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Das Syndrom des Populismus

Prof. Dr. Karin Priester

/ 12 Minuten zu lesen

Wie lässt sich das Phänomen des Populismus bestimmen? In seinen vielschichtigen Formen fällt es nämlich zunehmend schwer, einen gemeinsamer Nenner zu finden. Mit Sicherheit gibt es keine konsistente Ideologie – womit es eher ein Syndrom, als eine Doktrin wäre. Gleichzeitig lässt sich eine Ideologie des Antagonismus beobachten, die von einem 'reinen Volk' und einer 'korrupten Elite' ausgeht.

Demonstration der Alternative für Deutschland gegen die deutsche Asylpolitik am 17.10.2015 in Rostock (Mecklenburg-Vorpommern). Der NPD-Landtagsabgeordnete David Petereit (r) trägt das Transparent mit. (© picture-alliance/dpa)

Das Ergebnis des britischen Referendums zum Austritt aus der EU (Interner Link: Brexit) und der Sieg des US-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump haben dem Thema "Populismus" erneut Auftrieb gegeben. Der Begriff bezeichnet rechte oder linke Anti-Establishment-Parteien, die sich gegen die herrschende „Machtelite“ (C. Wright Mills) in Wirtschaft, Politik und Kultur richten. Unter Populisten galt "Populismus" lange als stigmatisierende Fremdzuschreibung. Der populistische Gouverneur von Alabama, George C. Wallace, erklärte in den 1960er Jahren, der Begriff sei nur das hochgestochene Gewäsch von Pseudointellektuellen, die ihm schaden wollten. Erst in jüngerer Zeit haben Linkspopulisten wie Jean-Luc Mélenchon (Vorsitzender der französischen sozialistischen Parti de Gauche) oder Pablo Iglesias (Generalsekretär der 2014 gegründeten linkspopulistischen Partei Podemos in Spanien), Beppe Grillo von der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) oder der Front National das Stigma in eine positiv konnotierte Selbstbezeichnung umgekehrt: Ja, sie seien Populisten und stolz darauf.

Was ist Populismus?

Es gibt keine konsistente Ideologie mit unverwechselbaren Elementen, die ein kohärentes Ganzes bilden, sondern nur ein aus wenigen Kernelementen bestehendes Narrativ. Populismus, so Peter Wiles, sei ein Syndrom, keine Doktrin. Da aber in der Öffentlichkeit bündige Minimaldefinitionen gefragt sind, wird die Polarisierung und Moralisierung von Politik als kleinster gemeinsamer Nenner des Phänomens bestimmt. Der niederländische Politikwissenschaftler Cas Mudde definiert Populismus als "eine Ideologie, die davon ausgeht, dass die Gesellschaft in zwei homogene, antagonistische Gruppen getrennt ist, das 'reine Volk' und die 'korrupte Elite', und die geltend macht, dass Politik ein Ausdruck der volonté générale oder des allgemeinen Volkswillens sein soll." Ähnlich auch Interner Link: Jan-Werner Müller: "Populismus […] ist eine ganz bestimmte Politikvorstellung, laut der einem moralisch reinen, homogenen Volk stets unmoralische, korrupte und parasitäre Eliten gegenüberstehen." Populisten berufen sich aber nicht auf die 'moralische Reinheit' des Volkes, sondern auf den gesunden Menschenverstand (common sense) der "guten, anständigen, patriotischen, hart arbeitenden, gesetzestreuen Menschen" (Nigel Farage).

Yves Mény und Yves Surel heben drei Kernelemente des populistischen Narrativs hervor: (a) das Volk ist die Grundlage der politischen Gemeinschaft, (b) seine Souveränität wird von einigen Akteuren oder Prozessen missachtet, (c) dies müsse angeprangert und der Platz des Volkes in der Gesellschaft wieder hergestellt werden. Die Missachtung des souveränen Volkes kann von unterschiedlichen, vonseiten der Populisten identifizierten Akteuren ausgehen: vom Finanzkapital, von technokratischen Steuerungseliten, von den Parteien des Mainstream oder von sozialmoralischen Deutungseliten. Mithilfe dieser Merkmalsbestimmung lässt sich Populismus als Reaktion auf den Entzug von Souveränität verstehen.

Populistische Führer sind oft Außenseiter und homines novi. Häufig kommen sie aus der Wirtschaft wie Silvio Berlusconi, der Schweizer Christoph Blocher oder die Amerikaner Henry Ross Perot und Donald Trump. Der Niederländer Pim Fortuyn war als homosexueller, katholisch sozialisierter Intellektueller gleich in dreifacher Hinsicht ein Außenseiter. Individueller Reichtum ist kein Hindernis für ihren Erfolg, zeigt er doch, dass sie weder zum politischen Establishment gehören noch sich von finanzstarken Sponsoren korrumpieren lassen. Trump machte gegenüber seiner Konkurrentin Hillary Clinton geltend, er sei nicht von Wallstreet "gekauft", sondern unabhängig und daher glaubwürdig. Der eher pseudo-populistische amerikanische Präsident Jimmy Carter, als baptistischer Südstaatenfarmer ebenfalls ein Außenseiter, wich der Frage aus, ob er ein Liberaler oder ein Konservativer sei. Er sei Populist: "Ich habe die politische Unterstützung, den Zuspruch für mich und mein Anliegen direkt vom Volk selbst hergeleitet, nicht von mächtigen Mittelsmännern (intermediaries) oder von Vertretern spezieller Interessen."

Die zwei Säulen der modernen Demokratie

Angst vor Statusverlust, Zukunftsunsicherheit, die wachsende Kluft zwischen arm und reich oder Verteilungskonflikte auf dem Wohnungs- oder Arbeitsmarkt zwischen Autochthonen und Immigranten lassen sich nicht mehr als Gegensatz zwischen rechts und links abbilden, sondern erscheinen als Konflikt zwischen Volk und Eliten. Zentral zum Verständnis von Populismus ist daher die Frage nach dem Zugang zur Macht: Im Prinzip lehnen Populisten intermediäre Instanzen (vor allem Parteien und mediale Bildungseliten) zwischen dem Volk und der Macht ab, da diese den wahren Volkswillen verfälschten und nur ihre Sonderinteressen im Auge hätten. In der Praxis organisieren sie sich aber in Parteien und nehmen an Wahl teil.

Moderne Demokratien sind Mischsysteme und beruhen auf zwei Pfeilern: dem Konstitutionalismus (in Deutschland eher als Rechtsstaat bekannt) und der Volkssouveränität. Der Rechtsstaat hat ältere Wurzeln, steht für die Herrschaft des Gesetzes (rule of law) und garantiert konstitutionelle Rechte zum Schutz des Einzelnen oder von Minderheiten gegenüber staatlicher Omnipotenz. Volkssouveränität ist dagegen eine Errungenschaft der Französischen Revolution und besagt, dass alle Macht vom Volke ausgeht. Das Volk ist der Souverän, d.h. oberster Gesetzgeber und Kontrolleur der Demokratie und bringt seinen Willen durch Wahlen zum Ausdruck. Eine bloße Akklamationsdemokratie – also eine Art Zustimmung- bzw. Ablehnungsdemokratie eines de facto öffentlich versammelten Volkes –, wie sie von rechts (Carl Schmitt) propagiert wurde, entzieht dagegen dem Wahlvolk die Kontrolle.

Das Misstrauen liberaler Eliten gegenüber dem Volk oder den Massen war immer schon groß. Der Liberalkonservative Alexis de Tocqueville (1805-1859) warnte vor der "Tyrannei der Mehrheit". Edmund Burke (1729-1797) oder der französische Liberale François Guizot (1787-1874) erklärten, nicht das Volk sei der Souverän, sondern die Vernunft, zu der nur das Bildungs- und Besitzbürgertum befähigt sei (heute eher Experten, Fachleute oder Berufspolitiker). Das Volk, gleichgesetzt mit dem "niederen" Volk oder den bildungsfernen Massen, sei dagegen stimmungsabhängig, emotional, und verführbar. Nach der Einführung des allgemeinen und geheimen Wahlrechts hat man daher Filter eingebaut, um zu verhindern, dass der Volkswille unmittelbar zum Ausdruck kommt. Einer dieser Filter sind die Parteien. In der Weimarer Verfassung von 1919 wurden sie nicht erwähnt und galten nur als zivilgesellschaftliche Vereinigungen. Erst das deutsche Grundgesetz hat sie in den Rang von Verfassungsorganen erhoben und ihnen die Aufgabe zugewiesen, den politischen Willen zu bilden und zu aggregieren. Populisten halten diesen Bildungsauftrag der Parteien für eine Bevormundung mündiger Bürger. Sie fordern eine ungefilterte, nicht-mediatisierte Willensartikulation durch direkte Demokratie, entweder nach Schweizer Vorbild oder als Netzdemokratie, für die sich die italienische M5S stark macht.

Es lässt sich kaum bestreiten, dass die beiden Säulen der liberalen Demokratie zunehmend in ein Ungleichgewicht geraten sind. Von der Volkssouveränität ist kaum noch die Rede. Im Zuge des Mehr-Ebenen-Regierens in der EU habe sie ihre Relevanz eingebüßt, zumal es Rechtspopulisten zufolge gar kein europäisches Volk gäbe. Der Populismusforscher Guy Hermet bemerkt dazu: "Besonders auffällig ist, dass der Souveränität des Volkes, bislang als das Herzstück der Demokratie betrachtet, immer weniger Bedeutung beigemessen wird. (…) Es schleicht sich, allgemeiner gesagt, ein philosophischer Zweifel an der Relevanz der Volkssouveränität ein." Wenn aber das Band zwischen Rechtsstaat und Volkssouveränität zerreißt, stehen sich die liberale und die demokratische Komponente wieder als Kontrahenten gegenüber. Cas Mudde und Ivan Krastev sprechen daher in Anlehnung an Fareed Zakaria vom Populismus als demokratischem Illiberalismus: "Populismus ist eine illiberale, [aber] demokratische Antwort auf undemokratischen Liberalismus." Wohlgemerkt: eine Antwort. Als Syndrom ist Populismus eher reaktiv. Aktiv wird er erst, wenn die herrschende Politik auf Missstände nicht adäquat reagiert und den Appell an Emotionen als "Stimmungsmache" abtut.

Rechtspopulismus als Rechtsextremismus light?

In Europa sind rechtsextreme Parteien wie die British National Party (BNP), die deutsche NPD oder ethnozentrische Regionalparteien wie der Vlaams Belang (Belgien) und die Lega Nord (Italien) im Niedergang. Ausnahmen sind die ungarische Partei Jobbik und der französische Front National (FN). Der FN versteht sich als nationalpopulistisch, ist aber für rechtsextreme Strömungen und Holocaust-Leugner offen. Mit einer von der AfD-Politikerin Frauke Petry als "sozialistisch" bezeichneten Sozialpolitik, zugleich aber mit der Öffnung gegenüber sexuellen Minderheiten ist Marine Le Pen, der Vorsitzenden des FN, gelungen, was der Linken immer weniger gelingt: die Verbindung materieller mit postmateriellen Werten und wählersoziologisch ein Bündnis zwischen unteren und mittleren sozialen Segmenten.

Zwischen konservativen Volks- oder Sammlungsparteien und dem rechtsextremen Rand sind neue Parteien entstanden, die trotz teilweise großer programmatischer Unterschiede in der Wirtschafts-, Sozial- und Familienpolitik als rechtspopulistisch gelten: in Großbritannien die United Kingdom Independence Party (UKIP), in Flandern die Neue Flämische Allianz (Nieuw Vlaamse Alliantie, N-VA), in Italien die M5S. Sie vertreten einen "Dritten Weges von rechts" (René Cuperus), erklären aber, weder rechts, noch links zu stehen, sondern auf der Seite der Bürger. Da diese neuen Parteien weitaus erfolgreicher als der Rechtsextremismus sind, kann es, wie bei der noch jungen AfD, zu einem Bandwaggon-Effekt kommen: Viele, die in Denkzirkeln der Neuen Rechten oder in rechtsextremen Kleinparteien marginalisiert sind, springen auf den Zug auf und versuchen, seine Richtung zu bestimmen. Ähnlich beschreiten neue Linksparteien wie die spanische Podemos, die griechische Syriza oder der französische Parti de gauche einen "Dritten weg von links" jenseits der alten kommunistischen Linken und der etablierten Sozialdemokratie.

Krise der Repräsentation, Krise der Partizipation, Krise der Souveränität

Wenn sozialdemokratische Parteien ihre Funktion als Volkstribun oder Anwalt der "kleinen Leute" nicht mehr wahrnehmen, konservative Volksparteien sich dagegen "sozialdemokratisieren" und als Modernisierer auftreten, führt dies führt zur Schwächung ihrer Integrationsfunktion, zu Vertrauenskrisen und Wählerschwund. Solche Parteien hinterlassen auf ihrem Weg zur Mitte an den Rändern ein Vakuum, in das rechtspopulistische, nur in Südeuropa auch linkspopulistische, Parteien eindringen und es mit ihren Themen besetzen.

Von Krise der Repräsentation ist die Rede, wenn sich viele Menschen von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen und sie als alternativloses Kartell wahrnehmen. Lange vor dem Kampf der spanischen Podemos gegen die "oligarquía" haben Klassiker des politischen Denkens wie Robert Michels, Josef Schumpeter oder Gerhard Leibholz auf die Tendenz zur Oligarchisierung von Parteien hingewiesen. Parteien nehmen nicht mehr ihre Funktion als Interessenvertretungsorgane zwischen Staat und Gesellschaft wahr, sondern mutieren zu einer abgeschotteten Kaste mit sinkender innerparteilicher Demokratie. Eng verbunden mit der Krise der Repräsentation ist die Krise der Partizipation. Sie liegt vor, wenn eine beträchtliche Anzahl von Wahlbürgern vor allem im unteren sozialen Segment an Politik nicht mehr partizipiert, aber einen Groll gegen "die da oben" hegt und nach Ventilen für ihre Verdrossenheit sucht.

Der dritte Aspekt, die Krise der Souveränität, bezeichnet Einbußen an nationaler Souveränität zugunsten transnationaler Organisationen wie der EU, aber auch den Verlust individueller Handlungskompetenz. "Mit Krisen", so Jürgen Habermas, "verbinden wir die Vorstellung einer objektiven Gewalt, die einem Subjekt ein Stück Souveränität entzieht, die ihm normalerweise zusteht." Wenn Menschen die Erfahrung machen, nicht mehr Herr der eigenen Lage zu sein, ihr Leben nicht mehr selbst bestimmen zu können und sich unbeherrschbaren Einflüssen ausgesetzt fühlen, erleben sie dies als Kontrollverlust. Die Sieg Trumps, der Brexit, der Aufstieg der AfD, aber auch der rechtspopulistischen Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna) im Zuge der Massenimmigration von 2015 folgen dem Imperativ: Wiedererlangung der nationalen Kontrolle, in Europa auch gegenüber dem "Leviathan" (Umberto Bossi, ehemals Lega Nord) oder dem "Monster" (Geert Wilders, Partij voor de Vrijheid PVV) in Gestalt der EU.

Neue gesellschaftliche Trennlinien

Zeitdiagnostiker sprechen von einer neuen epochalen Trennlinie (cleavage) zwischen erstarkendem Nationalismus und liberaler Weltoffenheit. Näher betrachtet überlagern sich aber vier Konfliktlinien: ein Konflikt zwischen materieller und postmaterieller Werteorientierung, ein Konflikt zwischen repräsentativer und direkter Demokratie, ein Identitätskonflikt zwischen Nativismus und Kosmopolitismus, sowie ein Konflikt zwischen Zentrum und Peripherie. Rechtspopulisten machen auch geltend, die Diskriminierung ethnischer und sexueller Minderheiten oder Frauen stünde einseitig im Zentrum der Aufmerksamkeit, während die soziale Benachteiligung großer Teile der Bevölkerung übergangen würde.

Die soziale Ungleichheit hat unter der Hegemonie des Neoliberalismus zugenommen; die Schere zwischen arm und reich ist weit auseinandergegangen. Das dealignment, d.h. die Abkehr des unteren sozialen Segments (ehemalige Industriearbeiter, junge Arbeitslose, die keinen Zugang zum Arbeitsmarkt finden, kleine Selbständige) von den Linksparteien hat zu einer Unterschichtung rechtspopulistischer Parteien geführt. Sie übernehmen die Funktion eines Fürsprechers bzw. Advokaten, die lang Zeit die Linke innehatte. Populisten richten sich aber nicht an eine bestimmte soziale Klasse oder Schicht, sondern an die Vergessenen (den forgotten man), die "einfachen Menschen" (plain people), die "schweigende Mehrheit", die "ganz normalen Leute", die nicht nur mit drohendem Statusverlust, sondern mit zahlreichen zivilgesellschaftlichen Missständen (aufgeblähte, aber ineffiziente Bürokratie, Korruption, mangelhafte Infrastruktur) konfrontiert sind. Der rasante Aufstieg der Fünf-Sterne-Bewegung zur zweitstärksten Partei Italiens ist auch auf das Versagen der etablierten Parteien und ihre Missachtung zentraler Bürgerbelange zurückzuführen. Mittlerweile hat sich die sozialdemokratische Partei unter Matteo Renzi viele soziale und ökologische Forderungen dieser Außenseiterpartei zu Eigen gemacht, auch wenn die Wähler eher dem Original als der Kopie den Vorzug geben.

Ausblick

Die Gründe für den Erfolg rechtspopulistischer Parteien unterscheiden sich von Land zu Land, nach 1989 auch zwischen West- und Mittelosteuropa. Immer geht es aber um die Rückgewinnung von Souveränität und Selbstbestimmung nach außen (gegenüber der EU) und nach innen (gegenüber der Kaste oder dem Kartell der etablierten Parteien oder den vested interests, also Partikularinteressen in den USA). Als Reaktion darauf verschanzt sich die politische Mitte in einer Wagenburg für "aufgeklärte Bürger" (Müller). Wo aber die Parteien des Mainstream als weitere Reaktion darauf zusammenrücken und Große Koalitionen und mithin die Alternativlosigkeit zum Programm erheben, ist das Wasser auf die Mühlen des populistischen Protests. Ralf Dahrendorf prognostizierte schon 1997, das 21. Jahrhundert könnte die Signatur des Autoritarismus tragen. Im gleichen Jahr plädierte ein anderer Liberaler, Fareed Zakaria, für eine liberale Demokratie, "die beide Teile der Formulierung betont." Demnach beruhte die Stabilität der Nachkriegsordnung auf der Verbindung von Rechtsstaat und Volkssouveränität. Inzwischen aber habe die Tektonik dieser beiden Pfeiler Risse bekommen. Das Pendel schlägt in Richtung des liberalen Rechtsstaats und einer "aufgeklärten" Elitenherrschaft aus, die als Bollwerk gegen die Volkssouveränität in Stellung gebracht werden. Wir sind, so Ivan Krastev, "Zeugen eines strukturellen Konflikts zwischen Eliten, welche die Demokratie mit wachsendem Argwohn betrachten, und einer zornigen Wählerschaft, die zunehmend antiliberal wird. (…) Wer die Demokratie retten will, ist dazu aufgerufen, an zwei Fronten zu kämpfen: gegen die Populisten und gegen die liberalen Verächter der Demokratie."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Karin Priester, Populismus in den Medien: Realität und Stigmawort, in: Ernst Hillebrand (Hrsg.), Rechtspopulismus in Europa. Gefahr für die Demokratie?, Bonn 2015, S. 138-145. Dies.: Wesensmerkmale des Populismus, in: APuZ, 62 (2012) 5-6, S. 3-9.

  2. Zit. n. Niels Bjerre-Poulsen, Populism – A Brief Introduction to a Baffling Notion, in: American Studies in Scandinavia, 18 (1986), S. 27.

  3. Peter Wiles, A Syndrome, not a Doctrine. Some Elementary Theses on Populism, in: Ghita Ionescu/Ernest Gellner (Hg.), Populism. Its Meanings and National Characteristics, London 1969, S. 166-179.

  4. Cas Mudde, The Populist Zeitgeist, in: Government and Opposition, 39 (2004) 3, S. 543.

  5. Jan-Werner Müller, Was ist Populismus? Ein Essay, Berlin 2016, S. 42.

  6. Yves Mény/Yves Surel, Par le peuple, pour le peuple. Le populisme et les démocraties, Paris 2000, S. 181.

  7. Jimmy Carter in einem Interview vom 13.09.1976, in: Don Richardson (Hg.), Conversations with Carter, London 1998, S. 19. Carter berief sich rhetorisch zwar auf das Volk, hat aber während seiner Amtszeit keinen Kampf gegen intermediären Akteure, vor allem die großen Interessengruppen, geführt.

  8. Guy Hermet, Willkommen im nachdemokratischen Zeitalter, in: Internationale Politik, 4 (2008), S. 108f.

  9. Cas Mudde, The problem with populism, in: The Guardian, 17.02.2015. Fareed Zakaria, The Rise of Illiberral Democracy, in: Foreign Affairs 76 (1997), 6, S. 22-43.

  10. Beppe Grillo 2013 auf seinem Blog http://www.beppegrillo.it/2013/12/il_m5s_e_populista_ne_di_destra_ne_di_sinistra.html. (16.12.2016)

  11. Jan-Werner Müller ist unschlüssig, auf wen die Bezeichnung „populistisch“ zutrifft. Am 13. 10.2015 erklärte er auf http://www.ippr.org., Syriza sei populistisch, weil sie beanspruche, das „authentische“ griechische Volk zu repräsentieren, was immer „authenthisch“ bedeuten mag. Ein Jahr später plädierte er in The Guardian vom 02. September 2016 dafür, den Begriff Populismus nicht inflationär zu benutzen und nahm die neue Linke (Bernie Sanders, Jeremy Corbyn, Syriza und Podemos) davon aus. Das seien nur Versuche, die Sozialdemokratie neu zu erfinden. Dagegen erklärte Bill Clinton, Bernie Sanders sei ein „viel positiverer“ Populist als Trump. Diese kontroversen Einschätzungen bestätigen nur, dass „Populismus“ ein ideologischer Kampfbegriff ist, der je nach politischer Präferenz als Selbstbezeichnung oder als stigmatisierendes Etikett eingesetzt wird.

  12. Jürgen Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt/M. 1973, 4. Auflage, S. 10.

  13. Bei den Parlamentswahlen 2010 lagen die Schwedendemokraten bei nur 5,7 Prozent, 2014 bei 12,9 Prozent und bei Umfragen vom Sommer 2015 bereits bei 19,4 Prozent.

  14. Populisten sind nicht immer Nationalisten; sie können sich auch gegen den Nationalstaat richten. Cas Mudde spricht daher eher von Nativismus, einer Einstellung, die die Belange der eingesessenen Bevölkerung in den Vordergrund stellt.

  15. Vgl. Nicolò Conti/Vincenzo Memoli, The Emergence of a New Party in the Italian Party System: Rise and Fortunes of the Five Star Movement, in: West European Politics, 38 (2015), 3, S. 516-534, hier vor allem S. 531f.

  16. Auf die Gründe für die stärker nationalistischen Tendenzen in Mittelosteuropa kann hier nicht eingegangen werden. So spielen beispielsweise in Ungarn die Gebietsverluste nach dem Ersten Weltkrieg eine zentrale Rolle für das Erstarken der ungarischen Rechten.

  17. Zakaria (Anm. 9), S. 40.

  18. Ivan Krastev, Die Stunde des Populismus, in: Eurozine, 18.09.2007, S. 5f.

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Prof. Dr. Karin Priester, geb. 1941, war bis 2007 Professorin für Politische Soziologie am Institut für Soziologie der Universität Münster. Im Februar 2007 wurde sie emeritiert. priestek@uni-muenster.de