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Die Programmatik der CDU

Frank Decker

/ 6 Minuten zu lesen

In ihrer Programmatik vereint die CDU konservative, liberale und christlich-soziale Standpunkte. Sie ist oft stark an das Regierungshandeln gebunden und unterliegt einem Modernisierungsprozess.

"Leitsätze zum Grundsatzprogramm" der CDU: Das aktuelle Grundsatzprogramm der CDU stammt aus dem Jahr 2007. (© picture-alliance)

Programmatische Grundlagen und Entwicklung

Die CDU hat sich nie im selben Maße als Programmpartei verstanden wie die SPD. Dies lag und liegt zunächst in ihrem pragmatischen, auf den Gewinn und Erhalt der Regierungsmacht ausgerichteten Politikverständnis und den tatsächlichen Erfolgen ihrer Regierungspolitik begründet, die sich mit einer zu starren ideologischen Bindung schlecht verträgt. Es hat aber auch mit dem weiten Spannungsbogen zu tun, den die Union von Beginn an schlagen musste, um die divergierenden Interessen und Werthaltungen der von ihr angesprochenen Wähler zu überbrücken. Intensivere programmatische Debatten und Neupositionierungen kennzeichnen vor allem die beiden Oppositionsphasen, denen jeweils schmerzliche Wahlniederlagen vorausgingen. Zumindest in der letzten Phase hat sich der Reformkurs aber nahtlos in die Regierungszeit hinein verlängert, wo die CDU ab 2005 insbesondere ihre gesellschafts- und familienpolitischen Positionen an die veränderte Lebenswirklichkeit anpasste.

Ideologisch-weltanschaulich speist sich die CDU aus drei Wurzeln: einer liberalen, einer konservativen und einer sozial-katholischen. Um ihrem Anspruch einer überkonfessionellen Sammlungsbewegung gerecht zu werden, die das christlich-soziale und protestantisch-bürgerliche Lager zu einem breiten Wählerbündnis zusammenführt, musste sie diese gleichermaßen pflegen und programmatisch in die richtige Balance bringen. Der Bezug auf die christlichen Werte, das "hohe C", erwies sich dabei als nützliche Klammer, die an alle drei Elemente anschlussfähig war und zugleich eine klare Abgrenzung zur Sozialdemokratie ermöglichte.

Das konservative Element bestimmte vor allem die Gesellschafts- und Familienpolitik, wo die CDU an traditionellen Geschlechterrollen und einer ständisch-hierarchischen Organisation der Gesellschaft festhielt. Niederschlag fand dies unter anderem in der Förderung der Hausfrauenehe durch das Steuerrecht, dem dreigliedrigen Schulsystem und der zögerlichen Haltung gegenüber einer Liberalisierung des Strafrechts (etwa bei Strafbarkeit der Abtreibung und des Ehebruchs). Modernität bewiesen die Christdemokraten dagegen in der Wirtschaftspolitik. Das von ihnen vertretene Konzept einer Sozialen Marktwirtschaft stellte eine gelungene Synthese von liberaler Ordnungspolitik und Sozialstaatlichkeit dar. Bis heute hält sich in der öffentlichen Wahrnehmung das Missverständnis, wonach der Sozialstaat in Deutschland eine Erfindung Bismarcks und damit der Konservativen gewesen sei. Tatsächlich gingen jedoch dessen tragende Prinzipien - die Selbstverwaltung und Beitragsfinanzierung - auf den Einfluss der katholischen Zentrumspolitiker zurück (Walter / Werwarth / D'Antonio 2014: 50 f.). Indem Adenauer an diese Tradition anknüpfte (vor allem durch die große Rentenreform 1957), stellte er sich in Gegensatz zu Erhard, der das soziale Element der Marktwirtschaft in erster Linie mit einem funktionierenden Wettbewerb verband. Auch spätere Weiterentwicklungen des Sozialstaats wie die Anerkennung von Erziehungszeiten bei der Rente oder die Einführung einer Pflegeversicherung wurden unter christdemokratischer Regierungsverantwortung vorgenommen.

Weitergehende Vorstellungen eines christlichen Sozialismus, wie sie die CDU der Britischen Zone 1947 noch in ihrem ersten, Ahlener Programm vertreten hatte, waren in der Partei nur für kurze Zeit mehrheitsfähig (Bösch 2002: 17 ff.). Adenauer verfolgte mit ihnen primär taktische Ziele, um die Stimmen der Arbeiter zu gewinnen und den sozialkatholischen Flügel der Partei in die von Erhard entwickelte, auch von ihm selbst favorisierte marktwirtschaftliche Linie einzubinden (Düsseldorfer Leitsätze 1949). Sozialkatholische, liberale und konservative Vorstellungen trafen sich im Subsidiaritätsgedanken, der in seiner konkreten Handhabung freilich für unterschiedliche Interpretationen offen blieb. Die Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik der CDU stellt sich deshalb bis heute als Ringen der unterschiedlichen Kräfte und Strömungen der Partei dar, das die Herausbildung einer klar umrissenen programmatischen Identität erschwert.

Im 1978 verabschiedeten ersten Grundsatzprogramm bezeichnete die CDU "Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit" als ihre zentralen Grundwerte. Für deren Herleitung nahm sie ausdrücklich auf das christliche Menschenbild Bezug. Daran sollte sich bei den nachfolgenden Programmen nichts ändern. Das Abschmelzen der katholischen Milieubindung und die fortschreitende gesellschaftliche Säkularisierung führten dazu, dass die Hinweise auf das christliche Wertefundament sogar noch zunahmen, auch wenn dieses sich in der tatsächlichen Politik immer weniger niederschlug (Zolleis / Schmid 2013: 428 f.). Jenseits und unterhalb der Grundwerte kam es in der Programmatik allerdings zu teilweise deutlichen Verschiebungen. Hatte das erste Grundsatzprogramm 1978 durch die Betonung der Chancengerechtigkeit und Verweise auf die sogenannte "Neue Soziale Frage" eher soziale Akzente gesetzt, so traten im 1994 verabschiedeten Grundsatzprogramm "Freiheit in Verantwortung" liberale und ökologische Aspekte stärker in den Vordergrund. Auch beim Familienbild zeichnete sich durch die Anerkennung nichtehelicher Partnerschaften und alleinerziehender Eltern eine Korrektur ab, die den späteren Modernisierungskurs unter Merkel vorwegnahm.

Liberalisierung und Bindung an Regierungshandeln

Das aktuelle Grundsatzprogramm, das unter dem Titel "Freiheit und Sicherheit" 2007 verabschiedet wurde, schlägt an verschiedenen Stellen bewusst konservative Pflöcke ein (Festhalten am Ehegattensplitting, kein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare, Ausschluss eines EU-Beitritts der Türkei etc.). Dabei handelt es sich aber primär um Zugeständnisse an die Kritiker einer inzwischen weit fortgeschrittenen gesellschafts- und familienpolitischen Liberalisierung, durch die die Programmatik der CDU den letzten 15 Jahren nachhaltiger verändert worden ist als in der Ära Adenauers oder Kohls. Symptomatisch dafür stehen etwa die Einführung des Elterngelds oder die Forderung nach einer gesetzlich vorgeschriebenen Frauenquote in Unternehmen. Die CDU hat sich dadurch auch in kultureller Hinsicht in die Mitte der Gesellschaft und des Parteiensystems hineinbewegt (Lau 2009).

Anders als in der Frauen- und Familienpolitik fallen christliche und konservative Positionen in der Flüchtlings- und Zuwanderungsfrage stärker auseinander, weshalb diese innerhalb der CDU wie auch im Verhältnis zur Schwesterpartei ein umstrittenes Thema bleibt. Während die Befürworter der von Merkel vorgegebenen humanitären Linie auf christliche Werte wie Barmherzigkeit oder Nächstenliebe Bezug nehmen, stellt das Christliche für die konservativen Kritiker der Flüchtlingspolitik primär eine kulturelle Zuschreibung dar. Bemerkenswert ist, dass sich neben der evangelischen auch die katholische Kirche in dieser Auseinandersetzung klar auf die Seite Merkels stellte, obwohl sie traditionell eine größere Nähe zu den konservativen Teilen der Union aufweist.

Das Selbstverständnis der CDU als "natürliche" Regierungspartei bedingt eine starke Bindung der programmatischen Entwicklung an das Regierungshandeln. So wurden mit der Abschaffung der Wehrpflicht, dem Ausstieg aus der Kernenergie und der Infragestellung der Hauptschule als Teil des dreigliedrigen Schulsystems seit 2005 bedeutende Kurskorrekturen ohne vorausgehenden innerparteilichen Diskussionsprozess aus der Regierungsverantwortung heraus vorgenommen. Damit sind nicht nur die politikinhaltlichen Differenzen mit den Sozialdemokraten geringer geworden, sondern auch die mit den Grünen.

Die CDU konnte in der Vergangenheit meistens darauf bauen, dass die Wähler ihr eine hohe Kompetenz in der Wirtschaftspolitik attestieren. Gerade hier ist ihr Profil in der jüngeren Vergangenheit aber immer undeutlicher geworden. Die Wahl von Merz zum Vorsitzenden belegt den Wunsch weiter Parteikreise vor allem in den westdeutschen Landesverbänden nach einer stärker marktliberalen Ausrichtung. Diese wird in der CDU traditionell von einer ebenso ausgeprägten sozialstaatlichen Orientierung begleitet, die in der Ära Merkel - auch durch die Kompromisszwänge der Großen Koalitionen - eher stärker als schwächer geworden ist. Seit 2019 geraten die liberalen Glaubenssätze durch die multiplen Krisen des Klimawandels, der Pandemie und der infolge des Ukraine-Krieges stark angestiegenen Energiepreise noch mehr unter Druck. So wie die Reduktion der Treibhausemissionen ein stärkeres Eingreifen des Staates in das Wirtschaftsgeschehen erfordert, konterkarierten die durch die Corona- und Energiekrise notwendigen Stützungsmaßnahmen der Wirtschaft und Entlastungen für die Bevölkerung die von der Union bisher stets hoch gehaltenen Prinzipien der Schuldenbegrenzung auf nationaler wie europäischer Ebene.

Arbeiten an neuem Grundsatzprogramm

Die noch von Kramp-Karrenbauer angestoßenen Arbeiten an einem neuen Grundsatzprogramm, die aufgrund der parteiinternen Querelen und dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie 2019 und 2020 zum Erliegen gekommen waren, wurden unter Merz' Vorsitz 2022 wiederaufgenommen. Die ersten Ergebnisse der Arbeitsgruppen deuten dabei auf neue Ansätze in der Sozial- und Wirtschaftspolitik hin - etwa eine Sozialversicherungsabgabe auf Kapitaleinkommen oder eine Erhöhung der Beitragsgrenzen -, die in der Regierungszeit noch Tabu gewesen waren.

Deutlicher hervor treten die Unterschiede zur politischen Konkurrenz in der Innen- und Rechtspolitik. So sieht die CDU bei der Kriminalitätsbekämpfung und Terrorismusabwehr weitere Überwachungsmaßnahmen (etwa die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung) als geboten und rechtlich vertretbar an. Die von der Wirtschaft gewünschten Investitionsschutzklauseln in den Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada hält sie für unbedenklich. Bei der Bewältigung der Fluchtbewegungen vollzog die CDU nach anfänglich großzügiger Aufnahmebereitschaft eine Kehrtwende und setzte verstärkt auf die Sicherung der EU-Außengrenzen und eine konsequente Abschiebungspolitik. Der Schaffung neuer legaler Zuwanderungsmöglichkeiten stand sie lange Zeit skeptisch gegenüber, um die Akzeptanz der deutschen Mehrheitsgesellschaft nicht zu überfordern, doch ist diese Haltung durch die wirtschaftlichen Zwänge des Fachkräftebedarfs inzwischen deutlich aufgeweicht. Die von der Ampelkoalition geplanten Erleichterungen bei der Einbürgerung lehnt die CDU ab. Eine doppelte Staatsbürgerschaft soll nur in Ausnahmefällen möglich sein. Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, hat die CDU auf ihrem Parteitag in Hannover im September 2022 die Einführung eines sozialen Pflichtjahres beschlossen.

Quellen / Literatur

  • Alexander, Robin (2021), Machtverfall. Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik: Ein Report, München.

  • Bösch, Frank (2001), Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Volkspartei 1945-1969, Stuttgart/München.

  • Bösch, Frank (2002), Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU, Stuttgart/München.

  • Bösch, Frank (2018), Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU), in: Frank Decker/Viola Neu (Hg.), Handbuch der deutschen Parteien, 3. Aufl., Wiesbaden, S. 242-261.

  • Brechenmacher, Thomas (2020), Die CDU unter Angela Merkel (2000-2018), in: Norbert Lammert (Hg.), Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU, München, S. 81-135.

  • Buchstab, Günter (2022), Die CDU in der Ära Kohl, in: Norbert Lammert (Hg.), Handbuch zur Geschichte der CDU. Grundlagen, Entwicklungen, Positionen, Darmstadt, S. 165-191.

  • Decker, Frank (2008), Wo wir sind, ist die Mitte. Zum Standort der CDU im deutschen Parteiensystem, in: Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte 55 (1/2), S. 12-15.

  • Decker, Frank (2020), Aufbruch in unsichere Zeiten. Die CDU am Ende der Ära Merkel, Ifri Comité d'études des relations franco-allemandes, Notes du Cerfa 157, Paris.

  • Dümig, Kathrin/Matthias Trefs/Reimut Zohlnhöfer (2006), Die Faktionen der CDU. Bändigung durch institutionalisierte Einbindung, in: Patrick Köllner/Matthias Basedau/Gero Erdmann (Hg.), Innerparteiliche Machtgruppen, Frankfurt a.M., S. 99-129.

  • Kleinmann, Hans-Otto (1993), Geschichte der CDU 1945-1982, Stuttgart.

  • Lau, Mariam (2009), Die letzte Volkspartei. Angela Merkel und die Modernisierung der CDU, München.

  • Resing, Volker (2013), Die Kanzlermaschine. Wie die CDU funktioniert, Freiburg i. Br.

  • Schmid, Josef (1990), Die CDU. Organisationsstrukturen, Politiken und Funktionsweisen einer Partei im Föderalismus, Opladen.

  • Schwarz, Hans-Peter, Hg. (2009), Die Fraktion als Machtfaktor. CDU/CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute, München.

  • Walter, Franz/Christian Werwath/Oliver D'Antonio (2014), Die CDU. Entstehung und Verfall christdemokratischer Geschlossenheit, 2. Aufl., Baden-Baden.

  • Zolleis, Udo /Josef Schmid (2013), Die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU), in: Oskar Niedermayer (Hg.), Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden, S. 415-437.

Fussnoten

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Weitere Inhalte

Prof. Dr. Frank Decker lehrt und forscht am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Parteien, westliche Regierungssysteme und Rechtspopulismus im internationalen Vergleich.