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Ein Gesetz entsteht | Deutsche Demokratie | bpb.de

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Ein Gesetz entsteht

Horst Pötzsch

/ 7 Minuten zu lesen

Gesetze dienen dazu, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu gestalten. Mit ihnen greift der Staat in alle Lebensbereiche ein und reagiert auf aktuelle soziale und wirtschaftliche Entwicklungen.

Mit Schrottautos in einem Container wirbt ein Autohändler für den Neuwagenkauf. (© AP)

Das Verfahren der Gesetzgebung ist kompliziert und auf den ersten Blick schwer durchschaubar. Wenn ein Gesetz zahlreiche Stufen in verschiedenen Instanzen durchläuft, so soll damit gesichert werden, dass möglichst alle Gesichtspunkte und alle Interessen berücksichtigt werden. Zugleich dienen die vielfältigen Mitwirkungsrechte der Machtverteilung und Machtkontrolle.

Was ist ein Gesetz?

In den ersten 16 Legislaturperioden (1949–2009) hat der Bundestag mehr als 6.600 Gesetze beschlossen. In dieser Gesetzesfülle spiegelt sich ein Wandel der Gesetzgebungsfunktion in den letzten Jahrzehnten. Gesetze sind nicht mehr wie im 19. Jahrhundert allgemeingültige Vorschriften, die die vorgegebene Ordnung dauerhaft sichern sollen. Der moderne Sozialstaat greift in alle Lebensbereiche ein. Gesetze dienen dazu, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu gestalten und zu steuern. Gesetze regeln das Wirtschaftsleben, die soziale Sicherheit, den Arbeitsmarkt, die Berufsausbildung, das Gesundheitswesen, die Erhaltung der Umwelt, den Datenschutz und vieles andere mehr. Damit werden Gesetze zu einem Mittel der Politik und zur Gestaltung der Lebensverhältnisse. Die Parteien verkünden ihre politischen Absichten in Wahlprogrammen, Regierung und Koalitionsfraktionen formulieren sie im Regierungsprogramm und setzen sie auf dem Wege der Gesetzgebung um.

Gesetze sind aber nicht nur Umsetzungen politischer Programme. Anstöße für neue Gesetze können von einzelnen Bürgern, Interessenverbänden, Bürgerinitiativen und Petitionen ausgehen. Sachverständigenkommissionen, Untersuchungsausschüsse, wissenschaftliche Beiräte geben Empfehlungen für gesetzliche Regelungen. Aktuelle soziale und wirtschaftliche Entwicklungen können neue Gesetze erfordern. Länder- und Gemeindebehörden melden Änderungswünsche an, wenn bei der Ausführung von Gesetzen Schwierigkeiten auftreten. Wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als nicht vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt, ist eine neue Regelung erforderlich. Viele internationale Verträge bedürfen eines Gesetzes (Ratifizierung), um in Kraft zu treten. Immer häufiger sind Gesetze erforderlich, die sich aus der Mitgliedschaft Deutschlands in der Europäischen Union ergeben und europäisches in deutsches Recht umsetzen.

Als "Gesetz" wird bezeichnet, was nach dem vorgeschriebenen Verfahren vom Gesetzgeber beschlossen wird. Wichtige Gesetze, umfassende Neuregelungen, die oft politisch umstritten sind, werden in den Ausschüssen intensiv beraten und im Plenum debattiert. Die meisten Gesetze sind Änderungen oder Ergänzungen bestehender Gesetze, so genannte Novellierungen, die der Bundestag als Gesetz beschließen muss. 90 Prozent aller Gesetze "passieren" das Bundestagsplenum nur, sie werden ohne Beratung oder nach kurzer Debatte beschlossen.

Gesetzesinitiative

Nach dem Grundgesetz (Art. 76 Abs. 1) kann ein Gesetzesentwurf:

  • durch die Bundesregierung,

  • aus der Mitte des Bundestages,

  • durch den Bundesrat eingebracht werden (Gesetzesinitiative).

In den ersten 14 Legislaturperioden (1949–2002) sind drei Fünftel aller Gesetzesentwürfe von der Bundesregierung eingebracht worden. Von den verabschiedeten Gesetzen gingen 57 Prozent auf Initiativen der Bundesregierung zurück, 35 Prozent hatten Bundestagsabgeordnete, 8 Prozent hatte der Bundesrat eingebracht. In der 16. Legislaturperiode waren von den insgesamt 972 eingebrachten Gesetzesvorhaben 55 Prozent Vorlagen der Regierung. Vom Bundestag verabschiedet wurden 488 Regierungsvorlagen, 89 Gesetze auf Initiativen des Bundestages, 19 auf solche des Bundesrates.

Das Übergewicht der Gesetzesvorlagen der Regierung erklärt sich daraus, dass nur die Regierung über einen umfangreichen bürokratischen Apparat verfügt, der in der Lage ist, komplizierte Gesetzgebungsmaterien in entscheidungsreife Gesetzesvorlagen umzusetzen. Davon profitieren die Mehrheitsfraktionen. Wenn die Mehrheit und die von ihr getragene Regierung ihr Programm in Gesetze umsetzen wollen, so liegt es nahe, dass die Entwürfe von den Ministerien erarbeitet und von der Regierung eingebracht werden. Gesetzesinitiativen des Bundestages können nur von den Fraktionen oder von 5 Prozent der Abgeordneten, der Mindeststärke einer Fraktion, ausgehen. Solche Initiativen ergreift in den meisten Fällen die Opposition, die damit aber naturgemäß wenig Erfolg hat. Die Regierungsfraktionen werden häufig bei eiligen Gesetzen aktiv. Der Bundesrat kann mit der Mehrheit seiner Mitglieder Gesetzesentwürfe einbringen. Davon wird verhältnismäßig selten Gebrauch gemacht.

Gang der Gesetzgebung

Ein Regierungsentwurf durchläuft bis zur Verabschiedung folgende Stationen:

Referentenentwurf
Der zuständige Fachreferent eines Ministeriums macht sich den Sachverstand und die Praxiserfahrung der von der geplanten Regelung betroffenen Verbände und Organisationen zunutze. Er fordert von ihnen Informationen und Stellungnahmen an und lädt sie zu Besprechungen ein. Er hört Fachleute aus der Wissenschaft an und setzt sich mit den Behörden der Länder und Gemeinden in Verbindung. Der Entwurf wird innerhalb des Ministeriums und mit anderen beteiligten Ministerien abgestimmt. Auch die Länderbürokratien werden schon sehr früh eingeschaltet, um deren Sachverstand zu nutzen, aber auch, um später einen reibungslosen Durchgang im Bundesrat zu sichern.

Kabinettsvorlage
Der Gesetzesentwurf wird vom Kabinett, dem Kollegium der Bundesregierung, als Regierungsentwurf beschlossen.

Erster Durchgang im Bundesrat
Der Regierungsentwurf wird dem Bundesrat zugeleitet, der innerhalb von sechs Wochen dazu Stellung nehmen kann. Der Bundesrat prüft die Vorlage sehr genau und macht häufig konkrete Änderungsvorschläge. Der Bundestag, dem der Entwurf mit den Vorschlägen des Bundesrates und der Stellungnahme der Bundesregierung dazu nun zugeleitet wird, ersieht daraus schon zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens, wo Interessen der Länder berührt sind, welche Einwände der Bundesrat geltend machen könnte und wie die Bundesregierung diese Einwände beurteilt.

Erste Lesung im Bundestag
Jeder Gesetzesentwurf durchläuft im Plenum des Bundestages drei Beratungen (Lesungen). In der ersten Lesung findet nur bei politisch wichtigen Gesetzesentwürfen eine Aussprache statt, wenn Regierung und Fraktionen der Öffentlichkeit ihre grundsätzlichen Auffassungen zu dem Vorhaben darlegen wollen. In jedem Fall wird der Entwurf am Ende der ersten Lesung an einen oder mehrere Ausschüsse überwiesen. Ein Ausschuss ist "federführend", er ist verantwortlich für den Fortgang des Verfahrens.

Ausschussberatung
Dies ist die wichtigste Stufe im Gesetzgebungsverfahren. Hier wird die Vorlage in Anwesenheit von Mitgliedern der Regierung oder deren Vertretern, des Bundesrates und der zuständigen Ministerialbeamten unter allen denkbaren Gesichtspunkten geprüft. Bei politisch bedeutsamen Vorhaben findet fast immer eine öffentliche Anhörung (Hearing) von sachverständigen Wissenschaftlern und Verbandsvertretern statt. Während der Ausschussberatungen befassen sich Arbeitskreise und Arbeitsgruppen der Fraktionen mit dem Entwurf, um ihre Positionen festzulegen. Fast alle Gesetzesentwürfe werden im Laufe der Ausschussberatungen mehr oder minder stark verändert. Nach Abschluss der Beratungen gibt der Ausschuss dem Bundestagsplenum eine Beschlussempfehlung.

Themengrafik Gesetzesentstehung: Der Bundestag ist maßgeblich an der Gesetzgebung beteiligt. Zum Öffnen der PDF-Version (286 KB) klicken Sie bitte auf das Bild. Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Zweite Lesung im Bundestag
In der zweiten Beratung wird jede Bestimmung des Entwurfs einzeln diskutiert und zur Abstimmung aufgerufen, ebenso Änderungsanträge, die häufig von der Opposition gestellt werden. Sie sind selten aussichtsreich und sollen vor allem der Öffentlichkeit die abweichenden Standpunkte der Opposition verdeutlichen.

Dritte Lesung im Bundestag
An die zweite schließt sich zumeist sofort die dritte Lesung an, in der nochmals die grundsätzlichen Probleme erörtert werden, bei herausragenden Gesetzesvorhaben in Reden von Spitzenpolitikern, deren Adressat die Öffentlichkeit ist. Die dritte Lesung endet mit der Schlussabstimmung.

Zweiter Durchgang im Bundesrat
Jedes vom Bundestag beschlossene Gesetz wird nochmals vom Bundesrat geprüft. Gesetze, die die Rechte und Interessen der Länder berühren, bedürfen seiner ausdrücklichen Zustimmung.

Zustimmungsgesetze

Zustimmungsgesetze sind Gesetze, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Das sind:

  • Gesetze, die die Verfassung ändern: Sie erfordern die Zustimmung nicht nur von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages, sondern auch von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

  • Gesetze, die Auswirkungen auf die Finanzen der Länder haben: Das sind vor allem Gesetze über Steuern, an deren Aufkommen die Länder oder Gemeinden beteiligt sind, etwa die Lohn- und Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer, die Mehrwert- und die Kraftfahrzeugsteuer.

  • Gesetze, die von den Ländern auszuführen sind: Die meisten wichtigen Bundesgesetze werden von den Ländern ausgeführt. Die Föderalismusreform von 2006 hat die bis dahin bestehende Regelung abgeschafft, dass ein Bundesgesetz zustimmungspflichtig ist, wenn es irgendwelche Verwaltungsvorschriften, etwa Gebührenregelungen, enthält. Damit soll die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze deutlich reduziert und Blockaden von Gesetzesinitiativen der Regierung erschwert werden.

Einfache Gesetze (Einspruchsgesetze)

Einfache Gesetze sind alle übrigen Gesetze, für die im Grundgesetz nicht ausdrücklich die Zustimmung des Bundesrates vorgesehen ist. Gegen sie kann der Bundesrat Einspruch einlegen. Sie werden deshalb auch Einspruchsgesetze genannt. Der Bundestag kann diesen Einspruch in einer erneuten Abstimmung mit der Mehrheit seiner Mitglieder zurückweisen.

Vermittlungsausschuss

Kommt es wegen eines Gesetzentwurfes zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat, kann der Vermittlungsausschuss angerufen werden (vgl. Art. 77 Abs. 2 GG und die Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates). Er besteht aus 16 Mitgliedern des Bundestages, zusammengesetzt nach der Stärke der Fraktionen, und 16 Vertretern des Bundesrates. Jedes Land entsendet ein Mitglied. Den Vorsitz führt je ein Mitglied aus Bundestag und Bundesrat, die einander vierteljährlich ablösen. Traditionell wird der eine Vorsitzende von der stärksten Bundestagsfraktion gestellt, der andere ist ein Mitglied des Bundesrates aus der Partei mit der zweitstärksten Bundestagsfraktion.

Die Aufgabe des Vermittlungsausschusses ist es, einen Kompromissvorschlag auszuarbeiten. Seine Mitglieder sind in ihren Entscheidungen frei. Die Bundestagsabgeordneten sind nach Art. 38 GG ohnehin nicht an Weisungen gebunden, und die Bundesratsvertreter sind in diesem Falle nicht von ihrer Landesregierung abhängig. Sie sind für die gesamte Legislaturperiode bestellt und aufeinander eingespielt. Ihre Verhandlungen sind streng vertraulich. Alle diese Voraussetzungen haben dazu geführt, dass nach oft langen Verhandlungen meist eine Einigung gelingt. Von 1949 bis Anfang 2008 wurde der Vermittlungsausschuss bei 836 Gesetzesvorlagen angerufen, davon scheiterten gerade einmal 11 Prozent.

Der Vermittlungsausschuss kann vorschlagen, das umstrittene Gesetz unverändert zu verabschieden, es zu ändern oder aufzuheben. Im ersten Fall muss der Bundesrat zustimmen. In den beiden letzteren Fällen muss der Bundestag noch einmal einen Beschluss fassen, bei Änderungen stimmt er nur über diese ab, nicht noch einmal über den ursprünglichen Gesetzesbeschluss.

Ausfertigung und Verkündung

Ist das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen, wird das beschlossene Gesetz "ausgefertigt": Zunächst unterzeichnen es der oder die zuständigen Fachminister, anschließend der Bundeskanzler, danach der Bundespräsident. Damit kann es im Bundesgesetzblatt "verkündet" werden und in Kraft treten.

Aus: Pötzsch, Horst: Die Deutsche Demokratie. 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2009, S. 88-92.

Fussnoten

Der Historiker und Politologe Horst Pötzsch war bis 1992 Leiter der Abteilung "Politische Bildung in der Schule" der Bundeszentrale für politische Bildung.