschichte haben sich die politischen Gegensätze zwischen Konservatismus, Sozialismus und Liberalismus so radikal zugespitzt wie während der Weimarer Republik. Vor allem zwischen Sozialismus und Kommunismus vollzog sich eine tiefe ideologisch-programmatische Spaltung.

Rosa Luxemburg - Führende linke Sozialdemokratin und Mitgründerin der KPD. Sie wurde am 15.1.1919 in Berlin ermordet. (© AP)

Eric Hobsbawm hat in seiner Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, "Das Zeitalter der Extreme", auf einen bemerkenswerten Umstand hingewiesen. Er spricht von einem gesamteuropäischen "Kollaps der Werte und Institutionen der liberalen Zivilisation": Zwischen 1920 und 1940 befinden sich die liberalen Demokratien in Europa auf dem Rückzug. Während dieser Zeit wurden in dreiundzwanzig europäischen Staaten die konstitutionellen Demokratien zerstört oder massiv eingeschränkt, nur in Großbritannien, Finnland, Irland und der Schweiz blieben die liberalen Institutionen erhalten (Hobsbawm 1995: 143ff.).

In extremismustheoretischer Sicht ist die Zeit der Weimarer Republik in Deutschland eine Phase der radikalen Zuspitzung und Frontstellung im historischen Dreieck von Konservatismus, Sozialismus und Liberalismus. Die liberalen Ideen hatten einen großen Sieg davongetragen in Gestalt der Weimarer Reichsverfassung und der Etablierung einer rechtsstaatlichen parlamentarischen Demokratie. Die Monarchie war entmachtet, die Republik und der Rechtsstaat hatten sich durchgesetzt. Auch auf dem für die Liberalen wichtigen Feld der Ökonomie schienen sie Recht zu behalten: Anfang und Mitte der zwanziger Jahre – vor dem die Weltwirtschaftskrise einläutenden "schwarzen Freitag" 1929 – gelangte der Kapitalismus zu voller Blüte, industrielle Massenfertigung setzte sich nach der Erfindung des Fließbandes durch Henry Ford durch, eine neue Schicht von Facharbeitern und Angestellten prägte die Gesellschaft der Weimarer Republik. Nicht zuletzt die unter dem Stichwort der "Goldenen Zwanziger" bekannte kulturelle Vielfalt, einschließlich der bis dahin unbekannten Medien wie Radio und Kino ergänzten die Annahme, der Liberalismus sei die nun vorherrschende politische und gesellschaftliche Doktrin.

Tatsächlich aber waren die Widerstände gewaltig. Im Zeitraum zwischen 1918/19 und Ende 1932 hatte die Weimarer Republik 22 verschiedene Regierungen, ein untrügliches Zeichen für die große politische Instabilität des parlamentarischen Systems. Nur wenige Parteien wie die SPD und die Deutsche Demokratische Partei (DDP) unterstützten das Weimarer politische System, alle anderen bekämpften die Demokratie aus unterschiedlichen Motiven. Auf dem rechten Spektrum fanden sich Monarchisten und Rechtsextreme, auf der Linken Revolutionäre, rechte und linke Extreme vereint durch die Ablehnung der Weimarer Republik. Die Weltwirtschaftskrise und ihre Begleiterscheinungen Massenarbeitslosigkeit und Verunsicherung der Mittelschichten taten ein übriges, um die Überlebensfähigkeit der ersten deutschen Demokratie zu untergraben.

Trotz verfassungspolitischer Gewinne war der Liberalismus in einer tiefen Krise, parteipolitisch kaum noch präsent. Sozialismus und Konservatismus, die anderen jahrzehntelang das politische Spektrum beherrschenden Kräfte, radikalisierten sich in der krisenhaften Situation am Ende der Weimarer Republik. Auf der Rechten hatten sich frühzeitig Aktivisten um die Freikorps und die NSDAP zu einer eigenständigen politischen Kraft entwickelt, die aber im konservativen Milieu nach Unterstützung suchten. Der parlamentarische Aufstieg der NSDAP seit den Juliwahlen 1930 ging zu Lasten der übrigen Parteien des konservativen Spektrums. Ende 1932 waren es die Konservativen um Hugenberg und die Deutschnationalen, die Hindenburg ersuchten, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen und eine Koalition mit ihm eingingen.

Zwischen Sozialismus und Kommunismus vollzog sich während der Weimarer Republik ein tiefe ideologisch-programmatische Spaltung. Unter dem Einfluss der Kommunistischen Internationale und nach dem Tod Lenins (1924) geriet die KPD unter den Einfluss des stalinistischen Sowjetmarxismus und propagierte gegen Ende der Weimarer Republik die These des Sozialfaschismus. Demnach wurde die SPD zum Hauptfeind erklärt, der mit den Nazis objektiv gemeinsame Sache mache. Unter solchen Voraussetzungen schien eine Annäherung zwischen SPD und KPD unmöglich, im Gegenteil. Die linksextremistische Abspaltung war faktisch vollzogen.

Zwischen Konservatismus und Nationalsozialismus gab es in der Weimarer Zeit intellektuelle Wegbereiter im Umfeld der sogenannten "Konservativen Revolution". Autoren wie Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck, Ernst Jünger, Othmar Spann oder Carl Schmitt bekämpften den westlich geprägten Liberalismus und die angeblich jüdisch-bolschewistische Umklammerung. Antisemitismus, völkisches Denken, nationalistische Überhöhungen ebneten dem Nationalsozialismus den Weg und boten ideologischen Begleitschutz. Die neben Hitlers "Mein Kampf" wohl wichtigste Programmschrift des Nationalsozialismus, Alfred Rosenbergs "Mythos des 20. Jahrhunderts", wäre ohne diese Debatten im konservativen Spektrum kaum möglich gewesen (Piper: 2005). Die für den Nationalsozialismus zentrale Ideologie der Volksgemeinschaft ist eine radikale Variante konservativen Denkens seit dem 19. Jahrhundert.

Das Selbstverständnis und die Funktion der Konservativen in der Weimarer Republik hat aus zeitgenössischer Sicht Sigmund Neumann in seinem Klassiker über das Weimarer Parteiensystem mit folgenden Worten beschrieben:

"Ihre historische Aufgabe schien eindeutig die Organisierung der Gegenrevolution zu sein, die rücksichtslose Bekämpfung der Republik, der Demokratie und der sozialistisch-kommunistischen Tendenzen, sowie der radikale Widerstand gegen militärische Unterwerfung, gegen den Versailler Vertrag und die Reparationsleistungen. Zugleich aber musste sie durch praktische Mitarbeit in der Gegenwart zu verhüten suchen, dass ihr lebenswichtig erscheinende Stände und Berufe geschwächt wurden und Staats- und Kulturtraditionen, welche die Revolution überlebt hatten, zugrunde gingen" (Neumann 1973: 61).

Die Suche nach deutschen, ursprünglichen Werten, nach Ord­nungsprinzipien und nach Prinzipien der "Volksgemeinschaft" war das Anliegen der Rechtsintellektuellen in der Zwischenkriegszeit, die den Versailler Vertrag als Erniedrigung empfanden und die parlamentarische Demokratie als Ausgeburt der "Herrschaft der Minderwertigen" (Edgar Julius Jung). In ihren Werken verherrlichen sie die nationale Aufbruchstimmung des Kriegsjahres 1914 und das Kriegserlebnis selbst – am wirkungsvollsten wohl Ernst Jünger in "Stahlgewitter". Für viele von ihnen war, wie auch für die bündische Jugend, die Freikorps und andere militaristische Kreise, der Krieg die "Volksgemeinschaft des Schützengrabens" und die Geburtsstunde einer neuen Nation.

Wie die Mehrheit der gesamten Weimarer Rechten sehen sie den Friedensschluss als aufgezwungenes, nicht akzeptables Diktat. Spengler etwa betrachtete "die schmutzige Revolution von 1918 vom ersten Tage an ... als den Verrat des minderwertigen Teils unseres Volkes an dem starken, unverbrauchten, der 1914 aufgestanden war" (Spengler 1933: Einleitung). Liberale Demokratie ist in ihren Augen, wie Arthur Moeller van den Bruck (1876-1925) in seinem 1923 erschienen Buch "Das dritte Reich" schrieb, Selbstbetrug und Versklavung des deutschen Volkes: "Der Liberalismus ist der Ausdruck einer Gesellschaft, die nicht mehr Gemeinschaft ist" (Moeller 1923: 97). Nur in der "Gemeinschaft" kann, der ständestaatlichen Konzeption Othmar Spanns (1878-1950) zufolge, der "mechanische Grundsatz der Mehrheit" überwunden werden zugunsten einer organisch gegliederten Staatsform. In der demokratisch-republikanischen Gesellschaft hingegen werde jeder in die gleiche Waagschale geworfen und mitgewogen, "jeder Einzelne ist ein gleichwertiges Atom, Nietzsche und sein Stiefelputzer haben dieselbe Stimme" (Spann 1931: 84). "Die Mehrheit in den Sattel setzen", so Spann weiter, "heißt das Niedere herrschend machen über das Höhere. Demokratie heißt also: Mechanisierung der Organisation unseres Lebens (des Staates) und Ausschaltung jedes Wertgrundsatzes aus dem Baugesetz dieser Organisation durch Abstimmung, durch Herrschaft der Mehrheit" (Spann 1931: 110).

Die hier zutage tretende Kritik des Liberalismus – der Historiker Fritz Stern spricht in seiner 1953 zuerst erschienenen Studie über den Kulturpessimismus vom "Hass" auf den Liberalismus (Stern 2005) – bezieht sich weniger auf die kompromissbereiten Weimarer Liberalen um die Deutsche Volks-Partei (DVP) und die Deutsche demokratische Partei (DDP). Sie reicht tiefer: Hauptgegner sind die liberalen Grundlagen von Demokratie und Republik. Dieses Selbstverständnis ist ein zentrales Leitmotiv: Die Rechts-Intellektuellen der "konservativen Revolution" stehen in der Tradition der gegen die Folgen der Französischen Revolution aufbegehrenden Gegen-Revolution und lehnen jedes politische Arrangement mit den gegebenen Verhältnissen ab. Dazu gehört auch die Kritik des "seelenlosen" Kapitalismus von rechts, wie sie etwa im Werk des Soziologen Hans Freyer und des Dichters Ernst Jünger besonders deutlich wird. Revolutionär-konservatives Denken sollte daran gehen, nicht mehr nur als gut erkannte Verhältnisse zu bewahren, sondern durch Zerstörung des Schlechten, Dekadenten herzustellen, was der Bewahrung lohnt. Die Folgewirkungen von Aufklärung und französischer Revolution, das Denken in Bildern von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, seine Ausformungen in sowjetischem Bolschewismus und westlichem Liberalismus sollten mit den Mitteln der Kulturkritik und der Publizistik attackiert werden.

Die endgültige historische Abspaltung des rechten und linken Extremismus von Konservatismus und Sozialismus erfolgt durch die Gewaltbereitschaft und den strategischen Einsatz der Gewalt im politischen Alltag. Insbesondere rechte Gruppen wie die Freikorps und später die SA, aber auch linke setzten Gewalt als politisches Mittel ein. Unzählige Morde an Politikern prägten die Anfangsjahre der Republik, ab 1930 erlebte sie eine bis dahin unbekannte Brutalisierung des öffentlichen Lebens bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen (Blasius 2005). Damit war nicht nur die Lösung extremistischer Varianten aus den Grundrichtungen Konservatismus und Sozialismus besiegelt, sondern auch der Grundstein gelegt für die Nachkriegsentwicklung des politischen Extremismus. Links- und Rechtsextremismus in der Bundesrepublik setzen Traditionen fort, die von der militanten Rechten und Linken am Ende der Weimarer Republik begonnen worden waren.

Literatur



Blasius, Dirk: Weimars Ende. Bürgerkrieg und Politik 1930-1933, Göttingen 2005.

Hobsbawm, Eric: Das Zeitalter der Extreme, München/Wien 1995.

Moeller van den Bruck, Arthur: Ds dritte Reich, Berlin 1923.

Neumann, Sigmund: Die Parteien der Weimarer Republik, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1973 (zuerst 1932).

Piper, Ernst: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, München 2005.

Spann, Othmar: Der wahre Staat, Jena 1931.

Spengler, Oswald: Jahre der Entscheidung, München 1933

Aus: Hans-Gerd Jaschke: Politischer Extremismus, Wiesbaden 2006, VS Verlag für Sozialwissenschaften. Der Band aus der Reihe "Elemente der Politik", hrsg. v. Hans-Georg Ehrhart, Bernhard Frevel, Klaus Schubert und Suzanne S. Schüttemeyer ist außerdem als Lizenzausgabe bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen und kann hier bestellt werden.

Fussnoten

geb. 1952; Professor für Politikwissenschaft und Soziologie an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin.

Anschrift: Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin, Alt-Friedrichsfelde 60, 10315 Berlin.

Veröffentlichungen u. a.: Fundamentalismus in Deutschland. Gottesstreiter und politische Extremisten bedrohen die Gesellschaft, Hamburg 1998.