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Präsidentschaftswahlen in Tschechien | Hintergrund aktuell | bpb.de

Präsidentschaftswahlen in Tschechien

/ 4 Minuten zu lesen

Am Freitag und Samstag wählen die Tschechen einen neuen Präsidenten. Der Nachfolger von Präsident Václav Klaus wird erstmals per Direktwahl bestimmt. Favoriten sind zwei ehemalige Ministerpräsidenten: der parteilose Jan Fischer und der Sozialdemokrat Milos Zeman. Die Entscheidung wird voraussichtlich erst in der Stichwahl fallen.

(© picture-alliance/AP)

Neun Kandidaten bewerben sich um das Amt des Staatspräsidenten, der in Tschechien für fünf Jahre gewählt wird. Darunter die ehemaligen Regierungschefs Jan Fischer (parteilos) und Milos Zeman (Partei der Bürgerrechte, SPOZ). Weitere Kandidaten sind der konservative Vizechef des Senats Premysl Sobotka (Demokratische Bürgerpartei, ODS), der Außenminister Karel Schwarzenberg (TOP 09), der sozialdemokratische Senator Jiri Dienstbier (CSSD), die christdemokratische Abgeordnete des Europäischen Parlaments Zuzana Roithova (KDU-CSL), der bildende Künstler Vladimir Franz (parteilos), die Schauspielerin Tana Fischerova (parteilos) und die ehemalige Journalisten und Europa-Abgeordnete Jana Bobosikova (Suverenita). Ursprünglich hatten sich 20 Kandidaten beworben. Allerdings erfüllten nur diese neun die formalen Voraussetzungen . Zur Wahl zugelassen wurde, wer entweder Unterschriften von 20 Parlamentsabgeordneten bzw. zehn Senatoren oder 50.000 Unterstützerunterschriften von Wahlberechtigten gesammelt hatte.

Klage eines abgelehnten Präsidentschaftsanwärters

Bis zuletzt stand der Wahltermin auf der Kippe: Der tschechische Senator Tomio Okamura, der als Bewerber aus formalen Gründen abgelehnt worden war, hatte Klage eingereicht. Okamura beschwerte sich beim Verfassungsgericht über die vergleichsweise hohe Anzahl von Unterschriften, die ein Kandidat benötigt und bemängelte die kurzen Fristen, die das Gesetz für das Sammeln von Unterschriften einräumt. Er forderte die Verschiebung der Wahl und eine Überarbeitung der entsprechenden gesetzlichen Regelungen. Dem gab das Gericht aber nicht statt, sodass die Wahl wie geplant stattfinden kann. Jana Bobosikova, deren Kandidatur zunächst aus formalen Gründen abgelehnt worden war, hatte ebenfalls geklagt. Das Oberste Verwaltungsgericht gab ihr Recht und ließ sie am 13. Dezember als neunte Kandidatin zur Wahl zu.

Präsident wird erstmals direkt gewählt

Der Nachfolger des amtierenden Präsidenten Václav Klaus, dessen zweite Amtszeit im März zu Ende geht, wird erstmals in einer Direktwahl bestimmt. Eine entsprechende Verfassungsnovelle hatte der tschechische Senat im Februar 2012 angenommen. Bislang wurde der Präsident von Abgeordnetenhaus und Senat gewählt. Sollte keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl statt. Spätestens Ende Januar soll der Nachfolger von Václav Klaus gewählt sein. Klaus tritt aufgrund der Beschränkung auf zwei Amtsperioden nicht erneut zur Wahl an.

Die Favoriten: Jan Fischer und Milos Zeman

Beste Chancen auf das Präsidentenamt werden den beiden ehemaligen Ministerpräsidenten Jan Fischer und Milos Zeman eingeräumt. Sie liegen in den Umfragen mit jeweils etwa einem Viertel der Stimmen vorn, die anderen Kandidaten liegen weit dahinter. Fischer hatte 2009 einige Monate eine Übergangsregierung aus parteilosen Mitgliedern angeführt. Der einstige Chef des Statistischen Amtes ist in Tschechien populär und auch in Europa kein Unbekannter: Unter seiner Ägide übernahm das Land die EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2009. Gegenüber Radio Prag erläuterte Fischer seine Ambitionen, sollte er die Wahl gewinnen: "Vorrangig geht es mir [...] um eine Veränderung der politischen Kultur in diesem Land, eine bessere Nutzung des Potentials der tschechischen Zivilgesellschaft, eine Erneuerung des Vertrauens in die tschechischen Politiker [...]."

Sein größter Konkurrent Milos Zeman führte von 1998 bis 2002 eine sozialdemokratische Minderheitsregierung als Ministerpräsident an. Bereits 2003 kandidierte Zeman für das Amt des Staatspräsidenten, allerdings ohne Erfolg. 2007 verließ er die Tschechische Sozialdemokratische Partei (CSSD) und rief zwei Jahre später die Partei der Bürgerrechte (SPOZ) ins Leben. Für Tschechien strebt er einen Sozialstaat nach skandinavischem Vorbild an - "ein Staat mit einer relativ hohen Besteuerung, dessen Einnahmen vor allem dem Gesundheitswesen, der Bildung und weiteren wichtigen Leistungen zu Gute kommen, ein Staat mit einer hohen Konkurrenzfähigkeit, wie es zum Beispiel Schweden ist", erklärte Zeman in einem Interview mit Radio Prag.

InfoboxDie Rolle des Präsidenten

Im politischen System der Tschechischen Republik ist der Präsident das Staatsoberhaupt. Er ernennt und enthebt den Ministerpräsidenten und die anderen Mitglieder der Regierung. Weiterhin kann der Präsident über ein aufschiebendes Veto Einfluss im Gesetzgebungsverfahren ausüben und in Krisensituationen unter bestimmten Bedingungen das Parlament auflösen.

Wachsende Unzufriedenheit gegenüber der politischen Elite

Die Popularität der beiden Favoriten, die beide nicht den etablierten Parteien angehören, erklären politische Beobachter mit einer wachsenden Unzufriedenheit der Wähler gegenüber der politischen Führung des Landes. Dies bekam zuletzt die amtierende Mitte-Rechts-Regierung zu spüren, die dem Land einen strengen Sparkurs verordnet hat. Dieser sieht neben Sparmaßnahmen auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer vor. Die Folge: Bei den Regional- und Senatswahlen im Oktober vergangenen Jahres mussten die Regierungsparteien einen Stimmverlust zu Gunsten des linken Lagers hinnehmen. Die Sozialdemokraten erhielten die meisten Stimmen, auch die Kommunistische Partei Tschechiens und Mährens (KSCM) gewann hinzu - erstmals seit 1989 stellen die Kommunisten nun wieder einen Bezirkshauptmann in einer Region.

Der Popularitätszuwachs der Kommunisten wird ebenfalls als Protest gegen die politische Elite gewertet. Neben dem Sparkurs haben auch zahlreiche Korruptionsverdachtsfälle in den Reihen der Regierung sowie bei den Sozialdemokraten das Vertrauen in die politische Führungsriege beschädigt. Seit 2010 sind bereits sechs Minister wegen Korruptionsverdachtsfällen zurücktreten.

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